Geschrieben am 27. März 2013 von für Bücher, Litmag

Georg Klein: Schund und Segen. Siebenundsiebzig abverlangte Texte

C_978-3-498-03566-2.inddIm Auftrag

– Pünktlich zu dessen 60. Geburtstag (29.3.) beschenkt der Rowohlt Verlag seinen Autor Georg Klein mit einer opulent ausgestatteten Sammlung seiner Arbeiten für die Tagespresse. Joachim Feldmann hat sich die „77 abverlangten Texte“ angesehen.

Am 18 Januar 1907 teilt der 28-jährige Robert Walser seinem Lektor Christian Morgenstern mit, dass die Zeitschrift „Zukunft“ einen Beitrag von ihm angenommen habe. „Zeitschriftenlieferant“ allerdings, so der selbstbewusste Jungautor, wolle er nicht werden, lieber ginge er „unter die Soldaten“. Dass Walser sich nicht an diesen Vorsatz gehalten hat, sondern in den kommenden zwei Jahrzehnten immer wieder gezwungen war, sich als „Prosastücklischreiber“ für Zeitungen und Zeitschriften zu verdingen, ist bekannt.

Eine Anfrage der Neuen Zürcher Zeitung allerdings, seinen bevorzugten „Herbstferienort“ betreffend, lehnt er 1927 brüsk ab. Er habe „momentan Moneten“ und da bei der „Zürcher Zeitung die Moneten maßgebend“ seien, handle er damit ganz „Neue Zürcher-Zeitungsmäßig“. Walsers Brief ist ein Dokument des Aufbegehrens gegen die ihm zugewiesene Rolle des „träumerischen Weltentfremdeten“. Genutzt hat es ihm nichts.

In dieser Hinsicht hat sich wenig geändert im sogenannten Literaturbetrieb. Autoren werden entdeckt, hofiert und auch wieder fallengelassen. Schließlich ist die Aufmerksamkeitsspanne knapp und die Gefahr der Langeweile groß. In diesem Tenor monierte die TAZ 1999 die Verleihung des Ingeborg Bachmann-Preises an den Schriftsteller Georg Klein. Schließlich sei er „einer der von der Kritik meistgelobten Schriftsteller der letzten Jahre“.

Und das keine zwei Jahre nachdem Klein mit seinem Debütroman „Libidissi“ die deutsche Gegenwartsliteratur um einen frappierend neuen Erzählton bereichert hatte. Der Autor selbst ärgerte sich über solche Fehlurteile nicht allzu sehr. In einem Interview formulierte er so: „[…] es zeigt, dass der Betrieb mich in gewisser Weise als sein Geschöpf angenommen hat. […] Um es ins Positive zu wenden: Mir stehen jetzt viele Türen offen, und ich kann dort, wo die Spiele gespielt werden, ein bisschen mitspielen.“

Es ist also zu bezweifeln, dass Georg Klein einen Auftrag der Neuen Zürcher Zeitung, in der er in den letzten Jahren recht häufig zu lesen war, ablehnen würde. Im Gegenteil. Er empfinde es als „Privileg“, wenn seine „abverlangten Texte“ an einem „guten öffentlichen Ort“ präsentiert würden, schreibt er in der Vorbemerkung zu dem Band „Schund und Segen“, der genau 77 solcher Auftragsarbeiten versammelt. Die Themen sind vielfältig und beschränken sich nicht auf Literarisches.

In der Berliner Morgenpost gedenkt er des frühverstorbenen Michael Jackson, für die Süddeutsche besucht er ein Konzert des reifen Udo Lindenberg und findet, anlässlich dessen 70. Geburtstags, die passenden Worte für den erst jüngst als feuilletonwürdig erachteten Sänger Heino. „Allein schon weil Menschen, die wir brauchen, Heino lieben, wäre es billig, diesen Künstler zu verachten“, schreibt Georg Klein und begibt sich damit jeder wohlfeilen Arroganz. Die „Heimatsehnsucht“, von der Heinos Lieder und ihr Erfolg zeugen, erklärt er zum Protest gegen eine „kalte Welt ohne warmen Winkel“, an dessen Legitimität er keinen Zweifel lässt.

Schriftsteller Georg Klein

Schriftsteller Georg Klein

Überhaupt begegnet Georg Klein den Produkten der Populärkultur unvoreingenommen. Er, der während seiner Kindheit und Jugend ein „wilder Leser“ war, dem Edgar Wallace und Edgar Allan Poe gleich viel bedeuteten, widmet sich Stephen King und Raymond Chandler mit derselben kritischen Ernsthaftigkeit, die er für die Neulektüre von Grass’ „Blechtrommel aufbringt. Und nur selten versagt ihm der Gegenstand seines empathisch-kritischen Interesses das Entgegenkommen. „Sein Denken und Erzählen“, heißt es in einer Rezension der Memoiren eines früheren Bundeskanzlers, „bleibt, von wenigen Sätzen abgesehen, in jenem Jargon befangen, den sich die politische Kaste und viele Vertreter des politischen Journalismus teilen“. Doch wenn sich die Schrift derart verweigert, schaut sich Klein eben ein Bild an und entdeckt, wie sich „im Laufe der Jahre und im Sandstrahlgebläse der Öffentlichkeit das großartige Gesicht des inzwischen 62-Jährigen herausgebildet hat“.

Nicht zuletzt sind es solche Formulierungen, denen wir das Vergnügen an der Lektüre dieser Lohnarbeiten aus fast fünfzehn Jahren verdanken. Und wir können uns glücklich schätzen, dass es Zeitungsredakteure gibt, deren Anrufe und E-Mails Georg Klein immer wieder dazu bringen, die Arbeit an seinem Romanwerk zu unterbrechen, um auf Termin den gewünschten Beitrag zu verfassen.

Vor ungefähr zehn Jahren galt solch ein Auftrag dem 60. Geburtstag Mick Jaggers. Dem Popstar zu gratulieren, ohne sich an dessen gloriosere Zeiten zu erinnern, mochte ihm dabei nicht ganz gelingen, so sehr er auch seine Altersgenossen dazu aufrief, an diesem Tag, „den trübsinnigen Dämon der Nostalgie aus ihren Gedanken zu verscheuchen“. Wenn Georg Klein selbst am kommenden Freitag sein sechzigstes Lebensjahr vollendet, besteht zu Appellen dieser Art kein Anlass. Für den Herbst ist sein neuer Roman „Die Zukunft des Mars“ angekündigt.

Joachim Feldmann

Georg Klein: Schund und Segen. Siebenundsiebzig abverlangte Texte. 420 Seiten. Reinbek: Rowohlt 2013. 22,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. ARD-TV-Forum: Georg Klein: „Schund und Segen“ (15.03.2013). Porträtfoto Georg Klein: www.devries-klein.de. Zur Webseite des Autors.

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