Geschrieben am 2. Mai 2023 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2023

nonfiction, kurz – Sachbücher Mai 2023

Alf Mayer bespricht:

Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller: Die Unsichtbaren. Wie deutsche Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben
Susi + Ueli Berger: Kunst am Bau und im öffentlichen Raum 1968–2008
Oliver Bullough: Der Welt zu Diensten
Peter Burke: Tumult und Spiele
Robert Deis, Wyatt Doyle: Eva. Men’s Adventure Supermodel
Füssli. Mode – Fetisch – Fantasie. Katalog
Alex Johnson: Schreibwelten
Benjamin Lahusen: „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört.“ Die Deutschen und ihre Justiz 1943 – 1948

Englands wahres Gesicht

(AM) Dies ist eines der wichtigsten Sachbücher des Jahres, es müsste Konsequenzen haben. Gesetzesänderungen meterweise. Sinneswandel. Endlich wieder Moral. Auch wenn Großbritannien gerade mit der Charles-Krönung eine andere Image-Kampagne fährt, so zeigt sich bei Oliver Bullough und seiner Recherche Der Welt zu Diensten. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde das wahre Gesicht. Mit dem Ende des Britischen Imperiums entwickelte England ein neues Geschäftsmodell: „Wenn Diktatoren irgendwo auf der Welt ihr Geld verstecken wollen, wenden sie sich an Großbritannien. Wenn Oligarchen ihre Weste weißwaschen wollen, kommen sie nach Großbritannien.“ Bullough, stenografisch: „So schlimm die anderen Länder auch sein mögen, Großbritannien ist seit Jahrzehnten schlimmer. Es fungiert als gigantisches Schlupfloch, das die Regelungen anderer Länder unterläuft, Steuersätze drückt, Regulierungen außer Kraft setzt und das Geld ausländischer Krimineller wäscht.“ 

In unserem Textauszug – in dieser Ausgabe hier nebenan – wird deutlich, Großbritannien stellt nicht nur keine Untersuchungen gegen die Gauner an, es hilft ihnen sogar noch. „Vor allem bewegt und investiert das Land das Geld dieser Gauner natürlich, aber das ist nur der Anfang: Großbritannien bildet ihre Kinder aus, kümmert sich um ihre Rechtsstreitigkeiten, erleichtert ihnen den Eintritt in die High Society der Welt, verbirgt ihre Verbrechen und vermeidet grundsätzlich, dass sie die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen“, so Bullough. Überzeugend und bildhaft entwickelt er, wie sein Land sich – als wäre es jene Figur Jeeves bei P.G. Wodehouse – für die Drecksäcke der Welt zum dienstfertig-eifrigen Butler gemacht hat und das gar als feine Manieren zelebriert. 36.342 Immobilien im größtenteils feinsten London sind „offshore“ registriert, die Eigentumsverhältnisse dank der britischen Butler verschleiert. Das ist der Stand von Mai 2016.

Oliver Bullough, der bereits in „Land des Geldes. Warum Diebe und Betrüger die Welt beherrschen“ (englischer Titel: Moneyland, meine Besprechung hier) der weltweiten Korruption nachgespürt hat, breitet so viel Material aus, das man gar nicht weiß, wie viel man kotzen müsste – aber sich das alles wenigstens als Stoff von Thrillern wünscht.

Oliver Bullough: Der Welt zu Diensten. Wie Großbritannien zum Butler von Oligarchen, Kleptokraten, Steuerhinterziehern und Verbrechern wurde (Butler to the World – How Britain became the servant of tycoons, tax dodgers, kleptocrats and criminals, 2022). Aus dem Englischen von Rita Gravert und Sigrid Schmid. Verlag Antje Kunstmann, München 2023. 272 Seiten, 26 Euro.

Das Recht als Normalisierungsmaschine

(AM) Diesen Autor würde ich eines Tages gern als Richter am Bundesverfassungsgericht sehen. Der Rechtshistoriker Benjamin Lahusen ist Herausgeber der dreimal jährlich erscheinenden Zeitschrift „Myops“ (Stechfliege“), die über Publikationen und Vorgänge aus der Welt des Rechts berichtet und für sich in Anspruch nimmt, der lästige Stachel in der Rechtslandschaft zu sein, der reflektiert, kritisiert und polemisiert. Mehr als ein Jahrzehnt hat Lahusen an der Überarbeitung seiner Habilitationsschrift gefeilt, sein Blick auf Die Deutschen und ihre Justiz 1943-1948, so der Untertitel, ist rasiermesserscharf und blendend gut geschrieben. Eine Stunde Null der Justiz gab es danach nicht, man konnte auch angesichts von Bombenkrieg, Kapitulation und Kriegsverbrecherprozesse melden: „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört“.

Lahusens Buch nimmt sich die Quellen vor, die Akten. Er destilliert das Klein-Klein des juristischen Alltags im Dritten Reich und danach. Nachbarschaftsstreits, Kehrwoche, Goldfischteiche, kleiner Diebstahl, Herrenbesuche, Mietsachen. Alles vor dem Hintergrund des totalen Krieges und dann der totalen Niederlage. Und er befindet: „Die heute praktizierte Aufklärung tut niemandem mehr weh.“ Man verfolge mit symbolhaft „heiligem Ernst die allerletzten noch lebenden Handwerker und Handlanger der Todesmaschine, kurz bevor der erwartbar nahe Tod sie holt… flächendeckend gibt es Auftragsforscher in stolz titulierten ‚Unabhängigen Historikerkommissionen’, man senkt pflichtschuldigst den Kopf und raunt mit dumpfer Stimme vom ‚düstersten Kapitel der deutschen Geschichte’, sobald die Rede auf das Jahr 1933 kommt. Damit können die Akten geschlossen werden. Der Nationalsozialismus ist ins Reich der allgemeinen Geschichte entlassen.“

Lahusen nimmt deshalb eine andere Blickrichtung ein: Er schaut nicht auf das, was uns vom Faschismus trennt, sondern das, was mir mit ihm teilen: das Normale. Im Gewebe der juristisch verbrieften Normalität, das ist das hoch Ungemütliche an diesem Buch, rückt uns der Nationalsozialismus näher als uns lieb sein kann.

Benjamin Lahusen: „Der Dienstbetrieb ist nicht gestört‘. Die Deutschen und ihre Justiz 1943-1948. C.H. Beck, München 2022. 384 Seiten, 34 Euro.

Scherzen, aber ernsthaft

(AM) Gut 40 Jahre schon interessieren den Briten Peter Burke die „Regeln der Unordnung“, rekonstruiert und interpretiert er das Spielsystem der Renaissance. „Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur der frühen Neuzeit“ hieß sein 1981 auf Deutsch erschienenes Standardwerk. Viele seiner Bücher sind bei Wagenbach erschienen, hoffen wir auch auf eine baldige Übersetzung seiner neuen Kulturgeschichte der Ignoranz (Ignorance, Yale 2023).

In Tumult und Spiele. Theater, Calcio und Karneval im Italien der Renaissance, während der Corona-Isolation geschrieben, steigt Burke erneut in die Alltagsgeschichte und zeigt in diesem schlanken, blendend geschriebenen Essay: Der Mensch der italienischen Renaissance war ein spielender, geradezu besessen von Wettbewerb und Spiel und allerlei Streichen. Denn ebendies hielt Spiel und Ernst stets schwebend, ebendies bot die Möglichkeit zum Ausbruch aus den strengen Konventionen der Gesellschaft, ebendies machte den Humor zum Instrument der Vernichtung des Gegners/ der Autoritäten (bei Bachtin „die Entthronung“ genannt).

Scherzare, si, ma seriamente („Scherzen, ja, aber ernsthaft“), ein Zitat von Umberto Eco, steht denn auch als Motto diesem mustergültigen Ausflug in die Kulturwissenschaft der Subversion voran. Es hatte schon seine Gründe, dass Kirchenmänner und Humanisten gegen Gewalt, Blasphemie und Obszönität des Spiels wetterten und eine Bändigung dieser Zügellosigkeiten forderten. Eine Übersicht der „dramatis personae“, biographische Kurz-Anmerkungen zu rund 70 der wichtigsten Spieler im Buch, rundet das Werk und macht es zu einer idealen Komplementärlektüre von Tobias Roths gigantischer Anthologie „Welt der Renaissance“ (Galiani, 2020, unsere Besprechung hier.) Bis in die Kriminalliteratur hinein hat diese Epoche uns geprägt.

Peter Burke: Tumult und Spiele. Theater, Calcio und Karneval im Italien der Renaissance (Play in Renaissance Italy, 2021). Aus dem Englischen von Matthias Wolf. Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek, Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 160 Seiten, Klappenbroschur, 23 Euro.

Von Klischees verstelltes Geländes

(AM) Andreas Pflüger schickt in seinem nächsten, im Oktober erscheinenden Roman „Wie Sterben geht“ eine BND-Feldagentin durch das Moskau des Kalten Krieges, zeigt eine Spionagewelt, wie sie nicht den Klischees entspricht. Das ist, heute 2023, immer noch etwas Besonderes. Frauen in der Männerdomäne Geheimdienst gelten nach wie vor als exotisch. Maik Baumgärtner und Ann-Katrin Müller, beide beim Spiegel im journalistischen Einsatz, zeigen jetzt in ihrer großen Sachbuch-Recherche Die Unsichtbaren verdienstvoll und detailreich, Wie deutsche Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben

Margaretha Geertruida Zelle, genannt Mata Hari, ist dabei nur eine von vielen Spioninnen. Das Buch versammelt an die drei Dutzend Nachrichtendienstlerinnen unterschiedlichster Couleur, zeichnet am Ende ein spannendes Gegenwartsbild. Es beginnt mit Einzelkämpferinnen im Kaiserreich, etwa der Leiterin der Frankreich-Sektion der Kriegsnachrichtenstelle in Antwerpen, und mit Frauen, die in der Weimarer Republik ihr Leben riskierten, um demokratiefeindliche Truppen auszuspionieren, dies in der Hoffnung, den Faschismus aufzuhalten. Zahlreiche Frauen wehrten sich gegen den Nationalsozialismus im Untergrund; eine Doppelagentin war dafür verantwortlich, dass der D-Day gelingen konnte und dass die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen. Auch die deutsch-deutsche Geschichte ist voller West- oder Ostagentinnen, mit ihren Informationen wurde Politik gemacht ­– von Männern. Durch das ganze Buch zieht sich das Plädoyer, Frauen (auch) als Geheimdienst-Akteurinnen aufzuwerten und ans Ruder zu lassen. Der weibliche Blick hätte sicher schon oft geholfen, gefährliche Lagen realitätstüchtiger einzuschätzen. 

Dachzeilen wie „Damenbinden, Geheimtinte, Tabakpfeifen/ Schnaps, Tanzen, Decknamen/ Verschlüsseln, Funken, Lügen/ Tratschen, Trinken, Abhören/ Affären, Observationen, Wanzen…“ sind einer gewissen Schmissigkeit geschuldet, operativ macht es die Nähe zum Spiegel-Umfeld demonstrativ deutlich. Andererseits: Welches Presseorgan sonst erlaubt (und ermöglicht) heute denn noch solche Recherchen?

Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller: Die Unsichtbaren. Wie deutsche Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben. DVA, München 2023. 380 Seiten, Hardcover, 24 Euro.

Wo Bücher entstehen

(AM) Alex Johnson ist ein Buchliebhaber sondergleichen. Er hat das sogar zu seinem Beruf gemacht, dies schon seit den frühen Tagen des Online-Journalismus, damals ab 1997 auf der Internetseite der „Sunday Times“. Zudem ist er der Gründer zweier international populärer Blogs: Shedworking (über Gartenhütten-Büros) und Bookshelf (über Buchregale) und hat Websites gestartet über „tiny houses“ und über Pubworking („whose day is yet to come“). Er ist der Autor von inzwischen 15 Büchern, viele davon bei der British Library erschienen, darunter „Bücher-Möbel: Über 300 Ideen für das Leben mit Büchern“ (DVA, 2012), „Book Towns: Forty Five Paradises of the Printed Word“ (über 45 Bücher-Städte), ein Buch voller Bücherwitze, (The Book Lover’s Joke Book“), eines über ungewöhnliche Büchereien („Improbable Libraries. A Visual Journey to the World’s Most Unusual Libraries“), über Autoren und ihre Haustiere  („Famous Writers and Their Pets“), ein unvermeidliches über Bücherlisten („The Book of Book Lists“) oder eines darüber, wie man die Bücherliebe an Kinder weitergibt: „How To Give Your Children A Lifelong Love Of Reading“ (2019). Und er ist der Online-Redakteur von Fine Books & Collections.

Für Schreibwelten erzählt er uns nicht nur, Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virgina Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen, er reist durch 500 Jahre Literaturgeschichte und alle Kontinente zu insgesamt 50 Autorinnen und Autoren, um uns zu berichten, wo und wie ihre berühmtesten Werke entstanden sind. Welche Marotten oder Regeln waren oder sind damit verbunden? Welche Schreibwerkzeuge und welche Arbeitsplätze? Welche Gewohnheiten? Das Buch besucht unter anderem W.H. Auden, James Baldwin, Ray Bradbury, Anton Tschechow, Agatha Christie, Roald Dahl, Charles Dickens, Ian Fleming, Victor Hugo, Samuel Johnson, Rudyard Kipling, Jack London, Hilary Mantel, George Orwell, J.K. Rowling, Zadie Smith, Gertrude Stein, Dylan Thomas und P.G. Wodehouse, verrät manch überraschendes Detail. Integraler Bestandteil dieses im schönsten Sinn bezaubernden Buches sind die Aquarelle von James Oses. Ein wunderbar ausgestattetes Buch, bestens zum Verschenken geeignet, das man am liebsten selbst behält.

Alex Johnson: Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virgina Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen (Rooms of Their Own. Where Great Writers Write, 2022). Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer. Mit Illustrationen von James Oses. wbg Theiss, Darmstadt 2023. 192 Seiten, 100 farbige Abb., 28 Euro.

Der Narr an der Angel einer Metze 

(AM) „Der Nachtmahr“ heißt sein wohl berühmtestes Gemälde, um 1782 entstanden. Noch bevor die europäische Moderne die Psyche durchforschte, war Johann Heinrich Füssli, in England als Henry Fuseli bekannt und an der Royal Academy of Art tätig, mit Feder und Pinsel deren Kartograph, die Schauerromane der Zeit eine Inspiration. Viele seiner Werke wurden von der schockierten Ehefrau Sophia verbrannt, die selbst oft sein Modell gewesen war. Allan Cunningham konnte für seine „Lives of the Most Eminent British Painters and Sculptors“ (vier Bände, 1859-1868) noch 800 Zeichnungen sichten, jetzt versammelt eine nach London nun im Kunsthaus Zürich zu sehende Ausstellung 60 weithin unbekannte Zeichnungen, teils „shockingly indelicate“/ schockierend taktlos, wie das die Ehefrau einst gegenüber dem Kunstkenner Cunningham benannte.

David H. Solkin, ehemaliger Dekan und stellvertretender Direktor des Courtauld Institute of Art, eines zur Londoner Universität gehörenden Instituts für Kunstgeschichte mit eigener Kunstsammlung, schreibt im Katalog Füssli. Mode – Fetisch – Fantasie äußerst kundig über die auch heute noch extravagante Bilderwelt des Künstlers. „Kurtisane mit entblößter Brust vor Kaminfeuer, eine Rute in den Händen“, heißt etwa ein um 1800 entstandenes Bild, ein anderes „Der Narr an der Angel einer Metze“. Die lange unter Verschluss gehaltenen Zeichnungen inszenieren Frauen wie sexuelle Raubtiere, zeigen sie in exaltierten Kostümen und mit unmöglich aufgetürmter Frisur in schamlos aggressiver Pose, verkörpern eine Haltung gegenüber Geschlecht und Sexualität, die immer noch Avantgarde ist. Wo der Künstler aber, so weiß Solkin, „die größte Freiheit genießt, erlebt er sich auch als am stärksten versklavt“.

Füssli. Mode – Fetisch – Fantasie. Mit Beiträgen von Jonas Beyer, Mechthild Fend, Ketty Gottardo und David H. Solkin. Zürcher Kunstgesellschaft/ Kunsthaus Zürich, Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2023. Katalog zur Ausstellung. 168 Seiten, 145 farbige Abbildungen, Format 21,5 x 26 cm. Broschur, 38 Euro. Verlagsinformationen. Ausstellung noch bis 21. Mai 2023 im Kunsthaus Zürich.

2. und 3. Bild von links: Ausstellungsplakat/ Johann Heinrich Füssli, Drei Frauen mit Körben, eine Treppe heruntersteigend, um 1800. Feder in Braun, Pinsel, braun laviert, und Spuren von roter Lavierung über Grafitstift, 37,5 x 23,2 cm, Nottingham City Museums & Galleries, Foto © Nottingham City Museum and Art Gallery/ Drei promenierende Damen, um 1800. Grafitstift, Feder in Braunschwarz, Pinsel, grau laviert, blau, bräunlichrosa und braun aquarelliert, und Deckfarbe, 48 x 31,5 cm, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Geschenk des Vereins der Freunde des Kupferstichkabinetts, 1914, Foto © 2022 Kunstmuseum Basel/ Füssli himself © wiki-commons

Das erste Action Girl

(AM) Eva Lynd, 1937 in Schweden als Eva Inga Margareta von Fielitz geboren und 13-jährig mit ihrer Mutter, einer Sopranistin, in die USA gekommen, war einst ein Star wie Betty Page. Sie war Schauspielerin und Model. Nun ja, mehr Model als Schauspielerin. Kleinere Rollen etwa als Fräulein Kissinger in der Fernsehserie „Ein Käfig voller Helden“, bei „Peter Gunn“ oder „Die 13 Opfer des Doktor Desmond“ und Werbeauftritte etwa (aus einer Tube gequetscht) als „Bryllcream-Girl“ stehen einer Karriere mit mehr als zwei Dutzend Fotografen und Illustratoren gegenüber.

Sie war blond, aber kein Blondchen. Sie war das erste Action-Girl, Men’s Adventure Supermodel, wusste eine Maschinenpistole ebenso zu handhaben wie eine Bazooka. Zwischen 1956 und 1970 zierte sie Hunderte von Covern und Geschichten in men’s adventure magazines (MAMs), oft neben Steve Holland, dem Gesicht männlicher Heroik (meine Besprechung seiner Monographie hier). Die Männermagazin-Geschichten, zu deren Lektüre ihr Konterfei einlud, trugen Titel wie „Squirm in Hell, My Lovely Muchacha”, „Night of the Nude Nymph”, „The French Dynamite Dolls Who Blasted the Nazis”, „Freedom Girls – Iron Curtain Escape“, „Tormented Beauties of the Viet Cong Torture Rites“ oder „The Last Battle of the Joy Brigade“. 

Das Besondere an diesem großformatigen Hardcover – es gibt auch eine gekürzte Paperback-Ausgabe – sind nicht nur die üppigen Illustrationen aus dem Fundus der Sammler Robert Deis und Wyatt Doyle, die im Verlag New Texture den Populärkultur-Schatz dieser Pulpmagazine bewahren und schon einigen Illustratoren wie Mort Künstler, Samson Pollen oder Gil Cohen eigene Bände gewidmet haben. Eva Lynd arbeitete mit einigen der Besten, etwa mit Norm Eastman (strikt nur Cover) und Al Rossi (Innenillustration). 2013 erhielt Robert Deis als Reaktion auf seinen Blog MensPulpMags.com eine Mail aus L.A., und zwar von Eva Lynd höchst selbst. Sie sei am Leben und freue sich seiner Ausgrabungen. Aus der Korrespondenz entwickelte sich die Idee für dieses Buch. Eva Lynd erzählt darin ihre Geschichte selbst. Das ist tatsächlich eine kleine Sensation.

Ich verzeihe dem Buch erst einmal, dass es nicht klärt, ob und wie sehr Eva Lynd unser Bild von Modesty Blaise geprägt hat, seien es die Comicstrips von Peter O’Donnell, die ersten Buchcover oder das Outfit von Monica Vitti in der Joseph-Losey-Verfilmung. Klar ist, dass Jane Fonda und Roger Vadim für „Barbarella“ viel von Eva abgeschaut haben. Elke Sommer und Matt Helms andere Miezen sowieso – diese Reihe zieht sich bis hin zu den Covern von Mister Dynamit.

Robert Deis, Wyatt Doyle (Hg.): Eva: Men’s Adventure Supermodel. The Man’s Adventure Library. New Texture, Milton Keynes, UK, 2019. Hardcover, 188 Seiten, USD 49,95. Es gibt auch eine seitenreduzierte und günstigere Paperback-Ausgabe.

Einfach. Schön.

(AM) Dieses Buch findet aus doppeltem Grund hier Darstellung. Zum einen setzt es einem Künstlerpaar ein Monument, das unser öffentliches Bild der Schweiz mitgeprägt hat, zum anderen wurde es jetzt im März im internationalen Wettbewerb «Schönste Bücher aus aller Welt» 2023 mit der Goldenen Letter, die von der Jury als höchste Auszeichnung vergeben wird, ausgezeichnet. Und ist so selbst ebenso mustergültig wie sein Gegenstand.

„Auch wir sind am optischen Lärm beteiligt, aber wir wissen es wenigstens“, bekannten Susi und Ueli Berger im Jahr 1999. Ihr gemeinsames Werk umfasst Grafik, Malerei, Skulptur und zu Klassikern gewordene Möbel (darüber gibt es ein eigenes Buch), ihr zentrales Feld aber war die Kunst am Bau und im öffentlichen Raum sowie Farb- und Signalisations-Konzepte. Mit rund 150 Entwürfen und 70 realisierten Arbeiten prägten sie diesen Bereich in der Schweiz während fünf Jahrzehnten. Sie sind darin durchaus dem deutschen Designer Otl Aicher verwandt (meine Besprechung hier).

Die Zeitrechnung des Buches beginnt 1968, der erste realisierte Auftrag der Bergers war 1971 die „Stufenpyramide“ auf dem Pausenplatz des Schulhauses Melchenbühl. Es folgten Treppenhäuser, Plätze und Parks, Gärten, Schulen (viele Schulen), Spielskulpturen, Treppen, Werke für Innen- und Außenräume, etwa 1996 der schwebende Ring um das IMAX-Filmtheater in Luzern, ein Rückgrat aus Steinblöcken vor der Psychiatrischen Klinik Walden oder „Der Große Bär“, sieben fliegende Teller als Sternbild-Hommage vor einem Gasthof in Worb. Mein Lieblingswerk, die „Hommage an das Milchgässli“ (1982) auf dem Bahnhofsplatz Bern, existiert leider nicht mehr, ist im Buch aber wunderbar dokumentiert. Die Macher hatten Zugriff auf die Originalunterlagen, auf Pläne und Skizzen, der Druck ist von bester Qualität. Und erst recht die Gestaltung: eine Feier des Minimalismus.

Einige wenige Schriftgrößen sind ausreichend, Buchgestaltung zen-buddhistisch schlicht, zurückhaltend und auf den Punkt (Dan Solbach, Fabian Harb, Maria Peskina). „Die typografische Einfachheit nimmt die lesende Person an der Hand und lässt dem vielseitigen Kunst- und Designoeuvre Freiraum seine ganz eigene Wirkungsweise zu entfalten“, meint die Jury zu diesem mustergültigen Ausstellungskatalog (2022 im Kunsthaus Langenthal). Kunst als Ausdruck demokratischer Freiheit bekommt hier so noch einmal ein eigenes Feld.

Susi + Ueli Berger: Kunst am Bau und im öffentlichen Raum 1968–2008. Ausstellungskatalog mit Beiträgen von Raffael Dörig, Mirjam Fischer, Anna Niederhäuser. Gestaltung: Dan Solbach, Fabian Harb, Maria Peskina. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2022. 336 Seiten, Broschur, Format 22 x 28 cm, 423 farbige und 125 sw Abb., 48 Euro.

Stufenpyramide, 1971, Sekundarscule Wiesental, Baar (ZG), Polyesterelemente, 280 x 650 x 650 cm © Nachlass Leonardo Bezzola/ Milchkannen mit ausgelaufener Milch, fotografische Inszenierung von Roland Goy © Roland Goy/ Himmelsleiter, 1985, Freilichtausstellung Schloss, Schlösser, Luftschlösser (18.8-22.9.1985), Lenzburg (AG), ca. 50 Spiegel, an bestehende Treppenstufen montiert, je 8 x 50 cm © Nachlass U+S Berger

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