Geschrieben am 3. Mai 2016 von für Kolumnen und Themen, Kunst, Litmag

Kunst: Mit Hieronymus Bosch durchs Jahr 2016. Diesmal: „Garten der Lüste“. Mitteltafel, Hintergrund: Ausschnitte

Bosch_logo2016 ist das 500. Todesjahr von Jheronimus van Aken alias Hieronymus Bosch. Die Niederlande ehren den Maler mit einer großen Ausstellung und anderen, vielfältigen Aktivitäten. Boschs Werk war und ist Gegenstand der unterschiedlichsten Auslegungen und Interpretationen, die versuchen, seine phantastischen, bizarren und oft schlicht rätselhaften Gestalten, Pflanzen, seine Mischwesen und seine offensichtlich mehrfach codierten Bilderwelten sinnhaft zu entschlüsseln. Surreale, absurde, grausame und komische Bildwelten, die sich tief ins kollektive Gedächtnis gegraben haben, egal, ob man seinen Intentionen gerecht wird oder nicht. Denn Selbsterklärungen oder Aussagen zu seinen Werken gibt es nicht. Nur deren Faszinosum und deren Wirkmächtigkeit. Deswegen haben wir Ulrich Fritsche gebeten, jeden Monat in diesem Jahr ein Bild oder einem Bildausschnitt zu beschreiben und zu erläutern. Zu Folge 1, zu Folge 2, zu Folge 3.

Verborgener Sinn im Werk des Jheronimus Bosch (Folge 4)

Diesmal: „Garten der Lüste“, Mitteltafel, Hintergrund: Ausschnitte

Von Ulrich Fritsche

Einführung und Übersicht

Leitsymbol der Mitteltafel ist die Frucht: Behandelt wird Fruchtbarkeit im weitesten Sinne. Die Menschen sind nackt, weil Kleidung in diesem Zusammenhang vom Wesentlichen ablenken würde.

Im Hintergrund kommen alle Tiergruppen vor: Vögel, Landtiere und Fisch-Wesen.

Ein trapezförmiger See geht an den vier Ecken in Wasserläufe über, die dort jeweils durch ein merkwürdiges „Gebäude“ markiert sind ‒ ein fünftes befindet sich in der Seemitte. Als Grenze zum Mittelgrund hat man sich eine Wasserstraße vorzustellen, die von links nach rechts führt, wobei über den See Verbindung zu den hinteren „Gebäuden“ besteht. (Bild 5).

Garten der Lüste_Mitteltafel_HintergrundBild 5: „Der Garten der Lüste”, Mitteltafel, Hintergrund
Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

BlockschemaBlockschema der „Gebäude” des Hintergrundes der Mitteltafel

Diese Gebilde veranschaulichen Wandlungsprinzipien. Zur Kennzeichnung wurde von links nach rechts nummeriert, was einem schrägen M entspricht. Um die Bedeutung zu begreifen, studiert man den Aufbau am besten zunächst im Hinblick auf menschliches Streben. Das zwecks Übersicht schon hier mitgeteilte Blockschema zeigt weitere Bedeutungsebenen auf. Wie diese abgeleitet wurden, wird im Folgenden gekürzt für das zweite und dritte Gebäude beschrieben, einschließlich benachbarter Szenen. Ausführliche Erläuterung findet man im einschlägigen Buch dieses Autors.

Zwar sind diese Gebäude komplex, doch lassen sich ihre Konstruktionsprinzipien kurz charakterisieren. Menschliches Streben wird unterschieden nach:

  • Ähnlichkeit (angleichen, anpassen)
  • Vereinigung (anziehen)
  • Gleichgewicht (ausbalancieren)
  • Trennung (abstoßen)
  • Vielfalt (ungleich werden)

Einprägsamer ist Zuordnung zu den markantesten Lebensvorgängen: Gegenüber gestellt sind Geburt und Tod sowie Liebe und Hass, gruppiert um den Begriff „Auswahl“ (Selektion), der Partnerwahl beinhaltet. Muss man da nicht an die moderne Evolutionstheorie denken, die freilich erst viel später formuliert wurde?
Einleuchtend ist außerdem Zuordnung zu den Planetengöttern, aufgefasst als entsprechende kosmische Prinzipien.
Bewundernswert, wie Bosch all das zu kombinieren wusste: Sein Welt-Bild ist vielschichtig, vernetzt und ausgewogen!
Die folgende Erläuterung beginnt vorab mit zwei Motiven, die grundsätzliche Erkenntnisse vermitteln: Die Szene mit dem Greifreiter ganz links in der Luft betrifft Wachstum; die Szene mit Flügelfisch und Fischritter betrifft Fruchtbarkeit.
Am Ende dieses Beitrags  wird die Szene am Fuß des ersten Gebäudes behandelt, welche zum Mittelgrund überleitet.

Der Greif im Luftraum: Wachstum ermöglicht verschiedene Beziehungen zwischen Geist und Körper

Links in der Luft reitet ein Mensch einen Greif, bestehend aus dem grauen Vorderleib eines Adlers und dem braungelben Hinterleib eines Löwen (Bild 6). Zur Erinnerung: „Vogel, Fisch, Landtier“ bedeuten bei Bosch „Geist, Seele, Körper“ von Menschen, entsprechend „Kopf, Herz, Geschlecht“. Dieses Mischwesen charakterisiert also eine denkbar machtvolle Synthese aus Geist und Körper. Der Mensch trägt einen sich entfaltenden Baum, worauf ein roter Vogel sitzt. Dieser verhält sich zu dem dunklen Bären in den Greifenklauen wie Geist zu Körper in äußerster Polarisierung: Der Vogel kann sich aufschwingen, das Landtier ist eine Last. Der Mensch vermag sich geistig aufwärts zu entwickeln, bedarf aber der Mitwirkung des Körpers, wie sie der Greif präsentiert.

Zwischen Geist und Körper sind also verschiedene Beziehungen möglich: Miteinander verbunden: Greif. Gleichsam verschmolzen: Mensch. Stark distanziert: roter Vogel und dunkler Bär. Wachstum lässt also Geist und Körper zusammen wirken, kann aber auch zu einer Spannung zwischen diesen Faktoren führen.

Garten der Lüste_Greifreiter

Bild 6: „Der Garten der Lüste”, Mitteltafel, Hintergrund: Greifreiter Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Flügelfisch und Fischritter: Doppelfunktion der Seele – gute Frucht als Köder für gemeinsamen Aufschwung von Geist und Körper

Zwischen erstem und zweitem Gebäude im Luftraum wirken zwei graue Fisch-Wesen gemeinsam (Bild 7 links oben). Der Flügelfisch hier trägt einen Ritter mit fischartigem Unterleib, hochgebogen und am Ende gegabelt. Dieser Fischritter angelt den Flügelfisch mit guter roter Frucht. Die Rüstung hat äußerlich-körperlichen Charakter, die zu Flügeln umgebildeten Flossen sind ein „geistiges Merkmal“, und so kann man sagen: Die „Körper-Seele“ ködert die „Geist-Seele“ mit guter Frucht zu gemeinsamem Aufschwung. Dieses Motiv veranschaulicht also die vermittelnde Rolle der Seele. Wichtig ist festzuhalten: Nach Boschs Meinung hat der Körper zwar geringeren Wert als der Geist, ist aber durchaus nicht negativ, sondern für geistige Besserung notwendig! Die beiden Szenen im Luftraum neben dem ersten Gebäude ergänzen einander wie Baum und Frucht.

Vom ersten zum zweiten Gebäude: Streben nach innen kann sich verschieden ausprägen: Der Körper kann zur Frucht führen, der Geist zur Geburt

Vom ersten zum zweiten Gebäude führt schräg nach hinten eine Waldzone (Bild 7). Aus dem Wasser drängen drei Menschen an Land. Nahebei sitzen viele um eine riesige Erdbeere herum, streben nach innen, wollen zueinander kommen: Körperliche Fruchtbarkeit führt zu familiärer Gemeinschaft. Auf der Oberfläche der Erdbeere zeichnen sich Samen ab, lassen künftige Ausbreitung erwarten. So gibt es zu jeder Tendenz Keime der Gegentendenz! Bosch hat auf geniale Weise Leben als Wandlung veranschaulicht.

Ebenfalls viele Menschen drängen aus dem Wasser in ein riesiges Ei: Aus dem „seelischen Element“ kommend folgen sie einander, um durch Geburt geistige Entwicklung zu erreichen.
Das Ei verhält sich zur Frucht wie der Ursprung zum Ergebnis des Lebens.
Von all dem will der Einsame nichts wissen, welcher bäuchlings auf dem Boden liegt. Eine Hirschkuh stuppst ihn in den Rücken, muntert ihn auf: Der Antrieb zum Leben ist wesentlich körperlicher Natur. Weiter hinten sitzen einige Menschen eng beisammen.

Garten der Lüste_GebäudeBild 7: „Der Garten der Lüste”, Mitteltafel, Hintergrund: 2. und 3. Gebäude sowie benachbarte Szenen
Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Zweites Gebäude: einander anziehen

Vor grauer Halbkugel ballen sich wolkige blaue Strukturen, durch eine fast senkrechte Platte geteilt (Bild 7). Spitzen drängen nach außen. Aber aus den blauen Gebilden gehen goldene Hohlformen hervor, die einander näher sind. Jeweils oben am Rand findet man blaue Samen-Kügelchen, rechts wachsen stilisierte Pflanzen heraus, links überwiegen Stacheln. Einander noch näher und höher entwickeln sich rote Strukturen, mit Samen besetzt, aber auch stachlig. An den etwas nach außen gerichteten höchsten Spitzen wächst Pflanzliches in Sichelmond-Figuren, die „Geben“ bzw. „Empfangen“ veranschaulichen. Ein kahler, toter Ast stört die Tendenz zur Vereinigung, erst quer gerichtet, dann gegabelt und abwärts wie aufwärts weiter gegabelt. Aber aus den Hohlformen dringen Spangen, die sich aufwärts krümmend in einem kleinen Ring vereinen. Noch im blauen Bereich auf nach außen gerichteten Spitzen befinden sich links ein Mensch mit träge aufgestütztem Kopf und rechts ein Vogelpaar. Der Kerl zwischen den Hohlformen will aufsteigen, greift aber nach dem abwärts gerichteten Seitenast. Ein anderer kehrt um, weil er merkt, dass er auf einem ins Leere führenden Stachel gegangen ist. Am Beginn des toten Astes ein dunkler Vogel, auf der Spitze links oben ein hellerer. Dort klettert ein Mensch die Spange hinauf, hat fast einen roten Vogel erreicht, Zeichen für gute Geisteshaltung. Allerdings rutscht an der Spange gegenüber ein Kamerad hinab. Der weiße Vogel auf dem Ring symbolisiert unentschiedenen Geist. Immerhin lockt das viele kleinere Vögel an, weiße und dunkle.
Festzuhalten ist: Zwar gibt es Irrwege, doch insgesamt zeigen Farben, Formen, Menschen und Vögel zunehmende Vereinigung!
Am Grund des zweiten Gebäudes entspringt ein Wasserlauf, in dem sich eine Menschenschar auf das dritte Gebäude zu bewegt. Der Kontakt mit dem Wasser kann sehr verschieden sein. Ein Schwimmer hält nur den Kopf heraus. Drei Menschen wollen nach rechts ans Ufer, strecken die Arme nach dem Wald hin, der Wachstum bedeutet. Weiter vorn steigt einer in den See, um Wasser von oben zu erlangen, das aus einer Fruchtkugel fällt: Wasser symbolisiert ja das zwischen Gegensätzen vermittelnde Prinzip „Seele“.
Ein Mann berührt eine Nixe, die auf ihren Fischunterleib zeigt. „Nixe“ bedeutet bei Bosch „Schwangerschaft“. Das lässt sich anderswo im „Garten der Lüste“ bestätigen. Hier taucht eine Frage auf: Wie passt das zu Sagen vom Typ „Undine“, in denen ein Mischwesen aus Mensch und Fisch durch Vermählung mit einem Mann eine „unsterbliche Seele“ gewinnen will? Es gibt keinen Widerspruch, wenn man den unterschiedlichen Wortgebrauch berücksichtigt: Boschs Symbolsystem beschreibend nannten wir den unsterblichen Faktor des Menschen „Geist“. Man hat sich vorzustellen, dass dieser während der Schwangerschaft einen „Körper“ annimmt: Hier ist die Beziehung zwischen beiden Faktoren als „Seele“ definiert, welche Fruchtbarkeit und Aufschwung zu Gott ermöglicht.

Drittes Gebäude: ausbalancieren

Das dritte Gebäude liegt in der Seemitte (Bild 7). Der untere Teil ist eine dunkelblaue Hohlkugel, deren Oberfläche aus unregelmäßigen eckigen Teilen besteht. Sie könnten zerfallen, doch der goldene Ring verspricht Zusammenhalt. Der helle, nach oben offene Sichelmond „empfängt“ gleichsam parallele blaue Röhren mit flacher Schale obenauf. Man assoziiert die Hohlkugel mit dem weiblichen Genital – zumal im Hinblick auf die Szene in der Öffnung – und die senkrechten Röhren mit dem männlichen Genital. Die Farbe lässt auf Trennung schließen. Aber zwei Paare heller Kegel stellen indirekt Kontakt her, treffen jeweils seitlich in einer Kugel zusammen. Diese Vereinigung von oben und unten ergibt Wasserstrahlen, welche in den trapezförmigen See fallen. Die grauen Kugeln bedeuten „seelische Frucht“. Rote, fischschwanzähnliche Gebilde liegen auf der Hohlkugel, durchdringen die Kegelpaare und mit dem schmalen Ende jeweils eine blaugeäderte helle Kugel: Gemeint ist „körperliche Frucht“, an der das Seelische Anteil nimmt. Obenauf jeweils eine Schale mit Kolbenspross darin, der in einem spitz auslaufenden Samen gipfelt: Hinweis auf neues Leben, aber auch Tod.

In der Schale auf den blauen Röhren wachsen diverse Strukturen zusammen. Nun gibt es nur noch eine einzige Röhre, Schale und Kugel: Dort oben ist „geistige Frucht“ gemeint. Daraus wächst ein schöner roter Kolbenspross mit nach unten geöffnetem, „gebendem“ Sichelmond: Zeugen und Empfangen gehören zusammen wie Geist und Körper. Am Ende existiert nur noch ein einziger spitzer Same. Vögel illustrieren die Entwicklung in geistiger Hinsicht; sie sind verschieden gefärbt je nach Position und Beziehung zueinander.

Das Verhalten der Menschen ist lehrreich. Auf dem goldenen Ring links greift einer nach dem nahen Wasserstrahl, um dem Nachbarn davon zu geben, welcher ihn sitzend darum bittet. Der sich kopfstehend bespiegelnde Mann hat nur sich selbst im Sinn. Ein auf dem Ring kniender Mann will einer Person im Wasser darunter hinaufhelfen. Das ist lobenswert, doch entgeht ihm dabei, dass der Nachbar ganz rechts einen Arm nach ihm ausstreckt. Ein kaum lösbares Problem: Man hat nur begrenzte Möglichkeiten, Kontakte zu pflegen. Partnerwahl bedingt Entscheidung! In der Öffnung der Hohlkugel greift ein Mann einer Frau an die Scham. Die beiden sind einander auch mit den Köpfen nahe: Geistige und körperliche Liebe sind hier vereint. Allerdings ist auch Trennung möglich: Die Geliebte verweist auf das Gesäß einer weiteren Frau, und neben ihrem Kopf sieht man noch einen Kopf. Das dritte Gebäude als Ganzes überblickend staunt man, wie gut alles im Gleichgewicht ist.

Nach dem linken Wasserstrahl des dritten Gebäudes verlangen ein paar Menschen, obwohl sie sich im flachen See befinden und nicht weit hinter ihnen eine rote Frucht schwimmt. Leben beinhaltet Auswählen! Ein Schwimmer ist mit dem Kopf nach rechts, ein anderer bäuchlings nach links orientiert. Nahebei umarmen sich Mann und Frau. Ein einzelner Mensch trinkt direkt von dem rechten Strahl, welcher aus grauer Fruchtkugel fällt; der Vogel obenauf symbolisiert mit betont langem Schnabel und Schwanz starke Polarisierung von Geist und Körper.

Fischritter mit schwarzen oder roten Früchten: Erbgut der Ungeborenen

Garten der Lüste_FischritterBild 8: „Der Garten der Lüste”, Mitteltafel, Hintergrund: Fischritter am 1. Gebäude
Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

 Auf der Wasserstraße kommen von links her zwei Scharen grauer Fischritter (Bild 8). Gemeint sind Seelen auf dem Weg zur Wiedergeburt, gekennzeichnet durch Ergebnisse früherer Taten! Schwarze oder rote Frucht wird auf dem Kopf und von den Anführern in der Hand getragen, entsprechend schlechten oder guten Werken. Der Fisch vor der Gruppe mit schwarzen Früchten öffnet lüstern sein zahnbewehrtes Maul, kann aber die Frucht nicht fressen, die er mit dem speerartigen Auswuchs seines Kopfes aufgespießt hat: Schlechte Frucht ist nutzlos. Der Gruppe mit roten Früchten sind drei Fische zugeordnet. Der rote nährt sich von diesen, der graue weiter vorn bleibt mager. Ein dritter Fisch krümmt sich in der Astgabel eines dürren Baumes, erreicht den obersten Ast mit roter Frucht aber nicht: Gute Frucht setzt Wachstum voraus. Wichtig ist nicht nur, Gutes zu tun, sondern auch die Bereitschaft, Gutes aufzunehmen! Gehören doch zur Liebe Geben und Empfangen.

Der Unterleib der „Fischritter“ endet meist in einem waagerechten Gabelschwanz, wie ihn Delphine und Wale haben, die sich zwecks Luftschöpfen auf und ab bewegen müssen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich „Delphin“ vom altgriechischen Wort „delphis“ ableitet, das zugleich „Gebärmutter“ bedeutet. (Möglicherweise wegen der eigentümlich geschwollen aussehenden Kopfform von Delphinen.) Der Ausdruck „Delphinritter“ wäre also noch treffender, doch wollen wir der Einfachheit halber bei „Fischritter“ bleiben.

Inwieweit haben die Fischritter überhaupt Bewusstsein? Der Oberleib erscheint als glatte Rüstung mit fraglichem Inhalt. Das Visier ist geschlossen. Was hier ins Leben schwimmt, sind Wesen aus Seele und Körper, deren Geist noch verborgen ist. Wesen im Embryonalstadium, die erst mit Passieren des ersten Gebäudes Geist erlangen. Der werdende Mensch erscheint noch unausgeformt wie eine Insektenpuppe, mit gleichförmig-starrer Hülle, die erst allmählich individuellen Charakter annimmt. Und er schwimmt ja tatsächlich in Frucht-Wasser…

Boschs Darstellungsweise wurzelt diesbezüglich in vorchristlicher Mythologie. So glaubten die alten Germanen, dass sich die menschlichen Seelen vor der Geburt im Wasser befänden und nach dem Tod dorthin zurückkehrten.

Weiter rechts, zur Mitte hin (s. Bild 7), zeigt eine Nixe mit einer Hand auf ihren Fischleib und hat mit der anderen das untere Ende ihres empor und vorwärts gewölbten Schwanzes ergriffen, so dass sich ein ungefähr ringförmiges Ganzes ergibt. Sie bejaht Schwangerschaft sozusagen als Aufstiegschance. Ein Fischritter schwimmt mit ausgestreckten Armen auf sie zu: Gemeint ist die sehnsüchtige Beziehung zwischen einer werdenden Mutter und ihrem Kind.

Ulrich Fritsche

Ulrich Fritsche ist Autor von bislang drei schön aufgemachten Büchern über Hieronymus Bosch und kommentiert auf Facebook regelmäßig Bosch-Bilder.
Im Taschen Verlag ist die ultimative Werkausgabe von Bosch erschienen, auf die wir hier hingewiesen haben.
Abbildungen: „Der Garten der Lüste”, Bildnachweis: © Wikimedia Commons (public domain)

Tags : ,