Geschrieben am 27. August 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– aus Wort & Bild: heute von Joachim Feldmann (JF) und Thomas Wörtche (TW)

Langweiliger Luxus

(JF) Eine neue Superheldin betritt die Krimibühne: Ava Lee, gebürtige Chinesin, lebt in Toronto und arbeitet für ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, im Kundenauftrag Schulden einzutreiben. Die Dame ist hochintelligent, kampfsporttrainiert und weiß sich auch in scheinbar aussichtslosen Situationen zu behaupten. Erfunden hat sie der kanadische Schriftsteller Ian Hamilton, der bereits fünf Bände mit ihren Abenteuern gefüllt hat, die der Kein & Aber-Verlag sukzessive deutschsprachigen Freunden der Spannungsliteratur zugänglich machen will. „Die Wasserratte von Wanchai“, soeben in schmucker Aufmachung erschienen, macht den Anfang.

Von Hongkong nach Bangkok und später weiter in die Karibik führt der Auftrag, einem notorischen Betrüger fünf Millionen Dollar abzujagen, um die dieser einen naiven Geschäftsmann geprellt hat. Trickreich ermittelt Frau Lee, wo das Geld steckt, dann ist ein bisschen mehr Aufwand erforderlich, damit es seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückerstattet werden kann. Zweimal muss sich unsere Heldin in körperlichen Auseinandersetzungen bewähren, alles andere regelt die mit einem bemerkenswerten Talent zu verbalen Täuschungsmanövern ausgestattete Dame diskursiv. Am Ende ist fast alles gut. Nur der Leser, der sich auf ein rasant erzähltes  Stück Kolportage gefreut hatte, bleibt ein wenig enttäuscht zurück.

Durch die Lektüre hat er viel über den Standard der Luxushotels in Südostasien erfahren, ihm ist, sollte er jemals entsprechende Pläne unterhalten haben, sämtliche Lust auf einen Ferienaufenthalt in Guyana vergangen, und er weiß einiges über den internationalen Handel mit Meeresfrüchten. Weniger goutiert hat er Hamiltons in seiner Gewissenhaftigkeit beinahe bürokratisch anmutenden Erzählstil und die damit einhergehende Langatmigkeit. Und ganz anders als im Klappentext angedroht, war es ihm ein Leichtes, sich der Ausstrahlung von Ava Lee zu entziehen.

Ian Hamilton: Die Wasserratte von Wanchai. Ein Ava-Lee-Krimi (The Water Rat of Wanchai).  Aus dem Englischen von Simone Jakob. 427 Seiten. Zürich: Kein & Aber 2011. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von Ian Hamilton

Ganz vernünftige Leute

(TW) Seit Kinky Friedman sich wie ein gehorsamer kleiner Schuljunge von einer wie eine bescheuerte Großdichterfürstin agierenden Elizabeth George vor meinen Augen das Rauchen hat untersagen lassen, kann ich den Kinkster nicht mehr so ganz für voll nehmen, und seine seit Jahrzehnten ewig gleichen Standardscherze gehen mir sowieso schon lange auf den Geist.

Lester Bangs

Aber das ist dann auch schon der einzige und nicht sehr ernstzunehmende Einwand, den ich gegen die schöne Porträt-Sammlung von Tiamat-Verleger Klaus Bittermann hätte. Das Bändchen featured in sieben liebevollen Essays nicht nur für Bittermann wichtige Gestalten der amerikanischen Pop-Kultur. Abbie Hoffman und Lenny Bruce dürften die bei uns am wenigsten bekannten sein – obwohl ich mir da heute nicht mehr sicher bin, wen „man“ überhaupt noch kennt –, Hunter Thompson und Robert Mitchum die bekanntesten. Dazu noch ein schönes Porträt von Lester Bangs. Und wer jetzt wirklich nicht weiß, wer wer ist, der muss halt das Buch erwerben und lesen.

Kinky Friedman

Wichtig und einflussreich für das Denken, den Stil und den Blick auf die Welt sind sie alle. Eigentlich, von heute aus geguckt, alles sehr vernünftige und klarsichtige Leute, mit ein paar Macken, aber damals eben „Rebellen“.

Abbie Hoffman„Sie verkörperten Widestandsgeist, Provokation und Dissidenz, und das alles auf einem extrem hohen Drogenniveau. Sie waren die Jungs, die die normalen Bürger Amerikas … am liebsten in irgendein Drittweltland abgeschoben hätten … Gefährliche Individuen, auffälliges Gesindel wie Robert Mitchum, Exzentriker wie Lenny Bruce, dessen Genuß im Regelverstoß lag, Feinde der Gesellschaft wie Abbie Hoffman, Verrückte, die den sexuellen Exzeß liebten und zelebrierten, Vaterlandslose ohne Familie, Waffennarren wie Hunter S. Thompson, Deserteure aus allen Pflichten, Bohemiens, Spinner und Maniker wie Lester Bangs, Drogenfreaks, Agitatoren, Cowboys wie Kinky Friedman.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Klaus Bittermann: The Crazy Never Die. Amerikanische Rebellen in der populären Kultur. Essays. Berlin: Edition Tiamat/Critica Diabolis (185) 2011. 271 Seiten. 16,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Nix als Dinos

(TW) „Das postmoderne Bild des Dinosauriers“ – das ist ein komplexes Ding. Der postmoderne Dino zerfällt nämlich in die verschiedensten Ideen: „… die Idee des kleine Dinosauriers, des schnellen, des warmblütigen, der vogelartigen, des kunterbunten, des globalen, des nicht ausgestorbenen, des in der Herde lebenden und in der Meute jagenden, des sowohl kreationistisch als auch evolutionistisch instrumentalisierten, des weiblichen, des intelligenten, des biodigitalen und des zur Realität gewordenen simulierten.“ Und das ist nur der postmoderne Dinosaurier, wie wir aus dem ebenso erstaunlichen wie prächtigen Band von Alexis Dworsky lernen: „Dinosaurier. Die Kulturgeschichte“ – erschienen im hochseriösen Wilhelm Fink Verlag (dessen Gründer, Wilhelm Fink, hätte dieses Buch, glaube ich, sehr gefallen …), fein ausgestattet mit intelligenter Grafik, vielen Bildbeispielen, erschöpfender Bibliographie und manchem Scherz und Frohsinn mehr.

Alexis Dworsky mit Deinonychus

Ein Musterbeispiel, wie man aus Themen der „Populären Kultur“ – und was könnte populärer sein als die putzigen Dinos, die allerdings auch Eltern mit Kindern im Dino-aficionado-Alter zum Wahnsinn treiben können – spannende Bezüge zu fast allen gesellschaftlichen Bereichen herstellen kann. Dworskys „Kulturgeschichte“ eines Wesens, das wir nur aus allerlei Rekonstruktionen und Umsetzungen in diverse Imaginationen kennen, zeigt penibel auf, wie sehr Kontexte auf alles einwirken, was wir unterbewusst für selbstverständlich und sogar evident halten.

Dinosaurier, das heißt ihre jeweiligen Konkretisationen in Bildern und Modellen, in Filmen und Comics und allen möglichen anderen Medien folgen nicht nur den Spuren der Wissenschaftsgeschichte, sie sind wahre „Kulturfolger“ und verwandeln sich in alle möglichen  Projektionen (wann sehen wohl Dinos aus wie Panzer und welche Farbe haben sie dann, wann sehen sie aus wie Alien persönlich und wann wie Godzilla und finden wir alles schon bei Hieronymus Bosch angelegt?), bis selbst ihre fiktionalsten Ausprägungen wie z. B. in  „Jurassic Park“  zum Beleg für sehr un-fiktionale und wissenschaftliche Annahmen über urzeitliches Leben werden.  Auch wenn Dworsky in diesem Zusammenhang die olle Baudrillard-Karte über das Verhältnis von Realität und medialer Simulation etwas zu naiv spielt …

Ein kluges Buch über die Bildmacht populärer Ikonographie. Und insofern jederzeit für jedes andere Segment der Populären Kultur analogisierbar.

Alexis Dworsky: Dinosaurier. Die Kulturgeschichte. München: Wilhelm Fink Verlag 2011. 237 Seiten. 29,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von Dworsky

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