Geschrieben am 1. März 2021 von für Crimemag, CrimeMag März 2021

Constanze Matthes: Attica Locke „Heaven, My Home“

Atmosphärisch und bildhaft

Nie waren die USA so gespalten wie in den vier Jahren, als Donald Trump Präsident des Landes war. Der tiefe Riss durch die Bevölkerung, die Unruhen und die gewalttätigen Konflikte zwischen Weißen und Schwarzen sowie die Diskriminierung Andersfarbiger haben zuletzt immer wieder die Nachrichten und politischen Diskussionen, zuletzt sogar die Vereidigung des aktuellen Präsidenten Joe Biden bestimmt. Der meisterhafte Roman „Heaven, My Home“ der preisgekrönten Schriftstellerin und Drehbuchautorin Attica Locke führt in die Tage, kurz nachdem Trump die Wahl gewonnen hat.

Nach „Bluebird, Bluebird“ gibt es in dem bereits fünften Roman Lockes zugleich eine Wiederbegegnung mit dem afroamerikanischen Texas Ranger Darren Mathews, der von seinem Chef Wilson nach Marion County entsendet wird. In dem kleinen Ort Hopetown am Ufer des Caddo-Sees, unweit der einst glanzvollen osttexanischen Stadt Jefferson gelegen, ist der neunjährige Levi King plötzlich spurlos verschwunden, nachdem er mit dem Boot seines Großvaters auf das Wasser gefahren ist. Mit seiner Mutter, dessen neuen Partner Gil und seiner Schwester Dana lebt der Junge in einem heruntergekommenen Trailer-Park. Sein Vater Bill zählt zu den führenden Köpfen der Arischen Bruderschaft und verbringt nach einer Verurteilung seine Tage im Gefängnis. Darren soll weitere Beweise gegen Bill und die Bruderschaft, die auch in Drogenhandel und illegale Waffengeschäfte verwickelt ist, für einen kommenden Prozess sammeln, noch bevor die Trump-Regierung in Amt und Würden ist. 

In Marion County trifft er auf Polizisten, darunter auch seinen Freund Greg, einen FBI-Agenten, die allzu schnell das Verschwinden des Jungen mit einem Mord in Verbindung bringen wollen. In Verdacht gerät Leroy Page, ein Farbiger. Er besitzt einen Großteil des Landes, auf dem sich die Rassisten um Gil mit ihren Trailern breit gemacht haben. Page pflegt eine Freundschaft zu seinen indigenen Nachbarn vom Caddo-Stamm. Eine enge Beziehung, die weit in die Vergangenheit reicht und eng verknüpft ist mit dem weitläufigen und nicht ganz ungefährlichen See. Mathews lernt zudem Rosemary King, die vermögende Großmutter Levis, kennen, die in einem Herrenhaus residiert und wie viele andere Einwohner auch gegenüber dem Texas Ranger keinen Hehl aus ihrem Hass auf Afroamerikaner macht und in dubiose Immobilien-Geschäfte verwickelt ist, mit denen die Region wieder zu alter Blüte geführt werden soll. 

Mit Darren hat Locke eine sehr vielschichtige Figur entworfen, die vor allem von ihrer Vergangenheit gezeichnet ist. Nachdem sein Vater in Vietnam gefallen war, stand er unter dem Einfluss seiner beiden Onkel Clayton und William, der eine Jurist, der andere Texas Ranger, in dessen Spuren Darren letztlich wandelt. Zu seiner Mutter, mit der er in ein Verbrechen verwickelt ist, hat er ein schwieriges Verhältnis, das ihn sehr belastet. Darüber hinaus ist seine Ehe mit Lisa angespannt.

Locke beschreibt atmosphärisch und bildhaft die Schauplätze, eine Region im Süden Texas, die landschaftlich vom Caddo-See, politisch wie gesellschaftlich noch immer von der Vergangenheit – Texas zählte im Bürgerkrieg zu den Konföderierten – beeinflusst wird. Der Leser lernt viel über die Geschichte dieser Gegend, in der ganze Generationen noch immer geprägt sind von Vorurteilen und Hass, in der nach dem Sieg Trumps die Stimmung zunehmend aufgeheizt ist. In ihrer Danksagung lässt die Autorin wissen, dass ihre Wurzeln in Osttexas liegen und ihre eigene Familienhistorie in ihren Roman eingeflossen ist. Diese enge vertraute Beziehung zu dieser Region ist ihrem Buch deutlich anzumerken. 

„Heaven, My Home“ beweist vor allem, dass ein großartiger weil auch spannender Kriminalroman nicht blutig sein muss, sondern vielmehr klug konstruiert ist und über ein stimmiges Figuren-Ensemble verfügt. Darüber hinaus überzeugt dieser vor allem politische Roman auch sprachlich. Locke gelingen eindrucksvolle Beschreibungen der Landschaften, der Szenen und des Innenlebens des Helden sowie lebendige, pointierte Dialoge. Die US-Amerikanerin erhielt für ihren vierten Roman „Bluebird, Bluebird“ den renommierten Edgar Alan Poe Award, den Ian Fleming Steel Dagger sowie den Anthony Award. Zahlreiche Medien, darunter die New York Times, die Washington Post und die Financial Times, kürten ihr Buch nach dessen Erscheinen zu einem der besten.

Der Titel von „Heaven, My Home“ verweist auf den Gospelsong „I make heaven my home, I shall not be moved“, der zum ersten Mal 1929 von den beiden Blues-Musikern Blind Roosevelt Graves und Charles Patton aufgenommen, später von Mississippi John Hurt interpretiert wurde. Die Musik spielt eine nicht unerhebliche Rolle in diesem Roman, mit dem sich Blues-Fans eine interessante Playlist zusammenstellen können. Überaus wünschenswert wäre es, wenn Lockes frühere Werke, so auch ihr Debüt „Black Water Rising“ (2009), nach und nach in deutscher Übersetzung erscheinen würden.

Constanze Matthes – ihre Texte bei uns hier. Ihr Blog „Zeichen & Zeiten“. 

Attica Locke: Heaven, My Home (2019). Aus dem Englischen von Susanna Mende. Polar Verlag, Stuttgart 2020. 322 Seiten, 22 Euro.

Sonja Hartl über „Bluebird Bluebird“
Marcus Müntefering bei uns: Seven questions for Attica Locke