Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

Iris Boss: »Zieh das mal an!«

Eine Schauspielerin über die Macht der Kleidung – von Iris Boss

„Schlüpf da bitte mal kurz rein!“ – Ich ziehe mein elegantes, perfekt sitzendes Jacket aus und tausche es gegen den grauen Tweed-Blazer, den Tina, die Kostümbildnerin, mir hinhält. Er ist mir mindestens eine Nummer zu groß, lässt meine schmale Taille verschwinden, meine Beine kürzer und meinen Teint fahl und abgekämpft wirken. Ich spüre sofort: Er ist perfekt!

Die anschließende Bühnenprobe bestätigt mein Gefühl: Ich bewege mich schwerfälliger, mein ganzer Körper fühlt sich irgendwie nicht richtig an. Ich habe das Gefühl, meine Kollegen beachten mich kaum, hören mir nicht richtig zu, was dazu führt, dass meine Stimme immer ein bisschen zu laut ist und einen nervigen Unterton bekommt. Der Rolle, die ich spiele, gibt das den letzten kleinen Schliff, den ich bei den bisherigen Proben noch nicht hingekriegt habe.

Ein gutes Kostüm kann einen schlechten Schauspieler nicht retten, das falsche Kostüm hingegen kann das beste Spiel ruinieren. Warum sollte das im Leben anders sein als auf der Bühne? Ich habe relativ lange gebraucht, um das zu verstehen, vor allem, was das Leben betrifft. In vielen Bereichen war mein professionelles Ich meinem privaten voraus (ob das der Tatsache geschuldet ist, dass ich schon sehr früh in meinem Beruf gearbeitet habe, oder der, dass ich eine Spätzünderin bin, sei einmal dahingestellt). Ich habe meinen allerersten Kuss vor einer Kamera bekommen, bin meinen ersten Tod auf einer Bühne gestorben und habe meine ersten 12-Zentimeter-Heels auf einer getragen.

Meine Teenagerjahre habe ich in weiten Schlabberpullis und übergroßen Jeans verbracht. Nicht, weil das in den 90ern in gewesen wäre, sondern weil ich mich einfach nicht traute, etwas anderes zu tragen. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, freiwillig in 12-Zentimeter-Heels zu schlüpfen (einmal ganz davon abgesehen, dass ich niemals die Geduld aufgebracht hätte, zu lernen, mit einer gewissen Anmut darin zu gehen, hätten mich nicht eine nahende Premiere und ein genervter Regisseur unter Druck gesetzt das zu tun). Erst durch meine Kostüme, die ja von jemand anderem für eine Figur, die ich spielte, ausgesucht wurden, erweiterte sich mein Klamotten-Repertoire und mein Spaß daran, mit Mode zu spielen auch privat. Ich lernte, welche Schnitte und Farben mir gut stehen, dass meine Figur in 40er und 50er Jahre inspirierter Mode besonders gut zu Geltung kommt und 12-Zentimeter-Heels mir manchmal ein richtig gutes Gefühl geben.

Ich lernte, welche Wirkung ich mit der Art, mich zu kleiden erzielen konnte – nach außen, auf andere, aber noch viel wichtiger: für mich selbst. Denn ob das Kleid, in dem ich mich unwiderstehlich fühle, meinem Date auch so gut gefällt oder der Hosenanzug, in dem ich mich tough und professionell fühle, meinen Chef bei der Gehaltsverhandlung beeindruckt, kann ich nicht wissen. Und darauf kommt es auch gar nicht an. Das Wichtige ist, dass ich mich so fühle. Die Wirkung auf andere passiert so ganz nebenbei.

Es geht dabei nicht darum, mich zu verkleiden oder jemand anderen darzustellen (das mache ich nur auf der Bühne oder vor der Kamera). Mit Hilfe meiner Kleidung kann ich vielmehr Akzente setzen, sowohl körperlich als auch was verschiedene Facetten meiner Persönlichkeit betrifft. Das richtige Outfit kann wie eine gute Freundin sein, eine wirklich gute Freundin. Eine, die sich nicht irgendwann einmal ein Bild von uns gemacht hat, dem wir nun in alle Ewigkeiten entsprechen sollen (damit es ihr selbst erspart bleibt, sich zu verändern). Eine, die uns ermutigt und darin unterstützt, neue Seiten an uns zu entdecken, die unsere Stärken sieht – sogar solche, die uns selbst noch verborgen sind.

Mein eigener Stil hat sich über viele Jahre hinweg entwickelt und wird sich hoffentlich weiter mit mir entwickeln. Manchmal reicht ein neues Kleid, um eine Seite an mir kennenzulernen, die ich bisher noch nicht kannte. Zugegeben: Das klingt ganz schön oberflächlich, aber es ist eine tiefe Wahrheit!

Iris BossZuerst erschienen im Buch „Stilsicher gekleidet“ von Dita Troyke. Würde die Schauspielerei ihr mehr Zeit lassen, würde Iris Boss mehr für uns schreiben., sagt sie. Ihre Texte und Kolumnen bei uns hier.

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