Geschrieben am 1. Februar 2021 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2021

Markus Pohlmeyer: Corona VIII

1

Zu erzählen? Immer weniger …
Die Tage: monoton, monochrom.

Nichts mehr von Gott zu erzählen,
Von Liebe oder Kunst? Nichts?

Wir sind nun Inzidenzwerte, Zahlen.
Exponentiell. Potentiell tödlich.

2

Adieu Gewohnheit, voraus
Zu planen: Tage,
Wochen und Monate,
Jahre und Jahrzehnte. Adieu.

Zahllose Alltage einst  
In  garantierter
Selbstverständlichkeit
Verdrängten Sterbens.

Durcheinander gewirbelte
Moleküle. Eintagsfliegen.
Sternenstaub. Träume –
Nur von wem?

3

Zum Gelingen von Metaphern
Wir fahren auf Sicht.

I

Nun gut, manche machen aber
Erst die Scheinwerfer an,
Nachdem der Unfall schon
Längst passiert ist.

II

Und es konnte ja niemand ahnen,
Dass ein Winter kommt. Nein,
Das konnte niemand ahnen,
Oder dass Menschen öffentliche
Verkehrsmittel benutzen … Wow.
Oder Masken, die nun millionenfach
Plötzlich vom Himmel fallen können,
Einfach so. (Hoffentlich haben die
Intensivstation ausreichend davon.
[Immer diese Implikationen!])
Oder dass Schulen wieder öffnen wollen.
Oder dass es Impfstoffe gibt …

4

Dies berühmte
Sagen-Hören
So hörte ich sagen
Von einem kleinen Jungen
Schreiend sitzen
Vor seinem Computer

5

Warum musste ich nur dieser
Tage an ein Horaz-Gedicht[1] denken,
In dem eine Königin[2] und ihr Wahnsinn
Dem Capitol in Rom Ruinen androhte?
Also nichts Neues unter der Sonne,
Die sich immer noch um die Erde dreht.

Es war einmal, es war einmal …
Seit einiger Zeit habe ich in meinem Regal
Ein anderes Kapitol stehen,
Aus Klemmbausteinen montiert; davor
Positioniert das Modell eines Tyrannosaurus
Rex als Hommage an klassische Science
Fiction-Filme. Kommentar eines Freundes:
„Geradezu prophetisch. Was hast du noch
In deinem Regal?“

6

Ich fühle mich wie Schnee:
Falle in einer kalten, grauen Welt,
Falle in eine kalte, kalte Welt.

Vor Kälte und Angst versteinernd.
Und schmelzend verschwinden
Bei dem kleinsten Hauch von Sonne

Oder Hoffnung, starr vor Angst.
Das nächste Virus,
Der Klimawandel,

Die beliebig ansteigende,
Variantenreiche,
Mutierende,

Menschliche Dummheit

7

Da bei Corona jedes Leben zähle, bin ich
Zuversichtlich, so zuversichtlich, überzuversichtlich.
Dass wir mit gleicher Intensität
Und Opferbereitschaft den Klimawandel –
Ohne Rücksicht auf Interessengruppen
Oder nationale Egoismen, Populisten oder
Gier und den üblichen Schwachsinn –, dass wir
Mutig den Klimawandel abbremsen,
Denn jedes Leben zählt: das der
Überfluteten Migranten, das der verbrannten
Pflanzen, das der verdursteten Tiere.

8

Grandios, diese Digitalisierung.
In der Virtualität keinen Klimawandel,
Keine Fakten, die wehtun, oder
Sterblichkeit. Es gibt dafür Märchenschlösser
Und Waffen ohne Ende. Massenmord, der nicht
Mehr wehtut. Keinen Tod. Aber wunderschöne
Paradiese wunderschön!
Gott muss nicht mehr um Verzeihung
Gebeten werden oder das weinende Kindergesicht.
Und wie gut, dass Computer keinen Strom brauchen,
Der z.B. aus Kohle gewonnen würde.

9

Ich habe Angst vor einem leeren, wüsten,
Monotonen Planeten. Wie zu viele Sprachen
Schwanden, so verstummt die Fülle des Lebendigen.
Holzen wir doch die Regenwälder ab! … wir könnten
Uns auch gleich die Lungen rausschneiden.
Und die verhungernden Kindeskinder bekommen
Dann von den verantwortungsbefreiten Toten,
Die eine geile Party hatten (Einen ganzen Planeten
In Rekordzeit verfeuerwerken und absaufen lassen!),
Die Hölle auf Erden vermacht. Genauer:
Die Erde wird dann zur Hölle.
Wie war das: Vergib uns unsere Schulden?
PS: Und das nächste Virus hat schon längst sein
Global gültiges Ticket gebucht.

10

Ich freue mich schon darauf: In Zukunft wird es regalweise
Fachliteratur (inklusive juristischer Kommentare)
Zum Thema „Richtiges Lüften“ geben.
Wir armen, armen Dummerchen von Bürgern und Bürgerinnen,
Wir können ja nicht allein, aufgeklärt und selbstverantwortet  
Ein Fenster aufmachen.

(Nehmt uns mit, erklärt, diskutiert, argumentiert mit uns:
Mag sein, dass wir dann zum selben Ergebnis kommen wie China,
Aber das Wie, der Weg dahin …)

11

Wozu habe ich eigentlich meine Repräsentanten
In einer repräsentativen Demokratie gewählt?
Corona ist eine gefährliche Totalität, mit
Unsichtbarer Legitimität. Absolut souverän.
Ausnahmezustand? Wie ja auch die Bergpredigt
Nur den 16 Jünger(inne)n gegolten hätte?

12

Fuck iustitia,
pereat mundus![3]
Brot und Spiele! Genau
Aus diesem Grund werden
Ärzte und Ärztinnen und
Pflegekräfte, die Leben retten
Und dabei ihr eigenes
Riskieren, niemals Millionen
Verdienen, sondern nur
Einen gnädigen Applaus.
Panem et Circenses.[4]

13

Freitagsabends bekomme ich von
Zeus aus dem Olymp noch eine Mail:
Ich müsse am Montagmorgen die
Welt retten. Wer? Ich? Geht’s noch?
Er entspannt ins Wochenende.


Schnell noch die Verantwortung
Wegdelegiert. Ganz schnell
Senden drücken. Puh. Geschafft.
Ihn treffe somit keine
Schuld. Nein. Dafür hat man Untertanen.
Durchreguliert, durchregiert. Jups.
Und Zeus könnte ja immer noch sagen,
Er habe das nicht so gemeint.
Ihr habt das falsch verstanden.
(Oder 10 Monate später:)
Ja, warum haben Sie
Das nicht eher kommuniziert?
Usw.

14

Religionsphilosophie

Jemand wünschte mir freundlich
Alle Gaben des
Heiligen Geistes.
Ich darauf frech, augenzwinkernd:
„Will ich auch schwer hoffen,
Bei der Kirchensteuer
Muss auch mal was rüberwachsen,
Glaub’ ich zumindest,
Meine Liebe.“

15

Es ist bitter, irgendein biochemischer
Mechanismus löscht aus:
So viele wunderbare Geschichten.
Aber wir sind mehr:
Wir sind Vergils verzaubernde Verse,
Beethovens Klänge, Platons Fragen,
Jesu Gastfreundschaft, Buddhas Lächeln,
Einsteins Wunder – wie auch die Impfstoffe
Wunder sind unseres Gehirnes, unseres
Geistes. Wir haben so viel, wofür
Zu warten lohnen wird. Dass wir
So viele einmalige Geschichten
Retten wie möglich.

(… und die Kunst und Kultur,
Verdammt noch mal! Sie sahen
Hier einen Dichter verzweifeln.)
Und nicht derer vergessen, denen
Wir so unendlich verdanken …

16

Agnus Dei

Also, meine größte Sorge wäre gewesen,
Zwei Tage lang keinen – zwei Tage lang! –
Beethoven
Gehört zu haben, während draußen
Die Apokalypse tobe. Richtig, denn
Wenn ich das nicht mehr tun würde,
Dann hätte die Apokalypse gewonnen.

17

Nach Brecht[5]

Superwahljahr:
Wäre das nicht
Die Gelegenheit, sich
Endlich ein
Pandemie-kompatibles
Volk zu wählen?

(Das mit den Grundrechten
Werde einfach zu anstrengend,
Vor allem wenn Angst alles
Als heimliche Königin
Alle regiert.)

Oder sich überhaupt
Völker zu wählen, die
Fake news wahrheiten.

Oder solche, die keine Probleme
Mit Totalüberwachung, dem
Reicherwerden der Reichsten
Hätten oder mit Korruption.

18

Prometheus: Vorausdenken.
Epimetheus: Die Nachsicht haben

Dazwischen:
Die Büchse der Corona.

Mit Goethe unterwegs

Ich ging in einem Traume
Von Baum zu Baume;
Da, mitten im Walde:
Ein automatischer Spender
Für Handdesinfektionsmittel.
Bald wachest du auf, balde …


[1] Carm. I, 37

[2] Cleopatra

[3] Ursprünglich: fiat iustitia, pereat munduns. (frei übersetzt: Gerechtigkeit soll walten,  mag auch die Welt darüber untergehen.)

[4] Übersetzung: Brot und Spiele!

[5] Inspiriert von B. Brecht: „Die Lösung“.

Gerade erschienen: Markus Pohlmeyer: Als ich zu den Sternen ging. Dritter Teil. Die Corona-Zyklen I-VI. Gedichte. Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 22, 1. Aufl., Hamburg 2021.

Markus Pohlmeyer, der vor kurzem seinen hundersten Beitrag bei uns vorlegte, bei uns hier. Sein Corona-Zyklus: Teil 1Teil 2Teil 3Teil 4Teil 5Teil 6, Teil 7. Seine Shut Down Haikus hier.

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