Geschrieben am 1. Juli 2023 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2023

The Computer. A History …

Jens Müller, Julius Wiedemann: The Computer. A History from the 17th Century to Today. Dreisprachige Ausgabe: Englisch, Deutsch, Französisch. Verlag Benedikt Taschen. Hardcover, Format 24,6 x 37,2 cm, 3.89 kg, 472 Seiten, 60 Euro.

Eine Skizze von Markus Pohlmeyer

historein (gr.) = forschen                 computare (lat.) = berechnen

Es ist wieder eines dieser so reichhaltigen und großen Bücher aus dem TASCHEN Verlag. Stichwort Größe: den raumfüllenden Umfang der ersten Computer – der Name Colossus sagt spricht für sich – machen schon die ersten Seiten eindrücklich deutlich. Und ein weiteres Beispiel: „Der frühere Intel-Mikroprozessor 4004 aus dem Jahre 1970 enthielt 2.300 Transistoren auf einem Quadratmillimeter, während ein leistungsstarker Mikroprozessor im Jahre 2020 etwa 21.100.000.000 Transistoren auf gleichem Raum unterbringt.“[2] 

Wenn ich meine Höhlenmenschenhände ansehe, kann ich nicht umhin zu fragen, wie so etwas überhaupt technisch machbar sei. Das gleicht einem Wunder! Und darum halte ich dieses Buch mit seinen historischen Schwerpunkten für äußerst wichtig, gerade weil ich in einem Bereich, der sehr mein Leben in fast allen Aspekten bestimmt, so vieles nicht verstehe und verstehen kann. Ich tippe eben einfach Oberflächen an – und irgendetwas passiert. Der Kühlschrank kühlt, der Fahrstuhl fährt, der Drucker druckt.

Zur Orientierung liste ich die Kapitel auf: „The Beginnings – The Mainframe Age – The Personal Computer Age – The Internet Age – The All-Digital Age“. Zusammengefasst: „Die Geschichte des Computers ist history in the making.“[3]Stimmt, beim Blättern fühle ich mich, als ginge ich durch ein Museum, und ausgewählte Abteilungen darin sind einmal Teil meiner Gegenwart gewesen. Der erste Taschenrechner in der Schule, zum ersten Mal „2001“ gesehen, da gab es disks, mein erster Computer, Internet, online-Unterricht usw. Und so weiter? Wohin mag der Weg gehen? Am Ende steht vorläufig der Quantencomputer.[4] „Autorinnen und Autoren skizzieren für diese Zukunft völlig unterschiedliche Szenarien: von der Herrschaft der Maschinen (oder der Herrschaft der Maschinenbesitzer) bis zur Vision einer weiterentwickelten Menschheit mit heute noch unvorstellbaren Fähigkeiten.“[5] Das Vorhandensein bestimmter Techniken beeinflusste auch immer die Konzepte unserer Weltbilder. Vielleicht ist dieses Universum ja nur eine 3D-Simulation?

Für „The Computer“ gilt schlichtweg eine Kombination aus Aristoteles und Augustinus: Nimm, lies und staune! Und mit Kant: Denk mal selbst nach! (Lass das nicht alles die Maschine tun! (J))

Oh – „Können Maschinen denken?“, so lautet eine Übersetzung des Titels von Alan Turings bahnbrechendem Aufsatz „Computing Machinery and Intelligence“[6]. Das Imitiation Game, der Turingstest und John Searles Erwiderung (Stichwort: Das Chinesische Zimmer) sind hinreichend bekannt. Vielmehr stellt sich die grundlegende Frage, was denn denken sei und was eine Maschine. „Denn einer jeglichen Maschine geht eine Blaupause, ein Bauplan voraus. Entsprechend könnte man die Maschine als einen Denkzwang auffassen, der lediglich die Form einer Sache angenommen hat. In der Versachlichung hat sich der Denkzwang zum Sachzwang gewandelt […]. Ein solcher Denkzwang […] kann sich ebensogut in einer sozialen Organisationsform niederschlagen, oder er kann die Form eines Zeichensystems, einer bloß symbolischen Maschine annehmen.“[7] 

Wir alle leben schon immer in Maschinenwelten – z.B. in Institutionen aller Art. Und es geht um Informationsweitergabe und -erweiterung. Man spürt noch das Staunen Carls Sagans, wenn er den (evolutionären) Weg der Speicherungskapazitäten von Genen, Gehirnen und Bibliotheken nachzeichnet.[8] Als er seinen berühmten „Cosmos“ schrieb, gefühlt vor Jahrtausenden, waren die unfassbaren Möglichkeiten heutiger Computer noch nicht abzusehen. Und, ja, ich gehe davon aus, dass ich denke und ein Bewusstsein habe. Fragen Sie mich aber bitte nicht, dies zu definieren. Vereinfacht: empirisch und evidenzbasiert projizieren wir Menschliches auf Maschinen … denn sie sind ja auch unsere Geschöpfe. Sehen meine Neuronen? Sehe ich meine Neuronen? DNA kann – erwiesenermaßen – Bibliotheken und Internet bauen: liest sie deshalb schon Platon, Goethe oder CulturMag? Und welcher Denkzwang steckt hinter der Gen-Maschinerie der Evolution? … so mal naiv nachgefragt.

Ein kleines Gedankenexperiment: Ich dachte mir heute am Morgen einmal alles weg, was mit Computern zu tun haben könnte. Nun, das mit dem Müsli und Kaffee würde ich noch hinbekommen. Und jetzt geht es los: den Supercomputer in meiner Hand anschalten, SMS lesen, schnell Wetter kontrollieren, Abgleich mit einem Blick nach draußen; Laptop an, schnell mal in die Mails schauen; schnell etwas suchen, im Fahrplan der Bahn wühlen; und Wiki hilft da auch nicht weiter bei meinem aktuellen Dinosaurier-Problem … dann denke ich mir alle Elektronik in meinem Haushalt weg. Statt Beethoven-Symphonie eine kleine Flöte. Statt Flachbildschirm Comic.

Und das waren nur die harmlosen Sachen, machen wir beim Festnetztelefon, dem Kühlschrank, dem Herd weiter. Hier und da noch ein Buch online bestellen, per Mail einen Arzttermin verhandeln, später eine Webex-Sitzung abhalten, einem meiner Verlage noch etwas scannen. Ach, wie schön wäre es, wenn eine Drohne mir das neueste Klemmbausteinset an den Balkon lieferte? Muss ich meine Wohnung überhaupt noch verlassen? Seien Sie beruhigt, ich tue das immer wieder und sehr gerne. Auch wieder banal: ohne Computer keine neuen Medien. Und auch vieles in der Science Fiction nicht (oder umgekehrt?).

Darum wundert es auch kaum, dass Motive von diesem Genre – das Genre schlechthin nicht nur des Industrie-, sondern auch Informationszeitalters – immer wieder auf und in diesem Buch vorkommen: prominent natürlich „2001“, „Westworld“, „Blade Runner“ oder „Jurassic Park“. Letzterer zeigt eindrücklich, wie real virtuelle Welten wirken können. Das Meisterwerk von R. Scott behandelt auch die (Turing-)Frage, wie weit Androiden noch von Menschen zu unterscheiden wären. Vor allem die neue Serie zu „Westworld“ vertieft dramatisch und tragisch dieses Problem: was fühlten diese Androiden, wenn sie für Menschen nur Spielzeug wären, an dem sie ihre Folter- und Mordphantasien auslebten? Und schon stellt sich auch die Frage nach Cyber-Sex.[9] Und in dem geschlossenen System des Raumschiffs „Discovery“ ist HAL der Supercomputer, obwohl Menschenwerk, von dem die Astronauten absolut abhängig sind. Die Angst vor einer transhumanen Superintelligenz, die vielleicht irgendwann das Ende der Menschheit beschließen könnte. Na ja, diese wunderbare neue Welt erscheint mir aber auch wie eine trash-human black box: die größte Schrotthalde der Menschheit, die ihre dunkelsten Seiten potenziert: von totaler Überwachung über Cyber-Crime bis zu neuen Formen der Kriegsführung (übrigens ein wesentlicher Motor für die Computerentwicklung.), und das alles überholt von jeglicher Form der Dummheit und Banalität. Was missbraucht werden kann, wird irgendwann missbraucht – siehe KI. 

Dieses Buch mit seinem beeindruckenden, dokumentierenden Bildmaterial (Wo mir der Atem stockte: Chicago Board of Trade[10].) war wie ein Lehrgang für mich – ein wenig besser die Welt begreifen zu können, in der ich User bin. Ich tippe das hier gerade … und ich verstehe die technische Magie kaum, welche dies ermöglicht. In meiner Hand halte ich einen Supercomputer, der vor wenigen Jahrzehnten vermutlich noch ganze Hallen gefüllt hätte. Per Click versende ich ein ganzes Buchmanuskript. Und ich muss nicht meterlange Papyrus-Rollen auseinanderwälzen, damit ich ein Gedicht schreiben kann. Von den medizinischen Möglichkeiten ganz zu schweigen. Nicht ohne Grund wird unter dem Stichwort „Speech Computer“ Stephen Hawking abgebildet.[11] 

Computer sind aus Biologie, Physik, Kosmologie gar nicht mehr wegzudenken. Vielleicht gehören sie sogar natürlich dahin als weiterer Schritt des Erkennens? „Wir, die lokale Verkörperung eines zum Bewußtsein seiner selbst erwachten Kosmos, haben über unseren Ursprung nachzudenken begonnen […].“[12]

Markus Pohlmeyer, Dichter und Essayist, lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Essays und Gedichte bei uns hier.


[1] J. Müller – J. Wiedemann (ed.): The Computer. A History from the 17th Century to today, Köln 2023 (TASCHEN). Mit dt.-engl.-frz. Texten.

[2] Computer (s. Anm. 1), 29.

[3] Computer (s. Anm. 1), 28.

[4] Computer (s. Anm. 1), 466.

[5] Computer (s. Anm. 1), 28.

[6] Alan M. Turing: Computing Machinery and Intelligence. Können Maschinen denken?, engl./dt., übers. u. hg. v. A. Stephan – S. Walter, Stuttgart 2021. Siehe dazu auch Computer (s. Anm. 1), 81.

[7] M. Burckhardt: Vom Geist der Maschine. Eine Geschichte der kulturellen Umbrüche, Frankfurt am Main – New York, 1999, 17.

[8] C. Sagan: Unser Kosmos (11. Kapitel), übers. v. S. Summerer – G. Kurz, Augsburg 1997 (Vorlage: ‚Cosmos‘, 1980).

[9] S. dazu Computer (s. Anm. 1), 376.

[10] Computer (s. Anm. 1), 394 f.

[11] Computer (s. Anm. 1), 306.

[12] Sagan: Kosmos (s. Anm. 8), 357.

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