Geschrieben am 31. März 2012 von für Bücher, Crimemag

Alf Mayers „Blutige Ernte“: Stephen Hunter, Teil VII

„The baddest motherfucker in the world …“

Zur Kulturgeschichte des Scharfschützen und zum Thriller-Autor Stephen Hunter (Teil VII)

Da ist es wieder, das Monster. Mohammed Merah, der 22-jährige Serienmörder von Toulouse, der erst drei Soldaten, dann vor einer jüdischen Schule drei Schüler und einen Lehrer ermordete und schließlich bei einem Feuergefecht von einem Scharfschützen der Sondereinheit RAID erschossen wurde. „Dieser Mohammed Merah, wenn Sie erlauben, war ein Monster. Wir können ihn, geboren in Frankreich, ein Franzose, nicht mit den Kindern von Bootsflüchtlingen gleichsetzen“, sprach jüngst (am 26.3. 12) der französische Präsident Sarkozy, um gleichwohl schärfere Grenzkontrollen zu fordern. Sarkozy ist Spezialist darin, Probleme „wegzukärchern“. Sein Land mit dem Hochdruckreinigungsgerät vor gefährlich Fremdem zu säubern, diese Starke-Maxe-Nummer half ihm an die Macht, nun soll das erneut funktionieren. Was Sarkozy damit bedient, ist eine alte Nummer, ist die alte „weiße“ Paranoia, ist die Angst vorm fremden schwarzen Mann – der besonders gefährlich erscheint, wenn er bewaffnet auftritt, wenn er gar ein Scharfschütze ist.

Sie halten das für übertrieben? Schauen wir über den Großen Teich, in die USA. Alle Ängste Amerikas, die sich mit der zivilen Furcht vor einem Scharfschützen verbinden (siehe Teil vier, das Kennedy-Attentat, und Teil fünf), erhielten eine zusätzlich bedeutsame Aufladung, als sich in den späten 1970er Jahren manche Afro-Amerikaner bewaffneten – explizit die „Schwarzen Panther“. Was als Grundrecht aller aufrechten weißen Amerikaner selbstverständlich war und sich in den Jahren der Verunsicherung und Paranoia in den 1960ern und 1970ern zu einer häuslichen Aufrüstung weitete, wurde in den Händen der schwarzen Mitbürger zu einer Bedrohung, gegen die das FBI mit allen Mitteln zu Felde zog.

Die Black Panther – eine Bedrohung der weißen Welt

Die „Black Panther Party“, 1966 von Huey P. Newton und Bobby Seale ursprünglich mit dem Zusatz „for Self-Defense“ gegründet, war eine Bürgerrechts- und Selbstschutzbewegung, die nach der Ermordung von Malcolm X entstand. Über 300 Schwarze waren bei den landesweiten Unruhen nach diesem Attentat von Polizei und US-Militär getötet worden. Schon 1965 war es in Los Angeles in Watts wegen Polizeiwillkür zu Unruhen mit 34 Toten, über 1000 Verletzten und Hunderten von zerstörten Gebäuden gekommen. Im ersten Zehn-Punkte-Programm forderten die Black Panther Freiheit und Selbstbestimmung, Beschäftigung, Ende der Ausbeutung, menschenwürdiges Wohnen, ein reformiertes Bildungswesen, Freistellung vom Militärdienst, ein Ende der willkürlichen Polizeigewalt, die Freilassung aller schwarzen Gefangenen wegen ihrer Benachteiligung bei den Verhandlungen, faire Gerichtsverhandlungen mit schwarzen Geschworenen und schwarzen Anklägern sowie einen Volksentscheid unter der schwarzen Bevölkerung über ihr künftiges Schicksal. Bei den Olympischen Spielen in Mexiko City 1968 wurden zwei schwarze Athleten disqualifiziert, weil sie die Faust zum „Black Panther Salute“ zu erheben wagten.

Malcolm X

Die Rhetorik des revolutionären Klassenkampfes und die Ideen von Mao, Marx und Lenin erschienen vielen Weißen in den USA noch ein Stück bedrohlicher als die Slogans und Proteste der europäischen Bürgerkinder von 1968. Bürgerrechtsanliegen und Weltrevolution verbanden sich bei den Panthern mit dem von Malcolm X übernommenen Begriff „by wathever means necessary“ – was immer an Mitteln notwendig ist. Malcolm X hatte gepredigt, dass die Friedfertigkeit Martin Luther Kings ein Irrweg sei, gegen das ungerechte rassistische Regime sei die Selbstverteidigung „mit allen Mitteln“ notwendig und erlaubt. Die Formulierung stammte von Jean-Paul Sartre aus dessen Theaterstück von 1948 „Les Maines Sales“ (Die schmutzigen Hände), in dem es um die Ermordung eines Politikers geht, eine gerechte Sache. Der Begriff – zu umfassend, um das hier auszuführen – benennt die bis heute ungeklärte Gewaltfrage der Linken. Für Malcolm X bedeutete es, dass die Schwarzen berechtigt waren, was immer notwendig dafür zu tun, um zu einer Rassengerechtigkeit zu kommen. Diese Idee illustrierte er, in dem er für das Magazin „Ebony“ in Anzug und Krawatte posierte und dabei mit einem Gewehr in der Hand aus dem Fenster schaute, ein extrem lässiger und provokanter Scharfschützenauftritt. Die Waffe im metaphorischen Einsatz produzierte einen Einschlag bei vielen weißen Betrachtern. Gewehre und Revolver waren zentral für das öffentliche Bild der Panther, ihren Rekruten lehrten sie: „Die Waffe ist das einzige Ding, das die Schweine (pigs) verstehen. Das Gewehr ist die einzige Sache, die uns befreien und uns unsere Freiheit bringen wird.“ Huey Newton verkündete: „Wir Schwarzen können Selbst-Verteidigungsprogramme auf die Beine stellen, indem wir uns bewaffnen, von Haus zu Haus, Block zu Block, Gemeinschaft zu Gemeinschaft, in der ganzen Nation.“ Die ersten Waffenkäufe wurden aus dem Verkauf der kleinen roten Mao-Bibeln finanziert, die Macht, heißt es darin, komme aus Hunderten von Gewehrläufen. Jeder Black Panther musste wissen, wie man eine Waffe einsetzt und abfeuert – nichts anderes als in den weißen „Country & Gun Clubs“ gelernt wurde, aber natürlich eine zunehmende „nationale Bedrohung“.

Original six members of the Black Panther Party (1966) Top left to right: Elbert "Big Man" Howard, Huey P. Newton (Defense Minister), Sherman Forte, Bobby Seale (Chairman) Bottom: Reggie Forte and Little Bobby Hutton (Treasurer)

Da half es auch nichts, dass die Panther soziale Projekte organisierten wie etwa Gesundheitsstationen, Rechtsberatung oder Frühstück für Kinder. Nur ein Teil der Mitglieder organisierte sich in der radikalen Splittergruppe „Black Liberation Army“. Der Parteimitbegründer Huey Newton wurde 1967 von der Polizei in Oakland angeschossen und noch während seiner Operation im Krankenhaus hart angefasst, später dann wegen Polizistenmordes verhaftet und angeklagt. Der Fall erregte internationales Aufsehen, Angela Davis wurde in dieser Zeit als Aktivistin weltbekannt.

„Who in hell do YOU think you are?“

Noch im Februar 1967 waren Huey, Seale und einige andere Panther von einem Polizisten beobachtet worden, wie sie in Oakland Waffen in einen Kofferraum luden. Der Polizist rief Verstärkung; als die Polizisten das Auto umstellten, saß Huey auf dem Fahrersitz, im Schoß hielt er eben jenes M1-Gewehr, mit dem er für das berühmte Foto posiert hatte. Seinen Führerschein zeigte Huey her, die Waffen ließ er nicht kontrollieren. Er müsse nur seinen Ausweis zeigen und seine Adresse nennen, zu mehr sei er nicht verpflichtet. „Who in the hell do you think you are?“, antwortete der Cop. “Who in the hell do YOU think you are?”, schoss Huey zurück und betonte, sie alle hätten ein Recht, diese Waffen zu tragen. Die Polizisten befahlen Huey, auszusteigen. Das tat er, aber er schob dabei ein Magazin in sein Gewehr, hielt den Lauf nach oben, vermied das Zielen auf die Cops. Was er mit der Waffe tun wolle, wurde er gefragt. Was sie denn mit ihren Knarren tun wollten, fragte er zurück. Eine ganze Gruppe Zuschauer hatte sich gebildet, die Polizisten befahlen ihnen, weiterzugehen.  Huey rief ihnen zu, zu bleiben. Das kalifornische Recht erlaube den Bürgern, der Polizei bei Verhaftungen zuzusehen, auch das hatte er im Jurastudium gelernt. Mit lauter Stimme, fürs Publikum, rief er dann: „Wenn ihr versucht, auf mich zu schießen oder wenn ihr mir die Waffe abnehmen wollt, schieße ich zurück, ihr Schweine.“ Den Polizisten war klar, dass Huey in jedem Punkt Recht hatte, sie zogen sich zurück. Für seine Leute war Huey Newton ab sofort „the baddest motherfucker in the world“. Noch kein Jahr alt als Organisation, sahen sich die Panther „mit Waffen in der Hand nicht länger als Objekte, sondern als Gleichberechtigte“.

FBI-Chef J. Edgar Hoover bezeichnete derweil die Black Panther als „die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit“, sein FBI schreckte auch vor Falschaussagen mit unterschobenen Beweisen und Drogen nicht zurück, um einzelne Mitglieder zu verhaften und vor Gericht zu bringen. Ortsgruppen wurden infiltriert und unterwandert, von Provokateuren sabotiert, ein richtiggehender Desinformations- und Gegenterrorkrieg geführt – das sogenannte „COINTELPRO-Programm“. Die Verhaftungswelle rollte ungebremst auch nach der Ermordung Martin Luther Kings am 4. April 1968  durch, genau, einen Scharfschützen. Längst sind nicht alle Umstände dieser Tat geklärt, die Fama raunt von einem FBI-Sniperteam. Der Autor Hampton Sides geht den Verästelungen nach in seinem Buch „Hellhound on his Trail“ (2010).

Zwei Tage vor King wurde das Panther-Mitglied Bobby Hutton getötet, die staatliche Waffengewalt eskalierte, bei den Verhaftungen gab es immer wieder Tote und Schwerverletzte. Polizisten und FBI-Agenten zerstörten Gesundheitsstationen und vernichteten gespendete Medikamente, lösten die Frühstücksausgaben auf. Über 40 von der Polizei Erschossene und mehr als 85 Schwerverletzte sowie 740 Verhaftungen notiert die Geschichtsschreibung für die Jahre 1968 und 1969. Die meisten Verfahren mussten nach Jahren eingestellt werden. Noch heute sitzen Black Panther für Taten im Gefängnis, die ihnen nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten.

J.Edgar Hoover

All the President’s Men

US-Präsident „Tricky Dick“ Nixon ließ die alte Praxis des FBI, mit der J. Edgar Hoover sich als Staatsschützer etabliert hatte, wieder aufleben. Telefone durften angezapft, Wanzen installiert, Einbrüche verübt werden – im Namen der nationalen Sicherheit und der politischen Kriegsführung. Einen dieser Spezialisten, der an seiner eigenen Paranoia wie der des Systems zerbricht, schildert Francis Ford Coppola in seinem Film „The Conversation“ (Der Dialog, 1974) mit Gene Hackman in einer Paraderolle.  Tim Weiner, der Autor des aktuellen, faktenreichen Sachbuchs „FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation“ (Fischer Verlag, 2012, 695 S.), stellt fest: „Nixon hatte die apokalyptische Vorstellung einer Revolution in Amerika, und durch die politischen Morde, die Ghetto-Unruhen und die Antkriegsdemonstrationen der sechziger Jahre wurden seine düsteren Visionen noch verstärkt. Nixon schätzte die subversive Gefahr im eigenen Lande als ebenso hoch ein wie die Bedrohung durch die Sowjets, die Chinesen und den Vietcong.“ In einer seiner ersten großen Ansprachen an das amerikanische Volk ging er auf die Unruhen an den amerikanischen Universitäten ein, berichtet Weiner: „Auf diese Weise gehen Zivilisationen unter“, zitierte Nixon dabei den Dichter Yeats: „Alles zerfällt. Die Mitte hält es nicht.“
Das Klima jener Paranoia-Zeit verdeutlichen zwei Filme, zu denen ich gleich komme, und ein Autor, der die USA 1953 verließ. Sein Name: Chester Himes. Mehr zu ihm und seinen Sniper-Implikationen weiter unten.

Anfang 1972 sagte Paul Schrader in seinen „Notes on Film Noir“ eine zunehmende Attraktivität dieses Genres voraus: „Filmemacher und Zuschauer werden angesichts der sich verhärtenden Stimmung den Film Noir der späten 40er zunehmend interessant finden. Die „moderne“ Form des Film Noir war der Paranoia-Thriller, er bot weniger Sex, aber mehr Finsternis, Zynismus und Ausweglosigkeit. In „The Parallax View“ (von 1974, der Titel vom Philosophen Slavoj Zizek für ein Buch über Materialismus und Idealismus wiederbelebt) erklärt Warren Beatty: „Die Leute sind verrückt nach einer Erklärung. Jedesmal, wenn man sich umdreht, knallt irgendein Verrückter einen der besten Leute in diesem Lande ab.“ Zu den Verschwörungs- und Attentatsfilmen dieser Zeit gehören “The Chairman” von 1969, in dem Gregory Peck als Attentäter nach China geschickt wird, um Mao zu töten, „The Anderson Tapes“ (1971), „The Day of the Dolphin“ (1973), Coppolas „The Conversation“ (1974), „The Killer Elite“ (1975), „Three Days of the Condor“ (1975), Martin Scorseses großer Film „Taxi Driver“, der ohne eine einzige Rückblende ins Kriegsgebiet die Verwüstungen des Vietnamkrieges in den amerikanischen Seelen deutlich macht, „The Domino Principle“ (1977) und „The Fury“ (1978). Hitchcocks Beobachtungs-Thriller „Fenster zum Hof“ (Rear Window) von 1954 erfuhr in diesen Filmen eine politische Aktualisierung und eine gesellschaftliche Dimension.

„Unternehmen Staatsgewalt“ – Lasst uns den Präsidenten ermorden

1973 kam ein Film ins Kino, der auf aufrüttelnde kühle Weise, nämlich als Dokudrama angelegt, diese Paranoia noch ein Stück weiter drehte. Mark Feeney weist in seinem Buch „Nixon at the Movies“ nach, dass Dirty Dick sich „Unternehmen Staatsgewalt“ (Executive Action) über die Ermordung seines Vorgängers im Januar 1974 in Camp David vorführen ließ. Zehn Jahre nach der historischen Tat bot der Film eine mit großer filmischer Kraft vorgetragene Interpretation des Kennedy-Attentats, nach der wohlhabende weiße Geschäftsleute und Politiker die Ermordung des Präsidenten planen, samt der Lieferung des Sündenbocks Lee Harvey Oswald, weil der „negerfreundliche“ Kennedy die etablierten Macht- und Geschäftsmodelle zu stören und angeblich gar die Führung der schwarzen Revolution zu übernehmen droht. Der Film arbeitet mit einer Fülle von Dokumentaraufnahmen, zeigt überzeugend das Training der Scharfschützen und versammelt Darstellergrößen wie Burt Lancaster und Robert Ryan, das Drehbuch stammte von dem Hollywood-Linken Dalton Trumbo („Johnny zieht in den Krieg“). Mit Kalkül verzichtet der Film auf einen Helden, das hätte ein Zuviel an Optimismus bedeutet. Nixon war einer der wenigen tausend Zuschauer, die dieser Film damals hatte – für Mark Feeney eine „entnervende Vorstellung, sich ihn im Dunkeln vorzustellen, wie er den Vorbereitungen für die Ermordung seines großen Rivalen zusieht“.

Nach knapp drei Wochen verschwand „Unternehmen Staatsgewalt“ wieder aus den Kinos. Wie in der Sherlock-Holmes-Geschichte über den Hund von Baskerville ist für Mark Feeney besonders signifikant, dass es keinerlei Bellen gab, keine einzige laute Stimme gegen einen Film, in dem eine Gruppe von Rechtsradikalen und Geschäftemachern den Präsidenten der USA ermorden und in dem Hollywoodstars tragende Rollen spielen. „Kennen Sie den Ausdruck ‚Schlafende Hunde muss man schlafen lassen‘“, fragt Privatdetektiv Jack Gittes Faye Dunaway in „Chinatown“, einem der besten Film Noirs dieser Dekade. „Den Ausdruck MUSS ich ja kennen“, antwortet sie, und spricht dafür für alle „Geheimnisträger“ dieses Genres, ein Alptraumsatz. Eine solche Meinung hatte sich damals der gemeine Mann auf der Straße längst gebildet, eine halbstaatliche Schattenwelt hatte sich mehr oder weniger bemerkt aufgetan, begrifflich auf den Punkt gebracht 1960 vom Pulp-Autor Donald Hamilton in seinem ersten Matt-Helm-Roman „Death of a Citizen“, in dem aus einem Bürger ein Geheimdienstkiller wird: „What we were, never was. What we did, never happened.“

„Dirty Harry“ – Für die Cops Partei ergreifen

Mediale Kultur darf man sich durchaus als kommunizierende Röhren vorstellen, ihre unterirdischen Flüsse und Strömungen miteinander verbunden wie Ebbe und Flut. So gehören in die Zeit der Paranoia auch die Filme der Entlastung, der Rache und der Retribution. Ihr bekanntester dürfte  „Dirty Harry“ von 1971 sein, ein in mehrfacher Hinsicht perverser und eben deshalb äußerst interessanter Film, der ein Kassenknüller wurde und Clint Eastwood zu einem Topstar machte. Das Script war eine Zeitlang zwischen den Studios gewandert, Frank Sinatra (siehe Teil fünf) war als Hauptdarsteller vorgesehen und die Geschichte vom harten Polizisten, der einen psychopathischen Scharfschützen jagt, der eine ganze Stadt terrorisiert, sollte ursprünglich in New York gedreht werden. Es sollte, das war immer klar, ein Pro-Cop-Film werden, ein Gegenpol zum studentischen und schwarzen Aufbegehren gegen das Establishment. Eastwood, damals ein notorischer Schürzenjäger mit mehreren Ficks pro Tag, 21 Jahre waren ihm fast schon zu alt für seine Groupies, und sein Regisseur Don Siegel entschieden sich für San Francisco, eine für ihre Liberalität fast berüchtigte Stadt. Neu ins Script fanden Sätze wie Eastwoods von einem schwarzen Sanitäter ausgelöste Tirade gegen „Limeys, Micks, Hebes, Dagoes, Niggers, Hunkies, Chinks“ – was sich als Zitat auch in „Taxi Driver“ findet. John Milius war in eine der Drehbuchversionen involviert, den jazzigen Musiktrack besorgte Lalo Schifrin, Kamera führte Bruce Surtees. Profis rundum waren am Werk, sie gaben ihr Bestes für eine holzschnitthafte Zuspitzung. Auch Clint Eastwood war klar, dass sich der Film (unter anderem) gegen die vom Obersten Gerichtshof 1966 etablierte „Miranda-Warnung“ richtete, nach der ein Verhafteter erst über seine verfassungsmäßigen Rechte aufgeklärt werden muss, bevor es an irgendeine Form von Verhör gehen kann. Dirty Harry biegt diese Regeln, wo er kann und schimpft gegen „mushy academics, stupid prosecutors and judges, inept government officials“. Paul Newman, dem die Rolle angeboten worden war, hatte nach Lektüre des Drehbuchs dankend abgelehnt.

Cool und lustvoll inszeniert ist die Sequenz, in der Harry bei seinem Hot-Dog-Futtern von einem Bankraub gestört wird, noch einen Bissen mampfend, nähert er sich einem auf dem Bürgersteig niedergestreckten Bankräuber – einem Schwarzen – , dessen Finger sich an die Waffe tastet. Harry zielt mit seiner großen Magnum auf ihn und sagt genüsslich: „Ich weiß, was du gerade denkst. Hat er sechs Schüsse abgegeben oder nur fünf? Um ehrlich zu sein, ich hab selbst keinen Überblick. Aber wenn man weiß, dass die .44er Magnum die stärkste Handfeuerwaffe der Welt ist und dass sie deinen Kopf einfach so wegblasen kann, musst du dich fragen, ob du heute deinen Glückstag hast oder nicht. Nun, hast du ihn, Arschloch?“ (Well, do ya, punk?) Der Punk greift nicht nach seiner Pistole. Später fordert der Scharfschütze Geld von der Polizei und droht, sonst Schwarze zu erschießen.

„I don’t give a shit“ – Die Eastwood-Attitüde

Eastwood sagte später, sein Dirty Harry hätte geholfen, den Rachedurst all der Leute zu löschen, die mit einem „großen Bedürfnis von Impotenz und Schuld verbunden“ sei.  Die Polizisten, die Regierung und die Armee waren am Verlieren, Amerika brauchte seiner Ansicht nach einen Gewinner, Dirty Harry war ein neuer, aktualisierter „Mann ohne Namen“, wie Eastwood ihn in seinen Italowestern gegeben hatte. Nachdem Dirty Harry den durchgeknallten Scharfschützen in einem westernhaften Showdown erschossen hat, Regelverstöße und Vigilantismus unbenommen, reißt er sich angeekelt seine Dienstmarke ab, quittiert damit den Dienst. Siegel und Eastwood ahnten noch nicht, dass ihr renegater Cop noch in vier weiteren Filmen zum Einsatz kommen würde, ihnen ging es um die richtige Konsequenz aus dem Gezeigten. Beide stritten sich, da Eastwood seinen Cop nicht als „Quitter“ haben wollte, er spiele keine Verlierer, meinte er. Siegel argumentierte: „Du liegst falsch, Clint. Du weist damit die Dummheit eines bürokratischen Systems zurück“, berichtet Patrick McGilligan in seiner Biografie „Clint. The Life and Legend“ (1999).

„Newsweek“ sah den Film als eine „right-wing fantasy“, viele sahen Eastwood beim Flirt mit einer faschistischen Botschaft, weil er einen rücksichtslosen Cop adle, der nur Verachtung für das Justizsystem und die Anwendung von Gesetzen zeige. Pauline Kael („Kiss Kiss Bang Bang“) beschrieb den Film als einen Angriff auf liberale Werte, „mit jedem Vorurteil in der Patronenkammer“ und die „New York Times“ sah eine Glorifizierung „Nietzscheanischer Polizisten ohne jede Gnade“ am Werk. Das Etikett „Faschist“ hing Eastwood (heute ein Ausbund an Liberalität, sein aktueller Film „J.Edgar“ über Hoover, abgesehen vom Schock sich küssender und in die Lippen beißender Männer, allerdings verhältnismäßig harmlos) eine ganze Weile an. Ironischerweise waren Drehbuchautoren sowie der Regisseur ausgewiesene liberale Demokraten. Sie wussten, dass sie einen „Pro-Cop“-Film machten, fanden das aber nicht weiter erheblich. In einem Gespräch mit der New Yorker „Village Voice“ beschwerte sich Eastwood 1976: „Die Leute behaupteten sogar, ich sei ein Rassist, weil ich am Anfang von Dirty Harry schwarze Bankräuber erschieße. Well, shit, auch Schwarze rauben Banken aus. Dieser Film hat vier schwarzen Stuntmen eine Arbeit gegeben. Aber niemand hat darüber geredet … Zuerst werde ich als Rechtsradikaler gebrandmarkt. Dann bin ich ein Rassist. Jetzt bin ich ein Macho und es ist männlicher Chauvinismus. Eine ganze Latte von Sachen macht heutzutage den Leuten Schuldgefühle. Mich juckt das nicht. Ich weiß zum Teufel, wo auf dem Planeten zur Hölle ich stehe und ich gebe darauf einen Scheiß.“ I know where the fuck I am on the planet and I don’t give a shit – das wird vermutlich auf seinem Grabstein stehen.

Biograf Patrick McGilligan erzählt, dass Eastwood den Kriminalautor Elmore Leonard kontaktierte, nachdem er am Erfolg von „Dirty Harry“ über seine Gage hinaus nicht profitiert hatte und nun mit einem eigenen Projekt punkten und verdienen wollte, seine Firma Malpaso war im Aufbau. „Do you have anything like Dirty Harry, only different?“, fragte er. “A guy with a big gun, but he doesn’t have to be in law enforcement. That same kind of character …” Elmore hatte eine Idee und erzählte Clint von einem Artischockenfarmer, der sich einem Gangstersyndikat nicht beugen will. Clint las das Buch und lehnte ab. Leonard war irgendwann klar, dass er einen Fehler gemacht hatte, indem er die Farm nahe dem kalifornischen Carmel ansiedelte. „Ich dachte, Clint würde es mögen, von der Arbeit nach Hause zu können. Aber ich wusste nicht, dass er überhaupt nicht nach Hause wollte.“ Die Rolle als „Mr. Majestyk“ ging an Charles Bronson, der Film über einen sich selbst behauptenden Melonenfarmer (1974) ist eine Perle des lakonischen Genres, war aber kein Kassenknüller.

Chester Himes: Scharfschützen über der Stadt

Ein Autor, in dessen pandämoniumsartigen Kriminalromanen es an “fuck” und “shit” ebenfalls nicht mangelt, verließ angeekelt von den politischen und ökonomischen Verhältnissen die USA 1952 Richtung Frankreich: Chester Himes. Anlässlich der deutschen Ausgabe von „Plan B“, zu der ich gleich komme, stellte Thomas Wörtche 1994 fest: „Chester Himes ist eine Schlüsselfigur der Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung und sein Rang als Romancier lassen sich bei weitem nicht mit der Kategorisierung als radikaler, schwarzer, politischer Autor, als scharfsinniger und wütender Chronist des alltäglichen Rassismus fassen. Natürlich ist Himes für das Selbstbewusstsein der afroamerikanischen Literatur bis heute von kaum zu überschätzender Wichtigkeit. Er ist aber auch einer der Autoren, die entscheidenden Anteil daran haben, dass sich das Genre Kriminalroman zu der Literaturform transformiert hat, die auf die immer komplexeren und sperrigeren Realitäten dieser Welt mit Erzählformen reagieren konnte, ohne die Narration grundsätzlich zu suspendieren oder zur Spielmünze der Beliebigkeiten zu degradieren. Was Himes seit den späten 50er Jahren in seiner Serie über Harlem an Möglichkeiten der Komisierung, der verstörenden Polyvalenzen entfaltet hat, war ein Paradigmenwechsel in der Kriminalliteratur und somit in der Geschichte des Erzählens überhaupt.“

Chester Himes (Quelle: Unionsverlag)

Wer heute die Romane aus dem Harlem-Zyklus liest, die zwischen 1957 und 1961 im französischen Exil entstanden, kann sich davor nur verneigen, wie sehr Chester Himes mit den Polizeiromanen um Grabschaufler Jones und Sargfüller Johnson (Grave Digger Jones & Coffin Ed Johnson) damals seiner Zeit und auch den Black Panthers voraus war, wie genau er beschrieb, wofür die Gesellschaft erst sehr viel später „Augen“ bekam. Im Alter von 19 Jahren wurde der Lehrersohn Himes wegen bewaffneten Raubes zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt, begann im Gefängnis zu schreiben, wurde nach sieben Jahren entlassen – in die Arbeitslosigkeit. Die Gewalt, von der er schreibt, kennt er selbst, hat sie erlitten und ausgeteilt. Schonungslos berichtet er darüber in seiner hierzulande nicht übersetzten Autobiografie „The Quality of Hurt“. Weil Himes die Sprache der Straße, oder sagen wir ruhig, im Jargon der damaligen Zeit bleibend, der Gosse schrieb, auf der Brutalität und Mutterwitz regieren, weil er die Ghettos der Schwarzen in allen Facetten darzustellen wusste, sind seine Kriminalromane zeitlos. Sie sind Klassiker, aufgeladen mit Erfahrung und Wahrheit – und deren Überhöhung. Heute schreiben viele Autoren, auch weiße, über die Welt als eine, in der sich nur in einer ständig gefährdeten Balance überleben lässt, über eine Gesellschaft im Krieg gegen sich selbst. Chester Himes war der erste, der diese Dimension in den Kriminalroman einführte. Gott sei seiner Seele gnädig.

John A. Williams erzählte Himes, dass er beim Schreiben seiner Kriminalromane glücklich gewesen sei, glücklicher als bei seinen anderen Romanen, und als er zum Ende kam, als seine Detektive auf weiße Leute schossen, da sei er am glücklichsten gewesen. Waren Coffin Ed Johnson und Grave Digger Jones in “The Real Cool Killers“ (1959) noch die Volkshelden ihrer städtischen Gemeinschaft, die ihren Schäfchen Schutz bieten konnten, so ist ihre Effektivität in der zerfallenden Rassenkrieg-Gesellschaft von „Blind Man with a Pistol“ (1969) am Ende. Ein Scharfschütze verbreitet Panik, jede Ordnung und Solidarität zerfällt.

Plan B“ setzt die Forderung Himes‘ von 1944 nach „schwarzen Märtyrern“ („Negro martyrs are needed“) in eine Erzählung um. Ein gut getarnter afro-amerikanischer Scharfschütze schießt in einer namenlosen Stadt in eine weiße Menge, um „Vorfälle“ und Brandherde zu provozieren. Das ausbrechende Chaos und die Racheaktionen von weißer Seite sind die Katalysatoren für einen Bürgerkrieg, der letztlich die USA vom Rassismus reinigen soll. Ed und Digger, Repräsentanten einer untergehenden Ordnungsmacht, spielen nur noch eine kleine Rolle, beide überleben sie den Fragment gebliebenen Roman nicht. Der revolutions-loyale Digger erschießt seinen Kumpel Ed, der immer noch zur Seite des Gesetzes hält, weil die politischen und sozialen Folgen einer Revolution zu viel für ihn sind. Digger wird von dem Revolutionsführer erschossen, den er unterstützte, weil das neue System keine „Belasteten“ brauchen kann. „Plan B“ ist in mehrfacher Hinsicht ein „literarischer Selbstmord“.

Himes opponierte sein Leben lang gegen blinde Gewalt, aus dieser Haltung entstand auch „Blind, mit einer Pistole“. Ebenso blind waren für ihn auch all die Unruhen in Amerika nach der Ermordung Martin Luther Kings und des Aufbegehrens der Black Panther (siehe oben). „All diese unorganisierte Gewaltsituationen, die von den Schwarzen in den USA losgetreten wurde, waren nichts weiter als blinde Schüsse in die Luft, so sah ich die Ineffizienz dieser Art von Widerstand.“ Über die Jahre dann veränderte sich seine Haltung bis zu: „Ich denke, es braucht Gewalt. Nichts sonst wird jemals die Lage des schwarzen Mannes in Amerika verbessern.“ Der Scharfschütze in „Plan B“ hat sich in einer Kirche verborgen (mehr als eine Metapher, zahlreiche solcher Fälle aus den Kriegen des 20. Jahrhunderts sind bekannt, zuletzt ein Topos in Ken Loachs Film „Route Irish“). Er ist namenlos, ein Märtyrer – Sarkozy würde sagen: ein Monster. „Subjektiv betrachtet, hatte er vierhundert Jahre auf diesen Moment gewartet, und er war in keiner Eile. Er wusste, seine schwarzen Brüder würden für den Moment seines Triumphes bitter büßen müssen, er war kein Ignorant, aber er glaubte, dass seine Tat die Zukunft der kommenden Generationen sicherer machen würde. Er glaubte, dass die Kinder jener Schwarzen, die nun zu leiden hätten, davon später profitieren würden.“ Als die Polizeiparade in die Schusslinie kommt, eröffnet er das Feuer und mäht die Reihen nieder. Himes nimmt Anleihen bei der Groteske, um das Massaker und die herumfliegenden Gehirnsplitter zu beschreiben. Schädelteile klatschen gegen Gesichter „wie Sahnetorten in einer Mack-Sennett-Komödie“.

In Anbetracht der Geschichte all der Attentate und Massenmorde in der amerikanischen Geschichte, so Himes in „Plan B“, „ist es außerordentlich erhellend, dass all die vielen ins tödliche Feuer des Scharfschützen geratenen Weißen, weiße Polizisten und Zivilisten gleichermaßen, automatisch zu der Ansicht kamen, dass der Schütze ein Schwarzer sein müsse“. In großem Detail beschreibt Himes das Blutbad, wechselt die Perspektiven, „schießt“ hin und her, bleibt dann bei dem zum Märtyrertod bereiten Schützen: „Er war bereit, zu sterben. Er hatte dreiundsiebzig Weiße getötet, siebenundvierzig Polizisten und sechsundzwanzig Männer, Frauen und Kinder, weitere fünfundsiebzig hatte er verwundet, und obwohl er diese Zahlen niemals erfahren würde, war er zufrieden. Er fühlte sich wie ein Spieler, der die Bank geknackt hatte.“ (Hier ein nur winziger Verweis auf einen Scharfschützen, der zur Zeit in USA in den Bestsellerlisten steht: jener Navy-Seal-Sniper, der mit weit über 200 „confirmed“ Kills im Irakkrieg angibt, und der wegen seines christlichen Glaubens voll mit sich im Reinen ist, es waren ohnehin nur „Savages“, Wilde, die er tötete.)

James Sallis

Nachwirkung: Chester Himes und James Sallis

„Plan B“ wurde 1993, abgesichert von einem langen Vorwort, 1993 in den USA erstmals veröffentlicht, als Publikation der University Press of Mississippi. In Frankreich machten Autoren wie Manchette und Siniac immer wieder auf Himes aufmerksam, er erhielt mehrere französische Literaturpreise. In Deutschland erschien ein Teil seiner Romane in den 60ern und 70ern als rororo-Taschenbuch, die Rezeption versackte und versandete, bis sich 1994 der Berliner Alexander-Verlag  an eine  Neuauflage von „Plan B“ machte. (Der Harlem Cycle erschien partiell bei metro im Unionsverlag, musste aber wegen vieler Probleme abgebrochen werden). Schwarze Krimiautoren wie Walter Mosley berufen sich explizit auf Himes, Robert E. Skinner, Coautor des Vorworts in „Plan B“, schrieb einige historisch angesiedelte „black crime novels“.

Der Himes-Aficioado James Sallis (dessen Himes-Biographie aber weit hinter der Standard-Biografie von Margolies und Fabre  zurückblieb), ein wortmächtiger, musikverständiger und auch Gedichte veröffentlichender Autor, zur Zeit durch die Verfilmung von „Drive“ etwas in der Öffentlichkeit und durch die (einfach nur zu rühmende) Verlagspolitik von Liebeskind für deutsche Leser einigermaßen präsent, kann als der wohl intensivste literarische Nachfahre von Chester Himes gelten.

Seine Prosa ist äußerst verknappt, seine Haltung lakonisch, seine Welt rabenschwarz und atmosphärisch, seine Bücher Leuchttürme gut geschriebener Literatur. In seinem Krimi-Zyklus um Lew Griffin, einen schwer traumatisierten Vietnam-Veteranen aus New Orleans, bestimmt ein schwarzer Scharfschütze den dritten Roman der Reihe. Sogar der echte Chester Himes tritt in „Black Hornet“ (1996) auf, bei einer Vorlesung spricht er zum Thema der Verhältnismäßigkeit von Gewalt. Ganz New Orleans ist in „Black Hornet“ in Aufruhr, Rassenunruhen drohen. Lew Griffin, aus dessen Perspektive die Geschichte dieses gewalttätigen Sommers erzählt wird, stellt den, der dabei bei einem Unfall ums Leben kommt, seine Motive werden auf immer im Dunkeln bleiben. Der Unterton des französischen Existentialismus schwingt in dem Buch, Sallis ist von der modernen französischen Literatur beeinflusst, Camus „Fremder“ wird in beinahe jedem seiner Romane erwähnt, so auch in „Black Hornet“. Gleich zu Beginn erinnert sich Griffin an einen Sniper, den er aus seiner Armeezeit kannte und der an einem sonnigen Tag auf dem Dach eines Motels mitten in der Stadt Position bezieht und das Feuer eröffnet, immer wieder nach unten ruft: „Power to the people! … You will never take me … Africa! Africa!“ 15 Tote häufen sich auf der Straße, die Belagerung lässt eine schwer erschütterte Stadt zurück: „Es hatte immer eine stillschweigende Übereinkunft gegeben, ein Gentleman’s Agreement, dass Schwarze und Weiße ihre parallelen Leben führen würden. Hatten die Bedingungen sich nun geändert? Wenn ein schwarzer Mann seine Wut mit auf ein Dach hochnehmen und eine ganze Stadt zur Geisel nehmen konnte, wenn eine Gruppe schwarzer Männer, die sich selbst „Muslims“ nannten, ihren Platz in der Gesellschaft aufkündigen konnten und Gruppen wie die Black Panthers offen zur Waffe riefen, was blieb dann noch von jeder Vereinbarung? Oder, letztlich, vom Gemeinwesen überhaupt?“ Lew Griffin erinnert sich weiter, wie die Zeitungen „Guerillia-Krieg?“ auf die Titelseiten pflasterten, oder „First Shots of a Race War?“
Sallis bezieht sich hier auf einen tatsächlichen Fall. Auf den „New Orleans Sniper“ namens Mark Essex, der an Sylvester 1972 von einem Hoteldach aus das Feuer auf jede weiße Person eröffnete, die ihm in Visier kam, entkam und dann einige Tage später ein weiteres Blutbad anrichtete. Die mediale Berichterstattung war Desaster, Hysterie pur.

Und dann ist da noch „Run“ von Douglas E. Winter aus dem Jahr 2000. Ein singuläres Werk. Winter ein (weißer) Rechtsanwalt, Herausgeber von „Prime Evil“, einer Horroranthologie, gibt uns die Stimme von Burdon Lane, einem Waffenhändler an der amerikanischen Ostküste. Im Motto zitiert Winter aus der Verfassung der Vereinigten Staaten, dass eine gut regulierte Miliz für die Sicherheit eines freien Landes wichtig sei, ebenso wie das Recht, Waffen zu tragen, nicht beschnitten werden dürfe. Und gleich darunter, der notorische Titel eines Songtextes der HipHop-Gruppe „Cypress Hill“: „Cock the hammer it’s time for action.“ Binnen 24 Stunden überstürzen sich die Ereignisse ab: ein schiefgelaufener Waffenhandel, ein Scharfschützenattentat auf einen Bürgerrechtler, als Polizisten verkleidete Kämpfer, Polizisten, die nicht wie Polizisten handeln, eine Parade unter Beschuss, jeder gegen jeden, keine Sicherheiten mehr, keine Loyalitäten, das pure Chaos, die reine Anarchie, cool und unerbittlich rasant geschrieben, nihilistisch, eine schweißnasse Lektüre. Ein Hammerbuch. Und am Ende heißt es: „There are no good guys. Not really. Not anymore.”

(Hier geht es zu den Teilen eins, zwei ,  drei , vierfünf und sechs des Stephen-Hunter-Porträts und der Kulturgeschichte des Scharfschützen. Fortsetzung folgt.)

Alf Mayer

Ergänzende Literatur:
William L. Van Deburg: Hoodlums. Black Villains and Social Bandits in American Life. University of Chicago Press, 2004.
Mark Feeney: Nixon at the Movies. University of Chicago Press, 2004.
Philip Roth: Unsere Gang (Our Gang, 1972).
Adam Winkler: Gunfight. The Battle Over the Right to Bear Arms in America. W.W. Norton & Company, New York 2011.
Hampton Sides: Hellhound on His Trail. The Stalking of Martin Luther King jr. and the International Manhunt for his Assassin. Doubleday, New York 2010.
Edward Margolies/ Michel Fabre: The Several Lives of Chester Himes. University of Mississippi Press 1997
Thomas Wörtche: It Does Make Sense! Chester Himes und sein 20. Jahrhundert in den USA und Europa. (1998). Jetzt in TW: Das Mörderische neben dem Leben. Libelle Verlag 2008, S. 74 – 89
James Sallis: Chester Himes. A Life. Canongate Books, Edinburgh 2000.
Chester Himes: The Quality of Hurt. Zwei Bände. Paragon House, New York 1971/1972.
Chester Himes: Plan B. Edited, with an Introduction by Michel Fabre & Robert E. Skinner. Univeristy of Mississippi, Jackson 1993. – Deutsch 1994 im Alexander Verlag, Berlin.
Douglas E. Winter: Run. Alfred A. Knopf, New York 2000.

Der Harlem-Zyklus von Chester Himes:
Die Geldmacher von Harlem (A Rage in Harlem, 1957), Heiße Nacht für kühle Killer (The real cool killers, 1958), Fenstersturz in Harlem (The crazy kill, 1959), Der Traum vom großen Geld (The big gold dream, 1959), Lauf, Nigger, lauf (Run, man, run, 1960), Harlem dreht durch/ Rauhnacht in Harlem (All shot up, 1961), Heroin für Harlem (The heat’s on, 1964), Schwarzes Geld für weiße Gauner (Cotton comes to Harlem, 1969), Blind, mit einer Pistole (Blind man with a gun, 1969), Plan B (1993).

Die Lew Griffin-Romane von James Sallis:
Die langbeinige Fliege (The Long-Legged Fly, 1992, dtsch. 2000), Nachtfalter (Moth, 1993, dtsch. 2000), Black Hornet (1994), Eye of the Cricket (1997) , Blue Bottle (1998), Ghost of a Flea (2001).

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