Geschrieben am 4. November 2018 von für News, Specials, Verlust-Special 2018, Verlust-Special UNO

Editorial – Verlust-Special (Verlust UNO)

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Alles vergänglich: Stilleben mit Käse, etwa 1615, von Claesz von Dijck (Bildrechte © Wiki Commons, ebenso wie alle Beitragstitelbilder dieser Ausgabe)

Willkommen zu unserem Verlust-Special UNO.

Verlust ist überall. Er bestimmt uns mehr, als wir wissen (wollen). Wir selbst und die Kultur sind voll des Verlorenen. Zugespitzt lässt sich sagen: Kultur ist Umgang mit Verlust. Und wenn wir lieben, trauern wir auch, „that’s the deal“, betont gerade – absichtsvoll öffentlich – Nick Cave in seinen „Red Hand Files“.

Die Idee zu diesem Verlust-Special war ein kleines Korn, entwickelte sich dann immer zwingender. Und breiter. Wir haben das Special zweigeteilt, lesen Sie hier nun die Beiträge unseres Verlust UNO, Anfang Dezember folgt dann die Fortsetzung mit Verlust DUE.  Zum Einstieg hat Georg Seeßlen uns eine fulminante „Theorie des Verlustes“ geliefert: Unser Denken entsteht aus Unterscheidungen (Tag/Nacht, Lebendig/Tot), unser Leben aus Trennungen (Mutter/Kind, Ich/Welt, Lust/Pflicht). Jede Unterscheidung und jede Trennung ist zugleich Gewinn und Verlust. Etwas muss da immer abhanden kommen, aber wo geht es hin?

Judith Schalanskys aktuelles Buch „Verzeichnis einiger Verluste“ kommt dafür wie gerufen. Alf Mayer hat es besprochen, wir präsentieren Ihnen zudem einen Textauszug. Thomas Wörtche porträtiert Leonard Cohen, wie Sie ihn vermutlich so zusammenhängend als Meister des Verlustes noch nie wahrgenommen haben. Claudia Denker fragt sich: Verdammt, wo ist Katja? Ulrich Baron erinnert sich an seinen Schulweg, Bodo V. Hechelhammer an einen zu früh gegangenen Freund, Joachim Feldmann an Buchmessen-Rituale.

Ute Cohen, die für uns das TABU– und das SEX-Special kuratiert hat – ja, sehen Sie sich gerne auch unsere anderen Specials an, erreichbar oben in der Titelleiste – findet den Verlust der Utopien bei Vernon Subutex 3 und dem sog. „Millenial-Manifest“. Hazel Rosenstrauch versucht, ihre Verluste nach dem Wertungsprinzip der Stiftung Warentest zu ordnen, ganz oben siedelt sie eine verlorene Haltung an: die der Weltverbesserer ohne Allüren.

Isabella Thermes schreibt über Trauer und Kreativität und ihre im Werden begriffene graphic novel „The Human Heart“. Wolf-Eckart Bühler hat uns einen nie veröffentlichten Nachruf auf den von ihm filmisch zweimal porträtierten Schauspieler Sterling Hayden überlassen: Vale, Wanderer! Um beim Film zu bleiben, fragt Bodo V. Hechelhammer: Wo steckt eigentlich Harry Palmer?

Und wo sind die Poeten? Ingrid Mylo und Markus Pohlmeyer haben uns je zwei Gedichte zur Verfügung gestellt. Andreas Pflüger zeigt uns, wie seine Action-Heldin, die bei einem Schusswechsel erblindete Jenny Aaron, mit Verlust kämpft. Auch er sagt: „Verlust ist eines meiner großen Themen.“ Urs Zürchers neuer Roman, aus dem wir Ihnen das aufregende Anfangskapitel präsentieren, trägt das gar im Titel: „Alberts Verlust“ (ganz aktuell im feinen bilgerverlag).

Rezensionen sind, untypisch für CulturMag, in diesem Special UNO eher dünn gesät. Frank Schorneck schreibt uns über Frank Schulz („Anmut und Feigheit“) und Lucy Fricke(gerade eben für „Töchter“ mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet). Alf Mayer freut sich über „Die verlorenen Wörter“ von Robert Macfarlane & Jackie Morris, herausgegeben von Judith Schalansky, womit  auch dieser Kreis sich schließt.

Exkursionen ins explizit Politische unternehmen Bruno Arich-Gerz mit „Verlustzone: DDR Polen Namibia“ und Kurt Andersen, der in „Fantasyland“ 500 Jahre Realitätsverlust in den USA seziert.

Ob Sie (je) in diesen Zustand gelangen, ist Ihre Sache und Ihr Weg, fehlen darf er aber nicht, in einem Magazin über den Verlust. Wir haben den Zen-Meister Jan Hendriksson gebeten, uns zum Satori zu weisen.

In Verlust DUE werden Sie dann auf Alberto Manguel treffen, auf Friedrich Ani, Derek Raymond, Wallace Stroby, Brigitte Helbling, Anke Feuchtenberger, Andrea O’Brien, Constanze Matthes, Dieter Geissler, Rainer Moritz, Rolf Barkowski, noch einmal auf Sterling-Hayden, auf Viet Thanh Nguyen, Karan Mahajan, Carl Amery und auf andere. – Verlust, ganz ohne Frage, ist ein großes Thema.

Gute Lektüre, erfreuliche Funde und manchen Trost wünschen wir Ihnen allen,


Alf Mayer, als Kurator, und Brigitte Helbling als Mentorin der CulturMag-Specials

Alf Mayer, Journalist & Literaturkritiker, Kurator dieses Verlust-Specials, Redakteur von CrimeMag, Autor des Ed McBain-Porträts „Cops in the City“ (zusammen mit Frank Göhre, von beiden bald auch „King of Cool. Das Elmore Leonard Lesebuch“), Entdecker und Übersetzer der Crissa-Stone-Romane von Wallace Stroby, lebt in Bad Soden am Taunus. Seine CulturMag-Texte hier.

Brigitte Helbling ist CulturMag-Mitarbeiterin und Autorin und schreibt seit einigen Jahren eine ganze Menge für Theater, ihre „Zwingli Roadshow“ (mitkonzipiert und in der Inszenierung von Niklaus Helbling) hatte Mitte September 2018 am Theater Kanton Zürich Premiere. 

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