„Wenn es Regeln gibt, will ich sofort dagegen verstoßen“
CrimeMag-Lesern ist sie mit ihren farbig-kräftigen Buchbesprechungen bekannt, gerade ist ihr zweiter Thriller erschienen: „Kerkerkind“ (Knaur). Für Alf Mayer Anlass zu einem Hausbesuch. Es wurde ein sehr lebendiger Abend.
Die Home-Story muss sich – Privatleben ist Privatleben – so ziemlich auf die wildeste Kuckucksuhr beschränken, die ich je an einer Küchenwand sah. Ein Haus in der mittelhessischen Provinz, nicht weit von Limburg, verkehrsgünstig zwischen Frankfurt und Köln, viele Fundstücke und Möbel vom Flohmarkt. Not your normal Spießer-Home. Ein Ehemann, nicht ganz so sehr die Sonne verdunkelnd wie der Ermittler Viktor Saizew, aber stattlich groß, drei quirlige Kinder, acht, elf und dreizehn Jahre alt. Quiche aus dem Herd, Salat. Der Rotwein selbst beim Winzer in Südfrankreich geholt.
Die Frage, ob es denn weitergehen wird mit ihrem Ermittlerpaar, beantwortet Katja Bohnet mit einem gnädigen Augenaufschlag, als hätte ich etwas Schräges gefragt. Aber klar, Band Drei hat sie gerade beim Verlag abgegeben. „Moskau?“, frage ich. Diesmal ist das Lächeln breiter. Ja, Viktor wird nach Moskau müssen. Und dort in eine Ermittlung gezogen, das bei einem immer noch gegen ihn bestehenden Haftbefehl in seinem früheren Heimatland. Eine Trilogie also, frage ich. Wieder der milde Blick. Mindestens, kommt als Antwort. Sie schreibe ja konstant. Das könne auch mehr werden und hänge vom Erfolg ab. „Vom Verlag.“ Klingt ein wenig wie der Berg des Propheten. Katja Bohnet hat einen Vertrag mit Droemer Knaur, sie ist nicht unstolz darauf.
Als Autorin hat sie relativ spät angefangen. Mit 41. „Nach drei, vier Wochen war es klar – ich muss weitermachen.“ Ihr erster Kriminalroman, ein Western-Thriller, fand keinen Verlag, „für dieses Genre bestand kein Bedarf“, zuckt sie die Schultern. Sie schrieb weiter, verschiedene Genres. „Schublade, Schublade. Die sind voll“, sagt sie. Mit der nächsten Frage bringe ich sie zum Lachen, der schriftstellernde Mann von Kommissarin Rosa Lopez quält sich damit durch „Messertanz“ und „Kerkerkind“. Nein, ein historischer Roman, „das wäre, das Letzte, was ich je anfangen würde“, sagt sie. Dieses Genre also nicht. Wie viel denn in der Schublade liegt? „Ich glaube ‚Kerkerkind’ jetzt ist das neunte Buch.“ Vorher sei es Zeitvertreib gewesen, „jetzt ist es ein Job, weil ich Vorschüsse bekomme. Schriftstellerin, das hat lange gedauert, bis ich mich so genannt habe. Vor diesem Begriff habe ich viel Respekt.“
Sie hat sich Gewohnheiten zugelegt. Geschrieben wird an vier Vormittagen in der Woche, 8.00 bis 11.30 Uhr, „abzüglich Krankheiten der Kinder und organisatorischer Turbulenzen“. Es gibt kein Kindermädchen, wie in vielen Familien hängen die Stundenpläne der Kinder am Kühlschrank, akurate Planung ist alles. „Wenn ich mal zwei Tage weg bin, muss das organisiert sein.“ Am Anfang gab es das Vorhaben, oben im Haus ein Schreibzimmer einzurichten, aber dann wurde es der längst liebgewonnene „Kapitänssitz“ im Esszimmer. Mitten im Getümmel.
Halten wir fest: Wir als Leser kennen „Messertanz“ (Dezember 2015) und „Kerkerkind“ (Februar 2018) mit dem Polizistenpaar Rosa Lopez und Viktor Saizew. Landeskriminalamt Berlin, Delikte am Menschen. „Ein großartig verstörendes Ermittlerteam, das stets am Rande der Selbstaufgabe entlangschrammt“, meinte der „stern“ zum Erstling. Für Buch Zwei bekommt Katja Bohnet gerade Marketing, „keine Selbstverständlichkeit“, wie sie weiß. „Ich finde das super. Aktuell fühle ich mich sehr wohl bei meinem Verlag“, bekennt sie. „Das ist alles sehr nahtlos.“
Schreibt sie Exposés? Wieder das Lachen. Das falle ihr schwer, da schreibe sie schneller doch gleich den ganzen Roman. Ihre Geschichten funktionieren als Buch, nicht als Exposé. „Für die Kurzform gibt es nur hochgezogene Augenbrauen, das klingt zu wild oder zu unwahrscheinlich. Aber erzählt funktioniert es dann immer doch. Ich habe die Figuren im Kopf, ich weiß grob den Konflikt, und dann schreibe ich einfach. Es gibt einen inneren Plan, den die Figuren mit sich bringen. Ich bin quasi ihre Schreibbeauftragte – und das läuft über 350 Seiten.“ Das läuft über 350 Seiten? Ja, das sei die angemessene Länge. „Ich habe eine klare Vorstellung von Spannung und von Atem“, sagt die Dauerläuferin, deren bevorzugte Sportart das immer noch ist. Kein Kampfsport? Nein! Glaubhaftes Lächeln. Aber ihre Figuren müssten ja schon in den Clinch, werfe ich ein. Denen ginge es ganz gut an den Pelz. Viktor sinniert immerhin einmal: „Dem Tod gingen die Ideen aus. Wie oft würde er noch sterben?“
Jetzt lacht die Schöpferin. Das sei eben ihre Freiheit. Sie selbst habe wenig Berührung mit Gewalt, die letzte Prügelei sei auf dem Schulhof gewesen. Nein, das sei nichts, in dem sie sich suhle. „Exzess ist überhaupt nicht mein Ziel. Ich will Gewalt nicht verharmlosen.“
Nächste Frage: Moskau?
Ja, da war sie. 2004. Eine sehr extreme Erfahrung, bis hin zu den Gerüchen. Katja Bohnets Augen leuchten, als wir von der Stadtautobahn reden, die auch ich einmal gefahren bin, rings um Moskau herum vier oder gar fünf Atomkraftwerke, ganz nah an der Straße, und all die illegalen „Tankstellen“, Gartenschläuche aus einem Tanklastzug. Auf Reisen hat sie früher schon regelmäßig Tagebuch geschrieben. Verschriftlichung ist mir nie schwer gefallen, bekennt sie.
Ihr slawisches Interesse?
Der Vater stammt aus Moldawien, Professor der Volkswirtschaft, die ganze Kindheit über viele Russen, Bulgaren, Ungarn zu Besuch. Eine spannende Welt.
Dänemark, ein finaler Schauplatz von „Kerkerkind“?
Wieder lacht sie. Sie sei dort gewesen, nachdem sie das Buch geschrieben hatte. Zufrieden, wie sie Land und Stimmung hinbekommen habe.
Und St. Petersburg, in „Messertanz“?
Nein, nie. Aber sie habe einen Kommilitonen gehabt, der so viel erzählte, dass sie wusste, das wolle sie einmal verwenden. „Ich gönne es mir, bei jedem Buch zu reisen. Das ist ein schönes Abenteuer. Roman, das ist doch auch Weltöffnung. Gilt auch für mich.“
Die Kunstaktionen, die in „Messertanz“ und „Kerkerkind“ eine wichtige Rolle spielen?
Nein, die Performance mit Enthauptung, die sei erfunden, die Sache mit dem Leichenwasser aber nicht. „Ich gehe wahnsinnig gerne in Museen, das ist eine Leidenschaft. Als Schreiberin kann ich Leute kreuzigen, wenn ich das für sinnvoll halte.“
Wie groß ist Lopez?
Eins siebzig, sagt sie ohne Nachdenken. Viktor weiß ich noch selbst: eins fünfundachtzig mal eins fünfundachtzig. Sie nickt.
Und warum überhaupt heißt sie Lopez und er Viktor?
Sie wird mit dem Familiennamen angesprochen, er mit dem Vornamen. Eigentlich ist das bei Männern und Frauen umgekehrt. Das habe ich unbewusst gemacht. Ich entscheide das emotional. Es gibt keine Regeln. Und wenn, will ich sofort dagegen verstoßen.
Sexszenen?
Die schreibe ich sehr gerne.
Aus welcher Perspektive?
(Wir lachen) In Teil 3 habe ich die jedenfalls gewechselt. – In „Messertanz“ steht über das 1. Mal Siska & Viktor: „Wenn sie ein Lasso gehabt hätte, hätte sie ihn zugeritten. Er war ein hungriger Wolf. Und Siska ein leichtes Opfer. Vielleicht war es auch umgekehrt.“
Familie?
Ja, die Familie ist unter Stress bei mir. Das ist sicher nicht zufällig Thema. Eigentlich sind meine Bücher alle zum Thema Familie. Kein guter Roman kommt ohne Familie aus, glaube ich. – Familienhass ist vielleicht das älteste Mordmotiv der Welt, lernen wir bei Katja Bohnet. Mordgelüste gehören für Teenager zum Hormonspiegel.
Männer?
(lacht) Ja, ich habe Macht über den männlichen Diskurs in meinen Romanen. – Anders als bei vielen Autoren sind die Mordopfer bei Katja Bohnet eher männlich.
Notizen?
Nein, ich habe keine Kladden oder Berge von Notizen. Ich schreibe linear. Es folgt einfach meinem Rhythmus. Es muss in meinem Kopf stimmen, darauf kommt es an. Uhrzeiten und so, das Wetter, dafür schaue ich schon von Szene zu Szene – das, was man beim Film Anschlüsse oder Anschlussfehler nennt. Das muss stimmen. Ansonsten recherchiere ich mich nicht tot, ich bin kein großer Freak von Einzelheiten, da bin ich keine Sklavin. Hier kann ich meine Freiheit haben, das erlaube ich mir.
Die Charaktere?
Wenn die Charaktere flach gezeichnet wären, das ginge nicht. Und es darf auch nicht allzu erfunden sein. Da setze ich mich mit einer Psychologin hin, wie stimmig das ist. Mir ist das klar wichtiger als irgendein Straßenbahndetail.
Wer war zuerst da, Lopez oder Viktor?
Die waren gleichzeitig. Aber Lopez hat mich noch nie so ran gelassen wie Viktor. Der ist ein offenes Buch. Beide haben ein zwiespältiges Verhältnis zur Gewalt.
Von ihrem Sohn hat Lopez ja nicht viel in „Kerkerkind“, als er aus Moskau zu Besuch kommt. Warum das?
Der ist genau so verschlossen wie sie. Aber in Buch Drei sehen wir ihn dann mehr. Das kommt schon noch.
Wie weiblich ist Lopez?
Nun ja, die typische Mutter ist sie nicht. Sie verhält sich wie Männer, sie macht ihren Job gut. Das ist ihr wichtig. Wie das auch Männern wichtig ist.
Die Bösen?
Es gibt kein reines Schwarz oder Weiß. Es ist eben so, ich muss auch die Bösen mögen. Mir gelingt es nicht, auch nur einen von ihnen abzulehnen. Es sind ALLES Menschen.
Humor?
Mir ist sehr an Humor gelegen. Bei einer Performance mit Enthauptung in „Kerkerkind“, die ich glaube sehr schräg ist, fragt Viktor sich, ob es wohl einen zweiten Akt gäbe. Ihm schien die Geschichte auserzählt, heißt es da. Zum Beispiel.
„Kerkerkind“ hat immer wieder Zwischenstücke hoher literarischer Qualität, es sind Szenen mit Erzählfiguren, die vermutlich noch wichtig werden. Was hat es damit auf sich?
Ich bin über die Kurzgeschichten zum Schreiben gekommen. Das hat mich schnell fasziniert, wie viel man da auf kleinem Raum machen und erzählen und bewegen kann. Ich schreibe, glaube ich, sehr filmisch. Und diese Teile, die du meinst, die erlauben mir den Luxus, mich auf eine Figur zu konzentrieren. Rollenprosa, das kann ich, das ist meine Stärke, wenn ich ganz nah dran bin an einer Figur. Ist dir ja auch aufgefallen.
Vorbilder?
Tss. Was soll ich da sagen? You name it – ich habs gelesen. Ich habe ja wahnsinnig viel gelesen, immer schon. Kriminalromane, das habe ich von meinen Eltern, da gab es alles. Eric Ambler, Dorothy Sayers … Ich mag auch Science Fiction. Asimov habe ich sehr gerne gelesen, Stanislaw Lem, Margaret Atwood, Tad Williams und seine „Otherland“-Trilogie, William Gibsons „Neuromancer“, „Snow Crash“ von Neal Stephenson. Bevor ich geschrieben habe, wusste ich nur, es gibt Verlage. Ich hab alle Reihen durchgearbeitet. Von Lee Child habe ich mir vielleicht die Kürze abgeschaut. Martin Cruz Smith, diesen russischen Detektiv, fand ich sehr schön. Patricia Cornwell natürlich, zu Studienzeiten. In letzter Zeit Sara Gran. Lisa Sandlin.
Filmzitate?
Jede Menge, also hör mal. Ich hab schließlich Film studiert. Hast du nichts gefunden? Am Anfang von „Kerkerkind“ wimmelt es, es gibt auch eine Reminiszenz an „Nosferatu“. Na, und als es nach Schweden geht, welche Stadt kommt da vor? – Ich zögere. – Ystadt. Das ist Wallanders Ort. – Ich weiß immerhin zum Beispiel den „Seewolf“ mit Raimund Harmstorf.
Findest du etwas merkwürdig in Sachen Kriminalliteratur?
Ja! Warum schreiben junge Leute keine Kriminalromane? Da ist doch viel Potential in dieser Form. Es wäre toll, wenn junge Leute in unserem Genre schreiben würden. Ich bin mit meinen 47 ja auch schon alt.
Bei CrimeMag bildet Katja Bohnet neben Max Annas eine Ausnahme, beides sind sie Autoren, die gerne und mit erkennbarem Vergnügen Bücher anderer Autoren besprechen. Im angelsächsischen Raum ist so etwas eher verbreitet, hierzulande trauen sich viele ihrer Kolleginnen und Kollegen das nicht oder sind eher zögerlich und vorsichtig. Warum hat sie diese Probleme nicht, frage ich.
Ich mag das sehr. Es ist doch meine Verpflichtung, anderes zu lesen und zu rezensieren. Wenn man ein geiles Buch gelesen hat, will man das doch mitteilen. Das bringt einen ja auch selber weiter. Man kann vieles ausprobieren. O.k., das Überarbeiten meiner Rezensionen kostet mich schon Zeit, die Nachbearbeitung. Weil ich will, dass das eine Form hat. Auch für eine Rezension muss man sich anstrengen, schließlich hat da jemand sehr viel Arbeit in sein Buch gesteckt und verdient Respekt. Eine Einschränkung gibt es: Ich bespreche keine deutschen Autoren. Anfangs habe ich das unbewusst gemacht, ich kannte ja keinen. Das hat sich geändert. Podien, Veranstaltungen, öffentliche Auftritte, auch soziale Medien, neue Formen und Formate, dafür bin ich immer zu haben. Das finde ich toll, daran habe ich Spaß. Da bekommt man ganz viel zurück. Ich würde davon gerne mehr machen, aber die Zeit lässt es oft nicht zu. Zum Beispiel um wirklich exzessiv zu twittern. Ich habe das bei einem Projekt für das Literaturhaus München gemacht, das war schön.
Noch ein schöner Satz über Viktor?
„Mit diesen Händen brauchen Sie wohl keine Dienstwaffe“, sagt der Innensenator zu ihm.
Die CrimeMag-Texte von Katja Bohnet finden Sie hier.
Katja Bohnet: Kerkerkind. Thriller. Knaur Taschenbuch, München 2018. Klappenbroschur, 332 Seiten, 14,99 Euro.
Katja Bohnet: Messertanz. Thriller. Knaur Taschenbuch, München 2015. 302 Seiten, 9,99 Euro.