Geschrieben am 1. Dezember 2022 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2022

Frank Göhre: Jürgen Roland, Hamburg, und das Fernsehen

Das Grab von Jürgen Roland auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg © Wiki-Commons

Am 26. Dezember 2022 wird das Fernsehen 70 Jahre alt.

Geschichten aus der Medienwelt – von Frank Göhre

            Hamburg! Das ist mehr als ein Haufen Steine,Dächer, Fenster, Tapeten, Betten, Straßen, Brücken und Laternen. Das ist mehr als Fabrikschornsteine und Autogehupe – mehr als Möwengelächter, Straßenbahnschrei und das Donnern der Eisenbahnen – das ist mehr als Schiffssirenen, kreischende Kräne, Flüche und Tanzmusik – oh, das ist unendlich viel mehr. Das ist unser Wille zu sein. 

Nicht irgendwo und irgendwie zu sein, sondern hier und nur hier zwischen Alsterbach und Elbestrom zu sein – und nur zu sein, wie wir sind, wir in Hamburg. (Wolfgang Borchert)

            Am 25. Dezember 1925 wird in Hamburg-Eppendorf Jürgen Roland geboren. Er ist einer der Pioniere des deutschen Fernsehens. Er ist acht Jahre alt, als 1933 die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler die Macht ergreifen. Es ist der Beginn des „Dritten Reichs“, des „Tausendjährigen Reichs“.

            Nach dem Notabitur wird er zum Reichsarbeitsdienst geschickt und dann einer Propagandakompanie der  Waffen-SS zugeteilt. Er ist nicht in seiner Heimatstadt, als die Briten vom 24. Juli bis 3. August 1943 ihre „Operation Gomorrha“ durchführen, den Luftangriff auf Hamburg, der große Teile der Stadt in Schutt und Asche legt. Verzeichnet werden 34.000 Todesopfer.

            An Kratern vorbei und unter zerknickten Brücken hindurch, von denen Waggons wie Girlanden ins Wasser der Hafenbecken hingen, aus denen der Bug einer Schnute  emportauchte, erschrocken über die plumpen Körper von Oberländerkähnen, die leblos auf der Seite trieben … 
Und nirgends Querstraßen, um in das seitliche Dickicht zu gelangen; alles miteinander verfilzt. Nur selten ein Blick frei durch eine schwarze Fensterwölbung. (Hans Erich Nossack, Der Untergang)

            So sieht auch der Heimkehrer Jürgen Roland die Stadt.Als einer von vielen jungen Menschen, über die der Zeitgenosse Wolfgang Borchert schreibt: „Wir sind eine Generation ohne Bindung und ohne Tiefe           

            Jürgen Roland erzählt: Was nun? Große Frage. An Regisseur, an Film war für mich damals überhaupt nicht zu denken. Ich überlegte dann Reporter, das hat mir schon immer imponiert, weil so mit dem Mikro, große Flasche,
haben wir gesagt, kam man überall rein, zu jedem Sportereignis. 
Na schön. Ich traf dann auf der Straße zufällig einen Bekannten meiner Eltern und der sagte: Komm doch zum Funk, ich arbeite da.

            „Radio Hamburg“ ist Ende des Zweiten Weltkrieg Deutschlands erster Sender. Das britische Militär beschlagnahmt das unzerstört gebliebene Funkhaus am Rothenbaum. Es ist der 4. Mai 1945, 10 Uhr vormittags. Um 19 Uhr wird der Sendebetrieb wieder aufgenommen: „Hier ist Radio Hamburg, ein Sender der alliierten Militärregierung“. 

            Es ist der Neubeginn des Rundfunkbetriebs in der britischen Zone, einem Sendegebiet, das die heutigen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie die Freie und Hansestadt Hamburg umfasst. 

            Die Alliierten sind auf der Suche nach unbelasteten Deutschen, um Presse und Radio wieder aufzubauen. Peter Bamm (Autor „Die unsichtbare Flagge“, Kriegsbericht) wird um Mitarbeit beim Hamburger „British Forces Broadcasting“ für das Programm des „British Forces Network“ („BFN“) gebeten. Noch in Uniform fängt er an.

            Peter Bamm (1897–1975), eigentlich Curt Emmrich. Schiffsarzt, Chirurg, Journalist und Schriftsteller. Nimmt als Arzt am Frankreich- und Russlandfeldzug teil. Flüchtet vor der Roten Armee nach Dänemark. Wird von der British Army gefangen genommen und als Kriegsgefangener nach Deutschland gebracht.

            Peter von Zahn (1913 – 2001), ab 1942 Kriegsberichterstatter, Gefangenschaft, Flucht. Im Juni 1945 Redakteur und Kommentator bei „Radio Hamburg“. Das wird zum 30. September 1945 in den Nordwestdeutschen Rundfunk („NWDR“) umgewandelt.  Peter von Zahn wird erster Leiter der Abteilung „talks & features“, aus der später die „Hauptabteilung Wort“ hervorgeht.

          Jürgen Roland stößt zu der Gruppe Frauen und Männer „der ersten Stunde“, wird der „Sensationsreporter“, ein unerschrockener Journalist, den alltäglichen Absurditäten und Ungerechtigkeiten auf der Spur.

          Elend in den Trümmerstädten. Ein Care-Paket aus Übersee, angefüllt mit Zucker, Reis, Fett, Schokolade, Kaffee und Zigaretten, war beneidenswerter Reichtum, und mancher gab gern sein mühsam aus dem Bomben-Inferno gerettetes Meißner Porzellan gegen Butter und Fleischkonserven her. Der Schwarzhandel blühte und die Prostitution aus Hunger: eine Liebesnacht für ein halbes Kilo Brot war leicht zu haben. Unmöglich, sich vorzustellen, aus dem Schutt der Cities würden sich je wieder Versicherungspaläste, Kaufhäuser, Verwaltungsgebäude und Villen erheben. (Heinz Friedrich, Almanach der Gruppe 47, Reinbek 1962)

                   Jürgen Roland: Also, du musstest Arbeit haben, um den Stempel in deinem Ausweis zu kriegen, für Lebensmittelkarten. Da sei also eine Schlange am Arbeitsamt am Hafen, hörten wir, bei Eiseskälte, da sei der Teufel los. Ich fuhr hin. Riesenschlange, Teufel aber war gar nicht. Die standen einfach still und froren, waren einfach zu müde, um zu protestieren. 
Ich an denen vorbei – Stop! So ein paar Militärpolizisten und irgendwelche Figuren: Wo wollen Sie hin? Ich sage: Ich komme vom Nordwestdeutschen Rundfunk, hier ist mein Ausweis, ich möchte den Chef des Amtes sprechen. – Ja, das können Sie nicht. – Weiß ich nicht, ob ich das nicht kann. Das ist eine Person hier im Haus, und wir sind nicht in einer Diktatur, wir sind hier … Quatschen Sie nicht so dummes Zeug! – Ich sage: Tun Sie mir einen Gefallen und sagen Sie mir, wo er sitzt. – Ich hatte aber schon mit einem Blick an so `ner Haustafel gesehen, 3. Stock, das und das Fenster. 
Ich vor das Gebäude und ins Mikro: Meine Damen und Herren, ich komme hier am Arbeitsamt an, 10 Grad minus, junge Menschen erfrieren, junge Frauen mit ihren Säuglingen, alte Leute erfrieren, beschädigte Menschen, die nicht mehr stehen können, erfrieren. Und hier irgendwo sitzt ein Mann, der dafür verantwortlich ist und es passiert nichts. Ich mache jetzt folgendes, Sie werden es hören. 
KLIRR! Ich sag: Das war ein Feuermelder, den habe ich jetzt eingeschlagen, und nun wird in wenigen Minuten die Feuerwehr kommen. – Kam natürlich auch. HAAAACH!
Haha! Kam, und ich sag: Ich bin der liebe Jürgen Roland, ich habe die Scheibe eingeschlagen, weil ich … Die waren prima. 
Ich sag: Fahrt mal die Leiter aus, und die war dann vor dem Fenster mit dem Herrn. Bin ich hoch und der saß da, las Akten. Ich habe artig, wie sich das gehört, an die Scheibe geklopft. Der kam ran, machte das Fenster auf. Ich sag: Ich mache Sie darauf aufmerksam, was Sie jetzt sagen, wird mitgeschnitten. Ich sag: Seien Sie vorsichtig, wird alles mitgeschnitten. Ich komme vom Nordwestdeutschen Rundfunk, „Echo des Tages“, da hatten wir ja einen Ruf, wie später „Panorama“. 
Ich sag: Und wir würden doch gerne wissen, was hier geschieht, da unten …  – Ja, das ist eben so … – Und ich sag: Und Sie sind nicht einmal runtergegangen? Ich bin jetzt eine Stunde hier. – Also, er war schwach, ganz schwach. Ich hab gesagt: Na ja, das können Sie alles heute Abend hören. – Ich ruf die Polizei! – Ich sag: Das würde ich jetzt nicht tun, das würde ich einfach nicht tun. Die Militärpolizei steht unten, die nehmen mich sowieso fest. 
Dann kam ich wieder runter von der Leiter, da waren dann schon zwei von denen, ich wurde mitgenommen, na schön. Aber dann kam ein Anruf von Hugh Greene, und ich war wieder draußen, wurde abends gesendet  und das war natürlich eine Sensation. 

Hugh Greene © Wiki

Hugh Greene (1910–1987), Bruder des Schriftstellers Graham Greene, „erster Chef eines neuen Rundfunks. Greene wollte das Modell BBC, also einen völlig unabhängigen Rundfunk auf Deutschland übertragen. Der Rundfunk wurde zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Dazu gehörte ein  unabhängiges Aufsichtsgremium nach britischen Vorbild. Auf keinen Fall sollten darin Vertreter von politischen Parteien sitzen dürfen. Das erste ‚unabhängige‘ Aufsichtsgremium des NWDR bestand aus sieben Männern: vier von der SPD entsandt, drei von der CSU. Diese folgenreiche Entscheidung wurde von den Deutschen damit begründet, dass die Parteien schließlich die öffentliche Meinung repräsentieren würden. Greenes Einwand, dass Parteien vielleicht politischen Meinungen repräsentieren mögen, aber ganz sicher nicht das, was ein Rundfunkprogramm bestimmt, wurde kühl abgeschmettert.

Wolfgang Menge (Autor und Moderator): Ein verheerender Geburtsfehler!

Willi Winkler: In Deutschland begann das Privatfernsehen bereits 1970 … Ohne besondere Vorwarnung kam eine Show, in der jeweils ein Kandidat eine Woche lang um sein Leben laufen musste, gejagt von einer mörderischen Bande, aber auch von aufgehetzten Zuschauern, die Fahndungstipps abgeben durften.

Wer den Kandidaten vor dem Ende umbrachte, bekam 120.000 Mark …. „Das Millionenspiel“ zeigte das Fernsehen der Zukunft mit Werbeunterbrechungen und Quotenhetze … Autor dieser futuristischen Phantasie war kein Träumer, sondern der Reporter Wolfgang Menge. Er kannte das amerikanische Kommerzfernsehen und ahnte den Kampf um die Quote bereits, ehe sich in Deutschland irgendjemand dafür interessierte. Menge aber kannte seine Branche. Er hatte beim „Hamburger Abendblatt“ gearbeitet und verhalf durch seine Drehbücher dem Regisseur Jürgen Roland zu dessen erfolgreicher Kriminalreihe ‚Stahlnetz‘ … Später gehörte Menge zum Moderatoren-Team der Bremer Talkshow „3 nach9“. Auf seine unnachahmliche pfeifekauende Art bereicherte er das staatsnahe Fernsehen durch eine Selbstkritik, die brechtischer war, als es den Zuschauern sonst zugemutet wurde … Populär wurde er gleichzeitig durch die Fernsehserie „Ein Herz und eine Seele“ …

Zu Beginn der Siebziger wusste noch keiner was eine Sitcom ist, aber Menge setzte den ehemaligen Brecht-Schauspieler Heinz Schubert aufs Sofa und ließ Ekel Alfred zur Zeit der Trendwende so schwach- und größenwahnsinnig zugleich gegen die von rechts bedrohte sozialliberale Regierung Willi Brandts agitieren, dass sich SPD und FDP keinen besseren Wahlhelfer als diesen Reaktionär wünschen konnten … Am Mittwoch (17. Oktober 2012) ist Wolfgang Menge, der beste Schüler Bert Brechts, mit 88 Jahren gestorben …“  (11)      

                      Dass seinerzeit Beiträge wie Jürgen Rolands Arbeitsamt-Reportage gesendet werden, ist neben vielen anderen die große Leistung von parteipolitisch unabhängigen Personen wie Hugh Greene, Peter Bamm, Axel Eggebrecht und Peter von Zahn. 

NWDR Der erste „unabhängige“ deutsche Sender. Während einer Feierstunde im großen Sendesaal am 30-12-47 fand die Übergabe der neuen Satzungen an den NWDR statt. Durch diese Satzungen wurde er eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die „unabhängig“ vom Staat und von Parteien arbeiten wird. © Bundesarchiv/ Wiki-Commons

            Die frühen Fünfziger Jahre: Der Krieg zwischen Nord– und Süd-Korea dauert an. Elisabeth II. wird in London gekrönt. Im Osten Deutschlands wird der Aufbau des Sozialismus in Angriff genommen. In der Bundesrepublik treibt Adenauer die Annäherung des Landes an die westlichen Staaten voran. Innerhalb der BRD entsteht ein neues Bundesland: Baden-Württemberg, ein Zusammenschluss der Regionen Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden. Berlin wird von vier Besatzungsmächten beherrscht. Seit dem 1. Juni ist es den Berlinern der westlichen Zonen nur noch mit einer Genehmigung möglich, die Gebiete der DDR zu betreten. Die VI. Olympischen Winterspiele in Oslo und die XV. Olympischen Sommerspiele in Helsinki dominieren das Sportgeschehen, bei denen deutsche Athleten erstmals nach dem Krieg wieder beteiligt sind. Eine gekürzte Fassung des Filmes „Casablanca“ kommt in die deutschen Kinos. Papst Pius XII setzt sämtliche Werke von André Gide auf den Index. Samuel Beckett veröffentlicht „Warten auf Godot“. In der Bundesrepublik erscheint der erste Band von Wolfgang Koeppens Nachkriegs-Trilogie „Tauben im Gras“. In den USA hören die Jugendlichen „Middle Of The Night“ von den Clovers, Hank Williams und den Rock `n Roll eines Mannes mit Wampe und Babygesicht: Bill Haley. In Deutschland tanzt und singt man „Steig ein in das Traumboot der Liebe“, „Freu dich auf Sonntag“ und „Tiritomba“. Unter dem bundesrepublikanischen Muff jener Jahre nehmen in Justiz, Politik und Wirtschaft Alt-Nazis Positionen mit Pensionsanspruch ein. Die Amerikaner zünden im Pazifik ihre erste Wasserstoffbombe.

            Der Weg zum deutschen Fernsehen war anstrengend 1952, im Startjahr der flimmernden Bilder. Wer ein Interview geben wollte in der von Jürgen Roland und Werner Baecker entwickelten Sendung „Was ist los in Hamburg“, musste viele Treppen steigen. Das Studio lag im Hamburger Stadtteil St. Pauli unter dem Dach eines Bunkers aus dem Krieg, im zwölften Stock 

            Jürgen Roland: Das war ja nun sehr gespenstisch, denn es gab einen Aufzug. Die Kosten dafür aber wurden umgeschlagen auf die Firmen, die im ersten, zweiten, dritten Stockwerk saßen. Und die sagten, wir stellen das Ding um 18 Uhr ab, da ist bei uns Feierabend, und da oben sitzen nur ein paar Verrückte, die reden vom Fernsehen, aber das wollen wir nicht. – Wir haben denen Geld angeboten, aber nein, wollten sie nicht. Ende. 

Na schön. Die Auswahl der Leute, die sich da bei knallheißen Scheinwerfern vor die Kamera setzten und in der Verfassung waren zwölf Stockwerke hoch zu stiefeln, reduzierte sich naturgemäß. Dadurch war ich gut mit meinen Boxern dran, die wetzten da rauf und das wars. 

            „Guten Abend, meine Damen und Herren, hier ist der Fernseh-Versuchsbetrieb des Nordwestdeutschen Rundfunks. Heute findet kein Programm statt. Wir bitten Sie, morgen Abend um 8 Uhr erneut einzuschalten.“

            Zu hören sind Ivo Robic, „Morgen“; Dalida, „Am Tag als der Regen kam“; Freddy, „Die Gitarre und das Meer“; Honey Twins, „Charly Brown“ und Gerhard Wendland, „Tschau Tschau Bambina“. 

            Jürgen Roland: Wir kriegten dann einen Mann, der kam aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, und ich war ja der Beauftragte für Aktualität, der kam also an: Hello, say John … Ich sag: Was ist denn mit Ihnen los? Wir sind doch in Deutschland. – O yes, ich bin Däutschär, aber bin gewäsen four years prisonar of war, ich hab viel förlärnt von däutsche Sprache. – Ich sag: Dann erübrigt sich doch wohl eine Teilnahme an diesem neuen deutschen Fernsehen. – No, no, thats a pretty. Was Sie dänken, das ist där Fähler. Die Leute wollen das. Das it spräche so. – Da bin ich hin zu meinem Chef und hab gesagt: Das ist ein Verrückter! – Ja, aber Grimme schätzt ihn sehr. 

            Adolf Bertold Ludwig Grimme (1889 – 1963), von der britischen Besatzungsmacht als Regierungsdirektor zum Leiter der Abteilung für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung im Oberpräsidium der Provinz Hannover berufen. Wird 1946 Beauftragter für das Erziehungswesen in der Britischen Zone und ist zudem Mitglied des Zonenbeirats und Minister für Erziehung in Hannover. 1948 erster niedersächsischer SDP- Kultusminister. Im März des Jahres in den Verwaltungsrat des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR). Im September einstimmig zum ersten Generaldirektor der damals mit Abstand größten Rundfunkanstalt Deutschlands gewählt.

            Jürgen Roland: Grimme! Generaldirektor Dr. Grimme trat an, ein Lehrer-Typ, Oberlehrer Herr Dr. Grimme. Er spazierte durch die Räume mit seinem Riesenstab. Da sagte einer: Also, das ist Herr Roland, ist Rundfunkreporter hier, Reporter hier im Haus. – Roland? – Ich sag: Ja.  – Sind Sie der Mann, der diese flegelhafte Reportage gemacht hat, das mit der Leiter und dem Vorsitzenden vom Arbeitsamt? – Ich sag: Peter Bamm und Herr von Zahn sahen das damals anders. – Ich möchte solche Reportagen nie wieder in diesem Haus hören. – Da hab ich dann gesagt: Also, Herr Grimme, das brauchen Sie nicht. Hiermit kündige ich. Auf Wiederschauen. Rausgegangen. 

            Es wird berichtet, dass Grimme die Rundfunkanstalt recht bürokratisch, mitunter sogar „schulmeisterlich“ führt und bei personellen Entscheidungen nicht immer erfolgreich agiert. Sein Entschluss, im Februar 1949 Herbert Blank zum kommissarischen Funkhaus-Intendanten zu ernennen, stößt bei zahlreichen NWDR-Mitarbeitern auf äußersten Widerstand. Für sie gilt Blank als politisch vorbelastet, sie protestieren. Mehrere Journalisten verlassen im Mai 1949 den Sender.   

            Um 1950 herum werden Peter von Zahn und seine kritischen Radio-Beiträge und Kommentare in der gesamten Republik bekannt. Das gefällt Bundeskanzler Adenauer nicht. Er will ein Berufsverbot erwirken. Der Rundfunk „löst“ das Problem, indem er Peter von Zahn als Reporter nach Amerika schickt. Von nun an wird er noch erfolgreicher und bekannter mit seiner Sendung „Bilder aus der neuen Welt“, und im Fernsehen ist er dann eine feste Größe mit der Reihe „Reporter der Windrose“. 

            Jürgen Roland: Nun saß ich also auf der Straße. Zwei Tage später rief mich das „Echo des Tages“ an und sagte: Jürgen, wunderbar, wir hauen auch alle ab, aber du kannst natürlich als freier Mitarbeiter weiter machen. Machte ich, und Dank einiger Fürsprecher und Freunde war ich dann im Bunker von Anfang an dabei. 

Dieser von Grimme so geschätzte Herr … ich sag: Alles schön und gut, aber das ist ein Vollidiot. Der machte dann seine erste Sportreportage: Wir müssen Sport anfangen. – Ich sag: Wie stellen Sie sich das denn vor? – Wir können mit eine Kamera gehen auf Fußballplatz.  – Ja, natürlich können wir das machen, aber auf welchen bitte? – Gehen wir da, wo Mannschaften von Jugend spielen. – Aha, ja?! Dann besorgen Sie die Genehmigung.? – Nein, nein, machen Sie das. – Meinen alten Club Victoria angerufen und gesagt: Ein Verrückter hier, was spielt ihr Sonntag Früh? – Da spielt die A-Jugend so-und-so-und-so. – Da sind wir dann hin, Kamera stand. Er sagt: Ich mache die Reportage, Sie machen gar nichts. – Sag ich: Sagen Sie mal, hat dieser Hund, den Sie da haben, eine Bedeutung? – Yes, of course! Den Hund schicke ich auf das Spielfeld, das macht man in Amerika so, der rast dann zwischen die Mannschaften und dadurch kommt action. – Das hat er gemacht. Da kam dann sofort der Trainer an und sagt: Jürgen, wenn ihr nicht ratz-fatz hier abhaut, werdet ihr so vermöbelt, wie ihr noch nie vermöbelt worden seid. Na schön. Daraufhin wurde dem Mann dann nahegelegt, das Weite zu suchen. 

Ich machte das erste Eishockey, mit zwei Kameras. Auf der einen Seite Kunstlauf, auf der anderen Eishockey. Ich war selbst auf Schlittschuhen, aber ich hab moderiert. Ich hab auch einen Schläger gehabt, und das war natürlich furchtbare Scheiße. Egal. Ich frag dann in der Technik: Wie war´s denn? – Hab ick garnich groß hinjeguckt, aba det wa jut. – Na schön, ich rauf zu unserem Pressemann, Mann von der Uni, und frag: Hat es denn konveniert? – Es war wunderbar, es war großartig. Also das war eine Pointe, wie ich sie mir wünsche. – Ich sag: Entschuldigung, Sie meinen…? – Also diese Idee, war das von Ihnen? – Ich sag: Im Zweifelsfalle, ja. Was ist denn nun? – Also, die haben ja die ganze Zeit die Eisläuferin gezeigt. Und Sie haben von Eishockey gesprochen. Das war toll. Die rohe Gewalt von Eishockey und dann diese filigrane … Ich runter zur Technik: Seid ihr wahnsinnig geworden? – Nu reg dir man nich auf. Ick hab nich aufgepasst, det is richtig. Ich hab diesen Kunstlauf … da hab ick die Mühle da hingestellt, hat die geloofen, manchmal isse rechts und links raus, aber immer isse geloofen, det war janz jut …

Na schön. Großartig. Soviel zu den Anfängen einer neuen Zeit.  

            Am 25. Dezember 1952 wird Jürgen Roland siebenundzwanzig Jahre alt. Es ist zugleich der offizielle Beginn des bundesdeutschen Fernsehens. Der Nordwestdeutsche Rundfunk Hamburg (NWDR) sendet jetzt täglich von 20 bis 22 (oder 22.30 Uhr). Es gibt bundesweit 800 angemeldete Fernsehgeräte. Am 26. Dezember wird die erste „Tagesschau“ gesendet.

         Jürgen Roland: Ich war das junge aufstrebende Talent, und Menge saß beim ‚Hamburger Abendblatt‘ und schrieb unter dem Kürzel ‚Hugo‘ Kolumnen, sehr frech, sehr witzig, sehr böse, und er war das junge Talent beim ‚Abendblatt‘. Der Chefreporter war ‚Guschi‘ Doering, und das war ein Mann, der höchstes Ansehen genoß in der Journaille, war ein fabelhafter Mann. 

‚Guschi‘ starb, als er mit dem Motorbord nach Helgoland übersetzte. An Bord war auch Wolfgang Menge. ‚Guschi’ starb mit dem Satz: Wenn ich jetzt sterbe und ich sterbe gleich, wird sich der Springer unendlich ärgern, weil ich den ganzen Vorschuss schon versoffen habe. Dann schloss er die Augen für immer. Und dann kam eine wunderbare Geschichte. Er hinterließ ein Testament und hatte im Testament seine ganze Beerdigung organisiert. Er war herzkrank, so 48, für unsere damaligen Begriffe war er ein alter Mann. ‚Guschi‘ hatte herrliche Geschichten. Er war während der Nazizeit emigriert, war aber ein ganz alter Freund des Führers aus dem Münchner Kampfzeit, und ist dann mit 29 weggegangen, weil er gesagt hat, der ist verrückt, der spinnt! Und hat ihm dann immer Postkarten geschickt: Herrn Adolf Hitler, Reichskanzler. Lieber Adolf, ich kann leider nicht zurückkommen nach Deutschland. Ich finde dich zu Kotzen, aber was ich noch mehr zum Kotzen finde, sind deine brauen Uniformen. Hochachtungsvoll Guschi Doering. – Also, es war ein unglaublicher Bursche. 

Die Beerdigung war auf dem Ohlsdorfer Friedhof. ‚Guschi‘ hatte sich mit seiner Sekretärin die Mühe gemacht 80 junge Reporter aufzulisten, die auf Verlagskosten eingeladen werden sollten, um an seinem Sarg zu stehen. Und Wolfgang hielt auf Wunsch von ‚Guschi‘ die Totenrede. Bei dieser Rede wurde sich nicht gesetzt, das ganze Gestühl war raus, die Kapelle war mit grünweißen Chrysanthemen geschmückt, und alle standen um den Sarg rum und es wurde furchtbar gesoffen. 

Am Grab ging die Pulle rum, es wurde weiter ge-sof-fen! Der Sarg ging runter, alles klatschte. Dann gingen wir raus und der Feuilletonchef vom ‚Abendblatt‘ fuhr sofort gegen einen Baum, noch auf dem Friedhof. Der Kollege vom ‚Echo des Tages‘ donnerte nach der Ausfahrt gegen einen geparkten Wagen. Und in der Nacht verunglückten auch Herr Butz und Herr Roland. Butz hat sechs Monate gelegen, ich nur sechs Wochen. Das war also die Beerdigung von ‚Guschi‘ Doering, und das schmiedete zusammen. Wolfgang besuchte mich dann. 

Und dann wurden wir richtig gute, also intime Freunde. 
Wir teilten uns eine Wohnung. Mir passte zwar verschiedenes an ihm nicht und ihm passte verschiedenes an mir nicht – aber wir waren richtig gute Freunde. 

Eines Tages sagt er zu mir: Du wir müssen aus der Wohnung raus, ich hau ab. Ich sag: Wohin denn? – Ich habe von Springer den Auftrag gekriegt, als Auslandskorrespondent nach Hongkong. Das war damals unvorstellbar: Hongkong! Und er fuhr nach Hongkong. Aber, Wolfgang, wie er so ist, hat gesagt, was soll ich denn hier für Berichte schreiben? 

            Menge ist der erste Reporter, der mit der Transsibirischen Eisenbahn von Peking nach Moskau fährt. 

            Jürgen Roland: Und dann hat er sich da zusammen getan mit einem Korrespondenten von dpa. Hat auf die Berichte immer oben seinen „Menge“ drauf geschrieben und nach Hamburg abgesetzt. 

Das ging eine ganze Zeit lang gut. Er selber saß im Presseclub in Hongkong und schrieb das beste seiner Bücher, nämlich das Chinesische Kochbuch [„Ganz einfach – chinesisch“ Reinbek, 1968], was ja wirklich sehr komisch ist und sehr gut. 

Na schön.Das war ja nun nicht so ganz im Sinne des Hauses Springer und so kam er dann zwangsläufig nach Hamburg zurück. Und ich hatte, es war 1952, gerade angefangen mit einer Serie: „Der Polizeibericht meldet“. Und machte das mehr oder minder alleine, wir hatten ja kein Geld.                  

Plötzlich stand Wolfgang bei mir in der Tür. Ich sag: Hallo! – Du, sagt er, ich bin rausgeflogen bei Springer. Haste was für mich? Sieht so aus, als wenn hier Geld zu machen ist. – Ich sag, das hier ist ein Versuchsbetrieb. Aber ein bißchen ist natürlich schon da. Warte mal, ich habe einen Produktionsleiter. Den angerufen: Kommen Sie mal rüber, Wolfgang Menge wird in Zukunft den redaktionellen Teil meiner Sendung machen. – Jawoll! – Kriegte er pro Sendung bezahlt, irgendwie 800 oder so und kriegte noch mal 600 Mark für einen extra 15-Minuten-Beitrag. 

            Wolfgang Menge: Täglich ging ich im Sender in der Rothenbaumchaussee ein und aus. Allerdings nicht, um dort zu arbeiten, sondern um in der Kantine zu essen – viele Monate, umeingeladen, aber regelmäßig. 
Ich arbeitete in einer Villa gegenüber beim German News Service (später dpa), und wir hatten keine Kantine. Die Räume oberhalb der Kantine – die war damals im Keller – das eigentliche Sendegebäude also habe ich zu der Zeit nie betreten. Doch ich bleibe bei meinem Urteil, dass eigentlich hier, in einem bescheidenen Haus, alles angefangen hat. 

            Ein brillanter Reporter, ein großartiger Reporter, ein großartiger Journalist und ein sehr, sehr guter Drehbuchautor.
Er schreibt oft gleichzeitig an mehrere Drehbüchern, verwechselt auch mal das jeweilige Ende. 

Fiat Topolino © Wiki-Commons

            Das Fernsehen kann inzwischen höhere Honorare zahlen. Menge fährt einen MG. Jürgen Roland einen dunkelgrünen Fiat Topolino. Stolz lehnt er am Wagen. 
Er hat halblange, glatte Haare. Eine schlanke, sportliche Figur. 
Er hat früh Boxen gelernt, spielt in der Eishockeymannschaft des HSV, ist später deren Kapitän.         

            Jürgen Roland: Dieser tolle Intendant Walter Hilpert [1908-1962, 1956 erster Intendant des NDR] mochte uns beide, Menge und mich: Kommt mal zu mir rauf, Tasse Kaffee trinken. Fand ich prima, euren „Polizeibericht“. Was kann ich für euch tun? – Da hab ich gesagt: Wir würden das gerne selbständig also als eigene Sendung machen. – Das trifft sich gut, wir kriegen einen neuen Chefredakteur, Joachim Fest, der soll sich da mal mit beschäftigen. 

Dann kam Jochen, den wir gleich sehr mochten, und der hat sich das Konzept angeguckt und hat gesagt: Ja, wunderbar, macht das mal. Und dann mit dem Buch, ja, Menge, machen Sie das Buch, Geld sprechen wir in einem Satz durch, so und so und so, Buch möchte ich gerne haben. Dann kam das Buch, und ich hab gesagt – wir duzten uns damals schon: Willste das Buch lesen? – Nee, nee, wie ist es denn? – Ich sag: Ist in Ordnung. – Dann machte er seinen „Fest“ unter, und dann wurde es gemacht. 

            „Die Tote im Hafenbecken“. Der 4. Fall der neuen Menge/Roland-Serie „Stahlnetz“: 

„Es war der 8. April. Seit dem frühen Morgen regnete es schon; in Hamburg, in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen. Es war abends, zwanzig nach sechs. Es war schon dunkel auf der Straße. Die Straßenbeleuchtung hatte sich gerade eingeschaltet. Im Zimmer brannten zwei fünfundzwanziger Birnen in der mit grüner Seide bespannten Deckenlampe, und eine spärliche Nachttischlampe. Der Vorhang wurde in regelmäßigen Abständen sekundenlang von draußen angestrahlt; das war die Neonreklame vom ‚Hippodrom‘, dem Haus gegenüber. Sie schien bis hierher in den zweiten Stock. Auf dem Tisch stand ein halbgeleertes Glas Bier, Butterreste, Brot, ein Taschenmesser …

Helga Wieberitz nahm das Glas, trank es leer, schüttelte sich. Sie war aufgestanden, um ihr Bett zu machen. Es war nicht ausgelüftet, sie legte die Decke auch ziemlich sorglos aufs Bett und strich sie nachlässig mit der rechten Hand glatt. Ich werde müde sein, wenn ich nach Hause komme, dachte sie, müde oder betrunken. Betrunken sogar bestimmt. Es schien, als lächele sie bei dem Gedanken. 

Aber sie sollte sich irren. Sie würde nicht müde sein, auch nicht betrunken. Um die Zeit, zu der sie sonst nach Hause kam, nach einer durchfeierten Nacht, um diese Zeit würde sie schon längst tot sein.             

            Sie haben gut zu tun, die glorreichen Zwei. Wolfgang Menge ist der Kopf, Jürgen Roland der „Macher“. Er reagiert als Regisseur spontan auf ungeplante oder nicht ausgeschriebene Situationen, improvisiert aus dem Mangel heraus, aus der Not. Er ist somit im besten Sinne des Wortes kreativ und da berührt es sich halt schon mit Kunst. Zudem sind seine unter solchen Prämissen realisierten „Stahlnetz“-Filme immer auch ein Stück Zeitgeschichte. 

© Frank Göhre
– seine Texte bei uns hier.

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