Geschrieben am 4. Februar 2010 von für Musikmag

Interview mit Hans-Joachim Roedelius

Hans-Joachim Roedelius„Es ist mir alles immer zur rechten Zeit geschenkt worden“

Hans-Joachim Roedelius ist eines der Urgesteine der elektronischen Musik – und ein Arbeitstier. Aktuell erscheinen zwei neue, unter seiner Beteiligung entstandene Veröffentlichungen ganz unterschiedlicher Art. Von Tina Manske

Zusammen mit Dieter Moebius bringt Roedelius zum einen ein neues Cluster-Album heraus. Das ist, wie alle anderen Cluster-Alben zuvor auch, zunächst eine Herausforderung an den Hörer, den eigenen tradierten Hörgewohnheiten zu trotzen und sich auf eine unbestimmte Reise zu machen. Cluster-Platten sind wie Landschaften, die der Blick durchfährt, eine sehr subjektive Sache für jeden, der sich darauf einlässt. Nichts wird festgeklopft, alles ist im Fluss, Geräusche kommen und gehen und bleiben im Unaufgeklärten. Wiederholungen gibt es hier nur, damit man beim genauen Hören erkennt, dass es keine Wiederholungen sind. „Qua“ zeugt einmal mehr von einer überbordenden Fantasie, die sich ökonomisch minimalistisch gibt.

Zum anderen hat Hans-Joachim Roedelius mit der Pianistin Alessandra Celletti ein Album aufgenommen, das im Titel eine Flüchtigkeit andeutet, die sich in den Liedern darauf in Leichtigkeit verwandelt: „Sustanza di cose sperata“, also ‚Von der Wirklichkeit des Erhofften‘ erweist sich als hoffnungsfrohes Kompendium von Klavierkompositionen. Dazu gibt es Gedichte und Lieder aus der Feder von Roedelius, eine Wiederbelebung von Rilke sowie eine beeindruckende Version von Brian Enos „By This River“ – ein Song, den nicht wenige Menschen für einen der berührendsten überhaupt halten und den Roedelius in den 1970ern selbst mitkomponiert hat.

Hans-Joachim Roedelius war so freundlich, uns ein paar Fragen zu seinen neuen Veröffentlichungen und zu seinem Schaffen allgemein zu beantworten. Das Interview fand per E-Mail statt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Komponistin und Pianistin Alessandra Celletti auf „Sustanza di cose sperata“?

Alessandra hat mich eines Tages (es war irgendwann Ende 2006) über MySpace gefragt, ob ich nicht ihr „Freund“ werden möchte, woraufhin ich sofort ja gesagt habe, und jetzt sind wir – nach mehreren Konzerten auf Festivals in Italien, nachdem sie zweimal bei „More Ohr Less“ (dem kleinen feinen Festival in Lunz am See, das meine Frau und ich dort jedes Jahr veranstalten) und letztens auf einer kleinen Tour in den USA mit mir aufgetreten ist – bestens aufeinander eingespielt. Wir sind beide Arbeitspferde, ständig mit unserer Kunst beschäftigt und mittlerweile dick miteinander befreundet.

Auf „Rilke“ zitiert ihr aus „Das Buch von der Pilgerfahrt“ aus dem „Stundenbuch“. Rilke gilt nicht erst seit Veröffentlichungen wie „Rilke-Projekt“ als Kitschautor für das gesättigte Bildungsbürgertum. Warum wähltet ihr ihn aus?

Ich habe dieses Stück schon vorher komponiert und es bereits live bei mancher Gelegenheit vorgetragen. Rainer Maria ist mein Meister. Es gibt noch andere Rilkevertonungen von mir auf anderen Produktionen. Das gesättigte Bildungsbürgertum kann mich mal.

„Meine Frau ist mein Supervisor“

Andererseits muss man euch schon allein dafür dankbar sein, dass ihr Rilke aus dieser bourgoisen Ecke wieder herausholt, und dass ihr das „große Wunder“, das „in der Welt“ ist, wie Rilke sagt, wieder erfahrbar macht, ganz ohne Esoterik-Bimbam. Wurde die Musik zu „Rilke“ improvisiert?

Ja, das große Wunder Leben, dass jeder ein eigenes Leben lebt in dieser Welt, irgendwie immer allein dabei, trotz der Gegenwart nächster Angehöriger und lieber Freunde!

Zuerst habe ich die abstrakte Klanglandschaft „erfunden“, die Shakuhachitöne haben Hiroshi Nagashima und seine Frau nachträglich dazugespielt, und ich habe später die Worte darüber gesprochen bzw. spreche sie zum Playback, wenn ich live auftrete. Diese Vertonung ist ins Archiv der Rilketextvertonungen in der Schweiz aufgenommen worden, worauf ich sehr stolz bin.

Roedelius_coseAuf „Sustanza di cose sperata“ findet man eine berührende Version von Brian Enos „By This River“. Deine Frau steuerte den Gesang bei, eine zugleich naive und starke Stimme. Ist es eure erste Zusammenarbeit?

Es ist die erste Zusammenarbeit dieser Art. Wir machen aber seit unserer Heirat 1974 ganz viele Projekte gemeinsam. Meine Frau ist überdies mein Supervisor. Dieses Lied ist unser beider Herzenssache, auch oder weil Brian den von ihm geschriebenen Text auf dem originalen Stück so unprätentiös singt, wie er ihn singt, bzw. das Stück als Ganzes so bildschön ist. Mittlerweile gibt’s von diesem Lied unzählige und darunter auch sehr gelungene Bearbeitungen. Ich wollte mit meiner/ unserer Version ein von mir vorher mitkomponiertes Lied auch selbst einmal gerne covern, und das scheint ja gelungen zu sein.

Wie entstanden die Songs mit Celletti? Sitzt man da gemeinsam am Piano, oder sind die Aufgaben verteilt?

Wir haben drei Tage gemeinsam in einem Studio in Rom verbracht, Toningenieur war eine Freundin von Alessandra (endlich mal ’ne Frau an den Reglern). Vorher hatten wir ja schon oft miteinander live gespielt, kurz davor uns aber auch noch gegenseitig Ideen (mp3-Files per E-Mail) zukommen lassen und wussten somit ungefähr, wo es langgehen sollte. Aber das Rilkelied, „By This River“ und „Strecciatu…… / Zerrissen“ waren schon vorher fertig, es hat sich dann ganz einfach so ergeben, dass alle an der Produktion Beteiligten begeistert von der Idee waren, auch diese bereits eingespielten Tracks für „Sustanza…“ zu verwenden.

„Qua“ von Cluster spielt natürlich auf einer ganz anderen Ebene als das Celletti-Album, man kann mit den beiden Platten ganz unterschiedliche Musiken erfahren. Ist deiner Erfahrung nach auch die Rezipientenschaft eine andere?

Wahrscheinlich bzw. ziemlich sicher. Ich weiß davon, dass viele Hardcore-Clusterfans meine oder Moebius’ Arbeiten, ob solistische oder in Gemeinschaft mit anderen entstandene, auch mögen und sie ihrer Sammlung einverleiben.

Improvisiert ihr immer noch oder gibt es einen kompositorischen roten Faden?

Moebius und ich haben Improvisation zu unserem obersten Prinzip erhoben. Aber wie Du sicher weißt, ist ja nicht nur das in einer Kunst wirksam, was der jeweilige Künstler jeweils für richtig hält, sondern vor allem das, wofür er ein Gefäß ist, ob er nun weiß oder nicht, dass es so ist. Bezüglich meiner Zusammenarbeit mit A. Celletti muss ich sagen: Es ist sehr, sehr spannend mit einer weiblichen Person so intensiv zusammenarbeiten zu können, die aus der Klassik kommt, ihr Handwerk perfekt beherrscht, aber total offen für jegliches sinnvolle Experiment an/mit anderen Instrumenten als dem Klavier ist. Sie verehrt mich für meine historische Leistung auf dem Gebiet zeitgenössischer Musik, und ich bewundere sie dafür, wie sie hochkomplexe Klavierstücke, beispielsweise die Sonatine von Ravel, ohne Noten lesen zu müssen, ‚aus dem Ärmel schüttelt‘ oder bei Satie wirklich so langsam/behutsam beim Spielen dahinträumt, wie es dessen Musik verlangt. Sie spielt Galuppi mit der gleichen Intensität und Achtsamkeit wie Scott Joplin oder Mozart und viele andere, z. B. auch Gurdieff (und alles ohne Noten vor sich zu haben). Sie hat sich das gleiche Keyboard (einen Mikrokorg) gekauft, das ich benutze, und weiß es nach kürzester Zeit bereits besser zu bedienen als ich nach Jahren. Mit ihr ist mir über MySpace eine besondere Herausforderung geschenkt worden, aber wir sind uns gegenseitig Schüler. „Sustanza di cose sperata“ bedeutet ja: Von der Wirklichkeit des Erhofften. Unser Publikum lag uns bisher nach jedem Konzert zu Füßen, irgendwas wirkt da wohl aus diesem Erhofften bereits in die Gegenwart bzw. war schon uns schon geschenkt, als wir uns kennenlernten. Wir brauchten den Faden nur aufzunehmen.

Cluster: QuaKein Schielen auf Talerchen

Cluster klingen auf „Qua“ schon beinahe poptauglich, wenn ich da an „Malturi Sa“ oder „Stenthin“ denke – oder?

(aus einem deutschen Lexikon zeitgenössischer Musik, das 1993 beim Springer Verlag erschienen ist): „… aus heutiger Sicht gibt es nur wenige Produkte aus dem Berliner Kontext, die tatsächlich von musikalischem Wert sind. Erwähnt sei als bestes Beispiel die Gruppe Cluster. Dieses aus Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius bestehende Duo war ein Grenzgänger nicht nur zwischen der Berliner und der (im folgenden zu beschreibenden) Düsseldorfer Schule, sondern auch zwischen der U- und der E-Musikwelt. Was bei jeder anderen Gruppe nur lächerlich wirkte, nämlich die Bezugnahme auf die zeitgenössische E-Musik, war Cluster eigentliches Charakteristikum, und zwar wahrscheinlich gerade deshalb, weil es die beiden Musiker gar nicht für sich in Anspruch nahmen – zumindestens nicht nach außen hin. Aber die Süddeutsche Zeitung hat  durchaus richtig gelegen, als sie 1971 schrieb, die Musik von Cluster sei deshalb so wichtig, ….’weil sie das, was man sonst als total unkommunikatives Experiment aus der elektronischen E-Musik kennt, mit dem musikalischen Geist der Popmusik beseelt, ohne wiederum die Methoden der Popmusik einfach zu übernehmen. Die stille Selbstverständlichkeit, mit der die sinnlichen Erfahrungen mit Popmusik plötzlich in eine neue Musikform einmünden, ist ein Prozeß, der einmal mehr beweist, daß die relevanten Impulse für eine neue Musik nicht von den Akademien und der kaum mehr verständlichen Musica-Viva-Experimentiererei ausgehen.'“ (zitiert nach Ebner und Kinzner 1984)

Überhaupt: Haben die Titel der Stücke auf „Qua“ eine Bedeutung?

Sie weisen eigentlich ’nur‘ darauf hin, dass sich jeder Hörer seinen eigenen Reim auf den ‚Sinn‘ einer Musik machen sollte.

Krautrock war niemals wirklich weg, aber in letzter Zeit häufen sich die Veröffentlichungen, die nah oder entfernt etwas damit zu tun haben, doch merklich, siehe Compilations wie „Krautrock Masters & Echoes“ oder auch die gesammelten Remixes von Ulrich Schnauss (auf der sich auch ein Remix von „Lunz“ befindet). Woran meinst du liegt das? Und siehst du dich überhaupt als Vertreter oder Vorläufer des Krautrock?

Die sogenannten 68er bedeuteten eine Zeitenwende, die Loslösung von alten Paradigmen, den Aufbruch zu neuen – ein Hinwenden zu einem bis dahin Unerprobten bzw. einem auch Längstvergessenen, die große Hoffnung auf die Rückkehr des Wahrhaftigen, und so entstanden viele Werke von großer Intensität und Schönheit in allen Bereichen der Kunst, deren Wirkung bis heute nicht nachgelassen hat, was sich ja vor allem durch die unzähligen Wiederveröffentlichungen auf dem Sektor Musik belegen lässt. Dass wir (Kluster/Cluster/Moebius & Roedelius) unter dem Label Krautrock rezipiert werden, daran tragen jene Journalisten schuld, die sich mit zeitgenös-sischer Musik nur oberflächlich auseinandersetzen (und das machen leider sehr viele). Nur ist es eigentlich egal, denn die Musik gibt etwas und macht einerseits mit den Hörern, was diese von ihr erwarten, und andererseits trägt sie zur Ausfaltung des Horchvermögens bei, bildet durch das Gehörte weiter, erweitert den Horchhorizont, sorgt für die eigene Feinstimmung, und damit auch für das Verständnis für immer komplexere Zusammenhänge nicht klanglicher Art. Die momentane Wiederveröffentlichungswelle erreicht ein Publikum, das sich bisher kaum für unsere Musik interessiert hat. Endlich wird auf breiterer Ebene wahrgenommen, was wir getan haben und weiterhin tun, mit welchem Verständnis wir an die Ausübung unseres Berufes (um nicht zu sagen unserer Berufung) herangehen, dass sich alles bei uns wirklich nur um die Freude am Machen dreht und nicht ums Schielen auf Talerchen.

Der Erklärungszug ist zwar abgefahren, man kann wohl kaum etwas ändern daran, dass man uns zu den Krautrockern zählt, aber da uns jetzt die Zeit zu Hilfe kommt, ist das eigentlich völlig wurscht.

Zu Harmonia, vor allem zu “De Luxe“ passte dieses Label aber sehr wohl.

Wir (Cluster und Moebius und ich als Solisten) haben der Popmusik mit unserem Pioniergeist viel Innovation geschenkt und manch einen ihrer Protagonisten mit unserer Spielfreude angesteckt, und das gelingt uns immer wieder, weil wir großen Spaß an dem haben, was wir tun, weil wir das Glück haben, uns selber immer wieder neu erfinden zu können. Wir haben unser Schärflein dazu beigetragen, dass sich die populäre, elektronische Musik zu jener Komplexität hinentwickeln konnte, mit der sie heutzutage in so manchen Entwürfen daherschallt. Ich bin sehr neugierig darauf, wie es mit uns (und der zeitgenössischen Musik) weitergeht.

Kann elektronische Musik in Zeiten wie diesen auch noch ein politisches Statement sein? Und wie lässt sich das verwirklichen?

Unsere Musik/Kunst ist sicher politisch in dem Sinne, dass sie von Beginn unserer Karriere an authentisch war und bis heute geblieben ist. Wir konnten uns treu bleiben, mussten uns nicht, wie manche unserer Zeitgenossen, mit Auftragsarbeiten über Wasser halten bzw. haben unser Privileg, künstlerisch das machen zu können, was uns heilig ist, von Anfang an und bis jetzt rigoros in Anspruch genommen. Wem ist das schon (noch) erlaubt und möglich, vor allem jetzt in den Zeiten eines rasanten Werteverfalls auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens, wo Quoten und Rankings bestimmen, wo es langzugehen hat.

Musik, Schreiberei, Familie: Alles gehört zusammen

Einer unserer Mitarbeiter warf neulich die Frage auf, wie eine Welt aussähe, in der Cluster im Radio gespielt würden und in den Charts auftauchten. Wie sähe diese utopische Welt deiner Meinung nach aus?

Von Menschen mit Herz und Verstand bewohnt. Aber wenn es wirklich einmal soweit sein sollte, macht sich sicher jeder seine Kunst selber, wird alles zu Kunst, was Menschen machen, was lebendig ist, ob wir dann noch Radio brauchen, ist fraglich.

Du lebst heute in Österreich. Ist das Arbeiten dort irgendwie anders, als es damals, zu deinen Anfängen, in Berlin war? Mir scheint, die Befruchtung zwischen Wien und Berlin funktioniert in der Musikszene ganz gut …

In Berlin war ich um die 30, hier bin ich mit etwa 50 und einem Riesenhaufen von Erfahrungen gelandet, und was zwischen Wien und Berlin gut funktioniert oder nicht, darüber bin ich nicht informiert. Ich sitze hier in meinem Elfenbeinturm, aber der Wein ist guat und ich sage nur noch dazu: AEIOU (Austria erit in orbe ultima). Diese, Kaiser Friedrich dem III. zugeschriebene, aber auch anders als oben auslegbare Buchstabenwortfolge ist lebendiger Inhalt der geistigen Mitte Österreichs. Ich habe von den Honoratioren meiner Heimatstadt Baden die Kaiser-Friedrich-III.-Medaille für besondere Leistungen auf kulturellem Gebiet verliehen bekommen. Dieser Kaiser hat dafür gesorgt, dass es eine der wichtigsten Institutionen in diesem Land gibt: den Heurigen. Wenn Du uns mal besuchst, nehmen wir Dich zu einem mit, damit Du verstehst, was für ein höchst wichtiger Ort solch ein Heuriger ist. Hier trifft sich das Volk und plaudert miteinander, tauscht Meinungen aus, schmiedet Pläne, singt, trinkt und isst dabei und erholt sich so von Abnutzungserscheinungen durchs tägliche Allerlei.

Du arbeitest nicht nur als Musiker, sondern auch als Dichter (wie ja auch bei „Sustanza di cose sperata“ zu hören). Wie ist da deiner Meinung nach die Gewichtung? Oder siehst du dich mehr als ‚ganzheitlicher‘ Künstler?

Kunst ist im besten Fall (so wie bei mir) identisch mit ihrem Erzeuger, es gibt bei mir nicht so etwas wie hier meine Kunst und dort mein anderes Leben. Meine Musik, meine Schreiberei, meine bildnerischen Arbeiten, meine Familie, meine Freundschaften, meine täglichen Pflichten, das gehört alles zusammen, bei meinen künstlerischen Äußerungen mal mit dem Gewicht mehr da oder dort, je nachdem, was gerade anliegt. Wichtig ist und bleibt der Moment, ob ich manche ‚liebe‘ Gewohnheit als das empfinde, was sie ist, nämlich lästig, und dann damit irgendwie fertig werde, dass ich neue Herausforderungen zu erkennen und darauf einzugehen vermag, kurzum wach bleibe.

Einer deiner Lehrer war Joseph Beuys, der den „erweiterten Kunstbegriff“ prägte. Verfolgst du mit deiner Kunst immer noch den erweiterten Klangbegriff?

Ich verfolge mit größter Aufmerksamkeit, was mit mir geschieht, wenn ich das mache, was ich mache bzw. was mit mir geschieht, wenn ich mich zum Mitwirkenden in Projekten anderer machen lasse. Das ist so spannend, dass keine Zeit fürs Nachdenken darüber bleibt, ob meine Arbeit irgendwas mit Begriffen zu tun hat, von ‚denen die Welt redet‘, ob ich eventuell als Person zu sehr beansprucht werde, wenn es ‚heiß‘ hergeht bei manchen Projekten, ob ich eventuell nicht kapiere, was manchmal passiert, ob überhaupt sinnvoll ist, was ich gerade tue, oder nicht. Ich empfehle Dir/Euch die Lektüre eines Buches von Gisela Dischner: „Wörterbuch des Müßiggängers“, ein großes Werk, ‚eine Bibel‘ für alle Menschen, die sich den Erfordernissen der sogenannten Wirklichkeit nicht (mehr) gewachsen fühlen.

Sanfte Provokation

Was sind deine nächsten Projekte?

Mein Leben leben, wach bleiben, die Augen offen halten, die Ohren spitzen, weitergehen, miterleben wie die Enkel blühen, wachsen und gedeihen, weitermachen mit dem, was ich einst begonnen habe, mich daran erfreuen, dass es Menschen wie Dich gibt, dass mich meine Berufung immer wieder rund um den Globus führt (so mein alter Körper mitmacht und meine Fähigkeit erhalten bleibt, Neues angehen zu können). Ich freue mich auf den nächsten Frühling, der sich jetzt schon mit dem leisen Piepen von Vögeln, die sich selbst bei dieser Kälte bemerkbar machen, ankündigt.

Ich habe sehr selten von etwas geträumt, dass ich gerne tun würde, es ist mir alles immer zur rechten Zeit geschenkt worden oder hat sich aufgrund intensiver Beschäftigung einfach so ergeben, und insofern lebe ich eigentlich ununterbrochen in (m)einem Traum, kann in und mit meiner Kunst weitergeben, was für mich selbst wichtig ist, was etwa (durch unzählige Hörerzuschriften an mich belegt) als heilsam empfunden wird, aber auch manchmal als sanfte Provokation, als Stimulanz für die Arbeit anderer, als Hinweis auf eine eventuell nötige Umkehr, für ein Umdenken in eigener Sache bei manchen der ‚Konsumenten‘ meiner Kunst.

Ist der Einsatz deiner Stimme und deines Gesangs in „Strecciatu II“ ein neuer Ansatz in deinem Schaffen? Wird man in Zukunft mehr davon hören können?

Meine erste Lieder-CD ist 2000 beim Thomas Sessler-Theaterverlag Wien/München erschienen, die zweite und dritte in den Jahren darauf im Eigenverlag. Ich würde sehr gerne mit meinem Liederrepertoire auf Tour gehen, das ist aber nicht so einfach, weil derlei Textmaterial nur von einem ganz speziellen Publikum angenommen wird, und das müssen sich diese Texte erst mal selber suchen, das heißt, ich muss noch warten, bis sich herumgesprochen hat, dass es außer meiner Musik auch noch anderes von mir gibt, z. B. die Texterei, aber auch meine großen Projekte, wie zum Beispiel das Symposion/Festival „More Ohr Less“ in Lunz am See, einem einmaligen Ort der Begegnung in den niederösterreichichen Alpen inmitten einer unberührten Hochgebirgsseenlandschaft, nahe einem der letzten Urwälder Europas.

Tina Manske

Cluster: Qua. Klangbad (Vertrieb: Broken Silence).
Celletti/Roedelius: Sustanza di cose sperata. Transparency.

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