Geschrieben am 3. Juni 2018 von für Litmag, TABUMAG

TABUMAG-Quickies

TABU-Quickies

 
Bild: Christian Rudolf Noffke

Stephen Urbanski: Nazis gegen Gewalt (3)

David raucht Davidoff.

Peter raucht Stuyvesant.

Peer raucht 100.

Juno raucht nicht.

David raucht Davidoff.

Und liest den „Stern“.

Ernte raucht 23.

Pall raucht Mall.

Benson raucht Hedgefonds.

Kim raucht nicht.

David raucht Davidoff.

Und liest den „Stern“.

Kopf an die Mauer gelehnt.

Lord raucht Overstolz.

Marlboro raucht Cowboyhüte.

Vogue raucht Moden.

Eve raucht nicht.

David raucht Davidoff.

Und liest den „Stern“.

Kopf knallt gegen Mauern.

In religiöser Verzückung.

Klagerufe werden laut.

Mauern fragen: Kyffhäuser?

Sind die illegal?

Camel raucht Shit.

(Aus ALPHA URBANSKI, Elektrobuch, April 2018)

 

Stephen Urbanski, Baujahr 1956, Hamburger Jung. Diplomierter Inländerfeind, passionierter Polemiker. Schreibt über Deutschlands Bodensatz, verfemt wie besehen. Stephen Urbanski, zu finden bei Amazon, iTunes et cetera. Stephen Urbanski sagt:

Urbi et Urbanski.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Sam Bennet: Befreiung oder „Dantes Inferno“?

Unsere Gedanken, unser Verhalten und unsere Handlungen unterliegen innerhalb unserer Gesellschaft einem moralischen Kodex. Tabus, über die wir nicht laut sprechen sollen, die aber an unserer Oberfläche kratzen und herauswollen, warten darauf gebrochen zu werden. Sie locken uns, machen uns neugierig, da sie ein Verbot darstellen, das auf keinem Gesetz, sondern einzig auf einem Moralgrundsatz fußt. Gegen ein Gesetz verstößt man in der Regel nicht, weil dies strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Ein Tabubruch hingegen hat lediglich die gesellschaftliche Missbilligung zur Folge. Was, wenn jedes Tabu dieser Welt gebrochen wäre? Wäre dies die unbegrenzte persönliche Freiheit, die Selbstbestimmung, nach der es uns schon so lange verlangt, die Gleichberechtigung, für die wir kämpfen, die gelebte Emanzipation des Individuums also? Oder fänden wir uns in kürzester Zeit in ‚Dantes Inferno‘ wieder?


Sam Bennet
schreibt gerne Thriller mit einem Hauch Erotik. Lesen beflügelt ihre Fantasie schon von Kindesbeinen an, während sie das Schreiben als Ventil nutzt, um diese fließen zu lassen. Privat ist sie bekennender Irland-Fan, liebt die dortige Abgeschiedenheit und die Nähe zur Natur. Ihr englischsprachiges Pseudonym symbolisiert eine kleine Hommage an große, literarische Idole und die Grüne Insel selbst.
Aufs Leben, die Liebe … und meinen Tod (bei Amazon als E-Book und Taschenbuch erhältlich). Der Debütroman der Autorin über die Liebe und den Tod und der Erkenntnis darüber, dass ein Ende der Liebe kein Ende des Lebens bedeuten muss. Spannend und erotisch.
Victima – nur bei Amazon oder bei Redrum Books als Taschenbuch oder E-Book erhältlich Eine Rache-Geschichte, die nichts für schwache Nerven ist. Was anfänglich voller Leidenschaft beginnt, endet mit dem Wettlauf um Leben und Tod.
Die dystopische Kurzgeschichte „Wie Phönix aus der Asche“, erschien in der Anthologie, Der Geschmack verlorenen Glücks, von Frau Dr. Maria Zaffarana. Erhältlich als Taschenbuch oder ebook über Amazon.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Marcel Luthe: Knechtschaft oder Anarchie

Tabus hemmen Freiheit. Tabus garantieren Freiheit.

In diesem vermeintlichen Widerspruch beantwortet sich bereits die Ausgangsfrage: Tabus stören, wenn Sie jemanden daran hindern, seinem Wesen entsprechend zu leben. Tabus schützen, wenn Sie die Wahrung der – unausgesprochenen – Grenzen des Anderen sicherstellen. Das Ideal besteht darin, offen und vorurteilsfrei über jedes Thema reden zu können, aber nicht, darüber reden zu müssen.

Gegenwärtig sind verschiedene Sichtweisen gesellschaftlich tabuisiert, was aber nicht zu ihrem Verschwinden, sondern nur der Entwicklung einer Parallelkultur führt.

Das Wesen der Demokratie ist das Wort. Wenn wir eine lebendige, demokratische Gesellschaft wollen, müssen wir miteinander über alles reden können, ohne über alles reden zu müssen. Eine Welt voller Tabus führt in die Knechtschaft, eine ohne Tabus in Anarchie.

Paracelsus sagt: „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ So ist es auch mit Tabus.


Marcel Luthe
ist innenpolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten im Berliner Abgeordnetenhaus und Vizepräsident der Deutsch-Afghanischen Gesellschaft.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Patrick Ueberle: (Kein) Aufruf zur Revolution

Die Welt wird zur Tabulosigkeit verführt . Von Kirche , Staat und Wirtschaft wird uns vorgelebt , wie wir es angehen müssen mit der Tabulosigkeit . Die Kirchensteuer kommt zu einem winzigen Bruchteil bei Bedürftigen an . Im Großen und Ganzen werden Verwaltungskosten gedeckt . Der Staat rechtfertigt hohe Diäten , weil es sonst keiner machen will . Die monetären Möglichkeiten in der freien Wirtschaft sind dann doch zu verlockend . Jobs , die gerade mal das Existenzminimum auszahlen , sind allerdings anzunehmen , weil zumutbar . Die Wirtschaft besteht zum weit größten Teil , dank Deregulierung , aus Finanzwahnsinn . Nach seinem logischen Crash wird suggeriert , er müsse gerettet werden . Tatsächlich wird mit fremden Geld gezockt , Gewinne werden eingestrichen und Verluste abgewälzt .
Vielleicht sollten wir alle den Tabubruch zelebrieren ! Lasst uns im großen Stil Spendenfirmen gründen , die Spenden in die Verwaltung stecken und gut leben . Lasst uns Arbeitslose schikanieren und mit Kupfergeld bewerfen . Lasst uns Ahnungslose an Glücksspielen teilnehmen , die mehr versprechen , als sie einhalten . Lasst uns doch alle die Stützen der Gesellschaft zum Vorbild nehmen ! Dies ist selbstverständlich kein Aufruf zur Revolution . Aber vielleicht kommt sie dann . Ganz sanft und ohne Blut . Und ohne Dystopie oder Utopie .


Patrick Ueberle
1967 in Mannheim geboren, durch unzählige Jobs von Krankenpflege bis Fabrikarbeit gewandert und immer auf der Suche nach der wahren Musik.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Martin Westenberger: sein schatz

habe von früh an bevorzugt
die brutalsten filme gesehen,
sie stamme aus großbürgerlichem ambiente,
fenster u. welt weit offen.

häufig ging es um weltverschwörung,
gefangenenlager, folter, blendung u.
teuflische haare
in penibel eingeflößter suppe,

alles entspannt gesehen,
bevorzugt von ihrem himmelbett aus.

die kleine schwester
ebenso unabdingbar, alles,
was brutal und hinterhältig war,
habe sie sich reingezogen,

bald aber schon
eine überdosis abbekommen,
sei aus der villa gewankt,
weiter zur schaukel u. habe stundenlang
auf ihr gesessen, nur imstande,
kleinste bewegungen auszuführen,
mit unbestimmtem blick in auflösung.

sein schatz habe auch ihren vater
bekehrt, mit metzeleien und blutorgien,
er, liberaler mann und jeder kunstform
aufgeschlossen, sei nach kurzer
zeit ähnlich aus dem kino gewankt
wie zuvor seine kleine tochter, das sei
in london gewesen.

im sommerurlaub mit seinem schatz
habe sich nun folgendes ereignet,
sie trug die schönsten kleider, war
voller zärtlichkeit u. habe ihm geheime
druckzeichen des glücks gegeben,
fingerspitzen-berührung, atem an seinem
ohr etc., man habe auf dem boden
gesessen, eine party im abendlicht.

plötzlich sei ein recht großes,
vielfüßiges krabbeltier über
den boden gelaufen,
eine bekannte habe zu einem stück holz
gegriffen u. das krabbeltier
stück für stück zermatscht,
derart, dass teile von ihm noch immer
ein stück weitergelaufen seien.

schon mit dem ersten angriff habe sein schatz
mit glockenheller stimme gerufen,
please, no,
oh no,
please, oh no,
don´t do it,
please,
no, no, no!

schreckensstarr sei sie sitzen geblieben u. habe
ewig weitergebetet und gefleht, derart, dass es ihm
sogleich in alle innereien gezogen sei, dem
knochenmark inklusive, dass ihr flehen
ihm gegolten habe, weil er plötzlich befürchtete,
sein kopf würde nach hinten abknicken,
als sei alles gute,
um das er sich jemals bemüht hatte,
in eine hässliche hornhaut eingegangen,

ohne schutz sei ihr flehen u.
alle verletzungen der welt
plötzlich zu ihm vorgedrungen,
während sich ihm,
unfähig schutz zu geben,
ihr flehen immer tiefer eingebohrt habe,
bis das gesamte innere metall durchdrungen war u.

der idiot der klinik vor ihm gestanden sei,
mit der gabel endlos über den teller gekratzt,
mit den brüchigen fingernägeln über die kreidetafel
aus seinem primärunterricht gefahren sei,
immer wieder mit der frage,
geht´s guts?
geht´s guts?
geht´s guts?

die filmwahl
seines schatzes sei
vielleicht genetisch
zu erklären,
eine andere erklärung
habe er nicht.


Martin Westenberger:
Studium der Germanistik, Kunsterziehung, Soziologie, Johann Wolfgang v. Goethe Universität, Frankfurt. Arbeitet als Disponent in der Filmbranche.
Buchveröffentlichungen: Allee der fetten Herzkranzgefäße (Kurzprosa); Anmerkungen zum Sonnenstand (Lyrik)
Homepage: MartinWestenberger.com

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Bruno Schulz: Kitt und Schnitt

Das Wort und der Begriff Tabu hat eine weite Reise hinter sich gebracht. Etymologisch wie geografisch. In unsere Breiten transportiert hat es der abenteuerlustige, deutsche Naturforscher Georg Forster erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts vom anderen Ende der Welt, einer Südseeexpedition an der Seite des berühmten Entdeckers James Cook. Sie füllten damit eine abendländische Wortschatzlücke um ein wohlbekanntes Phänomen ohne Namen. Aufgetan hatten die beiden das Tabu in Polynesien, als Teil eines spirituellen Konzeptes, das man auf seinem Sprung ins Heute inzwischen um einige interessante Details erleichtert hat. Auf Tonga hieß das Tabu noch „Tapu“, so wie die gleichnamige Hauptstadt des Archipels und war dort untrennbar verbunden mit dem „Mana“, das eigentlich eine transzendente Kraft fasst und doch distanzauslösende Stigmata beschreibt. In Personen, Objekten, Zuständen und Handlungen. Die Distanznahme dazu selbst ist schließlich das Tabu. Ein mehr oder weniger selbstgewählter Abstand. Heute ist dieser Abstand nur selten selbstgewählt. Aber kollektiv verinnerlicht, was die Tabus zum Treibstoff aller Gesellschaften macht. Gruppendynamisch. Nicht wirklich greifbar und doch eine Art Schweizer Offiziersmesser für den Macht- wie Sachkundigen in der komplexen Mechanik menschlichen Miteinanders. Tabus sind das Fundament von Hierarchien und dienen im Grunde der Manipulation der Gesellschaftsangehörigen durch das Bespielen ihrer existenziellen Strafängste. Das Tabu ist Kitt und Schnitt zugleich. Der Inhalt variiert mit der Gemeinschaft, die es zusammenhält und doch zerschneidet und das Ergebnis daraus es ist und immer bleibt. Eine Welt ohne Tabus ist letztlich eine Welt ohne Menschen. Und ob das Utopie oder Dystopie ist, bleibt der Perspektive jedes Einzelnen überlassen.

Bruno Schulz im April 2018


Bruno Schulz
ist zweiundfünfzig Jahre alt und Vater eines Sohnes. Er hat Innenarchitektur studiert und einiges Geisteswissenschaftliche. Nach einigen Stationen in Deutschland, Europa, in Asien und in Afrika arbeitet er als Designer, Texter und Moderator. Mit seiner Agentur schulzundtebbe entwickelt und pflegt er Marken. Er liebt und lebt das Storytelling und schreibt immer und leidenschaftlich. Essays, Short Stories, Reiseberichte, dies und das. Oft geht es dabei um die Liebe, das Leben, Genuss und Kultur.“
https://www.facebook.com/profile.php?id=100014280661335
www.brunoschulz.de
www.facebook.com/derbrunoschulz
www.facebook.com/lesekabinett

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Astrid Farbenfroh: Jenseits der Filterblase

Wie man in der Nacht die kleinen Lichtpunkte heller sieht als am Tage, so erkennt man andere Dinge im Dunkeln.

Gesundheit weiß man erst zu schätzen, wenn man sie verloren hat oder sie bedroht ist und der Tod steht bei vielen nicht auf der Agenda, die man zu Lebzeiten bearbeiten möchte.

Viel zu oft höre ich die Gedanken.

Patienten, die eben noch in ihrer Filterblase ohne die Existenz von Krankheit und Tod lebten. Ganz so, als würde es sie nie persönlich betreffen können. Vielleicht ganz vage, irgendwann. Aber doch nicht heute. Und so harren sie noch ein wenig in Schockstarre und die Wirklichkeit dringt langsam in ihr Bewusstsein.

Der Gedanke: Ich, hier, jetzt. 

Traurig, die Erzählungen über offen gebliebene Herzenswünsche. Sehnsüchte, die bleiben. Dies und das wollten sie machen, wenn sie erst Rentner sind. Diesen und jenen Wunsch erfüllen, wenn sie Zeit haben.

Viele verdrängen erfolgreich die Tatsache, dass wir alle älter werden und ein Später aus gesundheitlichen Gründen vielleicht gar nicht möglich ist. Warum? Ich denke, es ist Angst. Von der eigenen Vergänglichkeit möchte niemand gern hören.

Mit Krankheit und Tod vor Augen oder im täglichen Gewahrsein ihrer Existenz sage ich darum jedem: Genieße den Tag, erfülle deine Herzenswünsche. Je schneller, desto besser. 

Aufgehoben ist nicht immer aufgeschoben. Und was du heute kannst erleben, kann dir später keiner nehmen. Auch nicht eine Krankheit.

Leider erlebe ich beinahe täglich, dass die nächsten Angehörigen nicht wissen, man nie darüber gesprochen hat, was man möchte und was nicht. Nicht nur Gesunde, auch Kranke scheuen sich vor diesem Gespräch. Manchmal bin ich regelrecht erstaunt, wie groß die Hemmschwelle ist und freue mich über jeden, der sie überwunden hat. Vielleicht sogar schriftlich fixiert hat.

Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung sollen meinen Willen sichern, wenn ich nicht mehr imstande bin, ihn zu äußern. Das Gespräch kann Ängste nehmen. Auf beiden Seiten.

Wenn sie wissen, was ich möchte, wird auch für sie die entstandene Situation leichter zu ertragen sein. Ihr Respekt schützt meine Wünsche. Sie können dann etwas leichter loslassen, weil ihnen bestimmte Entscheidungen abgenommen werden, sie frei von der Verantwortung für die Konsequenzen sind. 

Wer sich zu Lebzeiten seinen Ängsten stellt, hilft nicht nur sich, sondern auch denen, die zurückbleiben.

Astrid Farbenfroh ist Künstlerin und verwaltet FARBFEUERWERK.  Sie lebt und arbeitet als Fachschwester für Anästhesie und Intensivmedizin in Magdeburg.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Christina Mohr: Heilige Körperflüssigkeiten

Bei aller gebotenen Offenheit: Ich persönlich finde es richtig, dass manche Dinge einfach nicht gehen, also tabu sind. Von Kinderpornografie bis Großwildjagd fällt mir da so einiges ein, Sie wissen, was ich meine.

Klar, der Begriff „tabulos“ ist landläufig positiv konnotiert, man will damit ausdrücken, besonders ehrlich, mutig, sexuell aufgeschlossen und/oder querdenkerisch zu sein. Alles okay für mich. Ein privates Beispiel: Als ich meinen Sohn geboren hatte, bemerkte ich sehr deutlich ein Tabu unserer Gesellschaft – nämlich, über Geburten so zu sprechen, wie sie wirklich ablaufen. Also über Blut, die anderen Körperflüssigkeiten, den Schmerz, das Ausgeliefertsein… Das kommt nicht so gut an, weil in den Köpfen (selbst denen von Müttern) das Bild der selbstbestimmten, behüteten und vor allem als absolut positives Ereignis zu empfindenden, heiligen Geburt so fest verankert ist, dass es doch bitte nicht von schmutzigen, glitschigen, hässlichen Details ins Wanken gebracht werden soll – auch um künftige Mamis nicht zu verunsichern. Ein wenig hilfreiches Tabu, das gerne gekippt werden darf.

So, und jetzt gehe ich eine Runde „Tabu“ spielen – kennen Sie das Spiel noch? War in den 1980ern sehr beliebt und symptomatisch für diese Zeit: Um den heißen Tabu-Brei herumreden, ein Thema/eine Sache erklären, ohne DAS WORT nennen zu dürfen. Lustig, anstrengend und so manches Tabu entzaubernd…


Christine Mohr
: verdient Brötchen und Miete beim Campus Verlag in Frankfurt. Nach Feierabend rezensiert sie Platten und Bücher, am
liebsten fürs culturmag, gelegentlich aber auch für andere Websites und Magazine.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Jana Volkmann: Taboo Tales

Von wegen betuliche Smoothie- und Welpenfotos. Auf Instagram kann man auch handfeste Bekenntnisse lesen, in Form von handgeschriebenen Notizen, den „Taboo Tales“. Das zweifelhafte Ziel: am Ende festzustellen, dass man trotz (oder dank) gewisser Grenzüberschreitungen ganz normal ist. Glück gehabt.

Man kann sich das vorstellen wie eine profane Beichte. Die Kunst liegt in der Verkürzung: Es gibt das Format auch als Schreibworkshop, auf YouTube und als Podcast, aber die handgeschriebenen Zweizeiler reichen, gerade weil sie ohne narrative Umschweife, bühnentaugliche Inszenierung oder gar Erklärungsversuche auskommen. Interessant auch, weil sie veranschaulichen, dass „tabu“, im umgangssprachlichen Sinn jedenfalls, für jeden etwas anderes bedeutet. Eine Schnittmenge zwischen Banalität und ermächtigender Aufklärung scheint es auch zu geben. Ganz wenige sind so transgressiv, wie man es sonst wohl nur von toten Franzosen kennt, von de Sade, Apollinaire oder eben Bataille: „I peed on the altar of my church“ – toll! Knapper hätte man die „Geschichte des Auges“ nicht zusammenfassen können.


Jana Volkmann
wurde 1983 in Kassel geboren und hat in Berlin Literaturwissenschaften studiert. Sie lebt als Autorin (zuletzt: „Das Zeichen für Regen“), Journalistin und Literaturvermittlerin in Wien und veröffentlicht Literaturkritik u.a. im Freitag und im Magazin Buchkultur.

www.jana-volkmann.de; http://culturmag.de/rubriken/buecher/im-gespraech-jana-volkmann-das-zeichen-fuer-regen/90704

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Astrid Dornbrach: Nackt im Wind

Mein Traum: Da ist eine Frau. Sie ist nackt. Sie ist klein, groß, schlank, dick, kurvig, füllig, dürr oder zierlich und sie tanzt splitterfasernackt im Wind. Ohne den sezierenden Blick wertender Beurteilung und ohne dass ihre Nacktheit irgendwem auch nur den geringsten Gewinn bringt. Das ist ein Tabu! Immer noch. Und ich möchte es ganz dringend gebrochen sehen.

Ich wünsche mir, dass ein Frauenkörper, wunderschön in seiner Individualität – egal ob sportlich, feminin oder androgyn – einfach nur sich selbst gehört und sich für seine Trägerin gut anfühlt. Von der kleinen Zehe bis zur Haarwurzel. Ich wünsche mir einen mutwilligen Körper, der alle Regeln bricht und sich ganz neu erfindet – für sich selbst! Aus reiner Spielfreunde und mit purer Lebensenergie.

Warum die Frau nackt im Wind tanzt, geht keinen etwas an. Da ist nur sie, ihre Haut und der Wind. Niemand, der ihr vorschreibt, wann sie wie auszusehen hat und warum. Kein Objekt, dessen schmückendes Beiwerk sie ist – einerlei, ob eine Kühlerhaube, auf der sie sich postkoital räkelt oder Fischstäbchen, die sich mayonnaisebekränzt lüstern auf ihren Mund zubewegen.

Frau soll Lust an sich selbst empfinden, ohne das Tabu eines Zwecks, den man uns als Rechtfertigung für Sex und/oder das Beschäftigen mit dem eigenen Körper immer noch vorschreibt. Man „darf“ sich seines Körpers freuen in der Reflexion eines Partners oder ihn hochglanzpoliert verkaufen. Einfach so? Um seiner selbst willen – aus Freude an den eigenen Brüsten, dem Po, der eigenen (liebgewordenen) Haut: Nein, wie obszön und pervers! 

Objekt sein? Einem Anderen zu Willen sein? Total ausgeliefert? Nichts dagegen! Auch das kann wunderschön sein. Aber nur, wenn man selbst bestimmen kann, wann und vor allen Dingen für wen man Objekt sein möchte. Man nenne mir Tag und Stunde! Aber nur, nachdem ich nackt im Wind getanzt habe. Ganz für mich allein!


Astrid Dornbrach
lebt als Journalistin und Schriftstellerin in Berlin. Über den Umweg Wien, wo sie bis vor kurzem ihren Lebensmittelpunkt hatte, kam sie in die Heimatstadt ihres Vaters – Berlin. Hier schreibt sie unter anderem für die „Zitty“. Über zwei Jahrzehnte lang schrieb Dornbrach bei der „Rheinpfalz“ in Rheinland-Pfalz. Ihre Ressort sind: Soziales, Kultur und Politik. Dornbrach hat weiterhin eine Ausbildung zur Schauspielerin/Sprecherin bei Ruth von Zerboni (München/Gauting) absolviert. Demnächst wird Astrid Dornbrach ein Kultur-Programm für den Sender „Antenne Luxemburg“ betreuen. Privat reist sie gerne und hat u.a. mit ihrer Tochter ein halbes Jahr bei den Blackfeet in Montana gelebt. Fotografieren ist eine ihrer Leidenschaften; in Wien hat sie mehrfach ihre auf Bütten gedruckten Fotografien vorgestellt.
https://www.zitty.de/ausgeliefert-deliveroo-fahrer-organisieren-sich/
https://www.rheinpfalz.de/nachrichten/politik/artikel/ein-leuchten-gegen-den-hass/
https://www.rheinpfalz.de/lokal/pirmasens/artikel/ein-viel-zu-reicher-ermittler-1/?tx_rhpnews_shownews[reduced]=true
https://www.falter.at/event/722196/astrid-dornbrach-die-monotonie-durchbrechen
https://www.antenne-luxemburg.lu/members/astrid-dornbrach/

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Robin Becker: Traum und Scham

Ich suche den Strand nach einer Unterkunft ab, doch vieles ist ausgebucht oder mir die Wände zu dünn und die Matratzen zu hart. Schließlich finde ich im Dorf in dem einzigen mehrstöckigen Steinhaus weit und breit etwas zum Wohnen. Das Zimmer gleicht einem Yogaraum, so groß und spärlich eingerichtet ist es, in dem lediglich ein Ehebett steht. Am nächsten Morgen erwache ich von dem Gebell eines Hundes aus einem Sextraum, in den ich leider nicht mehr zurückkomme, doch der mich inspiriert, mir so schnell wie möglich eine Sexpartnerin zu suchen. Ich öffne die Tür, die nach draußen führt und schaue in das ernste Gesicht einer Inderin, die vor einer Hütte umgeben von Kokospalmen, zwei Kleinkindern, Hühnern, zwei mageren Kühen und einem Hund, der mich anbellt, mit den Händen Wäsche wäscht, während auf den Nachbargrundstücken Männer ihre kleinen Felder bestellen. Ich grüße die Frau, die mir winkt, woraufhin der Hund Ruhe gibt. Erst da bemerke ich, dass ich noch ziemlich erregt von dem Traum bin, verschwinde rasch in meine kleine Turnhalle und frage mich, ob es mir zusteht, hier zu sein und schäme mich.


Robin Becker
lebt und arbeitet als freier Autor und Sozialpädagoge, der mit verhaltensauffälligen Jugendlichen Abenteuerreisen unternimmt, in Köln.
Auf seiner Facebook-Seite entsteht das Mitmach-Buch „Mann ohne Gewähr made in Facebook“ bestehend aus seinen Shortstories, Reiseberichten und Kommentaren von Lesern und Leserinnen.
Sein Debüt-Roman „Das Kino bin ich“ (Mischung aus Roadtrip durch Indien, Entwicklungsroman und Reiseroman) ist unter folgendem Link zu finden. https://tredition.de/…/ro…/das-kino-bin-ich-paperback-94700/

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Claudia Denker: An Schweinetischen

Jede Buchhändlerin, jeder Buchhändler kennt die Situation: Ein Kunde steht vor Dir und möchte ein Buch bestellen, und zwar eines mit zum Beispiel politisch rechten Inhalten. Der Titel ist nicht verboten, aber es widerstrebt Dir, das Ding zu besorgen. Ich bin nicht mehr freundlich und tippe die Bestellung in den Computer. »Und tschüss. Morgen da.« Oder ich sage: »Tut mir leid, so etwas bekommen Sie hier nicht.« Bis jetzt hatte ich immer das Glück, in Buchhandlungen zu arbeiten, wo ich das selber entscheiden konnte. Gottseidank (es gibt ja auch Leute, die sich wirklich beruflich mit Dreckstexten beschäftigen müssen).

Allerdings erinnere mich auch noch daran, dass ich in einem Stapel antiquarischer Krimis im »Hammett« diesen Katzenkrimi von Akif Pirinçci gefunden, dann in den Müll geworfen und davon ein Foto auf Facebook gepostet habe, weil er gerade eine widerliche Rede bei den Pegidas gehalten hatte.

Zu dem Thema »Tabu« fällt mir aber auch noch kichernd meine Anfangszeit als Buchhändlerin hier in Berlin ein (1987, Wohlthat’sche Buchhandlung).

Viele kennen vielleicht noch die Versandkataloge (abgeguckt bei »Zweitausendeins«), die so »links« anmuteten, aber immer mehr die bebilderten »anspruchsvollen« … haha … Bücher mit »erotischem« Inhalt im Programm hatten. In jeder Filiale, ganz besonders auch in der Budapester Straße und in der Wilmersdorfer, wo ich selbst drei Jahre gearbeitet habe, gab es sogenannte »Schweinetische«. Immer eher hinten, wo die Leute sich nicht so beobachtet fühlten, aber wir sind – natürlich auch manchmal genervt – mit viel Humor (jung, unschuldig, aber manche auch sehr wild) damit ganz gut klargekommen.

In Zeiten des Internet hat sich natürlich sehr viel verändert. »Schweinetische« gibt’s nicht mehr. Wohlthat auch nicht. Das ist nicht so schlimm. Ein ehemals linker Haufen, von dem später die Message ausging: »Ihr wolltet die Revolution nicht, dann machen wir eben Kapitalismus!« Und einer aus der Chefetage brüllte Naziparolen. Einfach durchgedreht.

Eine Bücherwelt ohne Tabus … ich mag sie mir nicht vorstellen … es geht nicht ohne, oder? »Schweinetische« – von mir aus gerne wieder … rassistischer und antisemitischer Mist muss draußen bleiben.

Und an der Gedächtniskirche, nicht weit von der Wohlthat-Filiale in der Budapester Straße stand so viele Jahre Helga Goetze. Die war erstaunlich, mit Tabus hatte sie nichts am Hut.


Claudia Denker:
Gründerin der Krimibuchhandlung „Hammett“ (Inhaberin 1995–1998), ist als mobile Buchhändlerin in Berlin unterwegs.

 

Bild: Christian Rudolf Noffke
Stephen Urbanski: Tabulator

€-KZ. / SSUV. / Betendes Blei. / NSAfD. / Gott hasst Erinnerungen. / Ortszön. / Fjällräven ist das neue Hakenkreuz. / Weißer Wind. / Gedankenstricher. / Kitschfotze. / Das Glas ist halb toll. / Szeneast. / Ich kaufe, also billig. / Noch bin ich Kunde dieser Stadt. / Lidl ist nur ein Wort. / Kunst kann nichts. / Jetzt schon an Höhere Töchter denken. / Fresseausweis. / Fakealien. / Alswie. / Sprung buchen. / Glücksgas. / Es müsste in jedem Hause einen Arzt geben. /

Guten Tag, ich interessiere mich für Tote. / Hätte, hätte, Hippiekette. / Wäre, wäre, Hafenfähre. / Legalisiert den Alkohol. / Elegante Jüdin. / Draußen sehr ernste Uggs. / Dankbar zahlen. / Auch du, mein Sohn Brutalismus. / KRRPT. / VRRCKT. / KRRKT. / Kampfmittelbringdienst Hamburg-Nord. / Ich sehe glühende Röcke. / Dem diplomatischen Chor beigetreten. / Maßnahmen zur Durchführung des Unterleibes. / Dem ADHS beigetreten. / Stricken für Obdachlose. / Nicken für Obdachlose. / Ficken für Obdachlose. / Dem Neuen Volke. /

Sich um Kopf und Kragen leben. / Aber in privaten Hochhäusern wird doch auch gelitten. / CUXDU. / Instagram delenda est. / Facebook delenda est. / Twitter delenda est. / Google delenda est. / Internet delenda est. / Urbi et Uzi. / Check: Neulich im Massengrab. / Ganze Sätze, deutsche Sätze. / Esst mehr Pizza. / Gebratene Sahne. / Bukkake gegen Gewalt. / Die Letzte Ölung war schlecht. / Draußen wüten Minuswinde. / Alle brauchen alles noch sofort. / Ans Verdienstkreuz: genagelt. / Gemeinsam wird uns kalt. / Wenn man müde ist und blutet. / Mütter müssen schreien. / Urbanski, nach Diktat vereist. /

Schrägstriche wie Handkantenschläge. /

Tabubruch: Ich habe noch nie Musik gehört. /

Brechsalz: Im Zweifel bin ich. / Es. / Deines. /

(Stephen Urbanski: Hamburg Wort Authority. Stephen Urbanski: Mohr zur Welt. Stephen Urbanski: Dichter und Henker.)


Stephen Urbanski
, Baujahr 1956, Hamburger Jung. Diplomierter Inländerfeind, passionierter Polemiker. Schreibt über Deutschlands Bodensatz, verfemt wie besehen. Stephen Urbanski, zu finden bei Amazon, iTunes et cetera. Stephen Urbanski sagt: 

Urbi et Urbanski.

 

 

 

 

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