Geschrieben am 1. September 2016 von für Kolumnen und Themen, Kunst, Litmag

Kunst: Mit Hieronymus Bosch durchs Jahr 2016. Diesmal: „Garten der Lüste“. Rechte Tafel, Mittelgrund

Bosch_logo2016 ist das 500. Todesjahr von Jheronimus van Aken alias Hieronymus Bosch. Die Niederlande ehren den Maler mit einer großen Ausstellung und anderen, vielfältigen Aktivitäten. Boschs Werk war und ist Gegenstand der unterschiedlichsten Auslegungen und Interpretationen, die versuchen, seine phantastischen, bizarren und oft schlicht rätselhaften Gestalten, Pflanzen, seine Mischwesen und seine offensichtlich mehrfach codierten Bilderwelten sinnhaft zu entschlüsseln. Surreale, absurde, grausame und komische Bildwelten, die sich tief ins kollektive Gedächtnis gegraben haben, egal, ob man seinen Intentionen gerecht wird oder nicht. Denn Selbsterklärungen oder Aussagen zu seinen Werken gibt es nicht. Nur deren Faszinosum und deren Wirkmächtigkeit. Deswegen haben wir Ulrich Fritsche gebeten, jeden Monat in diesem Jahr ein Bild oder einem Bildausschnitt zu beschreiben und zu erläutern. Zu Folge 1, zu Folge 2, zuFolge 3, zu Folge 4, zu Folge 5, zu Folge 6.

Verborgener Sinn im Werk des Jheronimus Bosch (Folge 7)

Diesmal: „Garten der Lüste“. Rechte Tafel, Mittelgrund

von Ulrich Fritsche

Vorbemerkungen (Bild 15)

Die rechte Tafel behandelt Tod und was danach kommt. Ein düsterer Kontrast zur linken und mittleren Tafel. Auch hier findet man Gliederung in 3 Ebenen, doch sind die Elemente verkommen: Im Hintergrund wurde aus Luft Feuer; im Mittelgrund ist Wasser zu Eis erstarrt; im Vordergrund ist das Land eine öde Wüste geworden, die hoffentlich wieder ergrünen wird.

Hier wie anderswo hat Bosch keine Hölle dargestellt! Das mag überraschen, denn er gilt ja als „Teufelsmaler“. Richtiger ist der Begriff „Fegefeuer“. Die Qualen beruhen auf Trug und Wahnvorstellungen. Diese Auffassung teilte der Meister aus ′s-Hertogenbosch mit dem Florentiner Renaissance-Philosophen Marsilio Ficino, der ihn wesentlich beeinflusst hat. Martern können Einsicht in begangene Sünden bewirken. Daraus kann Nächstenliebe erwachsen, verbunden mit Liebe zu Gott. Es gibt ein natürliches Streben, zu ihm zurück zu finden:

„Das ganze Bemühen unserer Seele ist es, Gott zu werden. Dieses Bemühen ist dem Menschen nicht weniger natürlich als den Vögeln die Tendenz zu fliegen.“ (Ficino)

Wiedergeburt ist möglich, denn ewige Verdammnis wäre unvereinbar mit Gottes Güte. Bosch lehnte die Lehre des Augustinus ab, wonach infolge der Erbsünde die allermeisten Menschen verdammt werden. Dieser lateinische Kirchenvater setzte sich im Mittelalter durch. Die bösen Missgestalten hier, ob man sie Teufel oder Dämonen nennen mag, sind durchweg symbolisch gemeint.

Meist sind Teufel dunkel dargestellt, doch können auch Menschen schwarz sein, wie auf der Mitteltafel zu sehen. Im Gegensatz zu Teufeln sind die Menschen hier nackt, können nichts mehr verbergen. Oft haben Teufel tierische Merkmale, sind abnorm proportioniert oder zusammengestückt. Sie lassen Menschen erleiden, was diese andere leiden ließen. Nicht Gott hat die Sünder verurteilt, sondern die Bosheit ihrer Taten. Wer das Licht der Wahrheit erkennt und Liebe zu Gott entwickelt, vermag das Fegefeuer zu verlassen!

Die vorliegende Folge 7 behandelt den Mittelgrund der rechten Tafel. Hier geht es um Erstarren: Aus lebendigem Wasser, dem Element der Veränderung, ist Eis geworden.

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Bild 15: „Der Garten der Lüste”, Rechte Tafel, Mittelgrund: Übersicht

Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

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Bild 16: „Der Garten der Lüste”, Rechte Tafel, Mittelgrund: Pferdeschädelszene

Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Pferdeschädel-Szene: Anti-Kirche (Bild 16)

Der obere Teil eines Pferdeschädels dient einer verfallenen grauen Ruine als Dach. Nach altgermanischem Brauch bringt ein über der Tür befestigter Pferdekopf Glück – das Pferd galt seinerzeit als heilig. Christen halten das freilich für Aberglauben. Bei Bosch bedeutet das Pferd als Landtier primär „körperlich-weltlich“. Weil es dem Transport dient, kommt sekundär die Bedeutung „Überlieferung“ hinzu. Hier handelt es sich allerdings um tote, bruchstückhafte geistige Tradition! Die Teufel sind meist blau gekleidet, was für Entfremdung spricht. Ein solcher hält eine Stange, die in toter Augenhöhle steckt. Daran hängt ein riesiger Schlüssel, in dem sich ein Mensch krümmt. Ein schwarzer Vogel greift diesen an. Ein zweiter hockt auf waagerechter Stange, die aus der Nasenöffnung ragt. Geistige Bosheit ist hier aktiv, Sehen und Riechen funktioniert nicht mehr, die Sünder sind sich ihrer Lage unbewusst. Der mit Armen und Beinen abwärts strebende Mensch müht sich vergeblich. Bekanntlich gründeten die Päpste als Nachfolger des Petrus ihren Herrschaftsanspruch darauf, dass diesem von Christus „Schlüsselgewalt“ übertragen worden ist: Sie entschieden, wer zur Kirche gehört und wer in den Himmel kommt. Das hier ist allerdings eine Anti-Kirche!

Zwei Glocken werden geläutet. Als Schwengel dienen Menschen, von denen man nur die obere bzw. untere Hälfte sieht: Sie sind gewissermaßen auf Geist oder Körper reduziert. Ein Teufel in obszöner Haltung zieht an Seilen, deren Verknüpfung Vereinigung vortäuscht. Ein rötlich-dunkler Vorhang verdeckt notdürftig die Kluft zwischen den gestuften Umrissen der Ruine. Die Menschen dahinter sehen nur wenig von dem Geschehen. Die Teufelin links davon will ihrer Geste gemäß empfangen. Der Teufel rechts davon hat Kügelchen auf dem Kopf und an der Spitze des äußerst spitzen Schnabels, er will Samen abgeben.

Der Löffelschnabel-Teufel und die Einhorn-Teufelin stammen von den streitenden Mischwesen des Todespfuhls der linken Tafel ab. Auch hier wird der Konflikt zwischen Geist und Körper bzw. geistlichem und weltlichem Bereich vorgeführt. Aber das ist Täuschung, die beiden agieren gemeinsam. Die graue Kutte und das blaue Gewand mit schwanzartig herabhängender Kapuze lassen Verkleidung als Mönch bzw. Nonne erkennen. Er streckt einen krummen Finger aus, sie hält ein offenes Buch: Hier wird die Heilige Schrift verhöhnt und eine teuflische Messe abgehalten. Sogar die Geschlechterrollen sind verkehrt, ist doch der Löffelschnabel ein Aufnahmeorgan, und das Horn symbolisiert Zeugung, kann allerdings auch zerstören. Das teuflische Treiben beruht auf einem Menschen, der seinen Kopf in eine Hand stützt und trotz offener Augen nicht merkt, wie man ihn missbraucht: Sinnbild geistiger Trägheit.

Hier wird gewissermaßen eine Ehe zwischen Mensch und Teufel geschlossen! Von der Trauung in dieser Anti-Kirche kommen ein Mann und seine Teufelsbraut. Mann und Frau symbolisieren in gesellschaftlichem Zusammenhang „Obrigkeit und Gemeinde“, aber hier scheint das Verhältnis umgekehrt. Der unsichere, verführte Mann hält eine Hand vor seine Scham, denn er schämt sich seines Geschlechtstriebes. Die Einhorn-Teufelin ist zur herrisch-stolzen Braut avanciert! Ihr Scheibenhut lässt kaum Platz fürs Gehirn. Der über das nachschleppende Gewand herabhängende Fortsatz läuft am Boden in einer Kugel aus: Geistiges Verkümmern führt zu bloß körperlicher Fruchtbarkeit. Wer sind die Trauzeugen? Der Ritter mit vom Helm ausgehender Schwertfaust ist eigentlich der weltlichen Macht zugehörig, bedeutet aber geistige Gewalt. Der Vogelköpfige hat nicht nur Krallenhände, sondern auch gepanzertes Bein und Stützschwanz. Die Schmetterlingsflügel lassen an eine wurmähnliche Raupe denken: primär der Geistlichkeit zuzuordnen, hat er sich sehr zum Weltlichen hin entwickelt. Der Bräutigam wird am Arm gepackt, um ihn zum Aufstieg zu verleiten. Müsste er nicht vor dem Kerl auf der Leiter zurückschrecken? Dessen Zackenschuhe haben zertretende Wirkung. Der Pfeil im nackten Arsch stachelt an. Mit verkümmertem Arm hält er sich fest. Kopf und Schultern sind unter einer Kapuze verborgen. Der fette Wanst bedeutet Völlerei. Mit dem Krug an der Stange will er Getränk holen. Solch lasterhafter Aufstieg führt auf kein wirklich höheres Niveau: So kommt man Gott bestimmt nicht näher!

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Bild 17: „Der Garten der Lüste”, Rechte Tafel, Mittelgrund: Baummensch (Bild 17)

Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Baummensch: Aus der Absurdität des Todes vermag Erkenntnis zu retten!

Diese wohl berühmteste Figur Boschs zieht bleich und riesig inmitten der rechten Tafel den Blick auf sich. Anstelle von Füßen existieren Boote, die allerdings keine Bewegung ermöglichen, weil im Eis festgefroren. Teufel und Teufelin sind zur Bedienung da, im Kielraum Sünder als Fracht. Die Beine des Baummenschen sind verholzt und tot. Im linken Boot gibt es zusätzlich einen kleineren dunklen Baum. Der Baum des rechten Bootes weist einen Ast auf, welcher zunächst an eine Hand, dann an Rippen denken lässt. Das rechte Bein setzt am Rumpf an, wo ein Arm zu erwarten wäre. Aber die Fähigkeit zu handeln fehlt. So tot das alles aussieht – unter dem Knie sickert etwas Blut aus verbundener Wunde. Das runde Pflaster lässt an eine Oblate denken, an die Eucharistie, freilich ein blasphemischer Gedanke in diesem Zusammenhang. Die Takelage ist unnütz, denn es gibt keine Segel. Am Fuß des linken Baumes brennt es, auch im Mastkorb des rechten Baumes. Dort klettert ein Mensch hinauf um zu löschen, doch schürt ein Käfer-Teufelchen das Feuer. Einige verzweifelte Menschen sind über Bord gesprungen. Im eisigen Wasser sieht man hier einen Arm, dort Beine und einen Kopf.

Der Rumpf des Baummenschen ist ein geborstenes verholztes Ei mit eiförmiger Öffnung (vgl. das Ei im Hintergrund der linken Tafel, an der gelblichen Pyramide). Innen befindet sich eine Schänke, dort werden Todsünden begangen. Der Wirt stützt geistig träge den Kopf in eine Hand, das schwarze Tuch signalisiert Isolation. Die Teufelswirtin kniet vor einem Fass, um einen Krug zu füllen, was den Eindruck hervorruft, sie „schwängere“ sich gewissermaßen durch das, was der Baummensch am hinteren Ende ausscheidet. Das Fass lässt an Völlerei denken, die Hörnerhaube an geistige Spaltung. Mit dem an einer Ast-Rippe befestigten Helm kann man sich abkapseln. Die Armbrust ist dem Zorn zuzuordnen, die Dudelsackflagge der Wollust. Drei Zecher sitzen auf riesiger Kröte, gleichsam aufgeblasen vor Hochmut. Diese finster-stolzen Gesellen neiden einander den Krug auf dem Tisch und trotzen dem nahen Feuer.

Das Gesicht dieses Baumdämons ist das einzig Menschliche an ihm – und das Schaurigste! Zerfasernde Haare umrahmen die rechte Seite. Ohren hat er wohl nicht, die haben sich ja selbständig gemacht… Und so hört er weder den Lärm ringsum noch die eigene Dudelei. Verkniffener Mund, scharfe Nase. Die Augen schielen rückwärts soweit möglich: trauriger Blick in die Vergangenheit. Denn das und nur das ist des Menschen Aufgabe im Fegefeuer: sich der Sünden des verflossenen Lebens bewusst zu werden! Davon ist diese Figur freilich weit entfernt, mischen sich doch im Ausdruck Selbstgefallen und bitterer Trotz, Spott und Hohn, Stumpf- und Eigensinn. Der Maler hat hier Charakterzüge dargestellt, die es zu überwinden gilt – und sich vermutlich selbstkritisch auch damit gemeint.

Die Rundscheibe über dem Gesicht ist so flach und niedrig, dass kaum Raum für das Hirn bleibt. Eigentlich bedeutet diese geometrische Figur „Geist“, doch ist die waagerechte Position dem „Körper“ zuzuordnen (vgl. linke Tafel, Hintergrund: die gelbliche Pyramide). Der Dudelsack obenauf schockiert. Das auch „Sackpfeife“ genannte Instrument wurde traditionellerweise aus einem Ziegenbalg gefertigt, hat also äußerlich-körperlichen Charakter. Dieses Exemplar ist erstaunlicherweise hellrot und lässt an das männliche Geschlechtsorgan denken, sieht man doch sogar eine entsprechende Naht! Hier triumphiert Sexualität über Vernunft. Also das eigentlich Niedrigere über das Höhere. Man kann diesen Dudelsack auch gleichsam als „Frucht der Wollust“ ansehen. Bosch hat sämtlichen Einzelheiten symbolische Bedeutung beigemessen, sogar den Abständen der Grifflöcher (s. Fritsche, 1996). Hier wird monotone, scheußlich klingende Musik gemacht. Eine Teufelin umkrallt mit gestreckten Armen und Beinen die ganze Tonskala der Melodiepfeife, als wolle sie Zusammenhalt. Dabei muss man allerdings an Masturbation denken! Sie ist ihrem bärenähnlichen Teufelsgalan übergeordnet: Berücksichtigt man, dass Mann und Frau bei Bosch in gesellschaftlichem Zusammenhang „Obrigkeit“ und „Gemeinde“ symbolisieren, ereignet sich auch in dieser Hinsicht Verkehrung ins Gegenteil.

Was kommt bei solch niederträchtiger Musik heraus? Ein geschwollenes Ei mit schwarzen Füßen und Kopf. Die weiße Kleidhülle platzt auf wie ein „Hexenei“ (junge Stinkmorchel), so dass der blauschwarze Rumpf zum Vorschein kommt: Wollust gebiert handlungsunfähigen, Trennung bewirkenden Geist. Aus solchem Ei ist der Baummensch erwachsen! Während über der Kaschemme seines Eirumpfes die Dudelsackflagge hängt, geht aus dem Dudelsack auf seinem Kopf ein Ei-Teufel hervor. Hier ereignet sich ein sinnloser Kreislauf. Der Ei-Teufel markiert die erste von drei Etappen, jeweils dargestellt durch einen bekleideten Teufel und einen willfährigen nackten Menschen.

In der zweiten Etappe marschiert ein vogelköpfiger Teufel mit blauer Beinbekleidung und hellem Hemd. Der Federzopf schleift am Boden nach, Hand und Fuß des Menschen berührend sollen sozusagen geistige und körperliche Wirkung vereint werden. Dieser Teufel veranschaulicht die Tradition geistigen Niedergangs und erhebt doch die Fackel des Aufruhrs, um Abgestorbenes zu verbrennen.

Die dritte Etappe repräsentiert eine Teufelin mit weißer Hörnerhaube, Zeichen für geistige Spaltung. Das daran flatternde Band stellt eine Beziehung zu dem Zug aus grauen Bergen im Hintergrund her. Sie ist ebenso braun gekleidet wie das Teufelspaar, welches den Dudelsack manipuliert. Vorstellbar, dass sie gleichsam geschwängert wird, was über dieses Paar wieder zum Ei der ersten Etappe führt. Auch das ist ein sinnloser Kreislauf! Diese Teufel sind böse Entsprechungen von Schutzengeln. Erst nur Beine, dann Arme und Beine, dann nur noch Arme: Wie ist das gemeint? Im Sinne von Karma entsprechen Arme der Ursache, Beine der Wirkung einer Kausalkette. Der verführte Mensch läuft willenlos mit. Die Teufelin der dritten Etappe verhält sich zu der Teufelsbraut am Fuß der Leiter wie „Frau Welt“ zu „Frau Kirche“: Sie ist in höherer Position.

Der Baummensch erweist sich als abschreckend-erbärmliches Gegenüber zum Lebensbrunnen der linken Tafel. Er veranschaulicht Tod als Folge selbstsüchtiger Lebensweise.

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Bild 18: „Der Garten der Lüste”, Rechte Tafel, Mittelgrund: Riesenkrüge

Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Riesenkrüge: Missbrauch von Körper bzw. weltlicher Macht (Bild 18)

Vom rechten Boot des Baummenschen führt ein Steg aufs Eis. Dort sitzt ein Mönch, kenntlich an der Tonsur, neben einem teuflischen Dickwanst. Dieser hat einen Schwanz wie ein Fleischerhaken, ein Spaltung bedeutendes Zeichen auf dem Rücken und einen vom Kopf ausgehenden Degen. Er kontrastiert mit dem Dickwanst auf der in den Baummenschen führenden Leiter und veranschaulicht geistige Gewalt, die sich gegen riesige Krüge richtet, welche den körperlich-weltlichen Faktor symbolisieren. Auf üppiger Blondine reitet ein Teufel wie auf einem Tier in einen waagerechten Krug. Das Weib verlockt mit seinem Leib den Mann und wird doch zur Unzucht getrieben. Ein versteckter Teufel schiebt eine am Ende verdickte Stange, was auf Geschlechtsakt hindeutet. Im Halbdunkel warten viele Männer darauf, bei dieser Hure an die Reihe zu kommen. Daneben ein senkrechter Krug, aus dessen Öffnung oben ein Mann hinaussteigen will. Dieser außen gepunktete Krug verhält sich zu dem glattwandigen waagerechten Krug wie der Mann zur Frau.

Die rote Kreisscheibe suggeriert Vereinigung und Aufschwung, auf den geistigen Faktor bezogen. Das täuscht freilich, liegt sie doch auf eines Messers Schneide, welches äußerst labil zwischen den Riesenkrügen vermittelt. Der Baummensch steckt also zwischen zwei Schneidgeräten. Unter dieser Scheibe liegt ein nackter Unterleib, obenauf der Oberleib eines Ritters, was Trennung von Geist und Körper bedeutet. Der goldene Kelch nebst Oblate zeigt, dass dieser Ritter für das Christentum gekämpft hat, die Krötenfahne, dass das mit unsauberen Mitteln geschah. Und so wird er von sieben Drachen zerfleischt, deren Farbe von Weiß über Dunkel nach schmutzigem Gelb wechselt.

Die Laterne verbreitet kaum Licht, das Feuer darin wirkt bedrohlich. Auf der Suche nach Erkenntnis drängen von Teufeln verführte Menschen heran. Nackt, aber in Rüstung und Waffen: eine kriegerische Schar. Jemand in der Türöffnung berührt den Boden. Ein anderer strebt von der Öffnung oben ausgehend empor. Er lässt sich von der Leiter täuschen, die ein Teufel an einen toten Baum stellt. Die nahebei hängende Armbrust bezeichnet Gewalt. Obwohl Krieg doch auf Töten hinausläuft, wollen die Menschen leben! Einer umarmt den Stamm des toten Baumes. Ein passiver Nachbar wird mit den Händen auf dem Rücken durch ein Schwert an diesen Baum geheftet. Er sieht nicht, wie ihm geschieht, weil sein Kopf völlig unter einem Helm verborgen ist. Man hat diesen Sündern beigebracht, solcher Schutz sei notwendig. Das Schwert führt eine besonders schaurige, tückische Gestalt: Sie hat menschlichen Körper, Fischkopf und Schmetterlingsflügel (vgl. den Teufel mit Schmetterlingsflügeln am Fuß der in den Baummenschen führenden Leiter). Gemeint ist gewalttätige Verquickung von „Seele und Geist“ bzw. „Christentum und Geistlichkeit“, was freilich völlig verkehrt ist. Der runde Bauchschild mit Punkt inmitten suggeriert Zeugung und Ganzheit ‒ aber ein toter Baum kann doch nicht mehr wachsen! Vergleich mit dem Punktschild des Zuges aus grauen Bergen im Hintergrund lehrt, dass hier Streben nach Wachstum versagt, weil auf den Dudelsack der Wollust gerichtet.

Im Überblick (Bild 15) erkennt man nun: Die Szene mit den Riesenkrügen verhält sich zu jener mit dem Pferdeschädel wie die weltliche Macht zur geistlichen Macht. Hier ist dargestellt, was in diesen Bereichen falsch gemacht worden ist. Der absurde Baummensch dazwischen vermag nicht zu vermitteln, ist er doch im Eis festgefroren. Keine Hoffnung auf Veränderung – oder doch?

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Bild 19: „Der Garten der Lüste”, Rechte Tafel, Mittelgrund: Eislaufen

Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Eislaufen: Aufbruch der Erstarrung (Bild 19)

Drei Eisläufer sind zu beobachten. Der erste von rechts läuft mühsam, mit den Armen „rudernd“. Der zweite steht gebückt auf einem einzigen riesigen Schlittschuh. Zwischen seinen Beinen hindurch greifend zieht er mittels Schnüren am hinteren Ende, um vorwärts zu kommen. Das kann nicht funktionieren, denn zur Bewegung braucht man die Beine. Der dritte bricht ein ‒ Schlittschuhe sind scharf wie Messer. Eisschollen platzen auseinander, ein Loch tut sich auf, von der Größe der roten Kreisscheibe. Der eingebrochene Mann hält sich an der roten, zusammenführenden Umspannung und vermag sich so aufwärts zu orientieren. Das Einbrechen hat erkennen lassen, worauf es ankommt. In umgekehrter Richtung bewegt sich ein teuflischer dunkler Eisläufer mit dem Kopf eines Löffelschnabelvogels (vgl. den Mönch mit Löffelschnabel unter dem Pferdetotenschädel). Das ist ein geistiges Merkmal, doch fehlen Flügel. Dieser gierige Bösewicht besitzt Bogen und Pfeile, kann aber nichts tun, weil er auch keine Arme hat. Offenbar ist ein Schock notwendig, um Erstarrung zu überwinden!

 

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