Geschrieben am 16. Oktober 2018 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2018

Katja Bohnet: Romantik-Bashing

bohnet Romantik Gegenwart 2015.jpg.294140Eau de Klischee

Romantisch geht die Welt zugrunde – Schnelle Autos und die Liebe zur Natur.
Von Katja Bohnet

Heute Morgen verspürte ich ein romantisches Gefühl. Ich kaufte mir ein Blumenkleid und tanzte durch den Garten. Als ich mich an den Schreibtisch setzte, fiel mir nichts mehr ein.

Wer heute romantische Gefühle im Kriminalroman bemüht, hat nichts verstanden. Nichts. Realität ist nicht romantisch. War es nie. Nur Tölpel verklären sie. Sie wird missbraucht, weil Romantik Gefühle erst impliziert, danach implementiert. Werbung und Politik spielen zu leicht damit. Mit nichts lässt sich leichter Menschen fangen als mit der heißen Ware Emotion. Nur ein Steinwurf weiter wohnt die Religion.

chop oates 978-3-426-28187-1_DruckDie einen Männer nennen es Romantik, die anderen Nostalgie: schnelle Wagen, möglichst selten, möglichst alt und gut erhalten. Schriftsteller ersetzen den Oldtimer einfach durch antike Schreibmaschinen, die man — Shopping-Tipp! — schon für wenig Geld auf Ebay ersteigern kann. Oder auf Flohmärkten erwirbt. Was so ein Stück doch hermacht im Regal! Was wäre der Film ohne Kaminfeuer und Sex davor auf einem Bärenfell? Was wären Schriftsteller, Musiker ohne schnelle Wagen, Schreibmaschinen, Whiskey, klassischen Jazz und Lieblingsbücher? Ohne Symbole? Diese Art von umgangssprachlicher Romantik geht eine Symbiose mit dem Materialismus ein. Über allem liegt der Geruch eines schweren Parfüms: Eau de Klischee

Einen bissigen Kommentar dazu gibt es von Joyce Carol Oates: den Roman „Pik-Bube„, in dem ein schriftstellerisches Alter Ego die Macht über einen in Klischees schwelgenden Autor übernimmt. Er beginnt zu trinken, entfremdet sich von seiner Familie, besonders von Tochter und Frau. Fängt an, wie Pik Bube zu denken: grausam und brutal. Langsam aber sicher übernimmt sein Pseudonym die Macht. 

Siehe auch: Katja Bohnets CrimeMag-Besprechung „Du warst ein böser Junge, Andrew!“, sowie in unseren „Bloody Chops“, „Der Alb der Perversheit“ von Alf Mayer, ebenfalls dazu auch Thomas Wörtche im „Leichenberg“.

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Welche romantischen Klischee-Vorstellungen pflegen Frauen? Prinzen auf Pferden? Doppelhaushälfte, zwei Kinder, Garten? Brautkleider? Weiß und ruinös. Sie sollen Unschuld implizieren. Eine Tugend, die man in Zeiten wie diesen durch Symbole unterstreichen muss, weil der Zustand kaum noch existiert. Dazu Hochzeiten, uniform in ihrer Verschiedenheit, wie die dazu passende Tischdeko in Pastellfarben. In Kombination mit dem unerschütterlichen Glauben an den einen Mann, der Scheidungsstatistiken einfach vergessen lässt. Wenn Schriftstellerinnen romantische Gefühle anfallen, wenden sie sich vielleicht der romantischen Fantastik zu. Das ist ehrlich und völlig legitim.

Oder dem klassischen Liebesroman. Liebesgeschichten verkaufen sich gut. Auch im Kriminalroman. Bei männlichen Figuren dürfen Beziehungen kaputt gehen. Sie müssen es sogar. Zumindest bei Polizisten oder Detektiven. Vernünftige Beziehungen gestattet man ihnen im Kriminalroman so gut wie nie. Ganz ohne Love-Interest geht der gute Bulle jedoch nie nach Haus.

Wenn aber alle nach Romantik gieren: Wo ist das Problem? Funktioniert doch auch in der mittelalterlichen Romanze oder in der Gothic Novel, dem Schauerroman. Das Problem besteht darin, dass diese gefühlige Einstellung zur Romantik im Kriminalroman nichts zu suchen hat. Warum? Sie ruiniert jeden anständigen Noir. Lesern soll verkauft werden: Schau Schatz, die wahre Liebe (zu Menschen, Tieren, Dingen) gibt es noch! Sie wird nur ab und an enttäuscht. Reden, schreiben wir nicht weiter, Schwamm drüber! Rosafarben graut es am Horizont.

bohnet 91uneFQIRaLZuckerguss aus Blut

Dass Romantik auch einmal Fortschritt bedeutete, darf nicht vergessen werden. Künstler grenzten sich gegen Antike und Klassizismus ab. Der Mensch inmitten der Natur. Zurück zum Ursprung, hohe Wellen, Berge, tiefe Täler. Das Wetter: ungestüm. Naturgewalten. Die bildende Kunst hat unzählige Beispiele hervorgebracht. Leinwände in düsteren Farben mit wildem Pinselschwung. Das erzeugt große, beinahe religiöse Gefühle. Überhaupt bis zur Erschöpfung: Schwerpunkt Gefühl.

Die marktgängigen Kriminalromane bestätigen Gesellschaft und System. Sie verstecken Realität unter einem Zuckergruss. In klassischer Serienkillerkost besteht der Zuckerguss eben aus Blut. Bemerkt ja kaum noch einer, was da tropft.

Das verbrecherische Superhirn ist männlich, der noch schlauere Ermittler meistens auch. Was macht uns den Polizisten sympathisch? Oft hört er Jazz oder Gitarrenmusik. Ist es nicht ein zarter und romantischer Zug, wie er sich in der Musik verliert? Dort Zuflucht sucht und Halt? Der Held trinkt immer Bourbon, isst spartanisch, wenn er muss. Ansonsten unzählbar die Abendmale in Film und Roman bei Kerzenlicht. Man schläft darüber ein. Romantik und Klischee sind Zwillingsbrüder. Wenn man den einen trifft, ist/isst der andere nicht fern.

Falls die Heldin ausnahmsweise eine Frau sein sollte, kommt die Romantik auch nicht zu kurz. All die schönen, unnahbaren Frauen, die die Mehrheit aller Kriminalromane bevölkern. Oft tragen sie hohe rote Schuhe. Gern sind sie blond und durchtrainiert. Oder: Kleidung geschmackvoll, teuer. Understatement ist en vogue. Der Frauentyp ist etwas spröde, denn das reizt. Diese Frauen sind Hingucker. Warum? Weil sie es wollen. Hier wieder: kurze Leitung von der Figurenzeichnung zum Gefühl. Weibliche Nebenfiguren brauchen häufig Hilfe. Sie lechzen nach einem Mann, der ihnen endlich zur Seite steht. Der sie von Unterdrückern befreit. Huren, arme Schluckerinnen, junge Mädchen. Femme enfant, Femme fatale. Handwerker reichen da nicht mehr. Hier werden nicht nur Nägel in die Wand geschlagen. Hier rettet der Held ein Frauenleben. Wenn Frauen im Roman nach Romantik suchen, ist ein Mann sofort zur Stelle. Zumindest als Figur.

 

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SchriftstellerInnen heute dürfen keine RomantikerInnen sein. Sie sollten Romantik meiden wie der Teufel Weihwasser. Obgleich das Wort Roman doch in Romantik steckt. Der Kern ist giftig, trügerisch. Er verbirgt, verdeckt, dass Gewalt brutal und vernichtend ist. Hinter Brutalität verbirgt sich kein zartes Gefühl. Gewalt und Zuckerguss vertragen sich nur schlecht. Nichts verrät den anständigen Noir-Helden mehr als die Natur. Ansatzweise „ehrlich“ über Gewalt zu schreiben, verbietet es, billig um Gefühl zu werben. Es heißt, in Abgründe zu schauen, in die keine/r blicken will. Es bedeutet, Sprache von Gefühlen zu entschlacken. Die Fettschicht wegzuschneiden, bis nur mageres Fleisch übrig bleibt. Das darf bis auf die Knochen gehen.

Der Andre Rieu des Kriminalromans

Aaaaber … Wie? Es gibt ein Aber?

Harte Sprache alleine bringt es nicht. Auch eine zweihundertjährige Recherche garantiert keine gute Literatur. Wie leicht man sich als LeserIn doch blenden lässt! Jeder sollte seine Lieblingskriminalromane oder Neuerscheinungen auf Klischees hin überprüfen. Faszinierend: Kitsch macht keine Unterschiede zwischen E und U. Intelligente AutorInnen spielen virtuos auf der romantischen Klaviatur. Sie kriegen jeden. Leser und Kritiker. Und warum?

Weil wir noch damit beschäftigt sind, herauszufinden, wer der Mörder ist und wieso.

Weil wir den außergewöhnlichen Stil genießen.

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Weil wir uns identifizieren. (Romantischer Schmalz ist sowas wie der blinde Fleck der Krimi-Kritik im Feuilleton. Da wird alles bejubelt, was Klischees bespielt. Hauptsache knallharte Sprache, Hauptsache Held kaputt.)

Und weil wir das große Ganze sehen.

Wer achtet da auf Nebenschauplätze? Auf Details wie den Alkoholisierungsgrad von Helden oder Heldinnen? Zwischen den Zeilen: Der oder die Arme hat’s nicht leicht. Muss ständig diese schlimmen Dinge sehen. (Bourbon. Whiskey. Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen.) So gewinnt die Figur Sympathiepunkte. Würde man vielleicht anders sehen, wenn die eigene Mutter oder der eigene Chef ein Alki wäre. Wie oft wird Jazz gehört? Names gedroppt? Bücher oder Musik. Figuren, die lesen, können keine schlechten Menschen sein. Wenn man darauf achtet, man trifft ihn immer wieder: Klassischer Jazz, der Andre Rieu des Kriminalromans. Wann isst der Protagonist ein schlichtes Mahl bei Kerzenlicht?

Traurig, was? Da bleibt nicht mehr viel übrig von einem vollen Krimi-Bücherschrank.

bohnet schneiden kassack s-l300 (1)Wunden lecken

Die Entromantisierung muss die Figuren auch erreichen. Wenn die zum Klischee neigen, Mann oder Frau, wird es durchsichtig. Oder unfreiwillig komisch. Die Pathos-Falle droht. Pathos als Spielart: wunderbar. Pathos als romantisches Produkt: bitte nicht! Man muss nur der Spur des Geldes folgen. Gemeint damit ist das: Warum dürfen die Armen nur Opfer sein? Der Held torkelt zumeist abgerissen durch die Geschichte, die jemand für ihn schrieb. Häufig lebt er jedoch über seine Verhältnisse. Wer von den engsten Kontaktpersonen oder Geliebten da an Geld kommt und wie, ist oft kaum zu glauben. Wird es mit Herz und Schmerz verkauft, geht alles durch.

Auch die Story darf nicht ins Warmgeduschte abrutschen. Was sagt uns ein Roman, der auf den letzten Seiten noch ein Paar vereinigt? Am Ende lecken beide ihre Wunden. Womöglich auch noch in ursprünglicher Natur? Romantik in Reinkultur. Weiche von mir Belzebub!

Das Böse, die Gefahr soll so gebannt werden. Die Welt scheint wieder ein sicherer Ort zu sein. Ein Trugschluss, den diese Art von Romantik uns verkauft. Der Bürgerkrieg in Syrien wird heute noch beendet, das Land befriedet. Genau so wie Afghanistan. Geflüchtete Kinder begehen in Camps gepfercht keinen Suizid. Donald Trump ist nicht mehr Präsident, Seehofer muss abdanken und über Maaßen spricht niemand mehr. Brexit retour. Achtung! Der Kriminalroman kann gut auf solche Wunschträume verzichten. Wenn Gewalt nicht verherrlicht, verniedlicht oder erotisiert werden soll, muss sie explizit beschrieben werden. Gefühl darf und soll geweckt werden, aber ohne gefühlige Subversion.

bohnet delpha 46779Erst mal anders machen

Sagt sich leicht. Erst mal besser machen.

Und siehe da: Es geht. Gelegentlich setzt sich Qualität auch durch. Lisa Sandlin. „Ein Job für Delpha“. Ungewöhnliche Beziehungskonstellationen. Ein echtes Highlight der letzten Jahre, das sich nicht einlässt auf abgenudelte Beziehungskisten. Nicht mal auf den ständig angetrunkenen Detektiv. Natürlich gibt es Love-Content, und das Genre wird bespielt. Aber zurückhaltend im Ton und ausgefallen in der Zeichnung der Figuren. Ein Revival des Detektivromans.

Denise Mina führt den heulenden Helden Ian ein. Mercedes Rosendes männliches Weichei heißt German. Diese Typen laufen der Realität eher hinterher. Ihre Beziehungen müssen scheitern. Sie kommen gar nicht dazu, weil diese Männer schon mit dem Leben nicht zurecht kommen. Frauen geben den Ton an. Minas Detective Alex Morrow ist verheiratet, hat Zwillinge. Die LeserInnen wissen das, aber eine wichtige Rolle spielt das nie. Man kann lange nach Bourbon, Büchern, antiken Schreibmaschinen suchen. Nach Kerzenlicht. Nach Mahlzeiten, in denen jede Geschmacksnuance beschrieben wird. Nur finden wird man sie hier nicht.

Doppelhaushälften sind auch nur halbe Häuser

Die Romantik ist die letzte Zuflucht, die der Kriminalroman seinen Lesern bietet. SchriftstellerInnen sollten nicht auf die böse Seite der Macht wechseln. Sie dürfen keine Romantiker sein.

Sie sollten ZynikerInnen und MahnerInnen sein. Böse Mädchen, böse Buben. Verzweifelte. Verängstigte und Wütende. Diejenigen, die nicht reinfallen auf Oldtimer, schöne Bücher, klassischen Jazz, Gitarrengeklimper und/oder Nostalgie, Brautkleider oder Liebe auf den ersten Blick. Diejenigen, die Wächter des Realismus sind. Wer schreibt noch auf antiken Schreibmaschinen? Schnelle Wagen verlängerten schon immer Geschlechtsteile. Ehen werden geschieden. Doppelhaushälften sind auch nur halbe Häuser.

bohnet hard-boiled-anxiety.w300Liebe Schreibende: Ihr wollt zwei kaputte Seelen wieder heilen? Schreibt Liebesromane! Ihr mögt Rezepte und interessiert euch für Geschmacksnoten? Schreibt Kochbücher! Ihr steht auf Nostalgie? Schreibt doch lieber eure Biografie!

Im Noir muss es Hoffnung geben, obwohl es keine Hoffnung gibt. So wie wir das Bärenfell und Kaminfeuer im Film erkennen und belächeln, können wir Verklärtes in der Literatur orten und bewerten. Verklärung spielt mit uns, sie manipuliert uns wie ein Sonderangebot: Emotional möchte man sofort zugreifen. Wer die Welt hyggelig will, wendet sich ab von dem, was wirklich ist. Er entscheidet sich für eine Parallelwelt. Eine abgefederte Version. Realitätsflüchter bitte hier entlang! Dort gibt es weiß lasierte Setzkästen und Nippes mit Stil.

Gebt mir für jeden Romantiker lieber einen Zyniker. Oder Satire, die schwarz und bissig ist. Oder abgefuckte Anarchie. Lasst uns lieber Schwindel empfinden und Hoffnungslosigkeit, wenn der Abgrund offen steht, als in Melancholie zu schwelgen. Der „Hardboiled“ positioniert sich klar, weil er kompromisslos zur Härte des Lebens steht. Bedeutungsvolle Kriminalliteratur entsteht nicht auf dem Nährboden von Schaumküssen. Der romantikferne Kriminalroman ist selbstbewusst, eigen, wild und ungestüm. Er liebäugelt nicht mit dem Klischee. Er sucht das Gute, glaubt aber nicht daran. Immer am Rande eines Genres, das so viel mehr als Genre kann. Er lehnt sich nicht an, er fällt.

Eine Sorte Literatur, die nicht an der Erkenntnis spart: Romantik war nie mehr als eine Stilrichtung, eine Illusion. Eine Jazz-Platte, die hängt. Ein Traum in Weiß, der früher oder später alle enttäuscht, die an ihn glauben.

Katja Bohnet

Ihr aktuelles Buch hat den Titel „Kerkerkind“. 
Ihre Texte bei CrimeMag hier. Zum Beispiel über „Frauenspannung“.
Über Denise Mina: Killer sind auch nur Menschen.
Über Mercedes Rosende: Verurteilt zur Schnachnasigkeit.
Über Lisa Sandlin: Tausche Schaukelstuhl gegen Bein.
Ein CrimeMag-Besuch bei ihr: „Wenn es Regeln gibt, will ich sofort dagegen verstoßen“.

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