Geschrieben am 1. Oktober 2024 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2024

Eggenberger über »Du kennst sie« von Meagan Jennett

„Alle Männer sind gleich“

In den ersten Stunden des neuen Jahrs ist Sophie daran, nach der betriebsamen Silvesternacht die Bar aufzuräumen, an der sie arbeitet. Da begehrt ein später Gast an der Türe Einlass. Sie will in ignorieren, doch Mark ist ein guter Freund des Besitzers des Lokals. Er ist immer etwas aufdringlich, und er trinkt auf Kosten des Hauses. Widerwillig lässt sie ihn rein und serviert ihm einen Drink. Während sie beschäftigt ist, säuft er ihr den Rest einer 200-Dollar-Weinflasche weg, den sie für sich gebunkert hat. Danach drängt er sie dazu, ihn nach Hause zu fahren. Unterwegs wird er zudringlich. Sophie, in der eine große Wut gegen übergriffige Männer gewachsen ist, erdrosselt den Betrunkenen mit dem Sicherheitsgurt.

Mark ist der erste von mehreren Männern, die Sophie in „Du kennst sie“, dem Debüt der US-Autorin Meagan Jennett, umbringt. Denn bald stellt sie fest, dass das gar nicht so schwierig ist. Zum einen hat ihr ihre Großmutter viel über die menschliche Anatomie und ihrer Verletzlichkeit beigebracht. Zum anderen: „Männer reichen dir, öfter als sie glauben, das Seil, das du brauchst, um sie zu erhängen.“ Sie schneidet den Toten die Zunge raus, weil man sie zum Schweigen bringen muss, und sie verstümmelt ihre Genitalien.

Sophie empfindet die Zudringlichkeiten der Männer wie Milben, die unter ihrer Haut herumkriechen. In ihr brodelt es. Ihr zunächst fast rational wirkende Krieg gegen Männer – im ersten Fall war es ja eigentlich fast Notwehr – wird im Lauf der Handlung immer mehr von einem zunehmenden Wahnsinn getrieben: Sophie macht das Töten Spaß. Die in einer Kleinstadt in Virginia angesiedelte Noir-Geschichte bekommt dadurch auch fiebrige Southern-Gothic-Elemente.

Derweil freundet sich die Barkeeperin mit der Polizistin Nora an, die eben daran ist, vom Streifendienst zur Detektivin aufzusteigen. Auch Nora macht gerade schlechte Erfahrungen mit Männern: Als Frau und Farbige wird sie von weißen Kollegen, die finden, ihr neuer Job stehe eigentlich ihnen zu, ausgegrenzt und gemobbt. Sophie und Nora spüren Gemeinsamkeiten.

Der Plot ist raffiniert aufgebaut, die Geschichte stimmig erzählt. Man versteht Sophie und ihre Wut, die sie als Icherzählerin detailliert und bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar schildert. Zuweilen geschieht das etwas gar wortreich und redundant. Wobei die Redundanz manchmal auch das Obsessive in Sophie unterstreicht. Etwa mit dem wie ein Mantra immer wieder wiederholten Satz: „Alle Männer sind gleich.“ Richtig unter die Haut geht einem die nicht enden wollende Kaskade von Männersprüchen, die die Protagonistin einmal auf uns niederprasseln lässt. Nur ein Auszug:

„Sieh dir an, wozu du mich gebracht hast.“ „Du wolltest es. Ich habs an deinem Blick gesehen.“ „Du würdest es mir doch sagen, wenn du dich unwohl fühlst?“ „Ja, Mami.“ „Du bist schön.“ „Ich liebe dich so, dass es mir Angst macht.“ „Ich bin noch nicht so weit. Du hast etwas Besseres verdient. Gib mir noch ein paar Jahre.“ „Hübsche Beine, Schätzchen.“ „Stell dich nicht so an.“ „Ich bin total fasziniert von dir.“ „He, ich rede mit dir.“ „Du machst mich ganz nervös.“ „Flittchen!“ „Du hältst dich wohl für etwas Besseres?“ „Miststück.“ „Sieh dir an, wozu du mich gebracht hast.“

Dass die Schilderungen des Barbetriebs, wo die Barkeeperin nicht nur von männlichen Gästen, sondern auch von einzelnen Arbeitskollegen blöd angemacht wird, so authentisch wirken, liegt sicher auch daran, dass Autorin Meagan Jennett auf ihre eigenen Erfahrungen als Kellnerin und Barkeeperin in New York und in ihrem Heimatort Crozet in Virginia zurückgreifen kann. Um in diesem Geschäft Erfolg zu haben, müsse man gut lügen können, lässt sie Sophie erzählen, „eine Eigenschaft, die wir wahrscheinlich mit Kindergärtnerinnen und Callgirls gemeinsam haben“.

Männer seien „so sehr von sich eingenommen, dass sie keine Sekunde in Erwägung ziehen, dass die Frauen, denen sie jahrzehntelang zugesetzt haben, eines Tages zurückschlagen könnten“, sagt Sophie einmal. Nicht nur in ihrer Welt, sondern auch in der Realität, in der wir leben, ist die Regel, dass Frauen von Männern umgebracht werden. Umgekehrt ist es selten. Sophie bringt es so auf den Punkt: „Angeblich ist kein Zorn schlimmer als der einer verschmähten Frau, aber ich habe noch nie gelesen, dass ein Mann umgebracht wurde, weil er einfach bloß nein gesagt hat.“

Meagan Jennett: Du kennst sie (You Know Her. New York 2023). Aus dem Englischen von Birgit Salzmann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024. 399 Seiten, 17 Euro.

– Auf seiner Website krimikritik.com bespricht Hanspeter Eggenberger regelmäßig Kriminalromane.

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