Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Ron Rash »Der Friedhofswärter«

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Constanze Matthes liest das erste ins Deutsche übersetze Buch von Ron Rash

Er ist jung, die Toten und ihre letzte Ruhe sind für ihn Alltag. Blackburn Gant ist gerade mal 16, als er Friedhofswärter in dem kleinen Ort Blowing Rock in North Carolina wird. Es sind die 50er-Jahre. Nach dem großen weltumspannenden Krieg ziehen erneut junge Männer an die Front. Blackburns Freund Jacob kämpft auf der anderen Seite der Erde in Korea. Als er lebend, aber versehrt zurückkommt, ist nichts mehr, wie es war. Ron Rash erzählt in seinem Roman „Der Friedhofswärter“ von einer ungeheuerlichen Intrige, aber auch von bedingungsloser Freundschaft und Loyalität.

Über diese große und ergreifende Geschichte zu schreiben, ohne allzu viel über sie zu verraten, ist nicht unbedingt leicht. Dabei hilft es, die besondere Vorgeschichte der beiden jungen Männer vorzustellen. Blackburn ist seit seiner Kindheit von einer schweren Polioerkrankung gezeichnet. Die Einwohner in Blowing Rock meiden ihn. Sein Gesicht ist unansehnlich, er leidet zudem an einer Gehbehinderung. Aber er hat ein gutes Herz. Von seinem Vorgänger hat er alles gelernt, was ein Friedhofswärter wissen muss. Vor allem eines: Respekt vor den Toten zu haben. Blackburn führt ein zurückgezogenes und einfaches Leben als Außenseiter, wohnt in einem kleinen Cottage am Ortsrand.

Sein Freund Jacob ist das ganze Gegenteil. Er stammt aus einer vermögenden, angesehenen wie einflussreichen Familie, die in Blowing Rock die Fäden zieht. Doch als er das Studium schmeißt und seine Verlobung löst, um mit Naomi, einem 16-jährigen Zimmermädchen, durchzubrennen, wird er von seinen Eltern verstoßen und enterbt, die Menschen im Ort grenzen das Paar unerbittlich aus. Als Jacob in den Krieg zieht, bittet er Blackburn, sich um Naomi zu kümmern, die ein Kind erwartet. Schwer verletzt und gezeichnet vom Krieg kehrt Jacob zurück. Seine Eltern schmieden mit Helfershelfern, die sie teils unter Druck setzen, einen unfassbaren perfiden Plan, der den Leser erschüttert. Wie wohl auch die kleinstädtische „Gemeinschaft“, die schnell verurteilt und Menschen aus ihrer Mitte ausgrenzt.

Wie es der Titel des Buches schon verrät, geht es in dem Roman des US-Amerikaners um Tod und Abschied, wenngleich manches Mal auch im zweideutigen Sinne. Einige der markanten Szenen sind auch auf dem Gottesacker angesiedelt, auf dem Blackburn tagtäglich arbeitet und auf dem letztlich auch die Handlung nach dem Beginn der Intrige eine weitere Wendung erfährt. Der junge Mann zählt zu den stillen Helden, die man so schnell nicht vergessen wird. Obwohl von der Gesellschaft nahezu ausgeschlossen oder wenig beachtet, übernimmt er, ohne deshalb Groll und Verbitterung zu empfinden, zwei wichtige Aufgaben mit sehr viel Hingabe: die Pflege des örtlichen Friedhofs und die Sorge um Naomi, die neues Leben gebären wird. Rash erzählt diese dramatische und packende Geschichte, die ein eigenwilliges, aber herzerwärmendes Ende findet, in einem sehr ruhigen Ton und einer bildhaften wie poetischen Sprache. Wie Rash die Gefühle seiner Hauptfiguren beschreibt, die körperlich wie seelisch versehrt sind, ist ungemein eindrücklich.

Obwohl in den USA sehr angesehen, ist Rash hierzulande wohl nur wenigen Lesern bekannt. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, welche wunderbaren Autoren und deren Werke es aus diesem riesigen Land noch zu entdecken gibt. 1953 in Chester/North Carolina geboren, studierte Rash Englisch. Seine Gedichte und Kurzgeschichten sind bisher in mehr als 100 Zeitungen und Magazine veröffentlicht worden. Sein Romandebüt „One Foot in Eden“ erschien 2002. Rash erhielt bereits zahlreiche Preise. Zweimal stand er auf der Shortlist des PEN/Faulkner Award for Fiction. Rash gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Gegenwartsautoren und unterrichtet an der Western Carolina University.

„Der Friedhofswärter“ ist nun der erste Roman Rashs, der ins Deutsche übersetzt wurde. Ein Buch über Lügen und Verrat, aber auch über Loyalität und Freundschaft – und eine große Liebe, die sich trotz vieler Hindernisse behaupten will. Große Themen in einer epischen Geschichte. Bitte mehr von diesem Autor, dessen Roman für mich schon zu den besten weil erinnerungswürdigsten des Jahres zählt.

Ron Rash: Der Friedhofswärter (The Caretaker, 2023). Aus dem amerikanischen Englisch von Sigrun Arenz. Verlag ars vivendi, Cadolzburg 2024. 240 Seiten, 24 Euro.

Constanze Matthes – ihre Texte bei uns hier. Ihr Blog trägt den Titel Zeichen und Zeiten.

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