Geschrieben am 7. Mai 2014 von für Musikmag

Stagetime: Ja, Panik

Ja, PanikJa, Panik, 29. April 2014, Münster, Gleis 22

– „Schmeckt das Eis am Kotti auch nicht anders als am Schotten-Tor“

Wie schon bei ihren letzten beiden Tourneen gastiert auch in diesem Jahr die Gruppe Ja, Panik im Gleis 22 in Münster. Die Vorfreude ist groß, hat die Band doch bei den vorangegangenen Gastspielen hier restlos überzeugt. Auch das neue Album „Libertatia“ ist von der Kritik durchgängig hoch gelobt worden, kann aber nach meinem Geschmack nicht ganz mit den beiden Vorgängern mithalten. Das ist auch schwer, da die letzte Platte „DMD KIU LIDT“ für mich eines der besten Alben einer deutschsprachigen Band, wenn man denn Ja, Panik so nennen will, der letzten Jahre überhaupt war.

Von der ehemals fünfköpfigen Gruppe sind noch drei Mitglieder dabei, darunter natürlich der kreative Kopf und musikalische Direktor Andreas Spechtl. Die neue Platte „Libertatia“ ist nicht so kantig wie die Vorgänger, noch tanzbarer, stärker keyboard-geprägt und inhaltlich weniger persönlich. Ein gutes Album sicherlich, aber eben kein Meisterwerk. Das sind die Prämissen mit denen ich zum Konzert gehe und sehr gespannt bin, wie Ja Panik die neue, aufwändiger produzierte Musik live umsetzt.

Vorher gibt es Chris Imler, dessen Darbietung man wohlwollend interpretiert als interessant bezeichnen kann. Alleine, diverses Schlagwerk bedienend, mit Musik aus der Konserve unterlegt, bestreitet Herr Imler ca. 40 Minuten Vorprogramm. Über diese Zeit gelingt es ihm nicht den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Blicke auf die Uhr und das Smartphone, welches gnadenlos das Bayern-Debakel gegen Real offen legt, sprechen eine eindeutige Sprache. Zu viel Performance, zu wenig Musik ist mein Urteil, die Hälfte der Zeit wäre ok gewesen.

Ja, Panik eröffnen mit „Trouble“ vom vorletzten Album und haben Laura Landergott an Keyboard und Gitarre als viertes Mitglied dabei. Sehr erstaunlich ist, dass sie in dieser an sich kleineren Besetzung den komplexeren Sound von „Libertatia“ sehr gut live umgesetzt bekommen, ein Zeichen für die hohe Musikalität der Band. Das neue Album steht auch ganz klar im Fokus der Setlist, was dazu führt, dass Klassiker vom vorletzten Album wie „Suicide“, „Surrender“, „Mr. Jones & Norma Desmond“ oder natürlich der Titelsong es nicht ins Programm geschafft haben. Wohl dem Künstler, der ein solches Problem hat.

Die Atmosphäre der jeweils letzten Platte spiegelt sich auch im Konzert wider, „The Angst And The Money“ war von der Nervosität der jungen Talking Heads geprägt, „DMD KIU LIDT“ strahlte eine morbide Gelassenheit, dabei aber auch eine schwer greifbare, aber irgendwie spürbare Gefährlichkeit aus („Ich befürchte es fischt bald jemand diesen Buben aus der Spree“). Eine solche Stimmung empfinde ich zum Beispiel auch beim Hören von Velvet Underground. Mittlerweile scheint Ja, Panik, was man so liest, auch mit Drogen etwas selektiver umzugehen („Nie wieder solche Galgenvögel sein“), perspektivisch sicher schlau, und sie wirken insgesamt zufriedener mit sich und der Welt. Das Konzert der letzten Tour war mit einer Light-Show von Hans Unstern hinterlegt, sehr atmosphärisch und wirklich beeindruckend, dies ist heute etwas sparsamer ausgestaltet.

Im Konzert finde ich die eher gemäßigteren Nummern vom neuen Album wie „Au Revoir“, „Alles leer“ oder „Eigentlich wissen es alle“ am schönsten. „Chain Gang“ in der extended version verwandelt das Gleis 22 dann in eine richtige Discothek. Die Zugaben zeigen dann noch einmal die ganze Bandbreite und Qualität der Musik von Ja, Panik, vom Indie-Rocker „Thomas sagt“ über den Gospel „The Evening Sun“ bis zum letzten Lied „Nevermind“. Hier treibt Andreas Spechtl alleine mit seiner Gitarre mir jedes Mal Tränen in die Augen, wenn er jedem seiner Mitmusiker (aus der alten 5er-Besetzung) eine unter die Haut gehende Strophe widmet.

Ein tolles Konzert einer wunderbaren Band, keine Frage. „Libertatia“ ist aber halt nicht „DMD KIU LIDT“. Ich bin gespannt wie es weitergeht.

Wolfgang Buchholz

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