Geschrieben am 16. September 2018 von für Crimemag, CrimeMag September 2018

Klassiker-Check: „Midnight Cowboy“ von Leo Herlihy

herlihy9783351050481Echoes of my mind

Wolfgang Franßen, Herausgeber im Polar-Verlag, wurde noch nie mit Cowboyhut gesichtet, der Essenz von Leo Herlihys „Midnight Cowboy“ nähert er sich dennoch entschlossenen Schrittes an.

Wer John Barrys Titelsong aus Midnight Cowboy hört, bewegt sich schon mitten durch die melodramatische Interpretation eines Films, mit dem John Schlesinger 1970 einen Oscar für die Beste Regie abräumte. Blumenbar erinnert nun durch die Neuübersetzung von Daniel Schreiber an den famosen Autor James Leo Herlihy und seinen Joe Buck. Den großen, gutaussehenden, naiven Macho mit dem weichen Kern, den sein blinder Optimismus von Houston nach New York treibt. Nicht der erste Lebensplan, der in den Straßen von Big Apple zerschellt.

Joe arbeitet als Tellerwäscher, zieht sich als Cowboy an und gleich zu Anfang kauft er sich ein Paar Stiefel, die mehr sind als eine Fußbekleidung. Sie verwandeln ihn in seinen Helden Woodsy Niles. Aufgewachsen ist er bei Sally Buck, bei der er sich irgendwann nicht mehr erinnern kann, warum er sie geliebt hat. Wo sie in ihn doch nur mit Sprüchen abgespeist hat, weil alles andere in ihrem Leben wichtiger war. Joe Buck ist am Anfang des Romans mit einem grenzenlosen Optimismus ausgestattet und sieht seine Zukunft darin, sich sein Leben als Stricher an der Ostküste zu verdienen, weil er nicht nur über einen stattlichen Körper verfügt, sondern auch zutiefst von seinen Sexualpraktiken überzeigt ist. Egal, ob mit Mann oder Frau. In Zukunft werden alle seine Träume in Erfüllung gehen.

Oft mit jenem unerlässlichen Charme der Tragikomödie behaftet, schickt Herlihy, ihn auf eine Odyssee, bei der Freundschaften ihm viel bedeuten und er oft enttäuscht wird. Was nicht allein seiner Naivität geschuldet ist oder wie er von sich selber behauptet: seiner ihm eigenen Dummheit. Nachdem sein Freund Perry ihn in einem Bordell bloßstellt, weil er ihn beim Sex beobachten lässt, setzt sich Joe in einen Greyhound und fährt nach New York. Die Stadt mit der Freiheitsstatue. Dort warten sie auf ihn. Davon ist er fest überzeugt.

MidnightCowboy 1965 simon & schuster

Erstausgabe von 1965 (Quelle: Wikipedia)

Doch das Big Apple der 196oer Jahre hat so gar nichts mit Western Romantik am Hut. Männer mit Cowboyhüten sind besser in Dallas aufgehoben. Joes Versuche, reiche Frauen an Land zu ziehen, scheitern kläglich, komisch, absurd. Er irrlichtert durch Hotelzimmer, Suiten, Dachböden. Alles ist neu, alles ist fremd, alles ist verlockend. Alles kostet Geld, von dem er immer weniger besitzt. In einer Bar lernt er seinen kongenialen Partner und Betrüger Enrico Salvatore „Ratzo“ Rizzo kennen, der ihm einen Agenten besorgen will, weil man reiche Frauen in New York nicht einfach auf der Straße anspricht.

Schon bei der ersten Begegnung ist klar, dass sie beide nicht auf der Gewinnerseite des Lebens stehen. Rizzos linkes Bein ist verkümmert und verformt, als Folge einer Kinderkrankheit, und er sieht sich Verunglimpfungen als Krüppel ausgesetzt. Er besitzt jedoch im Gegensatz zu Joe Buck jenen typischen New Yorker Überlebensinstinkt, selbst die kleinste Chance zu ergreifen. Und die ist in seinem Fall Joe Buck.

herlihy asphalt-cowboy„Es wird oft behauptet, dass die Hollywood-Verfilmung von ‚Midnight Cowboy’ das Schlimmste gewesen sei, was dem Schriftsteller Leo Herlihy zugestoßen wäre“, schreibt Daniel Schreiber in seinem lesenswerten Nachwort. Er weist nach, wie aus Nachwuchsschauspielern Stars wurden, wie das Thema Homosexualität in den Mittelpunkt rückte, weil sich Hollywood seiner annahm. Doch der Film ließ das Buch dahinter verschwinden. James Leo Herlihy kämpfte mit Depressionen und Drogen und widmete sich dem Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben. Die leise poetische Kraft des dramatischen Niedergangs eines Joe Bucks und „Ratzo“ Rizzos, die nackte Verzweiflung angesichts von Hunger und Kälte hat nie eine Fortsetzung gefunden.

Herlihy veröffentlichte noch einen Tagebuchroman, Season of the Witch, und drei Theaterstücke. Zwar wird gerne behauptet, dass es Autoren und Autorinnen gibt, die nur ein Buch in sich haben, aber wir hätten gerne mehr von ihm gelesen. Auch, wenn wir oft nur den Song von Harry Nilsson im Ohr haben:

Everybody’s talkin’ at me,
I don’t hear a word they saying,
only the echoes of my mind …

wenn wir an Midnight Cowboy denken

Die Geschichte von Joe Buck ist mehr als nur ein verfilmtes Echo. Uns bleibt ein großer Roman Noir und das Bedauern darüber, dass der Autor nicht weitergeschrieben hat.

Wolfgang Franßen

James Leo Herlihy: Midnight Cowboy (USA 1965). Aus dem Amerikanischen von Daniel Schreiber. Blumenbar, Berlin 2018. Gebunden mit ausklappbarem Vorsatz, 272 Seiten, 22 Euro.

Tags : , , ,