Geschrieben am 1. April 2024 von für Crimemag, CrimeMag April 2024

Ute Cohen: Jürgen Bauer »Styx«

Ein Plädoyer für Formgebung und Respekt

Auf einen Trick greift der österreichische Schriftsteller Jürgen Bauer zurück, wenn er uns in STYX, seinem fünften im Septime Verlag erschienenen Roman, in das Leben einer Opernsouffleuse und eines Gärtners hinein verführt: White Noise, weder Musik noch Stille, ist die Begleitfrequenz dieses paradiesischen, manchmal auch giftigen Romans.

Das Rauschen zwischen den Sendern ist Symbol für ein Zwischenreich, in dem die Wahrnehmung schwindet und sich schärft zugleich, ein Reich, in dem man sich einlassen muss auf Ungehörtes und Unerhörtes. Freiwillig betritt man diesen Transitraum selten. Auch Bauers Figur einer Souffleuse, Madame Partitur genannt, wird durch eine berufliche Wende aus der Bahn geworfen. Allerdings löste sie die Situation selbst aus, als sie bei einer Aufführung den einer Sopranistin zugedachten Einsatz bewusst verpatzte. Kein Missgeschick führte zum Desaster, sondern eine Boshaftigkeit der Souffleuse, die sich an den aufgerissenen Rehaugen und der Panik der Sängerin weidete. Brutal ehrlich führt Bauer seine Protagonistin ein und macht sie damit um so menschlicher: „War ich ein Arschloch? Und was für eines, ein ganz besonders großes. Machte es mir Freude? Und wie.“ Eine erfrischende Selbstreflexion in Zeiten der behaupteten Unschuld und Harmlosigkeit. Auslöser für diese erschreckende Selbsterkenntnis ist der Tod des Mannes. Der ehelichen Vertrautheit beraubt, erlebt die Souffleuse in der Abgeschiedenheit einer Hütte, umgeben von einem zauberhaften, aber auch bedrohlich wirkenden Garten, eine „zweite Version ihrer selbst“: „Diese Version kriecht in jede Extremität, streckt ihre Finger von innen in meine Finger, ihre Zehen in meine Zehe n, ihren Kopf in meinen Kopf.“ Ein neues Wesen macht sich Raum in einem Menschen, der das angestammte Milieu und die gewohnte Arbeitsumgebung verlässt. Ein Wesen, das eine neue Sprache finden muss im White Noise, eine Sprache, die das entstandene Chaos produktiv verwandeln kann.

Hilfreich ist dabei das Zusammentreffen mit einem Gärtner, den der Himmel geschickt zu haben schien, so urplötzlich taucht er als Deus ex machina auf im ländlichen Idyll, das sich freilich immer mehr zu einem sprießenden Ungetüm zu entwickeln droht. Der natürliche Zyklus der Jahreszeiten – das Buch ist ebenso aufgegliedert – und die fehlende Einhegung durch den verstorbenen Gatten lassen das Anwesen verwuchern. Der Gärtner aber nimmt sich der Natur an, formt und gestaltet das Vorgegebene und setzt zunehmend aber auch eigene Marken. Seltsame Erinnerungen keimen in der Souffleuse auf, Déjà-Vu-Erlebnisse, als sie eine Liaison eingeht mit dem Fremden, den sie von ihrer Chefin geschickt glaubt. Die Berührungen fühlen sich an wie Wiederholungen und sind doch neu.

Den paradoxen Zustand zwischen Vergangenem und noch Anwesendem lotet Bauer lustvoll aus und findet dafür erstaunliche Figuren, die diese Gleichzeitigkeit fantastisch verkörpern. So unvermutet wie der Gärtner tritt auch ein Hund in das Leben der Madame Partitur. Dieses wilde Wesen nennt sie Hans Styx nach einer Figur in der Operette „Orpheus in der Unterwelt“. Hans Styx verlieh in der Inszenierung des verstorbenen Gatten der Souffleuse allen anderen Rollen seine Stimme, wenn diese nicht singen, sondern sprechen mussten. Eine schöne Idee für dieses rauschende Zwischenreich des White Noise, in dem die Figuren unwillkürlich der Verwandlung ausgesetzt sind. Nur in der Musik leben die Figuren auf, Hans Styx steht für die sprachliche Fremdeinwirkung, für ein Fremdsein in der Sprache. Sprache, so wie wir sie derzeit verstehen, ist nicht immer des Rätsels Lösung. So sagt die Intendantin: „Alle wollen heutzutage immer sprechen (…) es ist ein Graus.“ Ein bereichernder Gedanke, den man weiterspinnen könnte im Kontext aktueller linguistischer Debatten: Liegt der Ausweg aus verfahrenen Debatten im Wagnis einer neuen Sprache, einer Sprache der Musik, die dem sterilen Befolgen von Regeln etwas Greifbares, einen Körper verleiht?

Dass in diesem Gedanken eine Chance liegt, aber auch eine Gefahr, macht Bauer deutlich, wenn er – ein Mensch des Theaters, der Oper und des Gartens! – die Oper zu neuem Leben erwachen lässt. „Die Oper ist tot.“ „Die Oper lebt, gerade weil sie tot ist“ – In Sätzen wie diesen klingt ein rebellischer Imperativ an, die menschliche Freude daran, die Natur bestehen zu lassen und doch den eigenen Willen zur Form walten zu lassen. Gerade in der Formgebung der Natur aber erscheint ihr besonderes Wesen auf. Bauers Roman ist ein Plädoyer für Formgebung, das den Respekt vor der Materie wahrt.

Dadurch erschafft er nicht nur ein bildliches, sondern auch ein metaphorisches Paradies, indem der Garten sprießt, die Musik erklingt und das Miteinander an streitbarer Lebendigkeit gewinnt:

„Wir Opernmenschen glauben nicht an Zufälle, sage ich, die Werke, mit denen ir uns beschäftigen, sind voller Bedeutung, nichts geschieht einfach so, alles ist mit Sinn erfüllt.

Nun, sagt er, wir Gärtner glauben das nicht, wir glauben sogar das Gegenteil. Dinge geschehen, den Sinn gibt nur die menschliche Hand, aber erst im Nachhinein.“

Ein Paradies aber ist „nur echt mit Schlange“, wie Jürgen Bauer sagen würde. Wir müssen uns nur darauf einlassen. Die richtige Dosis hat noch keinem geschadet und das Zwischenreich, in dem Fantasie und Wirklichkeit, Tod und Leben sich im widerstreitenden Spiel befinden, ist auch nicht zu verachten. Das wissen wir spätestens seit „Styx“.

Ute Cohen

Jürgen Bauer: STYX. Septime Verlag, Wien 2024. Gebunden, 192 Seiten, 24 Euro.

Die Texte von Ute Cohen bei uns hier.

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