Geschrieben am 1. April 2021 von für Crimemag, CrimeMag April 2021

Markus Pohlmeyer & die Dinosaurier

Fliegende Wunder, fliegende Albträume – Flugsaurier in der Paläoart

„Water Ballet In The Seas of Kansas“[1] (1935) von C. Knight zeigt, wie ein riesiger Mosasaurus Jagd macht auf eine Meeresschildkröte (Archelon). Und am Himmel, majestätisch segelnd, eine Gruppe Pteranodon. Damals irgendwie das Non-plus-Ultra dessen, was fliegen kann. Sprung nach 2021. Es war wieder einmal einer dieser Zero-Sozialkontakt-Corona-Tage … und ich blätterte durch ein neueres Dinosaurier-Buch, das sehr interessant aufgemacht schien. Es bietet nicht nur eine Zeitleiste, wann bestimmte Tiere lebten, sondern auch wo. Nämlich immer dort, wo sich gerade die Kontinente (welche auch die Gliederung des Bandes bestimmen) in ihrer Drift und mit einem anderen Aussehen befanden. Und auch das kommt bei Urzeittieren immer gut: ein Größenvergleich im Verhältnis zum Menschen. Und dazu noch ein Ausblick, welche Ungeheuer nach den Dinos die Erde unsicher machten: gigantische Schlangen, gigantische Laufvögel, gigantische Varane. Und außerdem gibt es doppelseitige Bilder, die z.B. – fast schon obligatorisch – T-Rex zeigen, einen Triceratops jagend, oder wie drei Allosaurier, die entweder total hungrig oder total gelangweilt sein müssen, einen ziemlich mies-drauf-seienden Stegosaurus beim Pflanzen Fressen stören, um ihn anzuknabbern (so dass der wiederum ziemlich angefressen wirkt), was er natürlich – wörtlich genommen – vermeiden möchte. Die beeindruckende Dynamik dieser Bilder verführt zu Phantasiezeitreisen.

Und dann beim Umblättern – im Kapitel Europa und nichtsahnend – kam ich zu einem Hatzegopteryx, einem Flugsaurier aus dem heutigen Rumänien. So etwas habe ich noch nie in der Paläoart gesehen … Vorab, die Flügelspannweite betrug bei diesem Pterosaurier aus der Kreidezeit 10-12 m (je nach Publikation). Die Schädellänge 2-3 m. Aufrechtstehend ungefähr so groß wie eine Giraffe. Und nun das Bild: im Hintergrund ein schwarzer Wald; der Saum eines Gewässers im Vordergrund. Hatzegopteryx dargestellt, wie er einen braun gefiederten Theropoden in seinem bunten Schnabel hält, selbst blau gefiedert. Die unaufhaltsame Wucht der Bewegung für einen Moment geradezu eingefroren; waagrecht der Körper, die Hinterbeine abgehoben, steht Hatzegopteryx – die Schwingen eingefaltet, deren Spitzen über den Körper aufragen – balancierend auf seinen kraftvollen Vorderfüßen. Wassertropfen spritzen und funkeln überall durch die Luft.[2] Dieses fliegende Reptil war zudem zeitweise ein vierbeiniger Landjäger.[3] In einem seiner Bücher präsentiert Mark P. Witton andere Rekonstruktionen von Hatzegopteryx. Ein Bild kommentiert er so: „Iguandont Zalmoxes robustus at the start of its terrifying assimilation into the body of the winged, apocalyptic terror that was the short-necked giant azhdarchid Hatzegopteryx thambema[4] (Den Satz bitte probeweise einmal sich laut vorlesen!).

Ein weiteres Bild, fast wie aus einem Fantasy-Gemälde, bietet das Cover von Wittons Buch „Pterosaurs“: ein Nyctosaurus auf dem Hintergrund eines stürmischen, orangefarbenen Himmels. Eine fahle Sonne bricht durch dunkle Wolken. Alles Unwirklich. Und besonders unwirklich der skurrile Kopfschmuck dieses Pterosauriers, der fast an ein Geweih erinnert – Imponiergehabe unter Männchen? Witton, der auch für Pteranodon aufgrund seines Kopfschmuckes Haremsbildung ableiten will,[5] bietet auch eine künstlerische Würdigung eines kleinen, aber evolutionär wichtigen Pterosauriers (Sordes pilosous), wie er – in einem verregneten Wald und mit bunter Körperfärbung – neugierig einer Schnecke in ihre Stielaugen schaut.[6] (Schau mir in die Augen, Futter …) Gewaltig dagegen Quetzalcoatlus in einer Rekonstruktion, die ihn, ahistorisch neben zwei Giraffen parkend und so hoch wie diese (… aber ein Leichtgewicht: 200 kg?), an einer Wasserstelle eine Antilope verschlingen lässt.[7] Wie startete so ein Tier nur vom Boden in die Luft?

Epilog

Empfehlenswert: Der Dino-Planet (BBC/Terra X, Blu-ray 2012) zeigt u.a. Hatzegopteryx, an der Spitze eines Verkehrte-Welt-Insel-Ökosystems (mit Mini-Sauropoden) stehend, bei der Arbeit – oder mit den Worten von Witton: „[…] we developed the ‚terrrestrial stalker‘ hypothesis. ‚Terrestrial stalking‘ is a really just a cooler way of describing ‘just walking around eating whatever they could’.”[8]

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Essays bei uns hier.


[1] R. Milner: Charles R. Knight: The Artist Who Saw Through Time, New York 2012, 82 f.

[2] C. Barker – D. Naish: What’s Where On Earth: Dinosaurs And Other Prehistoric Life, London 2019, 86 f.

[3] Siehe dazu M. P. Witton: Recreating An Age Of Reptiles, The Crowood Press Ltd. 2017, 96.  Dazu ebenfalls M. J. Benton: Paläontologie der Wirbeltiere, übers. v. H.-U. Pfretzschner, nach der 3. engl. Aufl., München 2007, 243. Siehe auch P. Wellnhofer: Flugsaurier. Die große Enzyklopädie, München 1993 und R. Conniff: Flugsaurier. Die Himmelsstürmer, in: Als die Dinosaurier herrschten. Eine Reise in die Urzeit, National Geographic Special 3/2019, 38-53.

[4] Witton: Reptiles (s. Anm. 3), 99.

[5] M. P. Witton: Pterosaurus. Natural History, Evolution, Anatomy, Princeton University Press 2013, 181 f.

[6] Witton: Reptiles (s. Anm. 3), 37.

[7] M. Rake: If Prehistoric Beasts Were Alive Today, Hungry Banana 2019, 38 f.

[8] Witton: Reptiles (s. Anm. 3), 96.

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