Geschrieben am 7. Februar 2009 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Zoran Drvenkar im Gespräch

„Was du auch tust, hol dir was vom Leben, denn dafür ist es da“

Zoran Drvenkar, geboren 1966 im ehemaligen Jugoslawien, aufgewachsen in Berlin, ist vor allem als Kinder- und Jugendbuchautor bekannt. Mit Du bist zu schnell (2003) hat Drvenkar zwar schon einmal einen Thriller geschrieben und dafür gute Kritiken bekommen, aber der ganz große Erfolg blieb aus. Doch das wird sich in diesem Jahr ändern: Sorry, Zoran Drvenkars neuer – brillanter – Thriller, ist ein Buch des Jahres. Ulrich Noller hat mit Zoran Drvenkar gesprochen.

Ulrich Noller: Sorry, aber: Wie kommt man eigentlich auf so eine Geschichte?

Zoran Drvenkar
: Man träumt davon. Der Traum war recht simpel. Ich war einer von vier Freunden, die sich auf der Straße trafen. Ich habe von meiner Idee erzählt, eine Agentur zu gründen, die sich für gute Bezahlung bei anderen Leuten entschuldigt. Als ich aus dem Traum erwachte, war ich so müde, dass es mir nicht einmal gelang, das Licht anzuschalten. Ich habe mir vom Nachttisch einen Stift gegriffen und den Namen der Agentur im Dunkeln auf meine Handfläche gekritzelt. Manchmal reicht ein Wort, um sich an einen Traum zu erinnern; manchmal wird ein Buch daraus.

U. Noller
: Vier Berliner um die 30, die eine Agentur für Entschuldigungen betreiben, werden von einem Killer beschäftigt – und bedroht. Was interessiert Dich eigentlich ausgerechnet an diesen Personen, diesen Anfangsdreißigern?

Z. Drvenkar
: Freunde von mir gehören zu diesem Alterskreis. Ich bekomme ihr Leben mit, ihre Erwartungen und ganz besonders ihre Verzweiflung, sich in unserer Zeit zu behaupten. Sie springen von einem Job zum anderen und machen für laues Geld ein idiotisches Praktikum nach dem anderen, sind überqualifiziert und bekommen wenig Geld für Arbeit, die mehr wert ist, aber der Markt diktiert sie und sie lassen sich diktieren. Ich mag ihre Erwartungen und Hoffnungen, auch ihr Versagen berührt mich, und all das floss in den Roman hinein.

U. Noller
: Woher rührt die eigentliche Bedrohung für sie: vom Killer – oder von der Unabsehbarkeit der eigenen Perspektiven?

Z. Drvenkar
: Ihre eigentliche Bedrohung ist ihre eigene Unsicherheit, das Misstrauen untereinander und die glorreiche Frage: Was, zum Teufel, tue ich denn jetzt? Entscheidungen und die dazugehörenden Konsequenzen schließen sich wie eine Schlinge. Und dann ist da natürlich jemand, der möchte, dass sie sich für ihn entschuldigen.

U. Noller
: Hast Du mit dem Buch eine bestimmte Zielgruppe im Sinn? Für wen ist es geschrieben?

Z. Drvenkar
: Ich hasse Zielgruppengeschreibe. Ich schreibe und schwitze und ackere für meine Charaktere, weil sie mich beschäftigen, weil sie ein Eigenleben führen und für mich echt sind wie du und ich. Mir geht es um die Geschichte, um das Beobachten der Umstände, auch wenn ich immer weiß, dass ich eingreifen und verändern kann. Ein Schriftsteller muss im Gefühl haben, wie weit lasse ich meinen Charakteren freien Lauf und wann ziehe ich die Grenze. Ich hasse Grenzen, was man an dieser Geschichte besonders gut erkennen kann. Und ich kann manchmal schrecklich undiszipliniert sein.

U. Noller
: Du bist sehr bekannt als Kinder- und Jugendbuchautor. Explizit an Erwachsene richteten sich bislang nur Deine bei Klett erschienenen Romane Du bist zu schnel und Yugoslavian Gigolo. Jetzt hast Du den Verlag gewechselt, Sorry erscheint bei Ullstein. Und der Verlag hegt, so scheint es, große Erwartungen. Aufgeregt?

Z. Drvenkar
: Schlaflos aufgeregt und unglaublich ruhig und dann immer wieder hysterisch und wieder fröhlich, plötzlich panisch, dann wieder still und grinsend, aber hauptsächlich ahnungslos, was passieren wird.

U. Noller
: Apropos Yugoslavian Gigolo … Du bist als Dreijähriger aus Kroatien nach Berlin gekommen, dort im Migrantenmilieu aufgewachsen. Welche Rolle spielt das für Dein Schreiben?

Z. Drvenkar
: Eigentlich keine. Und das eigentlich, weil ich Bücher geschrieben habe, die etwas damit zu tun haben. Sie handeln von meiner Kindheit/Jugend. Aber ich hätte auch aus Paraguay kommen können, das hat eigentlich nicht wirklich etwas mit dem Schreiben zu tun. Es ist ein wenig so, als ob ich mit bestimmten Buntstiften male, weil ich von da und da komme. Mit der Herkunft ändert sich das Repertoire der Farben. Ich bin da, wo ich bin – und das ist meine Herkunft.

Gegen den Tod anschreiben

U. Noller: Du hast niemals eine Ausbildung abgeschlossen, weil Du immer nur eines wolltest: Schreiben. Woher hast Du den Mut genommen, das so umzusetzen?

Z. Drvenkar
: Ich habe keine Idee. Hauptsächlich war es reine Naivität, die mich durch das Leben trudeln ließ. Ich wusste nie, was ich erreichen wollte. Schreiben stand auf meinem Plan, aber der Gedanke Schriftsteller zu werden, der kam mir erst nach dem ersten Stipendium, als da Schwarz auf Weiß stand, dass ich ein Schriftstellerstipendium bekommen hatte und voilà ich war Schriftsteller. Ich wusste wirklich nicht viel, nur dass ich etwas vom Leben wollte, das wanderte wie ein Buschfeuer durch meinen Kopf. Bücher hatten mich das gelehrt. Was du auch tust, hol dir was vom Leben, denn dafür ist es da. Ich hatte (und habe) die Zuversicht, egal, was ich tue, egal, worauf ich mich einlasse, egal, wohin ich gehe und wem ich begegne, es wird richtig sein. Auch all der Mist, die Pleiten und Fehler gehören dazu. Ohne geht es nicht. Und dann ist da natürlich noch mein Kumpel Gregor gewesen, aber das ist eine ellenlange andere Geschichte.

U. Noller
: Du lebst in einer alten Mühle unweit von Berlin. Draußen: Dorfatmosphäre. Drinnen: Tausende DVDs, CDs und Bücher. Was inspiriert Dich mehr: Das Draußen oder das Drinnen? Oder das Draußen im Drinnen?

Z. Drvenkar
: Das Draußen – also nicht die Dorfatmosphäre, eher die Welt allgemein – ist unerlässlich für das Schreiben, es ist der Sauerstoff, ohne den sich nichts mehr bewegen würde. Das Drinnen – Musik, Filme, Bücher – ist das Futter, das mein Schreiben am Brennen hält. Innen versammeln sich alle Gedanken und werden zum Zoran, außen kommt alles auf mich zu und ich mach es zum Zoran. Und jetzt fehlt nur noch, dass ich einen esoterischen Ratgeber schreibe … (grinst)

U. Noller
: Das Schreiben hat für Dich nicht zuletzt auch mit dem Tod zu tun. Beziehungsweise mit der Vertreibung des Todes. Inwiefern?

Z. Drvenkar
: Da kommen eine Handvoll Geschichten zusammen. Die wichtigste ist mein sehr guter, toter Freund Sebastian, der vor über achtzehn Jahren ertrunken ist und dessen Tod mein Schreiben und Denken in eine andere Richtung gelenkt hat. Da war Fassungslosigkeit, da war Wut und ganz besonders der Wunsch, das Geschehene ungeschehen zu machen. Und so begann ich gegen den Tod anzuschreiben.

Genre switching

U. Noller: So gesehen ist die Form des Thrillers eigentlich eine gewagte, oder? Was interessiert Dich am Thriller?

Z. Drvenkar
: Ich mag es, die Spannung hochzutreiben. Ich mach es, wenn die Ausweglosigkeit grinsend vor mir steht und ich zeige ihr den Ausgang. Und manchmal versage ich. Und manchmal kann ich meine Charaktere einfach nicht retten, was ich auch tue, es klappt nicht. Die Form des Thrillers ist wie die Form eines guten Horrorromans. Du jagst den Puls hoch, du bringst die Welt zum kippen und hoffst, dass es alle überleben.

U. Noller
: Womit hat Sorry eher zu tun: Mit dem Film „Knallhart“, für den Du, zusammen mit Deinem Kumpel Gregor Tessnow das Drehbuch nach seinem Roman geschrieben hast? Oder mit Geschichten wie Die Kurzhosengang, die Du unter dem Pseudonym Victor Caspak & Yves Lanois geschrieben hast?

Z. Drvenkar
: Sorry hat nichts mit „Knallhart“ zu tun, so wenig wie mit der Kurzhosengang. Das ist so, als würden wir über die asiatische Küche reden und dabei die ganze Zeit in einem dänischen Kochbuch blättern. Der große Spaß am Schreiben ist für mich der Wechsel der Genres. „Knallhart“ ist ein eigenes Genre und auch nicht mein echtes Baby, sondern das von Gregor, da habe ich nur beim Schreiben des Drehbuchs geholfen. Und Die Kurzhosengang ist eine Welt für sich, und so weit weg wie Dänemark von Japan.

U. Noller
: Welche Rolle spielt die Form, wenn Du schreibst? Insbesondere im Genrebereich ist das ja nicht ganz unerheblich.

Z. Drvenkar
: Die Form entscheidet die Geschichte, sie wird von den Charakteren vorgegeben und ich bin der Typ, der sich oft die Haare rauft, weil er den richtigen Ton sucht und keine Ahnung hat, was seine Charaktere eigentlich wirklich wollen. Auch das ist eine Kunst für sich. Die Balance zwischen den handelnden Personen zu halten, damit keiner neidisch wird auf den anderen. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich schon Perspektiven umschreiben musste, um mich den Wurzeln der Geschichte zu nähern. Es hat aber nichts mit dem Genre zu tun, das ist auch nur wieder eine Schublade, die klemmt und klemmt.

U. Noller
: Eingewoben in Deine wirklich packende Thrillerhandlung erzählst Du von sexuellem Missbrauch – aus Opferperspektive. Und zwar ziemlich heftig – wie auch auf ganz besondere, ungewohnte Weise. Warum diese Geschichte? Hattest Du nicht die Befürchtung, in typische Missbrauchs-Krimi-Erzählweisen zu geraten?

Z. Drvenkar
: Es gibt auf der Welt viele Grausamkeiten, die wir versuchen zu ändern, aber nicht ganz und gar ändern können. Und es gibt Grausamkeiten, die wir verändern müssen, sonst sind wir es nicht Wert, einander als Menschen zu bezeichnen. Der Missbrauch von Kindern ist kein Thema für ein Buch, er ist kein Diskussionsabend oder dieses kleine Etwas, von dem wir in der Zeitung lesen. Der Missbauch von Kindern ist die Krone der Grausamkeit und schon wenn ich darüber nachdenke, könnte ich das kalte Kotzen kriegen, was alles hinter verschlossenen Türen vorgeht, Tag für Tag, wie viele kranke Menschen unermüdlich Seelen zerstören. Lass mich damit bloß nicht anfangen.
Als ich mit Sorry anfing, wusste ich nicht, wohin die Geschichte mich führt. Sie hat ihren eigenen, dunklen Abzweig genommen und irgendwann stand ich in einer finsteren Landschaft und hatte keine Idee, wie ich da hingekommen war. Deswegen hat es auch zwei Jahre gedauert, bevor das Buch fertig war. Es hat mir eine Höllenangst gemacht. Ich weiß nicht wirklich, warum gerade diese Geschichte. Ich werde es in einem Jahr begreifen, wenn ich ein wenig Abstand habe. Ich weiß nur, dass es viel mit Wut und Verzweiflung zu tun hat. Mehr weiß ich nicht.

U. Noller
: Auch hier wabert und zischt und flirrt die Angst. Deine eigene Angst?

Z. Drvenkar
: Es ist im Vordergrund die Angst um andere, und dann natürlich die Angst vor der eigenen Unfähigkeit, Leiden zu verhindern. Mir hat das Buch eine Heidenangst eingejagt, so dass ich mich vor der Geschichte drückte und nebenbei drei Kinderbücher schrieb. Als ich mich dann zusammenriss, begann der Winter 2007 und mit ihm eine dunkle Zeit, auch für meine Mitmenschen, denn ich hörte auf mich zu rasieren, sah aus wie ein Waldschrat und erblickte kaum noch Tageslicht, weil ich bis acht Uhr morgens ackerte, ins Bett fiel und gegen fünf Uhr Nachmittags im Dunkeln wieder wach wurde. Der gebliebene Restbart ist ein Tribut an diese Zeit und das Buch. Wir Schriftsteller zahlen am Ende immer drauf, damit die Ängste uns für eine Weile in Ruhe lassen.

U. Noller
: Sorry – war das die Geburt des Kriminalschriftstellers Zoran Drvenkar?


Z. Drvenkar
: Sorry ist kein wirklicher Krimi. Ich habe keine Schimmer, was es ist. Ich bin auch zu alt, um noch einmal geboren zu werden. Ich schreibe, was ich immer schon schreibe. Geschichten. Mehr ist es nicht.


U. Noller
: Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: © Corinna Bernburg

Ulrich Noller

Zoran Drvenkar: Sorry. Roman.
Berlin: Ullstein 2009. 400 Seiten. 19,90 Euro.

| Dieses Interview ist ein Vorabdruck aus dem Krimijahrbuch 2009