Geschrieben am 1. Juli 2022 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2022, News

Ute Cohen: Opfer oder Widerstand?

Verweigerung gegenüber fremdbestimmten Zwecken

Eine Rezension Moshe Zuckermann „Die Kunst ist frei?“ – Von Ute Cohen

Ein Pissoir ist ein Pissoir? Marcel Duchamp vergegenwärtigte uns, dass es in der Hand des Künstlers liegt, ein x-beliebiges Objekt in Kunst zu verwandeln. Aber auch dem Betrachter wohnt Macht inne: Er dekodiert und ordnet ein, verwirft das Spiel mit Begriffen oder geht darin auf. Macht aber ist vor Missbrauch nicht gefeit, wie sich an der Debatte um die aktuelle documenta unschwer darlegen lässt.

Offensichtliche antisemitische Stereotype wie Juden mit Raffzähnen und SS-Runen wurden von den Machern der Ausstellung zunächst schlichtweg übersehen und dann mehr oder minder geschickt abgeschwächt. Elke Buhr, Chefredakteurin der Kunstzeitschrift Monopol, führte die Garde der Relativierer an und schmähte die Rede des Bundespräsidenten als Skandal, da Antisemitismus beweislos vorausgesetzt worden sei. Wachsame Journalisten mutierten in ihrem Blick zu genussunfähigen Schreiberlingen, die das bukolische Setting der documenta nicht zu schätzen wussten. Als das Offensichtliche nicht mehr von der Hand zu weisen war, machte sie in einem zweiten Artikel einen Schwenk, indem sie das inkriminierte Bild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi in den Kontext von Groteske, Karikatur und Satire einzuordnen versuchte. Taring Padi, Charlie Hebdo des „globalen Südens“? Das ist besonders perfide, da davon ausgegangen werden darf, dass Buhr den Unterschied zwischen Satire und antisemitischer Propaganda aufgrund ihres Bildungsprivilegs wohl kennt. Dass die Einkleidung der Satire der Meinungsfreiheit unterliegt, Satire aber nur zulässig ist, wenn sie der Wahrheit entspricht, dürfte auch ihr nicht unbekannt sein. Offenbar ist Buhr so bemüßigt, die westliche Perspektive abzulegen, dass ihr dabei entgeht, dass die eingeladenen unterprivilegierten Kunstkollektive womöglich auch nur die Propaganda einer politischen Elite reproduzieren. Machtmissbrauch könnte daher zweifach vorliegen: In der heuchlerischen Ignoranz eigenen Herrschaftswissens und der bewussten Belassung eines Kollektivs in seiner unaufgeklärten Unmündigkeit.

Zweifelsohne aber sind die beiden Artikel symptomatisch für eine Kunstkritik, die sich einer postkolonialen Ideologie à la mode verschrieben hat, anstatt Kunst und Kunstautonomie kritisch zu beleuchten.

Es ist die Hochzeit der Kunstsoziologie. Wer über Kunst spricht, wird aufgefordert, seine Privilegien zu checken. Der Sprecher und seine soziale Verankerung sind bedeutsamer als das Werk selbst. Werkimmanente Kriterien wie Fantasie, Stil, Innovation und Technik gelten als konservativ und überholt. Kanonbildung gilt als Machtinstrument einer sozialkulturellen Elite, die unweigerlich zum Silencing der Stimme des Volkes führt. 

Sozialkitsch, Kunstautonomie, Fremdbestimmung, Kapitalismuskritik … Den Diskurs über Kunst prägen Begriffe, die zu Buzzwords verkommen oder an deren Auflösung emsig gearbeitet wird. Im selben Atemzug werden Gegenstimmen laut, die selbst den Anspruch auf Kanonisierung erheben. Neue Machtstrukturen bilden sich heraus, die Begriffsaushöhlung durch neue Formen der Okkupation ersetzen. Vielfalt ist nurmehr Diversität, Sprache und Kunst verkommen zu Kunstsprache und Sprachkunst, die mehr denn je entfremdet und außenbestimmt ist. Wie aber ist es mit der Kunstautonomie bestellt in dieser vergitterten, fremdgesetzlichen Welt?

Hier tritt Moshe Zuckermann auf den Plan. Bereits 2002 befasste er sich mit der sozialen Hintergehbarkeit von Kunst und setzte sich für die theoretische Rettung der Kunstautonomie ein. „Verschwistert“ sieht er sich dabei der Frankfurter Schule, vor allem Adorno.

Im Westend Verlag erscheint nun die Streitschrift „Die Kunst ist frei?“, Affirmation, rhetorische Frage, Debattenimpuls zur Kunstautonomie. In sieben Kapiteln fühlt er unserem laxen Umgang mit Kunstautonomie, Progress, Konzeptkunst, Kunst und Politischem, hoher und niedriger Kultur und der alles verschlingenden Kulturindustrie auf den Zahn. 

Die Verweigerung gegenüber fremdbestimmten Zwecken ist in dieser brillanten Abhandlung zentral. Unterwerfung, das zeitgenössische Paradigma, ist der Kunst wesensfremd oder um es weniger essentialistisch zu formulieren: Unterwerfung steht im Widerspruch zur Raison d’être der Kunst. Kunst ist Selbstzweck statt Zweckdenken. Zuckermanns Verdienst ist es, das Anarchische der Kunst an die Oberfläche zu befördern. Er wirft einen Molotowcocktail in einen Diskurs, der von Selbstgerechtigkeit und Ignoranz geprägt ist. Dass dieser aktuell dominierende, sich moralisch überlegene Diskurs dabei selbst der kritisierten Kulturindustrie auf den Leim geht und damit auch einen protofaschistischen Kern in sich trägt, legt Zuckermann in aller Klarheit dar. Entwicklungsgeschichtlich führt er diesen Zustand auf die Beraubung des Künstlers seiner „Einzigartigkeit als Schöpfer“ zurück einhergehend mit einer Verleihung von Autorität, die „einzig von seiner öffentlich anerkannten Zugehörigkeit zum Künstler-und Kunstfeld“ abhängt. Damit verweist er bereits auf die wahre Bedrohung von Kunstautonomie: Eine Rezeption und Fremdbestimmung, die mit ungleich härteren Bandagen kämpft als die künstlerischen „Mörder“ der Kunst. Zuckermann ist kategorisch hier: „Der Tod der Kunst kann sich nicht künstlerisch vollziehen.“

Wohl aber kann sich die Kunst als williges Opfer gerieren oder durch die Preisgabe des Widerständigen zum Erfüllungsgehilfen ihrer Auflösung werden: Das Spiel der Appropriation Art wandelt sich dann zum bitteren Ernst der Appropriation of Art. 

Zuckermanns kunsthistorische und philosophische Überlegungen sind nicht nur als Genealogie einer Gegenwartsdebatte zu verstehen, sondern auch ein notwendiges und nützliches Instrumentarium in einer Zeit, die von kulturindustriellen Fresszellen verschlungen wird. Eine Ausnahme bildet auch die sogenannte „Engagierte Kunst“ nicht. Dass sie das produktive Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik preisgibt zugunsten einer „Institutionalisierung erwünschter Herrschafts-und Machtverhältnisse“ ist nicht nur ein Verrat an der Kunstautonomie, sondern ein Einknicken vor kapitalistischer Allmacht.

Das eigentümlich Politische der Kunst macht Zuckermann in zweierlei aus: in einem „Autismus“ gegenüber der Realität und dem „Narzißmus“ der „authentischen Abweisung eines jeden Versuchs, ihre Autonomie zu bedrohen“. Nur so vermag die Kunst als eigenständige kognitive Handlung im Adornoschen Sinne zu bestehen und eine Oppositionsrolle gegenüber dem Gegebenen auszukleiden. Affirmative Kunst aber werde servil, so Derrida. 

Mit diesem Denkwerkzeug ausgestattet, vermag der Leser auch aktuelle Kunstdebatten zu analysieren: Die Servilität von Künstlerkollektiven wie Taring Padi auf der documenta erweist sich darin, dass Erwartungshaltungen von postkolonial geschulten Rezeptionsfetischisten erfüllt werden. Kunstkritiker, die diese Erwartungshaltungen befeuern, machen sich nolens volens zum Bündnisgenossen eines Kapitalismus, dessen Verwertungs- und Unterwerfungslogik sie näherstehen, als sie uns glauben machen. 

Die Künstler wiederum werden zu Erfüllungsgehilfen degradiert, die sich der Kunstpolitik anstandslos unterwerfen. Der Grund dafür liegt nicht nur in einer materiellen Bedürftigkeit, sondern im vermeintlichen Sturz der Machtverhältnisse. Der Sturz der Helden verkehrte sich in eine Anbetung der Geschundenen. In der Apotheose des „Niedrigen“ erkennt Zuckermann ähnliche Muster wie in der Vergötterung des „Hohen“: ein „fetischistisches Element der Anhimmelung der äußeren Schale, des sozialen Prestiges sowie des Tauschwerts des Angebeteten.“

Ergebnis ist böser Sozialkitsch. Kitsch aber ist, wie Hermann Broch bereits kundtat, eine gefährliche Kulturerscheinung, die aufs Engste verknüpft ist mit dem Spießergeist.

Zuckermanns Streitschrift ist auch ein Appel, uns gegen Sozialkitschkonsum zu immunisieren und Horkheimers Diktum von der Kunst als Spiel in der Realität ernstzunehmen. 

Nicht zuletzt ist sie eine Aufforderung, Kunstsoziologie nicht mit der Beurteilung von Kunst zu verwechseln und der Stimme des Volkes mehr zuzutrauen als ein entfremdetes, unmenschliches Timbre, wie es sich in dem antisemitischen Banner namens „People’s Justice“ offenbart. 

Zuckermann zitiert hier Adorno: „(…) je kleiner man sich macht, umso zuverlässiger partizipiert man am mächtigen Unisono der vox inhumana populi, an der richtenden Gewalt des petrifizierten Zeitgeists.“

Zuckermanns Text ist die Munition, die den Zeitgeist sprengt.

Moshe Zuckermann: Die Kunst ist frei? Eine Streitschrift für die Kunstautonomie. Westend Verlag, Frankfurt 2022. 160 Seiten, 20 Euro.

Ute Cohen bei uns mit vielen Texten hier. Ihr neues Buch „Falscher Garten. Eine schwarze Kapriole“ erscheint jetzt Anfang Juli bei Septime.
Ihr Roman „Satans Spielfeld“ besprochen von Thomas Wörtche und Joachim Feldmann – hier – hier
Ihr Roman „Poor Dogs“ besprochen von Alf Mayer: Hardcore Kapitalismus, von Andrea Noack: Lockruf des Geldes.
Sowie Jeannine Fiedler: Das Leiden als Kategorialanalyse von Weiblichkeit.

                                                                                                                     

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