Geschrieben am 8. Dezember 2018 von für Litmag, News, Specials, Verlust-Special 2018, Verlust-Special DUE

Alf Mayer: Interview mit Judith Schalansky

Tiere

„Über Natur zu schreiben, ist heute politisch“

Judith Schalanskys Verzeichnis der Verluste hat Alf Mayer im Teil Eins unseres großen Verlust-Specials besprochen, hier nebenan im Verlust DUE porträtiert er die von ihr herausgegebene Reihe Naturkunden. Für das folgende E-Mail-Interview stand die Schriftstellerin, Herausgeberin und Buchgestalterin während ihrer Lesereise für das neue Buch  ganz unkompliziert Rede und Antwort.

macfarlane dt cover-9783957576224Frage: Robert Marfarlanes „Die verlorenen Wörter“ sind Band 49 der Reihe Naturkunden. Ist Band 50 noch ein Geheimnis, oder können wir schon den Titel und das Erscheinungsdatum erfahren?

korallen-x160xx400x-1543784423Judith Schalansky: Es wird Jutta Persons Portrait der Korallen sein. Die Koralle ist ja gewissermaßen das Wappentier der Naturkunden. Der Band erscheint im Frühjahr 2019 und wird großartig. Ich freue mich sehr darauf.

Die Naturkunden stemmen sich gegen das verlustig gehen, finde ich. Oder wie würden Sie die Reihe in Zusammenhang mit Verlust bringen?

Absolut. Archiv kommt von Arche. Und dass die Insekten sterben, die Monokulturen Überhand nehmen, die letzten wilden Orte verschwinden, erleben wir ja tagtäglich. Über Natur zu schreiben, ist heute politisch. Es geht nicht zuletzt darum, zu versprachlichen, was gerade verlorengeht.

Haben Sie immer schon an 50 Bände gedacht? Und darüber hinaus? Wie war der Erwartungshorizont, als die Naturkunden anfingen? Wie sehr seidener Faden war es –oder gab es von Anfang an langen Atem?

Ich habe immer nur an das nächste Programm gedacht, und bin selbst etwas überrascht von der stattlichen Anzahl. Dass mittlerweile andere Verlage Bücher machen, die bei den Naturkunden hätten erscheinen können, spricht dafür, dass wir etwas entdeckt und bewegt haben. Wobei die Tatsache, dass die Natur so sehr zum Thema geworden ist, natürlich viel von ihrem prekären Status preisgibt.

„Ermöglicht durch Jan Slovak, Hamburg“, steht immer im Impressum – mögen Sie das ein wenig ausführen?

Jan Slovak hat die Anschubfinanzierung vorgestreckt und damit das Risiko, das die Gründung einer solchen, auch herstellerisch aufwendigen Buchreihe darstellt, für den Verleger Andreas Rötzer minimiert.

Können Sie alle erschienenen Titel auswendig hersagen? Gar in der Reihenfolge?

Die Titel kann ich natürlich alle herbeten. Wenn mir auch die richtige Reihenfolge gelänge, würde ich mir anfangen Sorgen zu machen.

Gab es schwierige Geburten? Welche zum Beispiel?

Macfarlane_Umschlag_Entwurf_09.inddEine Handvoll waren so schwierig, dass das Erscheinen der Bücher an ein Wunder grenzt. Aber wenn sie dann da sind, ist die ganze Anstrengung vergessen. Wir mussten aber lernen, dass die Herstellung von aufwendigen Bildbänden ein Know How erfordert, wie es eben im Grunde nur Verlage, die auf solche Produktionen spezialisiert sind, stemmen können.

Die Auflagen sind ja zum Teil erstaunlich. Krähen 60.000, Esel 40.000, Eulen 25.000, habe ich mal in einem Prospekt gelesen. Wie kommen solche Auflagen zustande, geht das schnell, mit bereits hohen Vorbestellung, oder wie entwickelt sich das?

Nein, das sind klassische Longseller. Und es sind nicht ohne Grund die kleinen, illustrierten Tierportraits, die sich großartig als Mitbringsel eignen.

Können Sie ein, zwei Buch-Karrieren darstellen?

singt der vogel-9783957573933Peter Krauss Handwörterbuch der Vogellaute „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“ kam als unverlangt eingesandtes Manuskript im DINA-4-Querformat, gesetzt in Comic Sans. Wir haben das Buch in unserem kleineren Tierportraitformat noch einmal neu erfunden und die Illustrationen hinzugefügt. Es ist eines dieser Bücher, bei denen man nur staunen kann, warum es sie vorher noch nicht gegeben hat: So zwingend erscheint seine Existenz. Zuerst denkt man, es handelt sich dabei um eine Art unnützes Wissen, bis einem dämmert, wie wenige der darin abgebildeten Vögel man im letzten Jahr mit eigenen Augen gesehen hat. Mit dem Vögeln und ihrem vielfältigen Lauten verarmt jedoch auch unser Wortschatz, ach was, unsere Welt. 

Wie sind Sie bei der Gestaltung und Herstellung der Bücher dabei?

Ja. Ich begleite die Titel von der Akquise und Programmgestaltung bis zur Drucklegung. Die Gestaltung selbst allerdings mit Satz und Layout besorgt die wunderbare Pauline Altmann, die gerade für Suhrkamp den fünfbändigen Debütroman »Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen« von Philipp Weiss kongenial umgesetzt hat. 

Ihr Einstieg als Autorin war ein Schriftkompendium, „Fraktur mon amour“ – die Fraktur als Schrift ist es aber dann gar nicht so geworden bei Ihren Büchern.  Oder sehe ich das falsch – und unkundig?

Bisher hat es sich noch nicht angeboten. Das schließe ich aber nicht aus. 

federn-9783957572325Sehe ich es falsch, dass die Naturkunden auch einen Standard bei der Ausstattung setzen? Von Typografie, Litho und Papier bis Bindung… Eigentlich müssten solche Bücher mehr kosten, oder?

Ja, daher sind die Bände im Buchhandel auch etwas teurer als andere Bücher. Dafür müssen bei uns Autorinnen und Autoren nicht erst tot sein, bevor ihre Bücher eine Fadenbindung bekommen. Die Bände der Naturkunden sehen auch noch in 50 Jahren gut aus.

Erzählen Sie uns etwas von Winter & Company...

Dieser Hersteller führt das wunderbare Papier Napura Kephara, in das wir unsere Tier- und Pflanzenportraits einbinden. Das ist ein wunderbares thermoreaktives Papier, mit dem man prägeähnliche Effekte erzielen kann.

… und gerne auch von anderen Ihnen wichtigen Personen bei Gestaltung und Herstellung.

Wie gesagt: Ohne die unglaublich genaue und feinfühlige Gestaltungsarbeit von Pauline Altmann gäbe es die Naturkunden so nicht mehr. Die Bände sind auch ihr Baby. Und der Hersteller Hermann Zanier begleitet Druck und Bindung der Bände ebenso lange außerordentlich kundig. 

eulen_htmlDie Buchformate der Naturkunden, sind toll. Aber marktüblich? Das Klein-Quart zum Beispiel …

Das sind uralte Buchformate. Das war auch eine Idee: Nicht nur Inhaltliches zu bewahren, sondern auch traditionelle Merkmale der Buchgestaltung: Vom Klein-Quart bis zum Folio-Format, Fadenbindung, Frontispiz, farbiger Buchschnitt. 

Gibt es eine Kooperation mit den britischen Reaktion Books? Das Eulen-Buch von Desmond Morris, glaube ich, stammt von dort. Weitere?

Nein, wir mochten das Eulenbuch sehr, bekamen aber von Anfang an so viele und gute Tierportrait-Manuskripte angeboten, dass wir uns nicht weiter nach Übersetzungen umgeschaut haben.

Sie setzen eher auf deutsche Autorinnen und Autoren bei den Porträts? Reaktion Books hat ja auch nur Tiere, Ihnen ist aber die Flora ebenso wichtig, denke ich. (Ich mag die Brennesseln, zum Beispiel, habe ich einige Mal verschenkt.)

Mit der Flora haben wir erst vor Kurzem begonnen. Die Pflanzenportraits erscheinen ab jetzt immer im Frühjahr. Als nächstes kommen die Algen der Niederländerin Miek Zwamborn. Es war unser erster Auftrag an eine nicht-deutschsprachige Autorin.

Robert Macfarlanes „Underland“ über die Unterwelten unserer Erde und die Beziehungen der Menschen dazu kommt wann bei Ihnen in den Naturkunden, und gibt es schon den deutschen Titel?

Der Titel wird leider nicht bei uns erscheinen, sondern in einem anderen Verlag. Wir bedauern das sehr. 

Wie sieht ein klassisches Naturkunden-Programmjahr aus? Vier Porträts, mehr? Ein/ zwei Klassiker, ein Sachbuch, einiges an Nature Writing … wie viele Bände sind es idealerweise pro Jahr?

Ein bis zwei Portraits, ein Nature Writing, sowie ein erzählerisches Sachbuch.

lehmann bukolisches-9783957573858Die Andere Bibliothek hat um die 4000 Abonnenten und Interessenten. Man könnte sagen, der Zahl der Leser und Käufer anspruchsvollerer Bücher sind in Deutschland fast natürliche Grenzen gesetzt. Die Naturkunden setzen das außer Kraft?

Offenbar. Ich glaube, dass schöne, gute Bücher keine natürlichen Grenzen haben. Warum sollte man das nicht haben wollen?

England, ach England?  Wenn ich an das dortige Nature (und auch City) Writing denke – haben Bücher über Natur dort einen höheren Stellenwert? Wie sieht Deutschland hier aus im internationalen Vergleich?

Wir hinken hinterher, holen aber gerade auf. Und haben beispielsweise mit einem Titel wie dem ›Bukolischen Tagebuch‹, in dem Wilhelm Lehmann Ende der 1920er Jahre die eher karge Landschaft Schleswigs ebenso kundig wie sprachgewaltig, einen vergessenen Klassiker deutschsprachigen Nature Writings avant la lettre im Programm. Und wenn wir schon von England reden: Die Buchgestaltung und Herstellung ist dort nicht gerade vorbildlich.

Gibt es einen Nachwuchs an Autorinnen und Autoren?

Der Verlag hat ja auch nicht zuletzt einen Preis ins Leben gerufen – den Deutschen Preis für Nature Writing –um das Schreiben über Natur mehr ins Bewusstsein zu rücken. Was wir bisher in der Richtung kennen, ist ja vor allem der Ratgeberliteratur oder dem im Sachbuch angesiedelten Erfahrungsbericht zuzuordnen. Ich bin sicher, dass sich da etwas tun wird in der nächsten Zeit.

schalansky cover 42824Themenwechsel. Das Erzählen in Ihrem aktuellen Buch „Verzeichnis der Verluste“ ist sehr vielstimmig, sehr vielschichtig. Man merkt aber auch Ihre Lust – was hat richtig Spaß darin gemacht? Bekommen wir ein Beispiel?

Als ich einmal in Greta Garbos Kopf war, den Ton für ihren von Kraftausdrücken strotzenden Monolog gefunden hatte, schrieb sich der Text von alleine.

In meiner Rezension von „Verzeichnis der Verluste“ ziehe ich eine Verbindung zu Alexander Kluge – ist das Unsinn?

Geht in Ordnung.

Die Abbildungen im „Verzeichnis der Verluste“, diese Art von Schwarz auf Schwarz zu drucken, hat das einen Namen? Und wie sind Sie darauf gekommen?

Dieses Verfahren hat keinen besonderen Namen. Es handelt sich um Schwarz-Weiß-Abbildungen, die ich auf dunkelgraues Papier drucken ließen. Der Kontrast ist minimal, aber ausreichend, um das Abgebildete zu erahnen. Es war eine Idee, die ich schon während des Studiums hatte, um ›Abwesendes‹mehr erahn- als sichtbar zu machen. Als ich die Idee zu meinem Verlustkatalog hatte, fiel sie mir wieder ein.

Jedes Kapitel im „Verzeichnis der Verluste“ ist gerade ganz genau ein Bogen. Sehe ich das richtig? War das ein Vorhaben von Anfang an, oder hat es sich irgendwann so gefügt?

Da ich jede Geschichte von diesem dunkelgrauem, beinahe schwarz durchgefärbten Papier ummantelt haben wollte, war klar, dass ich mich mit jedem Text auf einen Bogen beschränken muss. Erst dachte ich, ich käme mit 12 Seiten aus. Dann haben sich die 16 Seiten als optimale Länge herausgestellt. Das sind in etwa 30.000 Zeichen.

Zwei oder drei Bücher, die Sie gerne gemacht hätten ..?

abbey wüste-9783957573551Den Verlag ›Kulturelles Gedächtnis‹ hätte ich gern gegründet. Außerdem bin ich ein großer Fan der Bücher des Berenberg Verlags. Allein das Verlagssignet! Ein Traum! Tatsächlich bin ich aber froh über jedes, schöne, gute Buch, das ich nicht gemacht habe.

Noch ein Steckenpferd von mir: Edward Abbey, von dem ich schlicht alles habe, auch alles Sekundäre. Seine „Einsamkeit der Wüste“ war Band 29 der Naturkunden, im Jahr 2016 ein Buch von 1968 – wird es weitere von ihm geben?

Momentan nicht. Erst einmal sind andere dran.

Frauen und Männer und Natur und Naturforschung – wie sind hier die Geschlechterverhältnisse? Ist das eine Frage, die sich stellt?

Natürlich. Immer wieder. Und mit großartigen Autorinnen wie Nan Shepherd, Annie Dillard oder auch Alma de l’Aigle im kommenden Frühjahr zeigen wir, dass die Natur weißgott kein Männerthema ist.

Eine Frage noch: Dürfen wir uns Judith Schalansky als eine glückliche Büchermacherin vorstellen?

Zumindest bin ich glücklich, wenn ich Bücher gestalte.

Das Interview wurde im November 2018  per E-Mail geführt. 

 

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Quelle: Verlag Matthes & Seitz

Judith Schalansky, geboren 1980 in Greifswald, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign und lebt als freie Schriftstellerin und Buchgestalterin in Berlin. Ihre erste Buchveröffentlichung war das über 600-seitige Fraktur mon Amour (Hermann Schmidt, Mainz 2006), es folgte der Matrosenroman Blau steht dir nicht (mare). Sowohl ihr Atlas der abgelegenen Inseln (mare, 2009) als auch ihr Bildungsroman Der Hals der Giraffe (Suhrkamp, 2011) wurden von der Stiftung Buchkunst zum »Schönsten deutschen Buch« gekürt. Seit dem Frühjahr 2013 gibt sie im Verlag Matthes & Seitz die Reihe Naturkunden heraus. Im Herbst 2018 erschien von ihr Verzeichnis einiger Verluste (Suhrkamp) – CulturMag-Besprechung hier sowie ein exklusiver Textauszug.

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