Geschrieben am 1. September 2024 von für Crimemag, CrimeMag September 2024

H.P. Daniels: »BORN TO BE WILD« – Begegnung mit der Vergangenheit

BORN TO BE WILD – BOUND TO GET OLD

Ein Selbstversuch von H. P. Daniels

Gerade dieser Tage noch hatte ich mir die Frage gestellt, ob ich nicht einem Selbstbetrug erliege, wenn ich immer wieder andere Menschen als „ältere Herren“ oder „ältere Damen“ bezeichne?

Heute allerdings stellte ich mir im Kino die Frage: Was machen denn diese ganzen alten Damen und alten Herren hier … in einem Film über eine harte und wilde Rockband, über verwegen gegerbte Typen mit wüsten Haaren, schwarzem Leder, bunt psychedelischen Hippie-Klamotten … in der Dokumentation „Born To Be Wild – Eine Band namens Steppenwolf“?

Ausschließlich weißhaarige Kinobesucher, ältere Herrschaften, manche schon etwas verwittert im Gesicht, etwas wackelig auf den Beinen. Und eher gediegen bürgerlich aussehend, nur einer der älteren Herren trägt einen kecken grauen Zopf.

Ich muss lachen: Ach ja, verdammt, es ist ja auch schon fünfundfünfzig Jahre her, als die kanadisch/US-amerikanische Hardrock/Psychedelic/Blues-Band Steppenwolf mit den Songs „Born To Be Wild“ und „The Pusher“ im Kultfilm „Easy Rider“ 1969 schlagartig bekannt wurde.

Und fast war ich geneigt, meine Sitznachbarsenioren im Kino zu fragen, in welcher Stadt sie damals „Easy Rider“ gesehen hätten, oder in welchem Berliner Kino? Und wie alt sie damals waren? Dann würde ich womöglich erfahren, dass sie damals so um die 16 waren, und amüsiert müsste ich zugeben, dass ich schon 18 war.

Eine amüsante Vorstellung: dass wir alle, die Weißhaarigen, Verwitterten und schon etwas Wackeligen auch damals schon zusammen in einer Kino-Vorstellung gesessen haben könnten. Jung und langhaarig, verwegen, bunt und rebellisch, und noch mit einem ganzen Leben vor uns. Vor fünfundfünfzig Jahren …

Und jetzt?

Mir fiel eine Szene von neulich ein, als mich, nachdem ich auf einer Veranstaltung ein paar Songs gespielt hatte, eine ältere Dame ansprach, und sie mir sagte, dass es ihr sehr gefallen habe … um schließlich mit wissendem Grinsen hinzuzufügen: „Ja, wir Alten!“

Und jetzt im Kino, als ein zu spät kommendes Paar den Saal betrat, leicht angegraut, sie könnten um die Sechzig sein, hab ich mich gefragt, ob die anderen Kinobesucher gelacht hätten, hätte ich laut ausgerufen: „Oh, endlich auch mal jüngere Leute!“ Klassenclown-Masche. Wie vor 55 Jahren.

Lustig fand ich, als zu Beginn des Films der etwas verwitterte, aber immer noch coole, 76-jährige Alice Cooper, der einst „School’s out forever!“ rausrebellt hatte, feststellte, dass er, als er die Band Steppenwolf zum ersten Mal gehört hatte, gedacht habe: Das kann keine englische, das muss eine amerikanische Band sein – mit dieser Härte und diesem rauen Blues-Sänger!

Der allerdings ist Deutscher:

John Kay, geboren am 12. April 1944, als Joachim Fritz Krauledat, in Tilsit, Ostpreußen, ist mit seiner Mutter 1945 auf der Flucht vor der Roten Armee nach Arnstadt in Thüringen gelangt, von wo sie 1949 erneut flohen – gab es da schon die DDR? Oder war es noch SBZ? – diesmal nach Hannover.

Eloquent und pointiert, halb auf deutsch, halb auf Englisch, erzählt John Kay im Film seine verschlungene Familiengeschichte, und wie sie schließlich von Hannover nach Kanada ausgewandert sind, Achim Krauledat zu John Kay wurde, und in Kanada und den USA mit Steppenwolf zum Rocksuperstar: Als Frontmann, Sänger und Gitarrist von Steppenwolf.

Schöne Geschichten. Wie auch die, dass schwarze amerikanische Radiostationen den von Don Covay geschriebenen und von Steppenwolf exzellent interpretierten Titel „Sookie Sookie“ nicht mehr spielten, nachdem sich rausgestellt hatte, dass John Kay kein schwarzer Sänger war.

Auch Deutsche können offenbar den Blues singen, Soul und Rock! Und „schwarz“ klingen dabei!

Natürlich kannte ich damals, anfang der 1970er die Hits von Steppenwolf, und hatte die Band im „Beat Club“ gesehen: „Sookie, Sookie“, „Born To Be Wild“, „The Pusher“, „Magic Carpet Ride“, doch nie hatte ich auch nur eine einzige Platte von ihnen besessen.

Und bis ich den Film sah, war mir auch nicht klar, was für eine große Nummer Steppenwolf damals in den USA schon waren, eine Band, deren Fans die größten Stadien füllten. Mit hartem Lederrocker-Image. Und allem, was dazugehörte: Drogen, dicke Autos, schöne Frauen, jede Menge Geld … und der übliche alltägliche Rock ’n‘ Roll-Wahnsinn.

Bis das alles seinen Tribut forderte – LSD-Durchgeknalltheiten, Größenwahn und interne Streitereien – und alles den Bach runterging, sich alles auflöste, und die Bandmitglieder getrennte Wege gingen.

Als schließlich mehrere Bands mit dem Namen „Steppenwolf“ den Namen „Steppenwolf“ ruinierten, ohne John Kay als Sänger, und mit kläglichen Vorstellungen, setzte der originale Sänger dem unwürdigen Treiben ein Ende, mit einer neuen Band: „John Kay and Steppenwolf“, mit der er sich, wie am Anfang aus den schmutzigsten kleinen Kaschemmen beharrlich wieder hocharbeitete in die oberste Stadion-Liga.

Er sei eben ein typischer „Lifer“, sagt seine Ehefrau im Film … oder sagt es seine Tochter? „Lifer“ würden solche Menschen genannt, die das, was sie gut können und mit Leidenschaft betreiben, immer weiter machen, bis sie umfallen.

John Kay ist inzwischen achtzig Jahre alt, wirkt heute cooler und sympathischer als damals, und tritt immer noch auf, solo, mit Akustikgitarre, Dobro und Bottleneck, als beseelter Blues-Shouter und guter Gitarrist. Und fällt hoffentlich nicht so bald um.

Interessant im Film fand ich auch die Geschichte des Bassisten Nick St. Nicholas. Auch ein Deutscher, was ich nicht wusste, und Alice Cooper anfänglich sicher auch nicht:

Klaus Karl Kassbaum ist geboren am 28. September 1941 in Plön/Schleswig-Holstein. Leider erfährt man im Film nicht, warum die Familie Kassbaum 1951 von dort nach Kanada ausgewandert ist, obwohl sie offenbar ein sehr gediegen bürgerliches Leben in einem hübschen Haus am Plöner See lebten. Im Film, wo auch Fotos aus den Familienalben gezeigt werden, sieht man auf einem Bild den Vater Karl Kassbaum (geb. 1909) als Korvettenkapitän auf der Kommandobrücke seines Torpedobootes „Leopard“, an der Seite von Adolf Hitler.

Nach dem Krieg sind ja einige höhere Nazi-Offiziere, SS-Leute etc. nach Kanada ausgewandert. Der Film geht darauf nicht näher ein, und in den Bandbiografien heißt es oft: der Bassist stamme aus einer „gediegen bürgerlichen deutschen Hanseatenfamilie“.

In Amerika gefiel dem jungen Klaus Karl Kassbaum irgendwann sein Name nicht mehr: KKK, was seien denn das auch für Initialen? Und er benannte sich kurzerhand um, und wurde als Nick St. Nicholas zum attraktiven, blonden, langlockigen Rockstar und Hippie-Freak.

Im Film gibt es eine kurze Szene, wo die spießigen Kassbaum-Eltern den freakigen Sohn besuchen. Und die Rockstarehefrau erzählt dazu beiläufig aus dem Off, dass Vater Kassbaum, der Ex-Kapitän der hitlerschen Kriegsmarine, immer gleich im Keller verschwunden sei, wo er mit Schiffen gespielt habe, die er an langen Stangen durch den Raum bewegt hat. Sie erzählt das lachend amüsiert: Er sei halt ein bisschen schrullig gewesen, und habe nicht von seinen Erinnerungen lassen können.

Die Geschichte kam so beiläufig, dass sie die meisten Kinobesucher vermutlich gar nicht registriert haben.

Eher dann vielleicht wieder die Geschichte, dass John Kay den Bassisten St. Nicholas schließlich bei Steppenwolf rausgeworfen hatte, nachdem der, nur mit einer Unterhose bekleidet und mit Hasenohren auf dem Kopf, mit Steppenwolf auf der Bühne gestanden hätte.

John Kay ist mit 80 Jahren ein älterer Herr, der sympathischer wirkt als in seinen jungen Jahren.

Nick St. Nicholas hat sich auch gut gehalten und wirkt im Film als 82-jähriger Harley-Fahrer mit Ohrringen, Halsketten, Armbändern und weiten Gewändern wie eine exotische ältere Dame.

Uns älteren Damen und Herren im Kino hat das alles gut gefallen.

Und ich habe jetzt dieses markante Gitarren-Riff als ständigen Ohrwurm im Kopf:

Born to be wild …

H.P. Daniels, 17.7.2024

Anm. d. Red.: Der Autor von Kurzgeschichten, Features, Portraits, Reportagen lebt in Berlin, war über zehn Jahre Sänger, Gitarrist und Songschreiber der Berliner Rockband The Escalatorz. Im März 2019 erschien sein Roman Runaway im Berliner Transit Verlag. Seine Website hier.

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