Geschrieben am 6. September 2015 von für Bücher, Crimemag, Porträts / Interviews

Frank Nowatzki über Seamus Smyth: Spielarten der Rache

seamus_pulp38Düster, rabenschwarz und irisch
Frank Nowatzki über Seamus Smyth „Spielarten der Rache“

 Er hat eine feine Nase, ist ein Kerl von echtem Schrot und Korn und der Spezialist für hoffnungslose Fälle, jede Veröffentlichung aber muss er sich genau überlegen, denn als echter Independent hat er eben leider zu wenig Geld – hey, ihr Mäzene! Frank Nowatzki aus Berlin und sein Verlag Pulp Master ist eine erste Adresse, wenn es um avancierte Kriminalliteratur und ihre Grenzüberschreiter, um Originalität und Unikate geht. Bereits 1997 erschien dort der erste Band der nun erst vollständig auf Deutsch vorliegenden „Drive-In“-Trilogie von Joe R. Lansdale. (Siehe dazu auch in dieser CM-Ausgabe den Text von Dietmar Dath.) Die „Götterdämmerung in El Paso“ von Rick Demarinis erfuhr bei Pulp Master 2012 die weltweit erste Veröffentlichung, jetzt erst hat sich in den USA ein Verlag gefunden, der dies Werk als „El Paso Twilight“, herausbringen wird: Bangtail Press aus Bozeman/ Montana.
Auch mit „Spielarten der Rache“ des irischen Autors Seamus Smyth verhält es sich nun so: Seit 2010 kein englischer Verlag in Sicht, aber Aufführung jetzt bei Frank Nowatzki. Hier nun erzählt der Pulpmaster uns, warum er dieses Buch herausbringt, wie er diesen 1952 in Belfast geborenen, in seiner Radikalität mit Derek Raymond verwandten Autor gefunden hat und was in „Spielarten der Rache“ dasThema ist. Nur so viel vorab: düster, rabenschwarz und irisch. Ab hier nun Frank Nowatzki:

„You’re a ghost but I don’t care!”

seamus_pulp31(Kitty Ricketts“ von den The Radiators from Space, Irland 1979)
Im Vorfeld einer dieser jährlich stattfindenden Frankfurter Buchmessen kontaktierte mich eine Literaturagentin aus Dublin, denn sie habe gehört, ich sei der Mann für die hoffnungslosen Fälle. Teils geschmeichelt, teils amüsiert, so wie man sich als Hoffnungsloser fühlt, wenn man von anderen Hoffnungslosen als Erretter auserkoren wird, traf ich mich mit Svetlana im Agenten Center der Buchmesse. Als ich ihre Mappe durchblätterte, erwähnte ich beiläufig, dass unsere Pipeline für die nächsten zwei Jahre bereits mehr als gut gefüllt und sowohl unser Budget ausgeschöpft sei als auch unsere Kapazität.
Die vorderen Titel in ihrer Mappe hatte Svetlana bereits an die üblichen Verdächtigen verkauft, doch weiter hinten fand sich ein interessanter Amerikaner namens Craig McDonald und dann, ganz weit hinten, stieß ich – plötzlich hellwach – auf Seamus Smyth. Während mir Svetlana von Seamus Smyth vorschwärmte, ihn aber fairerweise als quasi unverkäuflich einstufte, lief bei mir plötzlich ein ganz anderer Film ab. Ich hatte Bilder von meinem Motorradtrip 1985 vor Augen, als ich mit meinem Kumpel Roger quer durch Irland cruiste, in verfallenen Cottages übernachtete oder auf Wiesen irgendwelcher Farmer zeltete, die uns abends mit selbst gebranntem Moonshine-Whiskey versorgten. Es gab kaum Verkehr, alles wirkte irgendwie hinterwäldlerisch und naturalistisch, überall in den örtlichen Pubs trafen wir auf Studenten, die Lokalrunden mit unzähligen Guinness schmissen, da sie, ihre Abschlüsse in der Tasche, keine Zukunft in Irland sahen und ihr Glück auf den Kontinenten suchten und sich für immer verabschiedeten.

F. Nowatzki Irland 1985

F. Nowatzki Irland 1985

Partikel im Nervenwasser meines Rückenmarks

Einmal eskortierten uns sogar zwei Cops nach der Sperrstunde zurück zum Zelt, damit wir keinen Unfall bauten. Irland, wie es sein sollte. Eindrücke und Stimmung waren überwältigend, bis ich auf der Rückfahrt in den Rückspiegel blickte und Roger plötzlich verschwunden war. Als ich am Straßenrand auf ihn wartete und mir kurze Zeit später ein Krankenwagen mit Blaulicht entgegenkam, wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben bewusst, dass es Momente geben wird, die nicht glücklich vorüberziehen werden.
Dass ich nach über fünfundzwanzig Jahren diese Erinnerungen (nebst dazugehöriger heftiger gemischter Gefühle) an Svetlanas Tisch wie auf Kopfdruck abrufen konnte, war erstaunlich , da ich eigentlich ziemlich vergesslich bin. Vielleicht schwammen die dafür zuständigen Partikel im Nervenwasser meines Rückenmarks, vielleicht hatte ich Irland irgendwie im Blut. Ich fing an, mich intensiver mit Seamus Smyth und seinen Texten zu befassen, obwohl es aus kalkulatorischer Sicht nicht sonderlich sinnvoll erschien, es sei denn, man bevorzugt antizyklisches Verhalten.

Wieder Irland, nach 25 Jahren

Die Zeit heilt Wunden, so sagt man, und angespornt durch die Lektüre von Seamus Smyth nahm ich Ostern 2010 die Gelegenheit wahr, der grünen Insel wieder einen Besuch abzustatten. Meine Frau wollte ihre Schulfreundin in Galway besuchen, die mit ihrer Familie ausgewandert war. Ihr Mann, ein Mathematiker, ist Professor an der dortigen Universität. Ich staunte nicht schlecht, als unsere atheistischen Gastgeber am Sonntagvormittag hektisch zur Kirche aufbrachen und anschließend für Nachbarn, Kollegen und Freunde einen Aftershow-Brunch gaben. Wolle man sich gesellschaftlich nicht ausschließen – vor allem jedoch nicht die Kinder in Schule und Sportverein –, müsse man wohl oder übel mitmischen, so hieß es.
Ich konnte die Wut von Seamus Smyth jetzt nachvollziehen, denn im Grunde war alles beim Alten geblieben, obwohl Irland sich komplett verändert hatte. Auf den schmalen Straßen gab es ständig Staus, die einfachen Cottages hatten sich in protzige, ausladende Landhäuser verwandelt, mit mindestens jeweils drei Fahrzeugen unterm Carport. Die Iren hatten die EU-Millionen aus Brüssel so gut genutzt, dass Irland plötzlich als Celtic Tiger fauchen konnte und vom Armenhaus Europas zu einem der reichsten Länder der Welt aufgestiegen war. Doch das Wirtschaftswunder wurde schnell zum Albtraum einer aus Pump finanzierten Nachfrage und stürzte wie ein Kartenhaus zusammen. Viele Iren waren plötzlich mittellos und verloren buchstäblich alles.

Frank Nowatzki

Frank Nowatzki

nowatzki_Dylan Thomas als Pferd

Dylan Thomas als Pferd (wirklich)

Ich musste unwillkürlich an die bewegende Vita von Seamus Smyth denken und an den Bogen, den er über Krimis zur Pferdezucht spannte, einem riesigen Wirtschaftszweig in Irland. Auch hier ging die Schere immer weiter auseinander, denn im Zuge der Krise konnten viele private Pferdebesitzer und Züchter ihre Galopper nicht mehr versorgen und verkauften sie an Abdecker in Frankreich, wo sie dann bekanntermaßen als Lasagne endeten. Bis auf das mächtige, malerische Coolmore Gestüt, ein im Golden Vale gelegenes globales Imperium, wo man uns netterweise herumführte und wir verfolgen konnten, wie Dylan Thomas (nein, nicht der Dichter, sondern ein sechsmaliger Gruppe 1 Sire) sein riesiges Gemächt in eine eigens dafür angereiste Stute einführen durfte, deren Besitzer eine Deckgebühr von 12.000 Euro berappen musste. Hier rollte der Rubel also noch. Dass sich derartige Investitionen durchaus lohnen, sah ich dann 2013 live in Hoppegarten bei Berlin, als die Dylan-Thomas-Tochter Nymphea in einem Gruppe 1 Rennen die Konkurrenz mit einem Start-Ziel-Sieg gnadenlos in Grund und Boden galoppierte.

Warum es ein verdammt gutes Buch ist

Sie fragen sich jetzt bestimmt, warum ich das alles erzähle. Wenn man sich ein Mindestmaß an Spiritualität in allen Lebensbelangen bewahrt – dazu gehört auch das Verlegen dieses Buches –, wenn man vor allem Originalität und Unikate zu schätzen weiß, statt Zeit und Geld in Me-Too-Kriminalliteratur zu investieren, die von Konzernen generiert wird, um uns palettenweise zu suggerieren, dass wir sie dringend brauchen, obgleich sie nur die große Leere nährt, die uns alle irgendwie umgibt, bevor sie wie zu viel produzierte Lebensmittel steril eingeschweißt wieder entsorgt wird und vergessen auf dem Müll landet, sobald ihr Haltbarkeitsdatum überschritten ist, dann, lieber Leser, kommt man irgendwann zu der Erkenntnis, dass Seamus Smyth‘ „Spielarten der Rache“ ein einzigartiges Buch ist, das es zu entdecken lohnt. Es ist mitnichten ein netter, unterhaltsamer Krimi, den Sie jederzeit entspannt zur Seite legen können, denn er wird auch ihr Nervenwasser mit Partikeln anreichern, an denen Sie noch lange Ihre Freude haben werden. Versprochen. Ob Seamus Smyth sich endgültig vom Krimigeschäft verabschiedet hat und weiter den täglichen Schreibdrang bekämpft, weil es ohnehin sinnlos ist, wird sich noch herausstellen. Aber ich bin sicher, dass die vorliegende Ausgabe ein fettes Grinsen in sein Gesicht zaubern wird, wenn er sie in den Händen hält. Erst dann, liebe Svetlana, sind wir unserem Ruf wirklich gerecht geworden und haben die Mission erfüllt.

Seamus_SmythWer ist dieser Seamus Smyth?

Seamus Smyth wurde 1952 in Belfast als Kind der Falls Road geboren, einem der Hauptschauplätze des nordirischen Bürgerkriegs. Im Alter von fünfzehn machte er sich nach London auf, wo er sich herumtrieb und unter Autobahnbrücken schlief. Er schlug sich als Pferdezüchter, Restaurator und Sattelmacher durch, bevor er sein eigentliches Ziel — das Schreiben — in Angriff nahm. Sein erster Roman „Quinn“ sorgte 1999 bereits für genug Furore, um Übersetzungen ins Französische und Japanische folgen zu lassen.

Als Seamus Smyth 1995 eine Fernsehdokumentation mit dem Titel „States of Fearsah, die einen Missbrauchsskandal ungeheuren Ausmaßes aufdeckte, kam ihm wie vielen anderen Iren die Galle hoch. Im Mittelpunkt: die katholische Kirche und 200 von ihr geleitete Einrichtungen wie Waisenhäuser, Erziehungsheime und Arbeitsschulen. Über Dekaden hinweg wurden dort Tausende Kinder ausgebeutet, misshandelt und sexuell missbraucht. Straftaten, begangen mit System, in Anstalten, geführt von der katholischen Kirche und finanziert mit irischem Steuergeld.

Bei den Opfern handelte es sich um Waisen, außerehelich geborene Kinder und Kinder, die durch strafbare Handlungen oder anderweitig auffällig geworden waren. Sie waren im Durchschnitt acht Jahre alt und beiderlei Geschlechts, wurden als Kindersklaven an Bauern ausgeliehen oder waren in katholischen Betrieben mit der Herstellung von Kruzifixen und anderen Devotionalien befasst, die im Anschluss in alle Welt exportiert wurden. Standen im Falle der Jungen der Orden der Christian Brothers und die beiden größten von ihnen geführten industrial schools in Dublin und Donegal im Zentrum der Vorwürfe, so war es bei den Mädchen der katholische Frauenorden der Sisters of Mercy, der Schwestern der Barmherzigkeit. Während der sexuelle Missbrauch bei den Christian Brothers eine wesentliche Komponente im Missbrauchssystem darstellte, machten sich die Schwestern der Barmherzigkeit „nur“ des körperlicher Missbrauchs schuldig, der Demütigung und Schikane.

nowatzki 6Fakten, die vom Glauben abfallen lassen

Doch die katholische Kirche stand nicht allein am Pranger, sondern mit ihr der irische Staat. Die enge Verflechtung von Kirche und Staat machte es möglich, dass die ungeheuerlichen Geschehnisse jahrzehntelang vertuscht werden konnten. Nicht nur dass kooperationswillige Gerichte die Betroffenen einwiesen, nein, der Staat zahlte für jede Einweisung eine Art Kopfgeldprämie an die entsprechende Einrichtung. Wandten sich die Opfer an Polizei und Behörden, fanden sie in Anbetracht einer als sakrosankt empfundenen Kirche kein Gehör und wurden zurück in die Institution verbracht. Die Doku „States of Fear“, die nicht nur Seamus Smyth vom Glauben abfallen ließ, erzeugte ein Echo, das die Einsetzung einer Kommission erzwang.

Bemerkenswert, dass die Kommission im Zuge ihrer Recherchen im Archiv des Vatikans fündig wurde, was Beweise zu den Vorgängen in Irland betraf. 1999, noch bevor die Kommission im Jahre 2000 ihre Arbeit aufnahm, entschuldigte sich der damalige irische Premier Bertie Ahern im Namen des irischen Staates bei den Opfern. Wesentlich wichtiger jedoch als die Ergebnisse besagter Kommission, deren Abschlussbericht in Abwesenheit der nicht zugelassenen Opfer verlesen wurde, ist nach Ansicht der ebenfalls betroffenen irischen Sängerin Sinhéad O’Connor der 2009er Bericht der Untersuchungskommission um Richterin Yvonne Murphy. Die Opfer selbst hätten zu viele Versprechungen von den Geistlichen gehört, die am Ende doch nicht eingehalten worden seien, sagte O‘Connor 2010 dem „Spiegel“. Auch schnelle Rücktritte seien letzten Endes immer wieder nur „eine Flucht aus der Verantwortung gewesen“. Das Leid der Opfer sei zu groß, um es mit Worten wiedergutzumachen. Der Murphy-Report brachte es auf den Punkt: „Die staatlichen Autoritäten sind nicht ihrer Verantwortung nachgekommen, dafür zu sorgen, dass das Gesetz auf alle Menschen gleichermaßen angewandt wird, und haben den kirchlichen Einrichtungen gestattet, außerhalb der Rechtsprozesse zu stehen. Dadurch leisteten sie der Verheimlichung Vorschub.“

Red Dock: Vom Opfer zum Rächer

Seamus Smyth begann, das brisante Thema literarisch aufzuarbeiten, denn eines machte ihn besonderes wütend: Jeder Ire hatte geahnt, was da vor sich gegangen war, doch als die Sache aufflog, wollte niemand etwas davon gewusst haben. Er begann sich zu fragen, ob ein Kleinkind, das von einem korrupten System in einen derartigen Höllenschlund entsendet und sechzehn Jahre missbraucht und misshandelt wird, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung entwickeln kann, die ein rachsüchtiges Verhalten befördert, wie es sein Protagonist und Antiheld Red Dock im vorliegenden Roman auslebt. Als Red Dock volljährig aus dem Waisenhaus entlassen wird, taucht er in die Unterwelt Dublins ab, wo er sich bequem einrichtet und als Machiavellist das geeignete kriminelle Umfeld findet, um rational und kalkulierend seinen seit Langem angelegten Rachefeldzug anzutreten. Wie er die Strukturen des Geflechts von Staat und Kirche analysiert, die ihn und seinen Bruder zum Opfer machten, wie er sie zweckentfremdet und als Waffe einsetzt, kann man durchaus als subtile Anarchie bezeichnen.

Manche Szenen, die abrupte Gewalt und der Wechsel der Perspektiven erinnern an das britische Noir-Schwergewicht Ted Lewis („Schwere Körperverletzung“). Und wenn dann noch ein Serienkiller namens Picasso das Parkett betritt, der dem sadomasochistischen, an AIDS erkrankten Axtmörder Tony Spavento aus Derek Raymonds „Ich war Dora Suarez“ Konkurrenz machen könnte – einer Figur, die wir Derek Raymond zu verdanken haben, einem weiteren Meister des Brit-Noir –, befürchtet man einen Overkill. Zumal Seamus Smyth damit gleich mehrfach gegen die No-Go-Liste im Blog des ebenfalls aus Belfast stammenden Autors Adrian McKinty („Die Sirenen von Belfast“) verstößt, der hierzulande immerhin schon bei Suhrkamp Fuß gefasst hat. (Thomas Wörtche zum Anschwellen der Blutströme und warum Derek Raymond da der bessere Autor ist, 1992.)

nowa9Das Serienkiller-Genre, subversiv gewendet

Doch dass auch Seamus Smyth dem Serienkiller-Wahn nichts abgewinnen kann und dem ganzen Sub-Genre mit makaber-ironischer Attitüde begegnet, merkt man spätestens dann, wenn Red Dock selbst den gefürchteten Serienkiller Picasso, der einem Geist gleich auftaucht und sein Unwesen treibt, für seine Zwecke einsetzt und wie einen Hund an die Leine legt. Gemessen an der Bösartigkeit und Gewaltbereitschaft dieser Charaktere kann man nur staunen, dass Seamus Smyth Charles Dickens‘ Ebenezer Scrooge als seinen literarischen Lieblingsbösewicht bezeichnet, auch wenn er noch entschuldigend hinzufügt: „Bevor die drei Geister einen Trottel aus ihm machten.“

Der hierzulande vermutlich bekanntere Ken Bruen („London Boulevard“, „Jack Taylor“ und eben erst „“Kaliber) feierte 2007 das Krimidebüt von Seamus Smyth, „Quinn“, und stellte es auf eine Stufe mit George V. Higgins‘ „Die Freunde von Eddie Coyle“ (CM-Besprechung hier). Er zollte ihm Respekt für seine traumhafte Schreibe und seinen originellen düsteren irischen Stil. Auch hier arbeitet sich ein Antiheld – Gerd Quinn – an den Schwachstellen des irischen Rechtssystems ab und präpariert im Vorfeld der Tat die Tatorte, sodass am Ende anstelle von Mord und Totschlag nur drei Unfälle und ein Selbstmord auf dem Tisch des überforderten Staatsanwalts liegen.

Seamus Smyth_quinn cover_Als irischer Krimiautor könne man sich gleich erschiessen

Declan Burke („Absolute Zero Cool“) kam hierzulande inzwischen bei Nautilus unter und berichtet auf seinem Blog regelmäßig über die irische Szene. Auch er outete sich als Smyth-Fan und wunderte sich, warum der „only big in Japan“ sei.  „Spielarten der Rache“ schaffte es nämlich, in Japan zum zweitbesten Krimi des Jahres gewählt zu werden; dort erschien, genauso wie später in Frankreich, auch der dritte Smyth-Roman „The Mole’s Cage“.Er handelt von dem 17-jährigen Michael Hill, der an der nordirischen Grenze als potentielles IRA-Mitglied verhaftet und ohne Anklage westlich von Belfast auf einem ehemaligen Flughafengelände in Long Kesh mit Tausenden anderer Männern interniert wird. Die einzige Fluchtmöglichkeit bieten eigenhändig gegrabene Tunnel, doch die inhaftierten IRA-Mitglieder kontrollierten die Fluchtmöglichkeiten und bevorzugten ihre „echten“ Mitglieder. Ein autobiografisch angehauchtes Catch-22-Dilemma.

Dass Seamus Smyth trotz seines Erfolgs in Japan und Frankreich (beide Länder sind ja für ihren skurrilen Geschmack bekannt) in seinem Heimatland keinen Verlag fand, verwundet nicht angesichts der heiklen Themen, die er aufgreift. Nach eigenem Bekunden mag Smyth die Krimischreiberei nur als Vehikel, um am Ende anderen Aspekten zum Durchbruch zu verhelfen. Ken Bruen warnte ihn, das Krimibusiness sei kein Zuckerschlecken und als Krimiautor finde man sich ganz unten auf dem literarischen Barometer wieder; als irischer Krimiautor könne man sich eigentlich gleich erschießen.

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Verleger, reichgeworden und mit eigenem Pferd: „Sadlers Well“ (nicht wirklich)

Seamus Smyth: J.K. Rowlings zweites Pseudonym

Als zu allem Überfluss herauskam – oder gezielt verbreitet wurde –, dass der ebenfalls vor sich hin dümpelnde Krimischreiber Robert Galbraith („Der Ruf des Kuckucks“) ein Pseudonym der erfolgreichen Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling war, passierten zwei Dinge: Aus dem tot geglaubten kriminellen Kuckucksei entwickelte sich ein prächtiger Phönix mit beeindruckendem Verkaufsrang. Und Autoren wie Seamus Smyth kamen abermals zu der Erkenntnis, dass die Qualität eines erfolgreichen Buches in Anbetracht dieser Marketingmöglichkeiten ziemlich irrelevant sei. „Wenn du Geld verlieren willst“, sagte er letztes Jahr zu mir, „investiere in Krimis oder züchte Pferde.“ Unbekannte Autoren müssten erst aufgebaut werden, gute Übersetzungen kosteten Zeit, erwiderte ich. Aber diesmal klang es endgültig, so, als habe er die Faxen dicke. Ich könne ja auf den Zug aufspringen, gab er mir noch mit auf den Weg, und behaupten, J.K. Rowling habe noch ein zweites, ein irisches Pseudonym: Seamus Smyth.

Ein verlockender Gedanke, der mir am Ende doch zu waghalsig erschien, denn welcher Pulp-Master-Fan würde ein Buch von J.K. Rowling lesen wollen? Ein guter Zeitpunkt also, sich einmal selbstkritisch zu fragen, wie und warum es diese kommerziellen Totgeburten immer wieder auf unsere Liste schaffen.

Frank Nowatzki (von dem auch die Fotos sind)

(Diesen Text gibt es so ähnlich auch im Pulp Master Band 38, aber den haben Sie sich ja vermutlich noch nicht gekauft. Also auf!, auch wenn das mit J.K. Rowling ein Fake war.)

Seamus Smyth: Spielarten der Rache (Titel des irischen Manuskripts: Red Dock, 2010). Pulp 38. Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Cover: 4000. Berlin, Pulp Master 2015. 266 Seiten, 14,80 Euro.
Informationen zum Buch und zur portofreien Direktbestellung.

(Alle Fotos stammen von Frank Nowatzki oder aus seinem Umfeld.)

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