Geschrieben am 1. Dezember 2021 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2021

Markus Pohlmeyer: Gedichte

Rückkehr nach Corona 2

1

November. Allerseelen. Es dunkelt. Regen.
Regennasse Blätter in wirbelnden Wellen
Über eine dunkelnde Straße. Auf seinem Fahrrad
Ein Kind, das durch dieses Meer surft.
Fliegende, dunkle Dokumente des Sterbens.
Allerheiligen. Ich stehe alleine, schaue zu,
Und bin noch hier, auch nachdem schon Kind und
Fahrrad, Tag und Gedicht verschwunden sind.

2

Früher hielt ich das Böse
Für irgendeine brillante Dämonie,
Heute meistens nur für
Einen seltsamen Mix aus
Neid,
Dummheit und
Inkompetenz.

3

Die Erde: ein feuriger Eisball,
Pangäa zerbricht und die Hoffnung,
Kometeneinschlag: bildgewaltige Resignation.
Homo raptor hat den Homo sapiens …

4

Juhu, wieder daaa! (War nie weg.)
Ach, Ihr habt euch so viel
Mühe mit Verdrängung und Lüge, Fake News
Und Befindlichkeiten gegeben. Richtig süß.
Auf eure Verantwortungsdelegation und
Dummheit ist einfach Verlass! Süß, diese Menschen,
Mit ihren Parteien, Partys, Religionen, Stadien und Sälen:
Darf ich bitten: Auf zum Totentanz …

5

Als stürbe etwas
Und wir lebten weiter

6

Es ging nur um
Besitz, besitzen, Besessenheit:
Einfach nur total krank,
Total krank das alles.

7

Digital. Endlich:
Lebe wohl, Fleisch.
Nur noch reiner Geist,
Ätherisch …
Halt, ich muss hier abbrechen,
Um den Akku aufzuladen.

8

Elegie
Haben wir irgendetwas aus dieser letzten Zeit gelernt?
Möglicherweise so in Richtung Menschlichkeit oder vernunftgeleitetes
Handeln für unsre Zukunft? Verantwortung? Corona hat all die
Hochausgearbeiteten, langeingespielten, verwalteten, geilen
Verdrängungsmechanismen empfindlich unterbrochen. Nun
Denn: Regression ins Weiter-So?

9

Zack. Bumm.
Ätsch!
Voll der Hammer,
Viel zu krass.
Jo, läuft.

10

Endgame
Da, da draußen.
Das können wir uns,
Uns dann in,
In Endlosschleife
Reihzieh’n, so
Aufm Handy.

11

Wozu Dichter, Freund?
Könnten wir noch so leben:
In einem Turm, Klavier spielend,
Gespräche sein mit Freunden, Gesänge
Im Gang der Jahreszeiten und des
Flusses, der uns fortträgt, überall hin, während
Wir bleiben. In einem Turme ohne Höhe und
Stufen, mitten im Menschsein.
                                                  Heute
Leb’ ich dürftig, werde gelebt im blanken
Wahnsinn. Maschinen überall, götterlos
Und gottlos Seine Verkünder. Mörder
Und Irre überall. Die Gesunden
Sperrt man weg. In Labyrinthe.
Dort geistern Menschen in Gestalt von
Gehörnten Formblättern.
Muh! Wäre also
Doch nichts mehr zu tun?
Ich habe den Faden verloren …

Untertänigst
Ihr
Irgendwer

12

Okay, überall, im Großen
Wie im Kleinen Schurkenstaaten
Auf zwei Beinen,
Machttrunkene,
Größenwahnsinnige,
Omnikompetente,
Omnipotente Alpha-Idioten.
Schauen wir uns nicht nur sie an,
Schauen wir uns die jubelnden
Mitläufer an. Schauen wir hin …

13

Grauer Novembernachmittag.
Sonne durchbricht die Regengesichter.
Hinter den Masken doch
So manches Lächeln.

14

Per Beschluss: Corona sei vorbei.
Jubel, Party, Karneval!
Deutschland versagt wieder:
Politisch, persönlich, gesellschaftlich.
Tödlich.

15

An einem Teich
Sterne hielt ich für ewig.
Jetzt sehe ich sie
Mit einer Woge wandern.

16

Hörend ein Streichtrio
Von Beethoven,
Als es aufgehört,
Kam die Stille
Wie ein Schock
Und wie das
Ende der Welt.

17

Wozu Wissenschaft?

Impfzentren aufbauen,
Impfzentren abbauen.
(Jemand spart uns wieder
Zu Tode.)
Auf und ab, so ist
Das Rad der Fortuna.
Verführerisch,
Jetzt geht das Plündern
Wieder los. Her mit
Eurer Kohle und den
Regenwäldern!
Wir haben ja noch
Sooo viel Zeit!
Gefaked,
Gespart,
Getötet.
Wir sehen
Nicht den Span
Im eigenen Auge.
Leichenberge.
Und sich dabei
Feiern lassen.
Man wäre nicht
Zuständig.
Hochdramatisch.
Das würden wir
Uns leisten können.
Verdammt noch mal,
Nein, das können
Wir uns nicht leisten!
Eingeübtes Vergessen.
Schweigend an die Macht,
Denn im Worte
Müssten wir sein.
Und:
Ach so,
Corona
Wäre vorbei. (Trügerisch
Gefährlich, wenn sie lacht
Über diese Dummheit.)
Kurz und gut:
Jetzt ist nur der vorbei,
Der das sagte.

18

Heimat ist auch da,
Wenn dein Brötchenverkäufer
Genau weiß, auf welchen Kuchen
Du dich in der Adventszeit freust.
Welcher Kuchen auf Dich, nur
Auf Dich im Advent wartet.
Das ist eine wenig Glück.

19

Humboldts Spuren,
Beethovens Klänge,
Einsteins All.
Sie sind da: unsichtbar,
Unhörbar, unbegreiflich,
Doch sie sind da.
Und darum
Gib nie auf,
Zu suchen,
Zu lauschen,
Zu staunen.

20

Höre!
Wir werden wieder
Vergessend in
Dieselben Flüsse
Steigen. Zuvor
Lass mich
Ein Gedicht
Von dir
Malen!

21

Seltsam, es ist November,
Und die Sonne scheint wie
Im Sommer. Doch vergeblich.
Die Welt wird wieder stiller,
Immer leerer. Wo wohnen
Mond und Regen? Der Schnee?
Abends, die Sternbilder über mir.
Ich gehe einsam nach Hause.
Und doch geborgen, ein
Bürger dieses Kosmos.
Und das
Bedeutet etwas …

Während der Corona-Pandemie schrieb Markus Pohlmeyer (nicht nur) für uns Gedichte – seine Corona-Zyklen.
Sein Poetischer Werkstattbericht zu den „Corona“-Zyklen

Die einzelnen Lieferungen: Teil 1Teil 2Teil 3Teil 4Teil 5Teil 6Teil 7Teil 8Teil 9Teil 10Teil 11Folge 12 hier.
Seine Shut Down Haikus hier.

Rückkehr nach Corona (1) hier.

Im Frühjahr 2021 erschienen: Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Dritter Teil. Die Corona-Zyklen I-VI. Gedichte. Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 22, 1. Aufl., Hamburg 2021.

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