Geschrieben am 1. Oktober 2024 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2024

Frank Rumpel: Die »Slow Horses«-Romane von Mick Herron

Ziemlich vitale lahme Gäule

Derzeit läuft auf Apple TV die vierte Staffel von „Slow Horses“ mit Gary Oldman. Wirklich vorstellen muss man sie deshalb wohl eher nicht mehr, die von Mick Herron erfundene Truppe ausgemusterter MI5-Agenten, die in Ungnade gefallen sind und ihre Arbeitstage deshalb in Slough House fristen, einer windschiefen Immobilie, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Dort in Slough House vergeuden sie unter dem misanthropischen Jackson Lamb ihre Zeit mit völlig überflüssigen Aufträgen, wobei die meisten hoffen, durch einen genialen Moment doch wieder ins Blickfeld der Zentrale zu rücken und rehabilitiert zu werden – was, wie alle ahnen, nie passieren wird.

„Slough House“ heißt auch der siebte, gerade bei Diogenes erschienene Band von Mick Herrons Serie, die einfach nicht langweilig werden will. Im Gegenteil: die Bücher werden sogar immer besser. Das mag daran liegen, dass sie näher an die Gegenwart rücken und Herron eben ein begnadeter Erzähler ist. Einsteigen kann man übrigens ohne Kenntnis der vorangegangenen Bände mit jedem beliebigen Buch der Reihe, auch mit „Slough House“.

Den ersten Band zur Serie („Slow Horses“) schrieb der 1963 geborene, in Oxford lebende Herron nach vier mäßig erfolgreichen Kriminalromanen um die Privatdetektivin Zoë Boehm (die nun, der Erfolg der Jackson-Lamb-Reihe macht‘s möglich, ebenfalls von Apple TV mit Emma Thompson verfilmt werden sollen,; die Romane wurden gerade im Original neu aufgelegt). „Slow Horses“ erschien 2010 und lag zunächst schwer in den Regalen. Herron hatte da noch einen Brotjob als Korrektor und schrieb, wie er in einem Interview sagte, wohl vor allem, weil es ihm Spaß machte. Erfolg stellte sich erst etwas später ein, nachdem die Romane zunächst in den USA, dann in Großbritannien in einem neuen Verlag veröffentlicht wurden und Herron Preise gewann. Ab da lief es allmählich besser. Er vermutet, es könnte daran liegen, dass jede Geschichte ihre Zeit hat und seine eben ziemlich gut ins Post-Brexit-England passen.

Denn sie erzählen, wie im aktuellen Band, von einem Land, in dem die Fliehkräfte zunehmen,  Korruption blüht, wütende Bürger auf die Straße gehen, rechte Bewegungen und Strippenzieher ihre Zeit sehen. In „Slough House“ ist jemand hinter den Slow Horses her, alle fühlen sich beschattet, zwei werden umgebracht. Der eigene Geheimdienst ist beteiligt, wenn auch nur indirekt. Herron greift den russischen Giftanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter 2018 in Salisbury auf, in dessen Folge später eine mutmaßlich unbeteiligte Dritte an dem Gift starb. Herron spinnt die Geschichte weiter, indem sich der englische Geheimdienst rächt und über ein paar Söldner russische Agenten in Russland töten lässt. Das wiederum beantwortet die russische Seite (der Roman erschien 2021, also deutlich vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine) mit einem Killerkommando, das nun die Slow Horses dezimiert, allerdings längst ausgeschiedene – eine kleine Panne, die Liste ist etwas veraltet. Interessanter aber ist, was dabei im Hintergrund läuft. Denn die Geheimdienstchefin hat für die Aktion privates Geld angenommen – von Leuten, die gerne Einfluss nehmen wollen.

Hier läuft also einiges aus dem Ruder und Herron spielt sein Blatt gekonnt aus, erzählt über Bande von einer Demokratie unter Druck, hält dabei locker Balance und Dynamik seiner Geschichte, liefert grandiose Dialoge und durch den Sarkasmus seiner desillusionierten Figuren einen hellwachen Blick auf gegenwärtige Themen. Herrons lahme Gäule sind noch in Bewegung.

Mick Herron: Slough House (Slough House, 2021). Aus dem Englischen von Stefani Schäfer. Diogenes Verlag, Zürich 2024. 432 Seiten, 19 Euro.

Frank Rumpel

Tags : , ,