Geschrieben am 1. April 2024 von für Crimemag, CrimeMag April 2024

Sebastian Knauer bespricht »Die Öko-Visionärinnen«

Mord im Insektenhotel

Charlotte Kerner: We are Volcanoes. Die Öko-Visionärinnen: Rachel Carson, Lynn Margulis, Donna Haraway. Westend Verlag, Frankfurt 2024. 208 Seiten, gebunden, 24 Euro.

Die Lübecker Wissenschaftsjournalistin Charlotte Kerner hat eine Buch über drei starke Frauen  vorgelegt: die US-amerikanische Autorin und Zoologin Rachel Carson (1907-1964), deren Buch „Stummer Frühling“ über Umweltgifte wie DDT und den Artentod Anfang der Sechziger Jahre zum nationalen Bestseller wurde, die Bakterienforscherin und Mikrobiologin Lynn Margulis (1938-2011) sowie die „ökofeministische“ US-Philosophin Donna Haraway (*1944). Forschende Männer haben in dem informativen Werk wenig zu lachen.

Jetzt sind sie wieder in den frühlingshaften Auslagen der großen Baumärkte zu finden: die Insektenhotels. Diverse Modelle vom mehrgeschossigen Anlagen, die Batterien von wabenförmigen Röhren aus Bambus, Röhricht oder Eichenholz für Bienen, Fliegen, Nachfalter oder andere Flugtiere bereithalten bis hin zum kuscheligen Tiny-Haus mit knapp geschlitzten Eingängen, die exklusiv nur schlanken rot-schwarz gepunkteten Marienkäfer offen stehen und vor räuberischen Vögeln schützen können. Als Startmenü für die hoffentlich  heran schwirrenden Glückskäfer werden ein paar Würmer empfohlen.

Mit dem ganzen BlaBla der Umwelt und Artenschutzkonferenzen wird den engagierten Hobby-Gärtnern in der Werbung versichert, einen handfesten Beitrag zu Rettung der Welt zu leisten. „Sind Sie bereit für ein imposantes Statement in Sachen Naturschutz“, wirbt die Firma „gartenetage“ für ihre Produkte in Modulbauweise. Die preisliche Bandbreite geht von 6,99 Euro für ein dreieckiges Beginnerset bis zu 2.999,00 Euro beim Baumarkt Hornbach („Es gibt immer was zu tun„) für Wand-füllende Insekten-Massenunterkünften mit Blick ins Grüne. Man kann sie mit dem SUV als Öko-Retter nach Hause fahren.

Das einzige Problem: die fliegenden Gäste bleiben zunehmend aus, da sie massenhaft durch die tödliche Keule mancher Agrargifte, menschengemachte Veränderungen ihres Lebensraum am Bächen und Feuchtgebieten oder schlicht durch Rückzug aus den humanen Raubbauzonen verschwunden sind – ebenso wie beim blutigen Insektengemetzel auf den Windschutzscheiben von Überlandfahrten in den Limousinen zur Zeit der Eltern oder Großeltern, an denen man die ganze damalige Artenvielfalt der Nachkriegsjahre erkennen konnte. Heute bleibt die Scheibe klar.

Genau darum geht es in den von Autorin Kerner farbig und faktenreich geschilderten Biografien der drei Ökopionier-Autorinnen aus unterschiedlichen Jahrgängen. Ihre Lebenswege kreuzten sich vielfältig. Von der beruflichen Inspiration einer neu gedachten Biologie, die nicht nur dem Wachstumskurs und Profitstreben des Spätkapitalismus unterworfen ist, bis hin zu den persönlichen Beziehungen der drei Frauen zu ihren Mentorinnen, die auch durch intime lesbische Beziehungen geprägt waren.

Doch im Kern geht es der Autorin darum, den mühsamen Kampf der Wissenschaftsschwestern um Geschlechtergerechtigkeit gegen die Status-bewussten Männer ihrer Zunft aufzublättern.

Kerner ist darin so etwas wie eine publizistische Spezialistin. Als Chronistin des weiblichen Vormarschs in den männlichkeits- und machogeprägten Strukturen hat sie – vom Mittelalter bis zur Neuzeit – in mehreren Büchern die Lebensgeschichten von Hildegard von Bingen (der Kräuterkundigen), von Maria Sybille Merian (der Insektenforscherin und Schmetterlingsfrau im 17. Jahrhundert), bis hin zu Lisa Meitner (Entdeckerin der Radioaktivität und damit inoffizielle Mutter der Kernenergie, aber auch der Atombombe) beschrieben.

Den Nobelpreis dafür hat allerdings Meitner Partner Otto von Hahn eingesackt. Beide litten später in der Debatte über die Verantwortung der Wissenschaft für die militärische Nutzung ihrer Entdeckungen durch das Menschheitsverbrechen der US-Militärs der Atombombenabwürfe über dem japanischen Hiroshima als auch Nagasaki an dem vergeblichen Versuch, den aus der Flasche frei gelassenen bösen Geist wieder einzufangen.

Das mag bei den beschriebenen Biologinnen und bei der studierten Zoologin, die mit englischer Literatur ihre Uni-Zeit startete, nicht so spektakulär in einem apokalyptischen Atompilz enden. Doch die gewonnen Erkenntnisse über das vielfältige Leben in den Ozeanen – dokumentiert in Rachel Carson’s erster großer  Buchveröffentlichung „The Sea Around Us“ – oder die Erkenntnisse über die Besiedelung der Welt – und auch ihrer Bewohner durch klitzekleine Bakterien – durch Lynn Margulis, die uns im Gleichgewicht halten, eröffnete damals eine neue Perspektive in den Naturwissenschaften. Es waren auch männliche Forscher wie der Biologe und Yale-Professor George Evelyn Hutchinson, der früh solche Frauen an der Uni förderte.

Die Erkenntnisse von Carson über „ansteigende Meere“, die „Ozeane als große Regulatoren zur Stabilisierung der globalenTemperatur“, das „Abschmelzen der Gletscher“, über veränderte Wanderrouten von Landsäugetiere, den „Einsatz von Schleppnetzen“, den „Abbau von Magnanknollen“ – geschrieben vor über 40 Jahren, könnten aktuelle Meldungen aus den Hauptnachrichten im Deutschland des Jahres 2024 sein.

Nach Einschätzung der Autorin zeigt sich hier die Kraft der Wissenschaft, die sich in dem Wort „science fiction“ manifestiert. Was gestern noch ein Zukunftsszenario darstellte hat die Gegenwart längst erreicht und wird die Zukunft prägen.

Insoweit greift Kerner selbst zu dem Stilmittel, „science fiktion“ zu schreiben und selbst die zwei verstorbenen Power-Frauen Carson und Margulis zusammen mit Haraway ins Gespräch treten zu lassen. Alle Dialoge basieren auf faktentreuen Zitaten aus deren Werken. Manchmal etwas verwirrend für den Leser, verschieben sich so die Zeitebenen und räumlichen Verhältnisse in diesem frauenfreundlichen Wissenschaftsthriller.

Der nicht-weibliche Leser des Buches muss dann auch ertragen, dass er und seine Artgenossen angeblich die Wurzel allen Übels sind. Zitat: „… dass männliche Erdbewohner die Keimzelle der Gewalt und des hierarchischen Denkens sind… Phallogozentrismus … mit einer männlichen Sprache, die alles weibliche auslöschen will“. Und Donna Haraway setzt noch einen drauf: „Die Natur ist keine Frau, aber die Natur wird wie eine Frau behandelt, immer weiter eingeengt, bewahrt, versklavt, verherrlicht auf eine Weise flexibel gemacht um sie auszubeuten oder zu kolonialisieren.“

Wenn Vulkane ausbrechen gibt es jedenfalls viel Asche, die neues Leben ermöglicht. Ob es dann noch zwei Geschlechter gibt, ist höchst ungewiss. – Insektenhotels nehmen jedenfalls schon heute auch ungeschlechtliche Kleinlebewesen wie die weiße Fliege auf.

An Rachel Carson & Sisters kommt niemand vorbei, der die Ursprünge einer ökologischen Wende verstehen will.

Sebastian Knauer, Jahrgang 1949, war als Umweltredakteur bei stern und Spiegel Zeitzeuge von fünfzig Jahren Umweltpolitik in Deutschland und jenseits der Grenzen. Zu den Pionieren, stillen Helden und heutigen Greenwashern dieser gesellschaftlich-wirtschaftlichen Bewegung hat er ein Sachbuch in Vorbereitung.

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