Geschrieben am 2. November 2013 von für Bücher, Crimemag

Klassiker-Check: Charlotte MacLeod

charlotte-macleodDer Charme des Schrulligen

‒ Klassiker-Check ‒ Lektüre für Ferienhäuser unter besonderer Berücksichtigung von Charlotte MacLeod. Es checkt Joachim Feldmann.

Eine Woche Ostsee, dabei eine ganze Jutetasche voller Bücher, schließlich will man nicht den ganzen Tag am Strand auf und ab gehen. Und da es sich beinah ausnahmslos um just erschienene Kriminalromane handelt, lässt sich vielleicht auch gleich ein wenig Arbeit miterledigen. Doch schon bald bleibt nicht viel vom guten Vorsatz. Zu ansteckend ist die Melancholie des neuen „Süden“-Romans von Friedrich Ani, zu nordisch ein Mord-Mysterium aus dem fernen Island und schlicht zu öde die schwedisch-englische Psychostory eines englisch-schwedischen Erfolgsautors. Zum Glück findet sich im Ferienhaus neben Buchclub-Klassikern der fünfziger und sechziger Jahre und Reader’s Digest-Auswahlbänden ein ganzer Schwung alter Taschenbuchkrimis, und man ist bass erstaunt, dass die Polizeiromane Jan Willem van de Weterings tatsächlich so gut sind, wie man sie in Erinnerung behalten hat.

Doch nicht nur die legendären schwarzen Bände aus Rowohlts Thriller-Reihe laden zur Wiederlektüre ein – direkt daneben hat der Vermieter (oder ein früherer Gast) ein gutes Dutzend Titel aus DuMont’s Kriminalbibliothek platziert, in der der Kölner Germanist Volker Neuhaus zwischen 1986 und 2005 Detektivromane klassischer Prägung versammelte. Starautorin der Reihe war unbestritten die Amerikanerin Charlotte MacLeod, deren skurrile Mordgeschichten auf dem anglo-amerikanischen Markt das zweifelhafte Etikett „Cozies“ aufgepappt bekamen. Will heißen, hier wird feinster, jeder übermäßigen Brutalität abholder, Eskapismus gepflegt. Zwar werden auch in diesen Romanen Menschen auf brutale, nicht selten exotische, Weise vom Leben zum Tod gebracht, doch die Beschreibung verzichtet auf jene verstörenden Details, die heutzutage zum festen Bestandteil so genannter Thriller zählen und deren Schauereffekte, wie mir erst neulich ein prominenter Vertreter des Genres versicherte, gerade von Leserinnen sehr geschätzt werden.

milchmannErfrischend altmodisch …

Charlotte MacLeod ist nicht nur in dieser Hinsicht erfrischend altmodisch. Schrullige Charaktere, pfiffige Dialoge und schräge Plots sorgen für ein entspanntes Lesevergnügen. Dazu trägt auch Beate Feltens gekonnte Übersetzung in ein behagliches Deutsch bei, das anachronistische Vokabeln wie „Grundgütiger“ oder „Jessas“ nicht fehl am Platze wirken lässt. Und nie verleitet die Lektüre von MacLeods Kriminalromane zu der Annahme, hier werde Realität abgebildet. Das Balaclava-Landwirtschaftscollege in Massachusetts, wo ihr Amateurdetektiv Peter Shandy, im Zivilberuf Professor für Nutzpflanzen und erfolgreicher Züchter einer Superrübe, immer wieder in rätselhafte Mordfälle verwickelt wird, ist der Hogwarts-Zauberschule aus den Harry Potter-Romanen ähnlicher als irgendeiner tatsächlichen amerikanischen Universität. Wer also die Möglichkeiten des Krimi-Genres zum literarischen Spiel schätzt, kommt bei einer solch belesenen Autorin, die sich ebenso ungeniert wie ironisch bei den Traditionen populären Schriftgutes bedient, voll auf seine Kosten.

Deshalb wurden auch flugs die Neuerscheinungen wieder in der Jutetasche verstaut. Stattdessen griff man gerne zu den hübschen Bändchen mit den Pellegrino-Ritter-Titelbildern und erfreute sich an Professor Shandys Erfolgen bei der Überführung finsterer Schurken. Deren Motive sind übrigens durchaus realistisch gewählt, handelt es sich doch um altbekannte menschliche Schwächen wie Habgier, Neid und Gefallsucht, die, um nur ein Beispiel zu nennen, Zeitgenossen ohne Skrupel dazu bringen können, eine grün gefärbte Zyankalikapsel unter eine schmackhafte Gemüsebeilage zu mischen. Man sieht, Raymond Chandlers Vorbehalte gegen exotische Tötungsmethoden („handgefertigte Duellpistolen, Curare, tropische Fische“) haben Charlotte MacLeod nicht sonderlich beeindrucken können. Zum Glück, möchte man als zerstreuungssüchtiger Urlauber sagen.

Aus dem regulären Buchhandel sind die Werke Charlotte MacLeods mittlerweile leider verschwunden, aber im weltweiten Netz findet man antiquarische Exemplare zu günstigen Preisen. DuMont hat seine Kriminalbibliothek übrigens vor kurzem wieder aufleben lassen, allerdings nicht in Papierform. Wer sich also nicht scheut, klassische Romane auf einem Bildschirm zu lesen, kann beispielsweise die ingeniösen Krimispielereien eines Edmund Crispin für kleines Geld herunterladen. Und vielleicht wird bald auch die Balaclava-Serie im digitalen Gewand neue Leserinnen und Leser finden. Zu wünschen wäre es.

Joachim Feldmann

Hier mehr zu Charlotte MacLeod.

Auszug aus ihrer Bibliographie:
Balaclava-Reihe:
1978 Rest You Merry (dt. Schlaf in himmlischer Ruh. DuMont, Köln 1986)
1981 The Luck Runs Out (dt. Freu dich des Lebens. DuMont, Köln 1987
1982 Wrack and Rune (dt. Über Stock und Runenstein. DuMont, Köln 1989, Neuauflage 2005)
1983 Something the Cat Dragged In (dt. Der Kater läßt das Mausen nicht. DuMont, Köln 1991)
1985 The Curse of the Giant Hogweed
1987 The Corpse in Oozak’s Pond (dt. Stille Teiche gründen tief. DuMont, Köln 1994)
1989 Vane Pursuit (dt. Wenn der Wetterhahn kräht. DuMont, Köln 1996)
1991 An Owl Too Many (dt. Eine Eule kommt selten allein. DuMont, Köln 1997)
1994 Something in the Water (dt. Miss Rondels Lupinen. DuMont, Köln 1999)
1996 Exit the Milkman (dt. Aus für den Milchmann. DuMont, Köln 2000)

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