Geschrieben am 1. Dezember 2023 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2023, Musikmag

Alf Mayer: Salz der Erde – Musikbuch (1)

Johnny Cash: The Life in Lyrics (The Life in Lyrics, 2023). Sein Leben, seine Texte. Aus dem Amerikanischen von Alexander Wagner, Stefan Rohmig, Philip Bradatsch, Bernd Gockel. Mit Texten von Mark Stielper und John Carter Cash. Hardcover, 384 Seiten, Format 24 x 32 cm, durchgehend vierfarbig illustriert, 48 Euro.

Dafür muss man ein wenig verrückt sein, im positiven Sinne. Ein Herzblutbuch, ein Sammlerstück, aus einem Großkonzern, das ist auch 2023 noch möglich – wie „Johnny Cash: The Life in Lyrics“ aus dem btb Verlag beweist, der zum Penguin Random House-Weltkonzern gehört. Cheflektor Markus Nägele, selbst ein Vollblutmusiker, mag hier ein wenig mitgeholfen haben. Jedenfalls erschien dieser Solitär punktgenau zum 20. Todestag von Johnny Cash am 12. September 2023 und damit sogar zwei Monate vor der US-amerikanischen Originalausgabe.

Ein richtiger Tusch also, vom Format her größer als DIN-A4 und fast 400 Seiten stark, hinreißend gestaltet und mit einem großartigen Layout. Große Fotos, manchmal sogar doppelseitig, hervorragende Reproduktionen von Briefen, Dokumenten, Notizen und vielen handschriftlichen Zeugnissen bereichern das Buch. Cash schrieb sich über viele Jahre selbst einen Jahresbericht, viele seiner Songs entstanden zuerst auf Notizpapier, das man in Hotelzimmern findet, auf sogenanntem „hotel stationery“. Schöne Beispiel sind hier dabei, „Country Boy“ etwa auf dem Briefbogen des Hotels Patricia in Miami. Das Highschool-Gedicht „The School Bus“ aus dem Jahr 1949 findet sich ebenso wie handschriftliche Weihnachtsgedichte an seine Frau, dazu Tagebucheinträge, Telegramme und Briefe, etwa an die US-Präsidenten Jimmy Carter und Gerald Ford. Aus Cashs Roman „Man in White. The Conversion of St. Paul“, 1974, finden sich einige Manuskriptseiten und ein skizziertes Cover.

Die Bilddramaturgie ist außergewöhnlich, folgt dem Mann und seinem Leben, den Landschaften, die er liebte, und den Konzertsälen, die er verzauberte. Dazu Schnappschüsse aus Familienalben, Backstage-Fotos, Promoflyer, Poster, Cover, Notizen, Tagebucheinträge, Zeichnungen, Bilder, die ihn beim Angeln zeigen und natürlich Folsom Prison. Einmal gibt es eine Doppelseite: „Die Straße heim, nach Tennessee“, in den 1960ern.

„Sein Leben erzählt durch seine Lyrics, rare Fotografien und Dokumente … in einer üppig illustrierten Ausgabe autorisiert durch den Cash-Nachlass mit persönlichen Kommentaren von John Carter Cash“, heißt es auf ersten Innenseite. Von den mehr als 600 Songs, die Cash schrieb, finden sich 125 im Buch dokumentiert und teilweise auch visuell inszeniert, viele mit wertvollen Hintergrundinformationen erläutert. Die meisten Texte, Perlen der kurzen Form, stammen von Mark Stielper, der sich seit über 40 Jahren mit dem „Man in Black“ beschäftigt und als Haushistoriker und bester Kenner der Arbeit von Johnny Cash gilt. Eine eigene – schöne – Note als Sohn steuert John Carter Cash bei. Das Übersetzerteam Alexander Wagner, Stefan Rohmig, Philip Bradatsch und Bernd Gockel hat beste Arbeit geleistet. Positiv erwähnt werden muss, dass es die Songtexte im Original gibt. Und gefreut habe ich mich auch über die Doppelseite 288/89: Songs, die Johnny nicht schrieb, die aber trotzdem seine Handschrift trugen.

Die acht Buchkapitel folgen einer Mischung aus chronologischer Abfolge und thematischen Schwerpunkten, kreisen um je 18 Songs. Das Kapitel „Truth“ hat 20,  „Darkness on my back“ zwölf Songs, „People you would like to get to know“ versammelt 15 Songs und das Schlusskapitel „Hear the trumpets“ neun. Oft stockt das Herz beim Seitenumschlagen – so schön können Bücher sein.

1932, im schlimmsten Jahr der Großen Depression geboren, war Johnny Cash stets die Stimme, aus der das Salz der amerikanischen Erde spricht, heißt es an einer Stelle. „’Til things are brighter, I’m the Man in Black“ sang er 1971. Er machte einen Studienabschluss in Theologie, plante ein Filmprojekt in Israel, schöpfte Kraft aus seinem Glauben und schrieb einige der schönsten religiösen Lieder unserer Zeit. Der Song „Like a Soldier“ (im Buch auf Seite 352/53) ist die wahre Geschichte seines Lebens. Das vorletzte Foto im Buch zeigt seine Familienbibel: „If found, please return to Johnny Cash, Hendersonville, Tn.“…

Sein Vermächtnis, bekräftigt sein Sohn, war die Liebe. Er hasste niemanden, er folgte dem Motto „Choose Love“, schreibt er über seinen Vater.

Die letzten Buch-Zeilen sind so etwas wie ein Grabspruch, ein Zitat aus „Flesh and Blood“, seinem vielleicht schönsten Song von 1969. Ein Familienpicknick in der Natur hatte ihn dazu inspiriert. Mir machen diese Zeilen die Augen feucht.

So when the day was ended
I was still not satiesfied
For I knew everything I touched
Would wither and would die
And love is all that will remain
And grow from all these seeds
Mother Nature’s quite a lady
But you’re the one I need

Flesh and blood needs flesh and blodd
And you’re the one I need

PS. „Während Sie dieses Buch lesen, sollten sie unbedingt seine Musik hören“, lautet die Empfehlung seiner Autoren. Der QR-Code am Ende des Buchs führt zu einer Spotify-Playliste mit allen Songs, in der Reihenfolge des Buches. Das sind fast sieben Stunden Hörgenuss. Wenn das kein Mehrwert ist.  

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