Geschrieben am 26. April 2010 von für Bücher, Litmag

Nicholson Baker: Der Anthologist

Funktioniert´s?

Paul Chowder ist nicht mehr jung und muss einigen unangenehmen Wahrheiten ins Gesicht sehen. Zwar hat er bis zu einem gewissen Grad erreicht, was er erreichen wollte. Aber für den wirklichen Erfolg reichen die Kräfte offenbar nicht. Betrüblich, aber sympathisch, findet Gisela Trahms.

Zu allem Unglück hat die Liebste ihn gerade verlassen und seine Finanzen driften der Katastrophe entgegen. Lauter Stoff für eine Alltagskomödie, und so tritt diese Geschichte auch auf: unterhaltsam, selbstironisch, lakonisch im Ton und üppig angereichert mit jenen Bonmots, für die Nicholson Baker berühmt ist: „Sein Leben lang an den Tod zu denken, das wäre, als sähe man einen Film in Gesamtlänge und wartete nur auf den Abspann.“

Sehr wahr, sehr hübsch

Eigentlich, denkt man zunächst, kann Baker ja erzählen, wovon er will: Er weiß, wie man Interesse weckt, einen Spannungsbogen steuert, an der richtigen Stelle schneidet, um im nächsten Kapitel den lockeren Faden wieder aufzunehmen. Man fühlt sich als Leser in sicheren Händen. Und sein Held vermittelt uns das Gefühl, eine liebenswerte Bekanntschaft zu machen. Was also hat Paul zu erzählen, worum geht es?

Paul besitzt keine Obstplantage, wie die schön gerundete Pflaume auf dem Cover nahelegt. Paul fabriziert Poesie-Pflaumen, wie er selbst zugibt, er ist Lyriker. Ein paar Gedichte sind tatsächlich in renommierten Zeitschriften erschienen; er ist kein Sonntagsdichter, keine lächerliche Figur. Nun soll er eine Anthologie zusammenstellen, die „Reim allein“ heißt, also nur gereimte Gedichte enthält, und ein Vorwort dazu schreiben. Angesichts dieser Aufgabe hat er jenen famosen writer’s block, der ihm erlaubt, die Vorwortproduktion immer weiter hinauszuschieben und stattdessen dem Leser mittels direkter Ansprache seine beiden Glaubensgrundsätze zu erläutern: nämlich dass auch heute die richtig guten Gedichte gereimt sein sollten, und dass nicht der Pentameter die englischsprachige Lyrik dominiert, sondern dass sich deren Verse mehrheitlich als vierhebig entpuppen.

Nicholson Baker

Ja. Hm. Ach so!

Es dauert ein bisschen, bis der Leser begreift, dass es sich bei diesem Buch in Wahrheit um zwei Bücher handelt. Eines erzählt von Pauls Nöten und Hoffnungen, der Liebsten, der Nachbarin, dem Hund. Das andere enthält eine Menge Namen zeitgenössischer amerikanischer und englischer Poeten, eine Schmähschrift gegen Ezra Pound in mehreren Teilen sowie jede Menge Zitate, um die oben erwähnten Thesen zu belegen. Und spätestens bei den Zitaten beginnt der Leser sich nach der Pflaume zu sehnen. Denn obwohl Matthias Göritz und Uda Strätling erfahrene Lyrik-Übersetzer sind und ihre Sache sicher gut machen, bereitet es wenig Pläsier, diesen Versschnipseln zu folgen („Wer setzte aus dem Karzer frei / vielfach versklavten Seelengeist“ – wen soll denn so was zum Lyrik-Liebhaber machen?!). Um ihre behauptete Schönheit oder Missglücktheit nachempfinden zu können, müsste man die Zeilen wenigstens in Englisch vor Augen haben. Und am besten das komplette Gedicht in einem Anhang finden können.

Andererseits: Wer wollte diesen Anhang schon ernsthaft studieren? Wer sich für englische Lyrik interessiert, braucht keinen Paul. Wem Paul ans Herz wächst, was leicht geschieht, will ihn dennoch nicht unentwegt über Dichter und Gedichte reden hören, mit denen man wenig bis nichts verbindet. Dabei gelingen ihm als Bakers treuem Sohn durchaus bedenkenswerte Aphorismen, zum Beispiel: „Lyrik ist die kunstvolle Verfeinerung des Schluchzens.“

Es ist die Monomanie, die ungeduldig macht. Paul ist das Zuckerbrot, der Pentameter die Peitsche. Aber wer liest schon einen Roman, um sich peitschen zu lassen?

Möglich, dass amerikanische oder englische Abonnenten des New Yorker, denen die dort erscheinenden Autoren geläufig sind, an diesem locker geplauderten Mix aus Story und Poetik-Sessions Gefallen finden (zahlreich dürften auch sie nicht sein). Südlich des Mains könnte das Buch funktionieren, wenn es in Deutschland spielte und die Zitate von Schiller, Uhland und Durs Grünbein stammten. So aber bleibt einem nur der Seufzer: zwei in eins gleich keins.

Wir wünschen dir Glück, Paul Chowder, so wie das letzte Kapitel es andeutet. Und von Nicholson Baker hätten wir gern wieder einen didaktikfreien Roman.

Gisela Trahms

Nicholson Baker: Der Anthologist (The Anthologist, 2009).
Aus dem Englischen von Matthias Göritz und Uda Strätling.
C.H. Beck Verlag 2010. 271 Seiten. Gebundene Ausgabe. 19,95 Euro.