Geschrieben am 1. September 2020 von für Crimemag, CrimeMag September 2020

Markus Pohlmeyer: Corona-Zyklus (IV) – #Covid-19-Gedichte

Corona-Gedichte 4

1
…ist so still.

Da!
Mauersegler sirren,
Rasende,
Schwarze Funken
Über rötliche
Dächer hinweg.

Stille.

In purpurnen
Schleiern wogt
Ein weißer
Mond vorbei.
Alle Farben des
Sommers, des
Abends: lila, 
Rosa, helles Blau,
Dunkleres Blau
Kommen, schwinden.
Der Mond 
Leuchtend: von
Hier ein
Glühwürmchen
Im Baum der Nacht.
Aber auch Schatten,
Kraternarben,
Fossilien aus Zeit
Gravitation
Energie
Masse.

Sein Licht wandert,
Wandert
Durch ein finsteres
Tal zu mir. Meine
Neuronen übersetzen,
Suchen Bilder, deuten:
Die Nacht nahm fast
Alles, alles. Jetzt bin ich
Allein mit dem Mond.

Es ist so still.

Zerstörung machte ihn,
Diese karge, ferne,
Schönheit.

Ein Flüstern,
Ständig, stille Sätze,
Traumartig,
Reiht Kosmos 
An Kosmos, 
Dichten meine Seele,
Sich auflösend, zu
Sammeln sich,

Als wäre ich dort …

2
Dichter, das bin ich also,
Oder auch nicht.
Werde es von Tag zu Tag.
Oder auch nicht.
Das kann mir keiner nehmen,
Das kann mir keiner geben.
Beruf oder Berufung?
Wahnsinn oder Gabe?
Handwerk oder
Hingepinselt? Jedes
Neue Gedicht ist
Perfekt, ist das letzte,
Nur um sich aufzulösen
Für das nächste, bessere.
Der Tod nehme die Feder
Aus der Hand, sagen sie.
Der Tod gibt vielmehr
Die Feder in
Die Hand. Seit dem
Ersten Schrei. Seit der
Ersten Flöte vor Urzeiten,
Seit dem ersten galoppierenden
Pferd an einer Höhlenwand,
Seit dem ersten
Verliebtsein.
Der Tod lächelt über
Dieses dichtend-
Stammlende Wesen
Und läßt zu, dass wir
Ihn überlisten. So lange,
Bis die Sonne ein
Roter Riese wird.

3
Corona?

Gletscher schmelzen.

Corona?

Brennend der Amazonas.

Corona?

Küstenlinien versunken.

Siehe, der Mensch!

4
Die Augusthitze brennt.
Fenster japsen geöffnet 
Nach Kühlung. Da: 
Ein Schmetterling tanzt
Unbeeindruckt
Durch die Wohnung –
So wie die Seele mein 
Durch viele Körper.

5
Wehmütig, die
Goldschweren Haferfelder
In der reifen Abendsonne.

Wind weht Kühle in die
Schatten der Bäume.
Bald Erblühen der Sterne.

Was webt die Nacht?
Welche Träume?
Und Texte?
Gespenstergeschichten?

Ein Beispiel: Wir möchten
Uns zur Begrüßung umarmen.
Wie damals. Wir dürfen nicht.

Wegen dieses unsichtbaren
Kobolds, der mit Flugzeugen
Um die Welt reist.

6
Woher sollte ich denn wissen,
Woher, wenn du mich fragst,
Woher der Wind komme?
Las über Kontinentalverschiebung,
In 200 Millionen Jahren
Wieder ein neues Pangäa.
Der See, am dem ich spazieren
Ging, liegt da, am Ufer ziehen sich
Kühle Wälder sanft in die Höhe.
Trotzt Milliarden sich bewegender
Blätter und funkelnder Wassertropfen,
Scheint nun alles stehend.
Welche Zeiten wären zu zählen von
Mir? In 200 Millionen Jahren? 
Aus welcher Urzeit kommen die 
Viren? Oder Vögel? Ich
Bin nur eines dieser ewigen, jetzt
Vom Ast fallenden Blätter, ein im
See aufblitzender Tropfen, in dem sich
Licht einer fernen Sonne fängt, das
Unermessliche Räume durchwogend,
Nur um sich gleich
Wieder in den Wassern zu lösen,
Damit Teile von mir anderes werden,
Die wiederum eine neues Selbst
Mir aufbauen immer und immer
Das auch ich war.

7
Liebes Corona-Virus,
Du bist nichts anderes als ein Parasit,
Lebst vom Leben und den Leistungen
Anderer, du verwüstet, vermüllst,
Verbrennst unsere Atmung, du plünderst
Unsere Körper, du frisst dich um die
Welt, eine blinde Maschine,
Zukunftslos, du kleines Geschwisterchen
Des Neoliberalismus.

8
Im Sommerwald

Lichtinseln schwimmen auf 
Schwarzen Schattenmeeren.
Dunkle Blätterozeane.
Sonne tupft Licht hierhin,
Dahin. Duft von Harz,
Ein verstecktes Reh,
Eine scheue Seele,
Ein verzauberter Teich,
Ständiges Reden und
Sich-Berühren der Blätter,
Wenn der gestaltende Wind,
Selbst gestaltlos, alles
Anhaucht und das 
Schweigen löst.
Die vielen Buchstaben 
In der Luft: fallen,
Sammeln sich,
Werden Gedichte,
Manchmal so hart
Wie Gewitterdonner,
Manchmal so zart,
Wie ein letztes
Abendrot.

9
Nur Religion und Politik?
Siehe die mittelalterlichen Pestwellen.
Nur Politik und Wissenschaft?
Siehe Hiroshima.
Wissenschaft und Religion?
Positiv gewendet: so
Entstand die Universität.

10
Mitten im Tod

Leben wir manchmal:
Widerspenstig,
Rebellisch,
Verliebt.
Wenn du vorbeigehst,
Leben,
Nimm mich mit.

11
Gütig zueinander
Füreinander dankbar
Mit Demut

Diese unsere Erde

Eine Menschheit
Die zu den Sternen reist

Damit wir neue 
Wunder entdecken
Dort

Und unsere
Wunden heilen
Hier

Markus Pohlmeyer, der in dieser Ausgabe seinen hundersten Beitrag bei uns vorlegt, bei uns hier.

Sein (bisheriger) Corona-Zyklus: Teil 1, Teil 2, Teil 3. Seine Shut Down Haikus hier.

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