Geschrieben am 1. Februar 2016 von für Kolumnen und Themen, Kunst, Litmag

Kunst: Mit Hieronymus Bosch durchs Jahr 2016. Diesmal: „Der Garten der Lüste“ (Außenseite)

Bosch_logo2016 ist das 500. Todesjahr von Jheronimus van Aken alias Hieronymus Bosch. Die Niederlande ehren den Maler mit einer großen Ausstellung und anderen, vielfältigen Aktivitäten. Boschs Werk war und ist Gegenstand der unterschiedlichsten Auslegungen und Interpretationen, die versuchen, seine phantastischen, bizarren und oft schlicht rätselhaften Gestalten, Pflanzen, seine Mischwesen und seine offensichtlich mehrfach codierten Bilderwelten sinnhaft zu entschlüsseln. Surreale, absurde, grausame und komische Bildwelten, die sich tief ins kollektive Gedächtnis gegraben haben, egal, ob man seinen Intentionen gerecht wird oder nicht. Denn Selbsterklärungen oder Aussagen zu seinen Werken gibt es nicht. Nur deren Faszinosum und deren Wirkmächtigkeit. Deswegen haben wir Ulrich Fritsche gebeten, jeden Monat in diesem Jahr ein Bild oder einem Bildausschnitt zu beschreiben und zu erläutern.

Verborgener Sinn im Werk des Jheronimus Bosch (Folge 1)

Von Ulrich Fritsche

„Das schönste Erlebnis ist die Begegnung mit dem Geheimnisvollen.
Sie ist der Ursprung jeder wahren Kunst und Wissenschaft.“
(Albert Einstein)

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Außenseite des sog. „Garten der Lüste“

Boschs berühmtestes Gemälde befindet sich im Museum Prado zu Madrid. Ein riesiges Triptychon. Bei zusammengeklappten Flügeln sieht man eine Grisaille (Bild 1). Die Erde ist dargestellt als ozeanumringte Scheibe inmitten der Himmelskugel. Dunkle Wolken ballen sich zusammen, es wird regnen. Gekrümmte Streifen deuten Verbindung zwischen oben und unten an. Schon im Mittelalter glaubte man überwiegend, dass die Erde eine Kugel ist. Bosch ging es allerdings nicht um astronomische Korrektheit, sondern um symbolisch verschlüsselte Aussagen über menschliches Leben! Sein Zeitgenosse Leonardo da Vinci beschrieb erstmals den Kreislauf des Wassers zwischen Himmel und Erde. Bosch malte diesen als Gleichnis für die menschliche Seele, aufgefasst als vermittelndes Prinzip zwischen Geist und Körper! Goethe hat das in einem wunderschönen Gedicht beschrieben, von Schubert kongenial vertont:

„Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd…“

Der Mensch wird als „Mikrokosmos“ in Analogie zum „Makrokosmos“ verstanden. Damit lernen wir eine grundlegende Besonderheit von Boschs Weltanschauung kennen: Geist, Seele, Körper des Menschen werden analog zu den Elementen Luft, Wasser, Erde begriffen. So gesehen, vermittelt die „Seele“ zwischen gegensätzlichen Faktoren. Anstelle dieser Dreiheit (Trichotomie) hat sich in unserem Kulturkreis durchgesetzt, zwischen Geist und Seele nicht mehr klar zu unterscheiden, beide werden dem Körper gegenüber gestellt.

Wir sehen die Welt am Abend des 3. Schöpfungstages, nach der Erschaffung von Pflanzen. Links oben ist Gottvater schemenhaft zu erkennen. Sein Buch erinnert an den Prolog des Johannesevangeliums: Alles ist durch Gottes „Wort“ entstanden, seine Vernunft. Der lateinische Spruch oben (Psalm 33,9) lässt sich folgendermaßen übersetzen:

„Er selbst hat (es) gesagt, und Tatsachen sind geworden –
er selbst hat (es) befohlen, und Geschöpfe sind geworden.“

Beide Aussagen klingen ähnlich, doch einerseits lässt Gott geschehen, andererseits befiehlt er. Es gibt nicht nur Zufall und Notwendigkeit, sondern auch Freiheit! Im Rahmen von Naturgesetzen können die Geschöpfe frei entscheiden.

Über der Erde liegt zwielichtige Dämmerung. Leben beinhaltet Veränderung, die zum Guten oder Bösen führen kann. Insofern ist die Schöpfung zwiespältig, was die Halbierung der Außenseite zeigt. Allerdings veranschaulicht die Ringform des Ozeans Verbindung von links/rechts bzw. oben/unten. Es gibt nicht nur einen Trieb zur Bildung von Gegensätzen, sondern auch einen Trieb, solche zu überwinden! Immer ist das Gegenteil wenigstens keimhaft angelegt (wie bei den chinesischen Begriffen Yin/Yang).

Wo die Erdscheibe links das Wasser berührt, zeigen auffallende Pflanzenstrukturen Veränderungen. Aus halber Schale heraus ragt ein Stängel empor mit wieder abwärts gerichteter Frucht. Auf dem nahen Inselchen sieht man ein Samenkorn und eine aus kurzem Stängel hervorgegangene große Frucht, woraus ein Baum wächst. Zum Wasser hin eine Höhle nebst zwiebelartigem Gebilde. Der waagerechte Stachel weiter links bedeutet Tod (vgl. den Paulus-Brief 1. Kor. 15,55). Der zum Wasser hin gekippte Schalenrest nebst Stängel mag von der Frucht auf dem Inselchen übrig geblieben sein, immerhin gedeiht dahinter eine Baumgruppe. Die schräge Röhre nebst Samenkorn bedeutet Zeugung. Dann folgen zypressenförmige Bäume, und ein solcher bildet einen Stängel mit Frucht am Ende, womit höheres Niveau erreicht wird. Im Spannungsfeld von Leben und Tod gehen Frucht, Same, Spross, Baum und wieder Frucht auseinander hervor. Gemeint sind archetypische Entwicklungsprozesse, die Richtungswechsel bedingen: nach außen oder innen, oben oder unten, rechts oder links. Die Wandlungsmöglichkeiten im Lebenskreislauf sind ausgewogen.

Die Erde gleicht einem Ei inmitten der Welt-Frucht, bereits Keime der Entfremdung von Gott in sich tragend. Bosch hat also pflanzliche Entwicklungsstufen symbolisch verwendet für entsprechende Vorgänge bei Menschen!

Waagerechte Gliederung des „Garten der Lüste“ durch Pflanzen

Pflanzen eignen sich zur Veranschaulichung von Entwicklungsvorgängen, hier auf Menschen bezogen. Der Same benötigt Erde um zu keimen. Er lässt sich mit dem menschlichen „Geist“ vergleichen, welcher eines „Körpers“ bedarf, um sich zu entwickeln. Der Spross strebt in die Luft empor, welche dem geistigen Prinzip entspricht. Er entfaltet sich auch in die Breite und bildet Blüten, die Liebesbereitschaft signalisieren. Von Pflanze zu Pflanze ereignet sich Bestäubung. Mit der Fruchtbildung kommt das seelische Prinzip hinzu, womit Ganzheit erreicht wird. Die Frucht wird zu Boden fallen und die alte Pflanze irgendwann sterben. Doch im Zerfallen werden Samen frei, was neuen Kreislauf ermöglicht. Im Hinblick auf „Fortpflanzung“ erscheint „Wiedergeburt“ ganz natürlich.

Das Gemälde ist in waagerechter Hinsicht gemäß Entwicklungsstufen von Pflanzen gegliedert, die man „Leitsymbol“ nennen kann (analog zu Leitmotiven in Musik und Literatur).

Tab. 1: Waagerechte Gliederung durch Entwicklungsstufen von Pflanzen

Tafeln Außenseite Linke Tafel Mitteltafel Rechte Tafel
Leitsymbol Same Spross Frucht toter Baum
Lebensvorgang Keimen Wachsen Fruchten Tod und danach

 

Der Titel „Garten der Lüste“ hat sich eingebürgert, aber treffender wäre: „Gemälde von der Veränderlichkeit der Welt“. Das werden die nächsten Folgen zeigen.

Ulrich Fritsche

Ulrich Fritsche ist Autor von bislang drei schön aufgemachten Büchern über Hieronymus Bosch und kommentiert auf Facebook regelmäßig Bosch-Bilder.
Im Taschen Verlag ist die ultimative Werkausgabe von Bosch erschienen, auf die wir hier hingewiesen haben.
Bild: „Der Garten der Lüste” (Außenseite), Wikimedia Commons (public domain)

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