Geschrieben am 11. November 2010 von für Musikmag

It Takes Two (manchmal auch mehr)

Das Duo als kleinste Bandeinheit – die Verfasserin der folgenden Zeilen ist seit Jahren von diesem Thema besessen. Warum, ist auch ihr selbst nicht ganz klar, wahrscheinlich, weil sie als Nicht-Musikerin den Hut vor Menschen zieht, die sich im Studio und auf der Bühne nicht hinter ihren zwanzig besten Freunden verstecken, sondern nur auf sich und den komischen Typen/die seltsame Frau neben sich gestellt sind. Viele großartige Bands brauchen nicht mehr als zwei Mitglieder: The White Stripes, The Kills, Blood Red Shoes, Sparks, Modern Talking, Baccara… ähem. Die Aufzählung von Duos im Popgeschäft könnte noch endlos weitergeführt werden. An dieser Stelle stellt Christina Mohr Neuerscheinungen von Duos und einer Band, die nur so heißt, als wäre sie ein Duo, vor.

KORT: Invariable HeartacheHerzensbrecher

Hier haben sich zwei gefunden, die zueinander passen wie der sprichwörtliche Deckel zum Topf: Alternative-Country-Musikerin Cortney Tidwell und Lambchop-Mastermind Kurt Wagner verschmelzen zu KORT – und dürfen keinesfalls mit einem anderen Paar namens Co(u)rtney und Kurt verwechselt werden. Wie diese Geschichte endete, ist bekannt und wird hier nicht weiter ausgeführt. Dass es KORT einmal geben würde, war nur eine Frage der Zeit: Wagner und Tidwell arbeiteten bereits bei Cortneys Platte von 2008, „Don’t Let Stars Keep Us Tangled Up“ zusammen, beide traten höchst erfolgreich gemeinsam in Nashville auf, wo Kurt Wagner seit einigen Jahren wohnt und Cortneys familiäre Wurzeln liegen. Cortneys früh verstorbene Mutter Connie Eaton hatte ein paar kleine Hits mit in Nashville produziertem, kommerziellen Countrypop, der wegen des hohen Kitschfaktors von „echten“ Countryfans und -Musikern verachtet wird. Kurt und Cortney hingegen wollen die vermeintlich kitschigen Songs von Charlene Davidson, Gene & Rod, Karen Wheeler oder Neil McBride retten: ihre Interpretationen („Invariable Heartache“ ist ein reines Cover-Album) sind frei von Geigen und Glöckchen. Schwulst und Schmalz sucht man vergeblich, auch wenn Kurt und Cortney nach Herzenslust in Romantik schwelgen und bei „Penetration“ auch mal ganz drastisch werden. Musikalisch gehen KORT eher spartanisch vor: Piano, Steel Guitar, Akustikgitarren und Schlagzeug – that’s it. Kurt Wagners Stimme klingt wohlig altmännerhaft und warm, kein Vergleich zum wütenden Grollen eines Mark Lanegan. Cortney Tidwell kann glockenhell jubilieren wie Tammy Wynette und ihre eigene Mama, Connie Eaton. KORT singen mal im Duett (wunderbar das schmissige „Wild Mountain Berries“), mal jeweils alleine, Songs wie „Incredibly Lonely“, „Who´s Gonna Love Me Now“ oder „Yours Forever“ brechen einem das Herz, und das völlig kitschfrei. Das Besondere an „Invariable Heartache“: die Songs wirken, als hätten Kurt und Cortney sie sich gegenseitig auf den Leib geschrieben – selten passen gecoverte Stücke so gut zu ihren „Bearbeitern“ wie die von „Invariable Heartache“ zu Cortney und Kurt. Hier haben sich wirklich zwei gefunden…
Kurt Wagner & Cortney Tidwell present KORT: Invariable Heartache. City Slang (Universal)
www.kort.cd

Belle and Sebastian Write About LoveNichts für Nörgler

Belle and Sebastian schreiben über Liebe – wie schön! Es ist ja nur logisch, dass die Band, die sich nach einem französischen Kinderbuch benannte, eine Platte macht, die sich zumindest dem Titel nach ums Schreiben dreht. Kleiner Einschub: dass Belle and Sebastian in dieser Rubrik auftauchen, ist dem ewigen Missverständnis geschuldet, bei B&S handele es sich um ein Duo. Stimmt aber nicht, B&S ist eine siebenköpfige Band, die nur so heißt, als wäre sie ein Duo. Ein Fake-Duo sozusagen: eine Gruppe, die eigentlich am liebsten nur zu zweit wäre, also doch irgendwie passend. Gut vier Jahre nach dem letzten Album „The Life Pursuit“ – für Belle and Sebastian ein relativ kurzer Veröffentlichungsabstand – trafen sich die MusikerInnen zunächst in ihrer Heimatstadt Glasgow, dann in Los Angeles, um mit Phoenix-Producer Tony Hoffer vierzehn neue Songs aufzunehmen. Elf davon sind auf dem CD-Album gelandet, die drei übrigen werden der Vinylausgabe als Single beigelegt. Um die Zahlenverwirrung komplett zu machen: auf „Write About Love“ sind erstmals Gaststars vertreten. Neben den Bandmitgliedern Stuart Murdoch (Sänger, Gitarrist, Keyboarder und Hauptkomponist), Sarah Martin und Stevie Jackson singt Schauspielerin Carey Mulligan beim fröhlichen Titeltrack mit, und keine Geringere als Norah Jones ist bei „Little Lou, Ugly Jack, Prophet John“ zu hören. In womöglich allen Rezensionen wird zu lesen sein, dass Jones diesen Song „veredele“ – wir sind dieser Meinung nicht. Ihre Stimme ist so unverwechselbar (gut für sie natürlich), dass das Stück unweigerlich wie eine handelsübliche Norah-Jones-Softsoul-Ballade klingt, jedenfalls nicht nach Belle and Sebastian. Zudem ist es, verglichen mit den anderen, ziemlich schwach. Bei allen anderen Songs hat sich die Band selbst übertroffen, auch wenn Nörgler wieder behaupten werden, Belle and Sebastian seien ja doch ein wenig süßlich. Der Einstieg mit „I Didn’t See It Coming“ ist großartig und B&S-typisch: das Stück stolpert anfangs über mutwillige Unterbrechungen, um dann in einen unwiderstehlichen Twee-Indiepop-Refrain zu münden. „Come On Sister“, „Sunday´s Pretty Icon“ und „I Want The World To Stop“ lassen die goldenen (achtziger) Jahre des britischen Indiepops hochleben, wer The Jazz Butcher noch kennt, wird mit diesen Songs sehr glücklich sein. Der Titelsong und „I’m Not Living In The Real World“ sind mit Sixties- und Seventies-Reminiszenzen prall gefüllt; Glöckchen und flirrender Chorgesang sorgen für eine leicht irre, hippieeske Folkpop-Anmutung. Die zarte Ballade „Read The Blessed Pages“ wird dagegen nur von einer Akustikgitarre untermalt – und greift das Titelthema Schreiben wieder auf. In den anderen Songs brilliert Stuart Murdoch mit seinen erzählenden Lyrics: die Texte über mathematisch (un-)begabte Sekretärinnen, den Geist des Rock’n’Roll und immer wieder über Liebe sind wie gewohnt skurril und doch mitten aus dem Leben gegriffen. „Belle And Sebastian Write About Love“ gehört in diesem Herbst unter jeden Weihnachtsbaum (Wunsch der Rezensentin an Stuart Murdoch: ein Lied über Schokoladenweihnachtsmänner und Lebkuchen, die schon im Laden stehen, wenn die Kunden noch Flipflops tragen).
Belle And Sebastian Write About Love. Beggars (Rough Trade).

Tamaryn: The WavesFür die Herbstplaylist

Beim Duo Tamaryn aus den USA steht der Sound über dem Song: Singer-/Songwriterin Tamaryn aus New York und ihr musikalischer Partner, Multiinstrumentalist Rex John Shelverton aus San Francisco, breiten auf ihrem von Magazinen wie NME und Pitchfork hochgelobten Album „The Waves“ Klangteppiche* aus, die man zwar irgendwie schon kennt, sich dennoch ihrer Faszination nicht entziehen kann. „Skygazing“ anstatt Shoegazing wurde die Musik Tamaryns genannt, und tatsächlich ist diese Wortschöpfung passend. Sowohl psychedelische als auch Punk-Gitarren werden über hypnotische Synthie-Drones geschichtet, Tamaryns Stimme wirkt zart und etwas verloren im Hintergrund. Diese Musik ist unüberhörbar verwandt mit Bands wie Cocteau Twins, Dead Can Dance, The Jesus and Mary Chain, My Bloody Valentine, Mazzy Star, Galaxie 500 oder Slowdive, jedoch fast frei von Depression. Nachdenklich, verträumt, langsam, introvertiert: das ja, aber nicht schwermütig. Man stellt sich Tamaryn als ein Emo-Mädchen vor, das den Blick von ihren dicken Doc Martens‘ nach oben wendet und ungläubig in die Sonne blinzelt: die Welt ist ja doch schön! Der Titeltrack und „Dawning“ gehören in jede Herbstplaylist (Mixtapes gibt es ja nicht mehr), in Gänze wirkt „The Waves“ allerdings ein wenig sedierend.
* Frau Mohr zahlt bereitwillig einen Strafbeitrag in die Kasse „Unwörter in Musikrezensionen“ ein. Ging leider nicht anders.
Tamaryn: The Waves. Mexican Summer (Rough Trade).
www.myspace.com/imagesmusic

The Hundred in the HandsBäumchen wechsel dich

Auch das in Brooklyn ansässige Duo The Hundred in the Hands bedient sich aus dem großen Fundus des Indie-Pop. Eleanore Everdell und Jason Friedman, die mit ihrem Debütalbum beim wegweisenden Warp-Label gelandet sind, entdeckten vor ein paar Jahren, dass sie dieselben Musiken mögen: French House, Rock, Elektropop und Post Punk, Disco und Ska, Hip-Hop und Dub. Na, das ist ja eine ganze Menge, mag man sich denken; und auch, dass es nicht ganz so unwahrscheinlich ist, dass sich Schnittmengen ergeben, wenn man jemanden in New York City kennen lernt, der ungefähr gleich alt ist. Kurzum: Von den elf Stücken des Albums bleiben drei bis vier im Gedächtnis, der Rest landet wegen Beliebigkeit und unschlüssigem Bäumchen-wechsel-dich-Stil im Nirwana des Vergessens. Der Opener „Young Aren’t Young“ ist toll, wir nennen die Mischung aus Hot Chip-ähnlichen Nerd-Grooves und Indie-Gitarren mal „Dream Disco“, diesen Stil verfolgen The Hundred in the Hands auch bei ihren tanzbaren Stücken wie „Lovesick (Once Again)“ und „Dead Ending“. Bei diesem Song zeigt sich, dass in der langen Liste ihrer Lieblingsmusik auch Euro-Trash vorkommen muss, jedenfalls haben sie davor keine Angst. „Gold Blood“ ist unmotivierter Hardrock-Funk-Crossover, der wohl dramaturgisch zum nächsten Track, „Dressed In Dresden“ überleiten soll: der Dresden-Song orientiert sich an Indie-Gitarrenbands wie Franz Ferdinand und Maxïmo Park, ist aber weniger knackig als die Musik der Vorbilder. Auch die ansehnliche Produzentenriege (Jacques Renault, Richard X, Chris Zane) kann es nicht rausreißen. Trotz an und für sich erfolgversprechender Parameter – gutaussehende Frau singt und spielt Keyboards, zurückhaltender Typ im Hintergrund macht den Rest – kann man The Hundred in the Hands nur den Ratschlag geben, nach der nächsten Party nicht gleich schon wieder eine neue Band zu gründen, nur weil die Frau in der Küche gesagt hat, sie steht auch so auf alte Giorgio-Moroder-Sachen.
The Hundred in the Hands. Warp (Rough Trade).
www.myspace.com/thehundredinthehands
www.thehundredinthehands.com

Azure Ray: Drawing Down The MoonDa war was

Sieben Jahre ist es her, dass Maria Taylor und Orenda Fink als Azure Ray ein gemeinsames Album herausbrachten. Seit 2003 und „Hold On Love“ waren die beiden Songwriterinnen aus Omaha/Nebraska keineswegs untätig, sie veröffentlichten Soloalben und Kooperationen und waren auf den Platten von Freunden wie Bright Eyes und Now It´s Overhead vertreten. Auf „Drawing Down The Moon“ zeigt sich: Maria und Orenda klingen am besten, wenn sie zusammen sind. Musikalisch passiert ja nicht wirklich viel bei Azure Ray, das aber eindringlich. Ihre somnambulen, verträumten und leicht wie Gaze schwebenden Arrangements sind so charakteristisch, dass für sie glatt ein eigenes Genre („Dreampop“) erfunden wurde. Die Melodien sind zart, keineswegs Ohrwürmer und schmiegen sich doch an wie schnurrende Kätzchen. Azure Ray lassen typisch US-amerikanische Musikstile wie Folk, Country und Blues als leise Ahnung durch die Songs wehen, Cello, Harfe, Oboe und Violine ranken sich dazu um Gitarre, Percussion und ein wenig Elektronik. Kein Instrument reklamiert die Vorherrschaft für sich, Marias und Orendas Stimmen verschmelzen hell und klar zu überirdischem Sirenengesang. Weniger lieblich geht es in den Texten zu, bittersüß und manchmal grausam sind die Geschichten, die sich oft um Liebe und den Verlust derselben drehen („Shouldn´t Have Loved“, „Make Your Heart“), aber auch um Vergänglichkeit und Tod („Dancing Ghosts“, „In The Fog“). „Larraine“ und „Signs in the Leaves“ entwickeln bei aller Fragilität und Leichtigkeit hypnotische, fast unheimliche Sogwirkung. Wenn die letzten Takte von „Walking In Circles“ verklungen sind, mag man sich fragen: „War da was?“ Und spürt, oh ja, da war etwas. Intensität muss nicht laut sein.
Azure Ray: Drawing Down the Moon. Saddle Creek (Indigo)
www.azureraymusic.com

Yazoo: Reconnected LiveTriumphaler Abschluss

Der Höhepunkt zum Schluss: Yazoo sind ein gutes Beispiel dafür, dass eine Band nicht lange existieren muss, um Spuren in der Popwelt zu hinterlassen. Auch, dass sich die Mitglieder gut verstehen, ist nicht zwingend nötig. Yazoos gemeinsame Arbeit dauerte ein Jahr und zwei Platten, dann ging man wieder getrennte Wege. Vince Clarke gründete Yazoo 1982, als er noch zu Depeche Mode gehörte. Er suchte eine Sängerin für „Only You“ – Alison Moyet suchte Musiker per Anzeige im Melody Maker. Beide stammten aus Basildon/Essex, trafen sich aber erst auf diesem Wege. Den introvertierten Computerfrickler Vince und die angry young woman Alison verband außer der Musik allerdings nicht viel, schon 1983 lösten sich Yazoo auf; Clarke gründete erst die kurzlebigen Assembly und danach die unkaputtbaren Erasure, Moyet begann eine Solokarriere. Auf Platte aber harmonierte das ungleiche Paar hervorragend: Clarkes minimalistische, warme Computersounds boten den perfekten Rahmen für Moyets raumgreifende Blues- und Soulstimme. Hits wie „Don’t Go“ überstehen sogar die Schmach, auf CD-Samplern wie „Wavehits der ’80er“ gelandet zu sein. Eine Reunion von Clarke und Moyet schien jedoch kategorisch ausgeschlossen. Doch dann, 2008: Alison Moyet mailt an Vince Clarke. Ob er sich vorstellen könne, das in ihren Augen abgebrochene Projekt Yazoo mit Live-Auftritten zu Ende zu bringen. Er konnte zunächst nicht. Dann doch. Sie treffen sich, um die alten Songs aufzuarbeiten – und es funkte wieder, mehr sogar als 1982. Die Chemie stimmt jetzt, die Auftritte in Schweden, Deutschland, England und den USA werden begeistert gefeiert. Nun liegt das Doppel-Livealbum „Reconnected Live“ vor und überzeugt auf ganzer Linie. Fast alle Yazoo-Songs sind zu hören, Clarkes Computer klingen frisch und lebendig, modernisiert, aber nicht „modisch“. Alison Moyet ist zu der Soul-Göttin geworden, die sich vor fast drei Dekaden schon ankündigte – bei den ersten Songs („Nobody´s Diary“, „Bad Connection“) übertreibt sie es sogar ein wenig mit der Dramatik, aber bei „Good Times“ passt dann alles. Wenn Moyet nach dem minutenlangen Applaus für „Don’t Go“ ins Publikum ruft, „we came back for THIS“, glaubt man ihr sofort. Mit dem zwingenden Dancehit „Situation“ endet „Reconnected“ – triumphaler Abschluss des bis dahin unvollendeten Projekts.
Die Deluxe-Ausgabe von „Reconnected“ lohnt wegen der schicken Aufmachung als gebundenes Buch und des Booklets mit einem Text von Alison Moyet.
Yazoo: Reconnected Live. Doppel-CD. Mute.
www.yazooinfo.com

Christina Mohr