Geschrieben am 1. April 2023 von für Crimemag, CrimeMag April 2023

Philipp Gerber und der Fall der Nitribitt

Bodo V. Hechelhammer über den Spionageroman „Das Mädchen und der General“

Das Mädchen und der General“ ist nicht etwa eine neu übersetzte deutsche Romanfassung des italienisch-französischen Kriegsfilms La ragazze e il generale von 1967, sondern der neuste Band der inzwischen dreiteiligen historischen Thriller-Reihe um den BKA-Hauptkommissar Philipp Gerber. Nach „Die Akte Adenauer“ (2021) und „Ein Präsident verschwindet“ (2022) geht es nun um den bekannten und skandalumwitterten Kriminalfall der frühen Bundesrepublik Deutschland: um den Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Spannungsgeladen erzählt Ralf Langroth erneut ein besonderes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte in den Fünfzigerjahren.

Ralf Langroth ist, passend zum Thema, ein Pseudonym, das speziell für Spionage-Romane genutzt wird. Und wie bei vielen offenen Geheimnissen ist leicht zu recherchieren, dass sich dahinter gebürtig Jörg Kastner verbirgt. Langroth aka Kastner, Jahrgang 1962, schreibt seit Jahrzehnten sehr erfolgreich Sachbücher, Thriller und Romane. Spionageromane. Gut, dass der Mann sogar auch eigene nachrichtendienstliche Erfahrungen gesammelt hat, im Rahmen seiner Bundeswehrzeit, wie er einmal erzählte. Details darüber wollte er dabei aber nicht preisgeben. Langroth weiß eben, wie man den Spannungsbogen spannt und aufrechthält.

Nach dem Wehrdienst entschied sich der Geschichtsbegeisterte gegen ein Geschichtsstudium, wegen mangelnder beruflicher Perspektive, ging auf Nummer Sicher und studierte Jura. Doch offenbar blieb eine stille Sehnsucht bei ihm ungestillt. So wandte er sich noch während des Studiums der Schriftstellerei zu, tauchte als Autor in die Welt von Jerry Cotton ein und kam vom Schreiben fortan nicht mehr los. Und auch das verpasste Geschichtsstudium hat Ralf Langroth inzwischen durch seine intensiven Recherchen für seine Bücher faktisch nachgeholt. Denn intensiv setzt er sich immer mit der Denk- und Sichtweise der jeweiligen Zeit auseinander. So verwundert es nicht, dass Ralf Langroth auch in seinem neusten Spionage-Romanen um den BKA-Mann Philipp Gerber die genaue Recherche und das Erzeugen hoher Spannung gekonnt ausspielt. 

Nachdem Die Akte Adenauer wenige Wochen vor der Wahl zum zweiten deutschen Bundestag 1953 spielte, und in Ein Präsident verschwindet das mysteriöse Auftauchen des Verfassungsschutzpräsidenten Otto John in der DDR ein Jahr später beleuchtet wurde, lässt der aktuelle Spionage-Thriller das Jahr 1957 packend aufleben. Ihr eigenes persönliches Wirtschaftswunder zielstrebig im Blick, versuchte die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt sich in Frankfurt am Main ein besseres Leben zu erschlafen, geriet irgendwann aber an den Falschen und wurde umgebracht.

Sprung in die Romanzeit: Die gesamte junge Bundesrepublik hält aufgrund ihrer intimen Kenntnisse und Kontakte in die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Atem an. Auch ein amerikanischer General gerät in ernsthafte Schwierigkeiten, da er nach seinem letzten Verkehrsstopp beim Mädchen Rosemarie dummerweise Geheimunterlagen über Atomverhandlungen zwischen Bundeskanzler Adenauer und dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower vermisst. Zum Glück fängt sein früherer Mitarbeiter an, diskret der Sache auf den Grund zu gehen: der BKA-Beamte Philipp Gerber. Gerber war einst 1939 mit seiner Familie aus Deutschland in die USA emigriert, kehrte im Krieg als Angehöriger der militärischen Spionageabwehr CIC in die alte Heimat zurück und fing beim neu aufgebauten Bundeskriminalamt als Hauptkommissar an. 

Philipp Gerber schlug die Decke weg und wälzte sich auf die andere Seite. Er schwitzte, obwohl es in seinem Schlafzimmer nicht sonderlich warm war. Wie so oft holte ihn die Vergangenheit in seinen Träumen ein, und er sah sie alle deutlich vor sich.

Vielleicht steckte Wessel in der Sache drin, vielleicht auch Gehlen selbst, der in Gerbers Augen immer noch ein Schoßhündchen der CIA war, mochte der Bundesnachrichtendienst inzwischen auch offiziell auf eigenen Füßen stehen.

Die Krauts und speziell die Frankfurter feierten zu viel und soffen sich dabei um den Verstand mit der ungenießbaren Plörre, die sie Äppelwoi nannten. Nach einem langen Pfingstwochenende ging es gleich am Dienstag weiter mit diesem bescheuerten »Wäldchestag«, an dem die Frankfurter ins Grüne zogen, um einfach weiterzusaufen.

Diese tote Prostituierte, Nitribitt, die Tochter von General Anderson und der Stasi-Killer Dorst. Das alles ist wie eine krude Mischung aus einem Alptraum, der einfach keinen Sinn ergibt. 

Wieder geht es in Das Mädchen und der General um Ränkespiele in der Politik, um familiäre Schicksale und Wendungen, um Geheimnisse und Geheimdienste in der frühen Bundesrepublik, wobei auch die Organisation Gehlen bzw. der BND erneut eine wichtige Rolle spielt. Es geht mitten hinein in das alte Frankfurt am Main, gezeichnet mit feinem Lokalkolorit. Der Fall der Nitribitt ist bis in die heutige Zeit noch von Mythen umrankt und nach wie vor gibt es Zweifel, ob tatsächlich alle Hintergründe an ihrem Mord aufgeklärt sind. Geschickt nutzt Ralf Langroth diese im Detail diskutierbare und interpretierbare Ausgangslage, um seinen eigenen Kriminalfall zu spinnen und mit den spannungsgeladenen Themen wie Politik oder Geheimdienstaktivitäten zu verbinden. Realistisch werden die Nachkriegszeit, die politische Rahmenbedingung der noch immer jungen Bundesrepublik dargestellt. Für jeden historisch interessierten Krimileser ist allein dadurch schon Spannung und Lesevergnügen garantiert. Ralf Langroths Das Mädchen und der General ist ein atmosphärisch schöner zeitgeschichtlicher Spionagethriller, der gekonnt Fiktion und Zeitgeschichte verschmilzt. Gut recherchiert und immer lesenswert. Kurzweil.

Ralf Langroth: Das Mädchen und der General. Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 2023. 416 Seiten, 17 Euro.

Bodo V. Hechelhammers Buch „Fürst der Füchse. Das Leben des Rolf Kauka“, von Joachim Feldmann, sein Buch „Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten“ von Alf Mayer hier besprochen. Seine Texte bei uns hier
Dabei unter anderem ein großes Interview mit Oliver Kalkofe: SchleFaZ bedeutet Liebe und eines mit Oliver Hilmes zu dessen Buch „Das Verschwinden des Dr. Mühe. Gerne ist im Agentenfilm-Genre für uns unterwegs, etwa auf den Spuren von … „Serenade für zwei Spione“ (1965) …

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