Geschrieben am 16. September 2018 von für Crimemag, CrimeMag September 2018

Katja Bohnet über Mercedes Rosende „Krokodilstränen“

krokodilstränen3293005365Verurteilt zur Schnarchnasigkeit

 Zwei Tugenden haben viele Kriminalromane heute verlernt: spannend zu sein und Gewalt so darzustellen, wie sie ist. Brutal, oft systemisch, vernichtend, manchmal sinnlos und explizit. Ein solches Manko ereilt oft die Besten, also die Romane, die als sprachlich anspruchsvoll gelten. Ein Kritiker konstatierte mal, dass alle Kriminalromane, die er schätzte, nicht wirklich spannend seien. Ein trauriges Verdikt. Was genau spannend ist, darüber lässt sich wie bei Schönheit trefflich streiten. Dennoch ausmachbar der Trend: „gute“ Literatur darf sich Schnarchnasigkeit erlauben. Lange, beschreibende Passagen. Landschaftsschilderungen. Schwerpunkte werden anders gesetzt: Sprache, Sozialstudie, Figuren. Spannende Kriminalromane werden geradezu dazu verurteilt, Genre im schlechtesten Sinne zu sein. Als wäre Tempo nicht mehr als ein billiger Effekt. Keine Qualität, die anspruchsvolle Literatur zu oft nicht mehr beherrscht.

Auch bei Mercedes Rosende wird Spannung nicht gerade groß geschrieben. Zuerst Knastbesuch, danach lange Figurenschau. Aber dieses eine Versäumnis ist verzeihlich, denn vieles an diesem Roman stimmt auf den Punkt. Wenn es kurz vor Schluss zum Showdown kommt, gibt es kein Halten mehr. Große Waffen kommen zum Einsatz, Montevideo explodiert und hat Tote zu beklagen. Eine Eruption, auf die man lange warten müssen. Im Zentrum dieses Romanes stehen jedoch Figuren. Arme Typen, die man nicht vergessen kann.

 Männer, die nicht wissen, was sie tun

German ist ein Softie, der — keine Ahnung, wie — von einer Katastrophe in die nächste wankt. Verurteilt wegen einer Entführung, die misslang. Danach Gefängnis. Dort muss er als Punchingball eines Brutalos herhalten. Ricardo el Roto. Natürlich zwingt der ihn nach seiner Entlassung sofort zum nächsten krummen Ding. El Roto hat gelernt, dass nach Darwin nur der Stärkere gewinnen kann. Er droht, schlägt und vergewaltigt sich von a) nach b) nach c). Auch er gehört zu den Idioten, die nur so lange durchkommen, bis sie aufgrund eigener Inkompetenz die Waffen strecken müssen. Nur wegen der Aussage einer Frau kommt der sympathische Waschlappen German doch vorzeitig frei.

Antinucci, Germans Anwalt, tritt als Macher auf. Er boxt seinen Mandanten raus, um ihn zu benutzen. Antinucci hat einen Ruf als gottesfürchtiger Mann zu verlieren. Bei jedem Wutausbruch, bei jeder Entgleisung würde er sich am liebsten geißeln. Die Vaterunser gehen ihm leider langsam aus. Ausgerechnet er muss ständig fluchen, weil wirklich alle, mit denen er es zu tun bekommt, einfach zu dämlich sind. Antinucci gibt den Ton an. Einer muss es tun. Bezeichnend, dass alle Gauner in dieser Geschichte Idioten sind. Mercedes Rosendes kompakter Roman wird auf 220 Seiten von Männern bevölkert, die nicht wissen, was sie tun. Früher oder später versagen sie. Wenn sie nicht versagen, liegt es an einer nervenstarken Frau. Inspector Lima ist so eine. Leicht esoterisch angehaucht, dennoch mit einem Sinn fürs Wesentliche begabt. Sie bekommt es jeden Tag zu spüren, wie schwer es ist, sich gegen männliche Kollegen zu behaupten.

 Fressen oder gefressen werden

Auch Ursula Lopez ist solch eine kluge Frau. Nicht linientreu, aber gewitzt, fokussiert und schlau. Sie hat eine wohlhabende Doppelgängerin. Diese Tatsache kommt ihr zupass. Klassisches Element in einem Schurkenstück. Der Vater verbat Ursula als Kind zu oft das Essen und sperrte sie dann ein. Leider ißt sie für ihr Leben gern. Nicht umsonst bedeutet der Name Ursula „Bärchen“. Unterschätzen sollte man das Bärchen aber lieber nicht. Die Frau hat mit Übergewicht zu kämpfen, aber das Essverbot vergab sie dem Vater nie. Jetzt ist er tot und taucht nur noch als Geist im Leben seiner selbstbewussten Tochter auf. Böse ist, wer Böses dabei denkt.

RosendeMercedes

Mercedes Rosende (Bild: Unionsverlag)

Fressen oder gefressen werden. Am Schluss muss Ursula die Heulsuse German mit durchschleppen. Ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wie schön die Autorin nicht nur an dieser Stelle Geschlechter-Klischees unterläuft und damit spielt. „Den Lauen aber wird Gott ausspeien.“ Damit versucht Ursula, German zu motivieren, einen weiteren Coup durchzuziehen. Dass die Bibel einmal dazu herhalten sollte, hätten sich Anwalt Antinucci und die katholische Kirche auch nicht träumen lassen.

Spielfreude

Mercedes Rosende hat einen Episoden-Roman im besten Sinne über die Stärken der Frauen geschrieben, über die Schwierigkeiten, als Frau in einer Gesellschaft wie Uruguay seinen Platz zu finden. Einen kleinen Platz, den Männer gerade nicht beanspruchen. Was dieses Thema anbelangt, spielt „Krokodilstränen“ international. Die Frauen in Rosendes Roman finden ihren Weg, auch wenn er nicht immer gerade verläuft oder ehrlich beschritten wird. Mercedes Rosende, die als Journalistin und Anwältin arbeitet, legt nahe, dass Frauen so manches bei ihren männlichen Vorbildern gelernt haben. Und wenn es nur das ist, sich nicht mehr zu beugen, sich durchzusetzen. Egal, um welchen Preis. Warum man den männlichen Verbrechern jemals etwas zutraute, weiß nach der Lektüre keiner mehr. Wenn Frauen weinen, sollte man nicht darauf wetten, dass es von Herzen kommt. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis Männer diese Technik auch für sich entdecken? Die LiebhaberInnen düsterer Literatur haben es schon immer geahnt, was dieser spielfreudige Kriminalroman aus Uruguay uns wissen lässt: „Nichts ist so schäbig wie die Wirklichkeit.“

Katja Bohnet
Aktuell von ihr auf dem Markt: „Kerkerkind“ (Knaur). Ein Besuch bei ihr hier, ihre Texte bei CrimeMag.

Mercedes Rosende: Krokodilstränen (El miserere de los cocodrilos, 2016). Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unionsverlag, Zürich 2018. Englische Broschur, 224 Seiten, 18 Euro.

Tags : , ,