Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2018

Essay: Katja Bohnet über „Frauenspannung“

seife1Schwer zu greifen wie nasse Seife

Frauen. Frauen und Spannung. Frauenspannung. Warum braucht der Markt diesen Weichspüler? Nur weil zum Muttertag bei LIDL geblümte Bügeleisen als Geschenke unter’s Volk gebracht werden, heißt es nicht, dass Frauen nicht auf harte Stoffe stehen. – Von Katja Bohnet.

„Frauenspannung“. Ein Wort, das wie nasse Seife am Boden einer mit Männern überfüllten Gefängnis-Dusche schwer zu greifen ist. Woher stammt es? Handelt es sich dabei um spannende Romane für Frauen? Oder spannende Romane von Frauen? Oder angespannte Frauen? Überhaupt: Das Adjektiv „spannend“ klingt in diesem Zusammenhang so aufregend wie ein Fünf-Freunde-Plot. Welche feuchten Träume pflegen Durchschnittsangestellte in den Marketingabteilungen der Verlage eigentlich, wenn sie solche Prädikate prägen?

Der Begriff negiert sich selbst. Frauenspannung darf auf keinen Fall zu spannend sein. Gefällig wie eine Haarpflegeprodukt muss diese Sorte Krimi daherkommen. Der Bezug zum Psychothriller folgt oft auf dem Fuß, denn was im Kopf stattfindet, muss nicht wirklich passieren. Zu viel „echte“ Gewalt traut man weder Autorinnen noch Leserinnen zu. Das muss sich gemütlich bei einer Tasse Tee an einem Sonntagmorgen auf dem Sofa weglesen lassen. Wet-T-Shirt-Contests sind okay. Blut im Kriminalroman eher nicht.

Kopfschütteln über Skeletten

Wer hat dieses Phänomen „Frauenspannung“ eigentlich in die Welt gebracht? Verlage, AutorInnen, LeserInnen oder die Literaturkritik? Frauenspannung könnte auch was Gutes sein. Spannung von Frauen für Frauen. Klingt nach feministischen Beckenboden-Tipps, birgt aber Potential. Denn Frauen könnten sich selbst ernst nehmen: Als LeserInnen, Lektorinnen, als Kritikerinnen und Schriftstellerinnen ebenso. Will ich die Abgründe dieser Welt abbilden — egal in welcher abstrakten Form — oder möchte ich nur das bedienen, was die Welt schon kennt?

Frauenspannung. Beispiele: Frau, gerne verwirrt, wahlweise traumatisiert, denkt sich zunehmend in eine Paranoia hinein. Alles dreht sich um einen Mann. Will er sie, hat er sie schon damals, und wenn ja, wird er es nochmal tun?

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Noch ein Beispiel: Konventionelles Ermittlerteam, Unterhaltungen locker-lustig, ein bisschen Scheidung, ein bisschen Schrulligkeit, warum wurde der Oberschulrat Henzinger eigentlich eingemauert?!, Kopfschütteln über dem Skelett. Diese Mischung aus Agatha-Christie-haftem „Wer war’s denn jetzt von den zehn Verdächtigen im Orientexpress“, gänzlich blutfreier Tatorte und putzigen Ermittlergestalten aus deutschen Provinzen, diese Mischung ist der Tod jeglicher auf- und erregender Literatur. Aber aufregen will sich heute leider nur noch die AfD. Deren Hirngespinste stammen aus einem ähnlich muffigen Milieu.

Die Schuldfrage

Jedes anständige Verbrechen benötigt einen Schuldigen. Aber wer, verdammt nochmal, ist denn nun schuld? Die Mitarbeiter in den Verlagen, die auf die immer gleichen Muster schwören? Die von Schriftstellerinnen geradezu verlangen, dass sie diese Klischees bedienen? Oder die  Leserinnen, die sich in dieser lockerleichten, von Kauzen und verängstigten Frauenfiguren bevölkerten Gruselwelt gut aufgehoben fühlen. Lesen soll schließlich entspannen. Wer hat etwas von Bildung, Anspruch oder Erkenntnissen gesagt? Oder die Schriftstellerinnen, die sich dem Diktat des Marktes unterwerfen? Die immer noch nicht hinterfragen, ob sie in dem Kosmos, den sie selbst entwerfen, eigentlich selbst leben wollten? Die noch nicht verstanden haben, dass der Biedermeier sowas von vergangen ist. Dass das Schreiben politisch, gesellschaftlich aufrührend sein kann, dass Realismus zwingend ist und dass davon leider nicht immer ein hübsches Bild in Pastellfarben auf Instagram abfällt. Oder die KritikerInnen? Die kein Buch mehr in die Hand nehmen, das nicht ihren klassischen Vorstellungen von dem, was ihnen gefällt, entspricht. Die Schriftstellerinnen häufig weniger zutrauen als ihren männlichen Kollegen, einfach nur, weil  Frauen („Schein“ versus „Sein“) eben Frauen, keine Männer sind. Die als KritikerInnen ihren eigenen Blick auf die Welt zementieren wollen.

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Das beschreibt den Teufelskreis: Keiner traut dem anderen etwas zu. Keiner traut sich selbst noch etwas zu. Ausnahmen gibt es: Denise Mina, Sara Gran, Lisa Sandlin. Die Geschichte der Platzierung dieser Autorinnen auf dem Buchmarkt gestaltet sich schwierig bis unterhaltsam. Wohin marketingtechnisch mit dieser Literatur, die ganz Frau und dennoch keine Frauenspannung ist? Dann wieder ganz andere: Gillian Flynn oder A.J. Finn. Schon die Namen sind kaum zu unterscheiden, genau so wie — auf den ersten Blick — das Geschlecht. Schiebung! Protest! Mittlerweile nehmen jetzt also die Männer den Frauen auch noch die „Frauenspannung“ weg?! Eigentlich urkomisch, wenn es nicht so traurig wäre. Die Krux: Früher oder später müssen alle mit Literatur Geld verdienen? Denn das, was schon immer gut ging, geht eben immer gut. Daher: Kopien von Kopien. Bis der blutleere Markt in Mittelmäßigkeit erstickt.

blutMenstruation, Geburt und Tod

Wer hat eigentlich gesagt, dass Frauen sich nicht auf blutige Szenarien verstehen? Woher rührt die Furcht? Frauen menstruieren monatlich. Gnadenlos. Frauen gebären Kinder in Blut und Kot. Mit Todesangst. Frauen versorgen verletzte Soldaten oder Kinder. Einfach so. Frauen konnten es sich noch nie leisten wegzusehen, wenn Blut fließt. Warum also im Kriminalroman? Blut bedeutet nicht nur Tod, sondern auch Leben. Frauen haben auf das Fortbestehen der gesamten Menschheit ein Monopol. Blut bedeutet Realismus. Warum sollte die sogenannte Frauenspannung also eine keimfreie Zone sein, in der eine perfekt geschminkte, mittelalte Hausfrau gut gelaunt mit Sagrotan über bereits reine Flächen wischt? Crazy: Die LeserInnen, die angeblich für harte Spannung zu zartbesaitet sind, aber bei den brutalsten Fotos in Zeitschriften oder TV-Nachrichten hinsehen. Oder bei Unfällen auf der Autobahn. Natürlich geht es nicht nur um Blut, sondern auch um die Ehrlichkeit im Umgang mit Gewalt. Eine Forderung, eine Vision, die nicht nur Plot und Figuren, sondern auch die Sprache tangiert. Wie schreiben wir als Frauen über Gewalt? Direkt und schonungslos oder wie über die neue „rosarote-Röcke-mit-Rüschen-Frühjahrskollektion“? Wenn es eine Komfortzone gibt: Wollen Verlage, Leserinnen, Kritiker und Schriftstellerinnen da wirklich raus?

Nein zu pittoresken Touristenzielen, nein zu Krimis mit niedlich erzählten Kochrezepten, nein zu Lavendel- und Pralinen-Plots in austauschbaren Provinzen, nein zu Liebesgeschichten, die immer gut ausgehen. Mal ehrlich: Wo gibt’s das schon? Der Begriff Frauenspannung sollte eine alberne Erfindung der Marketingabteilungen bleiben. Oder er muss umgeschrieben, umgedeutet werden. In etwas, das alle Beteiligten stolz und zufrieden macht. In etwas, das auch häßlich und umbequem sein darf. In etwas, das durch kein Face-Lifting zu retten ist. Etwas Echtes, Aufrechtes, das keine Brustvergrößerung verlangt, keine Wellness verträgt. Es könnte die Geburt einer neuen Gattung sein. Der Frauenspannung würde neues Leben eingehaucht. Was wollen wir in diesem Literaturgeschäft sein? Junge, naive Dinger in viktorianischen Blumenkleidern, die beim Anblick von Blut ohnmächtig werden? Oder gestandene Frauen, die sich nicht immer wieder in psychologische Verwirrspiele stürzen, die keine Zuflucht suchen zu Riechsalz, Gewinnspielen, Männerphantasien, Wahnsinn, Dekofimmel oder Hysterie.

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