Geschrieben am 1. Oktober 2024 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2024

Das Fotobuch »Durch Schwarz und Weiß« von Brigitte Tast

Eine Besprechung von Alf Mayer

Erst einmal Schwarzblende. Schwarzes Vorsatzblatt. Dann ein Selbstporträt aus »Modell Gehen« von 1991. Und ein Text. Vor zwanzig Jahren schon habe sie es angekündigt: jeweils einen Foto-Text-Band über die drei Farben Weiß, Rot und Schwarz. Der erste, »Die Hüterin des Weiß«, wurde im Herbst 2011 fertig. ”Rot in Schwarz-Weiß« folgte im Corona-Frühling 2020 (meine Besprechung hier). Und nun noch Schwarz. Brigitte Tast: »Dazu hatte ich Heftiges versprochen. Vielleicht etwas zu großartig?«

Auf der nächsten Seite, der Titelseite gegenüber, dort wo gemeinhin links unten das Impressum steht, dazu eine Ergänzung – so etwas wie das Motto dieses (dritten) autofiktionalen Farben-Buchs:

»Denn mich reizt das Ungewisse.
Mich reizt das Direkte,
das Anstößige,
das Maßlose,
dieser Abstand zum Gewöhnlichen.

Schwarzer Samt so viel schwärzer als schwarzer Stoff.
Geheimnisvolle Unwirklichkeit.
Und die Stechpalme ist nicht irgendein Baum;
sondern Wirklichkeit mit Verlustgefahr.«

(Zitiert aus der Diageschichte »Hermania mia! – Meine Schwester“ vom Ende der 1990er Jahre)

Der erste Blick im Buch geht über eine Balustrade in einen Park im »europäischen Storchendorf« Rühstädt, einem winzigen Ort in der Prignitz. Brigitte Tast und ihr Mann Hans-Jürgen sind zur Saisoneröffnung dorthin gefahren, die ersten Störche sind tatsächlich schon da. Es ist der 1. April. »Federn in Schwarz und Weiß, roter langer Schnabel, rote lange Bein. Dieser imposante Vogel mit meinen drei Farben«, notiert Brigitte Tast, »scheint mir ein guter Anfang für mein Buch-Projekt.«

Selbstbild aus »Rot in Schwarz-Weiß« © Brigitte Tast

Schon im Jahr davor waren die beiden auf Motivsuche für das Schwarz-Buch gewesen, unter anderm im Harz. Beim Entwickeln der Probeaufnahmen – Brigitte Tast fotografiert beharrlich analog – wurde klar, eine Wasserlandschaft würde sich für das Thema besser eignen. So wurden es die Prignitz und die Elbe, Störche inklusive. »Klapperstorch. Weltenbummler. Geschwisterbringer. Glücksbote.«

Aber keine Bange, dies wird kein Tierbuch und keine Schnulze. Bei Brigitte Tast gibt es aufgeschundene Haut, Selbstentblößung, Selbsterforschung, unbedingte Ehrlichkeit. Keine Kompromisse. Ihre Fotografien sind Berührungen. Unvermittelt und direkt.

»Schwarz, das ist ein Raum ohne Licht.
Die Tür von außen verschlossen.
Nichts von mir dringt nach draußen.
Wenn ich da drin bin, bin ich vergessen.
Mindestens so lange,
wie ich auf Hilfe warte.«

Steht auf Seite 16. Wir sind immer noch bei den Störchen..

»Rot ist das Feuer.
Wenn es in mir ausbricht,
stürze ich nach vorn.
Alle können mein Glühen sehen.
Ich kann nicht mehr vernünftig sein.
Wehe mir, wenn alle nur staunen.«

Aus dem Storchendorf zurück nach Schellerten bei Hildesheim, geht es auf eine Stippvisite zur „Hannover Messe“. Die Tiere, die Brigitte Tast dort fotografiert, sind aus Stahl, Kupferkabeln und Chips. »Enjoy the future!« Hans-Jürgen ist mit seiner Digitalkamera dabei, manchmal weiß seine Frau Brigitte nicht, ob das Hilfe ist oder Konkurrenz. »Die Fotografie und ich«, fragt sie sich, nicht das letzte Mal in diesem Buch, »wie lange bleiben wir noch ein Paar?«

Die Autorin frägt sich das nicht nur in Hinblick auf die analoge Lichtbildnerei, nun nur noch etwas für ein paar Nostalgiker. Sie fragt es sich auch – immer wieder, und schonungslos –, weil sie wegen einer Krankheit ihre Kräfte schwinden fühlt.

Das Schwarz in diesem Buch hat neben aller Poetik einen zutiefst persönlichen Kern, einen höchst privaten eigenen Abgrund. Um den auszuloten, ihn damit vielleicht zu bannen, unternimmt Brigitte Tast dieses Buch. Schwarz ist und war für sie immer schon mehr als eine Farbe.

Die Eigenart des Buches, an die man sich rasend schnell gewöhnt, nimmt auf eigentümliche Weise gefangen. Man schaut nicht nur. Die Bilder, allesamt im Format 14,5 x 14,5 cm und im Satzspiegel immer am gleichen Ort platziert, sind die Fußstapfen, auf denen es vorwärts geht. Die Abgründe, Brücke, Schorfkanten und Risse lauern im vielen Weiß, lauern im Schwarz der Buchstaben. Die Sätze karg. Spärlich. Nur das Nötigste, kein Drumherum. Kondensiert.

Erinnerung. Tagebuchnotiz. Einordnung. Hintergrund. Verknüpfung. Manchmal Auszüge aus Korrespondenz. Manchmal Zitate aus älteren Arbeiten. Die Texte, unwillkürlich, nehmen wie auch die Bilder uns Leser und Leserinnen in den Dialog. Die Autorin spricht darin zu uns auf stets mehreren Ebenen. Im Lauf der Jahrzehnte hat Brigitte Tast mit ihren live vorgetragenen »Diageschichten«, einer Eigen-Erfindung, eine besonders Form des Kontakts mit ihrem Publikum entwickelt. Diese Live-Aufführungen bei Film- und Foto-Festivals, in Museen, Galerien oder Kunst-Kinos sind ungewöhnlich. Das Buch atmet etwas davon. Nebenbei ist es auch eine Liebeserklärung an ihren Mann.

Brigitte Tast bei einer Diageschichte © Konsumverein Braunschweig

Das Jahr, in dem das Buch entsteht, ist ein Reisejahr. Der »fliegende Teppich« der Tasts ist das 49-Euro-Ticket. Ihr Reisemittel ist die Bahn. Das Titelbild des Buches zeigt die Einfahrt Essen Hbf, durch die Scheibe des Abteils fotografiert (im Buch auf Seite 423). Das ganze Buch ist eine Reise. Brigitte Tast sucht Orte ihrer Vergangenheit auf, trifft Modelle und Künstler, mit denen sie gearbeitet hat, frühere Liebhaber, alte Freundinnen, reflektiert alte Projekte. Das wird nie peinlich, man folgt ihr gerne. In den »Schwarzen Garten« von Jenny Holzer in Nordhorn, nach Freiburg und Basel, in die Au-Pair-Vergangenheit oder zu den Puppen von Marta Kuhn-Weber, nach Baden-Baden, Schwäbisch Gmünd oder einem Campingplatz außerhalb von Berlin.

Reisen. Suchen. Erinnern. Den eigenen Abgründen und Ängsten nicht ausweichen. Den Blick auf das Schwarze richten. Einmal fragt sie sich: »Ist leidenschaftlich Suchen das wahre Schwarz?«

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Der Bully der Tasts … und eine Hippiekindheit für Tochter Isadora.

Mit Zug geht es auch nach Fehmarn. Im Sommer 1970 fotografierten die Tasts dort auf der Insel, gerade ein Jahr verheiratet, zum ersten Mal mit dem frisch erworbenen 6×6-Fotoapparat beim legendären Love-and-Peace-Festival, bei dem Jimi Hendrix auftrat. 2012 wurde daraus das »Kulleraugen«-Heft »Fehmarn – Das Regen-Festival«. Jetzt werden die Fotos von damals in einer Ausstellung des E.L. Kirchner Vereins wiedergezeigt. »Die Vergangenheit ist mittlerweile größer als die Zukunft«, notiert Brigitte Tast. »Sie war einmal Verführung pur. Ganz weiß.«

Sollte das larmoyant klingen, gibt es auf den nächsten Seiten gleich Gegenwind, nämlich jenen trockenen Schalk, der die Autorin immer auch schon auszeichnet: Der Jimi-Hendrix-Gedenkstein als beliebte Fotokulisse. »Schon Kinder wissen genau, welches Verhalten zu diesem Ort gehört: Mama, mach’ Peace, mach’ Peace.« Und weiter: »Eine Biker-Gruppe nähert sich, ergrautes Haar, schwarze Kluft mit viel Leder, der Anführer geht auf die Knie, dann küsst er ehrfurchtsvoll den Stein.«

Schon ziemlich vorne im Buch, auf Seite 37, schauen uns auf einer Straßenhaltestelle in Leipzig Hedi Klum und ihre Tochter nur mit Dessous bekleidet ins Gesicht. Werbung für »Intimissimi. The art of Italian lingerie.« Weiter hinten fehlt der Reklameschrift auf einem Kaufhaus das »a« in »Füllfederhalter« während daneben »Esprit« vollständig ist. »WO WAR DIGITALE KUNST BEVOR SIE ÜBERALL WAR?« fragt ebenfalls in Leipzig ein hausgroßes Plakat von Palantir als Hinweis auf eine Ausstellung. – Palantir ist das weltgrößte Unternehmen für Überwachungssoftware, hier meine Besprechung zum Dokumentarfilm über ihren CEO.

Bleiben wir lieber analog. Reisen wir mit Brigitte Tast. Durch Schwarz und Weiß.

Alf Mayer

Brigitte Tast: Durch Schwarz und Weiß. Fotobuch. Regie, Text und Fotografie: Brigitte Tast; Produktion, Text und Zweitkamera: Hans-Jürgen Tast. Kulleraugen Verlag, Schellerten 2024. 480 Seiten, Hardcover, 34 Euro. – Internetseite von Brigitte Tast und des Verlags Kulleraugen.

Die anderen Bände der autofiktionalen Trilogie:
Die Hüterin des Weiß (ISBN 978-3-88842-604-9)
Rot in Schwarz-Weiß (ISBN 978-3-88842-605-6) – meine Besprechung hier.

Buchpremiere: Am Samstag, 19. Oktober 2024, 17 Uhr, im Dialog mit Hans-Jürgen Tast im Kunstquartier Bethanien Berlin, Studio 1, Mariannenplatz 2, Kreuzberg, im Rahmenprogramm der Ausstellung »Stein Stoff Silber. Ein Trialog über Anfänge, Enden und das Bewegen dazwischen«.

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