Geschrieben am 2. Dezember 2016 von für Bücher, Litmag

Serhij Zhadan: Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte und Prosa aus dem Krieg

zhadan_netzNachrichten von der Front

„Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Musen“. Das ist eines jener Worte, knapp und klug, die uns die römische Antike hinterlassen hat. Zum Glück hat sich Serhij Zhadan, der ukrainische Autor aus Nürnbergs Partnerstadt Charkiw, mit seinem aktuellen Buch nicht daran gehalten. Zum ersten Mal spricht er literarisch über den Krieg in seiner Heimat, in „Gedichten und Prosa aus dem Krieg“, wie der Untertitel seines gerade herausgekommenen neuen Buches „Warum ich nicht im Netz bin“ lautet. Von Michael Zeller.

Das schmale Buch ist eigens für einen deutschen Leser zusammengestellt aus veröffentlichten und unveröffentlichten Texten. Zwei der drei Gedichtzyklen sind bereits in der Ukraine als eigene Bändchen erschienen (diesmal nicht auf Russisch!). Zhadan hat sich auch in Deutschland mit seinen in kurzen Abständen veröffentlichten Romanen eine beachtlich umfangreiche Leserschaft erarbeitet. Außerdem ist er in allen großen Medien präsent, national wie international, wenn es um den Krieg in seinem Land geht. Er stammt aus der Donbass-Region, in der Separatisten den Zentralstaat Ukraine verlassen haben. Ständig ist er dort unterwegs, mit Lesungen an der Front vor den loyalen Soldaten, oder mit seiner Ska-Band „Hunde im Weltall“. Blutjunge Burschen, Freiwillige oft, hören ihm und ihnen zu, Waffen in ihren Händen.

In dem aktuellen Buch zeigt Zhadan das Ergebnis seiner Versuche, den Erfahrungen aus diesem Krieg literarisch Form zu geben. Fast alle diese Texte, ob Gedicht oder Tagebuchnotiz, sind nicht am Schreibtisch entstanden, sondern unterwegs, das heißt im Kriegsgebiet. Oft sind es bloß flüchtige Notate, mehr oder weniger rhythmisiert, um den Augenblick am Schopf zu fassen zu kriegen, ehe er sich in den nächsten verflüchtigt. Ja, etwas Flüchtiges haftet diesen Versen an, etwas Gehetztes. Als könne jedes Wort ein letztes sein. Da bleibt keine Zeit zum Ausschmücken und Feilen.

„Igor, der Kaplan, dreißig“, erscheint an der Front. „Die Kippen landen im feuchten Gras – / Kreuzkettchen, Heiligenbildchen, Schmieröl unter den Nägeln, / sie schalten die Telefone ab / und gehen zur Beichte“. Oder Anton, der Tätowierer, aus Charkiw. Früh am Morgen wird er an einer Straßensperre aufgefunden, erschossen, „irgendwie aus Versehen – / keiner begriff, was passiert war“. An diesen Worten haftet ein „metallischer Nachgeschmack“. Der Krieg bringt seine eigene Kargheit hervor, die Sprache verknappt sich.

Zum großen Teil bestehen Zhadans Gedichte aus diesen grob skizzierten Schicksalen einzelner Personen. Ob in ihrem normalen Alltag oder davon weggerissen: In jeden Winkel ihres Lebens dringt der Krieg ein und geht doch nach und nach in Gewohnheit über. „Der Tod ist so ziemlich das Einzige, woran man sich nicht gewöhnt – egal, wie oft man ihn beobachtet, wie oft man ihn sieht, wie erwartet seine tagtägliche Gegenwart ist.“

Im letzten Drittel schreibt der Autor sein „Luhansker Tagebuch“ fort, bis in den Spätsommer 2015. Hier nimmt er sich die Zeit, aus dem fordernd andrängenden Geschehen herauszutreten und Abstand zu gewinnen. „Der Krieg ändert die Menschen. Manche zerbrechen, manche wachsen. Betroffen sind alle. Auch wenn es Leute gibt, die den Krieg demonstrativ ignorieren. Zu behaupten, man hätte keine Position, ist auch eine Position, sogar eine ziemlich aufschlussreiche.“

Zhadans Art, sich durchweg mit politischen Urteilen und Wertungen zurückzuhalten, gefällt mir sehr. Zumal wenn man bedenkt, dass er mit zweiundvierzig Jahren noch ein junger Autor ist. Obwohl die Loyalität zu seinem Staat Ukraine als Standpunkt klar und deutlich wird, finde ich nirgendwo ein abschätziges Wort über die politischen und militärischen Gegner. Und dabei sind diese Auseinandersetzung hier eine Frage auf Leben und Tod. Er wahrt, bei allem eigenen Engagement, den nötigen Abstand zu den Dingen, den ein Schriftsteller braucht, wenn er ihnen – und seinem eigenen Tun – gerecht werden will. Was übrigens nicht nur für die Ukraine gilt …

Michael Zeller

Serhij Zhadan: Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte und Prosa aus dem Krieg. Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe und Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. Edition Suhrkamp. 172 Seiten. 16,00 Euro

Tags :