Geschrieben am 1. Dezember 2023 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2023

Hazel Rosenstrauch: Digitaler Hinterhof

Über Stefan Mey „Der Kampf um das Internet“ und andere Alternativen

Wenn in den Medien, die noch als Repräsentanten des Mainstream gelten, über Digitalisierung geschrieben oder geredet wird, geht es um Künstliche Intelligenz, um deutschen Nachholbedarf oder vielleicht noch Glasfaserkabel. Nur langsam dringen auch Nachrichten über Gegenentwürfe zu den Datenkraken der Multimilliardäre in die Welt von Bücherlesern vor. Traurig genug, dass sich Stefan Mey im Einleitungskapitel rechtfertigen muss: “Warum es dieses Buch braucht.” Die vielen Programme, Projekte, Codes und dazugehörigen Diskussionen sind nicht neu, sie sind so alt wie das Internet, mit dem große Hoffnungen verbunden waren, als es erfunden wurde. 

Der dramatische erste Satz von Stefan Mey heißt trotzdem: “Eine andere digitale Welt ist möglich.” Denn bekanntlich hat sich mit der neuen Technologie nicht die Demokratisierung von Wissen und daraus folgend eine Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen durchgesetzt, sondern eine nie dagewesene Machtkonzentration, die Missbrauch und Entmündigung zumindest Vorschub leistet (wenn nicht zum Geschäftsmodell macht). Es gibt, quer über den Globus, Tausende Menschen, die an einer digitalen Gegenwelt arbeiten, meist, aber nicht nur, ehrenamtlich. Sie basteln an nicht-kommerziellen Programmen für so gut wie alle Anwendungen, die Microsoft oder Apple im Fertigpaket anbieten und sich mit Daten bezahlen lassen. Die Open-Source Programme hingegen sammeln keine Daten, sind eben offen, lassen sich weiter entwickeln und laden zur Mündigkeit ein. Am Bekanntesten ist Wikipedia, das schon vor 20 Jahren gegründet wurde und sich zu einer riesigen internationalen Organisation ausgeweitet hat (mit interessanten Unterschieden hinsichtlich der – in Deutschland besonders strengen – Kriterien). Es gibt alternative Browser wie Firefox, der all das kann, was die Großen können, und im Unterschied dazu Tracking-Schutz eingebaut hat, es gibt das Mailprogramm Thunderbird, beides Teil der Mozilla-Stiftung, die anders als Google, Microsoft & Co ihre Codes öffentlich macht. Es gibt Suchmaschinen, die zwar manchmal zu Google weiterleiten, aber denen, die sich ein bisschen auskennen, die Kontrolle über die eigenen Daten erlauben. (Interessanterweise fehlen die von kritischen Usern gern genutzten DuckDuckGo oder Qwant bei Stefan Mey). 

Ob Bürosoftware, Mail, Kurznachrichtendienst, Grafikprogramme, Media-Player, Video-Call, Straßenfinder oder Baukasten für Websites und Blogs, man kann immer nutzen, kommunizieren und arbeiten, ohne sich aushorchen zu lassen, und vor allem, ohne ein paar Milliardäre mittels abgezapfter Daten noch reicher zu machen. Die offenen Programme sind oft als Stiftungen oder gemeinnützige Vereine organisiert, über Spenden und von Unternehmen finanziert. Sie werden von Communities betreut, die quer über Länder und Sprachen vernetzt sind und zum Mitmachen einladen, zu ihrem Credo gehören der Schutz der Privatsphäre, Vermeidung unnützer und Kontrolle über die eigenen Daten. Eine wichtige Rolle spielen Dezentralisierung und Gemeinwohlorientierung – also nicht-kommerzielle Anwendungen, die Usern erlauben, über die Nutzung ihrer Soft- und Hardware selbst zu entscheiden. Und auch wenn Mey darauf nicht eingeht, so ist die Lust an Kooperation ein zentrales Anliegen dieser Programmierer, Entwickler, auch Programmiererinnen und Beiträgerinnen. Als Nebeneffekt ist die nicht-proprietäre software auch sparsamer im Umgang mit Energie. “Mit einem Linux-Betriebssystem können auch noch zehn Jahre alte Computer mit freier und aktueller Software ausgestattet werden und erhalten Sicherheits-Updates aus der Entwickler-Community.” 

Die Welt dieser Gegenöffentlichkeit ist groß und weit, Stefan Mey hat einige, keineswegs alle, Programme, Plattformen und Organisationsformen gesammelt, manche ausführlicher, manche en passant erklärt. Sein Buch ist ein Hybrid, sowohl für Neulinge geeignet wie für Nutzer, die vielleicht schon ein bisserl antikommerziell unterwegs sind, und Tipps sowie Hintergrundinformationen hier finden. 

Hazel Rosenstrauch

Stefan Mey: Der Kampf um das Internet. Wie Wikipedia, Mastodon und Co die Tech-Giganten herausfordern. C.H. Beck, München 2023. Klappenbroschur, 236 Seiten, 18 Euro.

  • Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

Tags : ,