Geschrieben am 1. November 2021 von für Crimemag, CrimeMag November 2021

Joachim Feldmann: Ute Cohen „Satans Spielfeld“

Was kann Literatur?

Sommer, Sonne, Eis am Stiel. Der Geruch des gechlorten Wassers. Dazu läuft der Soundtrack der siebziger Jahre. So könnte es gewesen sein. Doch so war es nicht. Als die elfjährige Marie im Freibad die Schwestern Sabine und Nicole kennenlernt, ist sie ein einsames Kind, das seine Umwelt genau beobachtet. Und von einer Schüchternheit, die leicht mürrisch wirkt. Auf Sabines begeisterte Ankündigung, sie würden sicherlich in dieselbe Klasse gehen, reagiert sie „abwesend“. Doch dann hält ein weißes Mercedes Cabrio am Straßenrand, dessen Besitzer kurz darauf „verwegen“ vor ihr steht. Es ist der Vater ihrer neuen Freundinnen, eine imposante Erscheinung. Lächelnd spendiert er ein Eis. Und Marie verspürt ein „fremdes Gefühl“. 

Dieser Mann wird Marie in den kommenden Jahren demütigen, quälen und vergewaltigen. Sie wird all das ertragen, weil sie sich hilflos und allein fühlt. Niemand kann ihr beistehen. Denn der Architekt Bauleitner ist ein mächtiger Mann mit großem Einfluss in der Dorfgemeinschaft. Auch ihre Eltern sind materiell von ihm abhängig. Also wird geschwiegen, auch wenn manch einer ahnt, was geschieht. „Weit weg von ihm“, sagt seine Ehefrau, als Sabine und Nicole ins Internat kommen. 

Ute Cohens Roman „Satans Spielfeld“ ist die schonungslos erzählte Geschichte eines Verbrechens, das mit dem Wort „Missbrauch“ zu harmlos beschrieben würde. Wir begleiten Marie bis ins Teenageralter, werden Zeugen ihrer misslingenden Versuche, sich aus dem Machtfeld ihres höchst manipulativen Peinigers zu befreien. Die in der Vorstellung gipfeln, eine „normalisierte“ Verbindung mit Bauleitner selbst könne ihre Rettung sein.

Als „Satans Spielfeld“ vor vier Jahren erschien, wies Thomas Wörtche auf die gnadenlose „Beobachtungsgabe, die vor keiner Schmerzgrenze zurückzuckt“ hin (seine Besprechung bei uns hier). Dem ist wenig hinzuzufügen. Die Lektüre dieses Romans ist ein Exerzitium. Vielleicht erklärt sich damit, dass er von der Literaturkritik bislang geflissentlich übersehen wurde. Das ist ein Fehler. Denn Ute Cohens radikaler erzählerischer Umgang mit der eigenen Biografie verdient Aufmerksamkeit. Deshalb ist es gut, dass „Satans Spielfeld“ nun als Paperback vorliegt, dessen Nachwort diese Perspektive schockartig eröffnet. „Ich war neun, als er das erste Mal vor mir stand“, schreibt die Autorin da und fragt sich, warum sie ihre Figur Marie zwei Jahre älter sein lässt. „Habe ich es nicht gewagt, das wahre Alter zu nennen? War die Erinnerung zu grausam, zu schmerzhaft?“

Was kann Literatur, was kann Erzählen angesichts des tatsächlichen täglichen Unheils bewirken? Ute Cohens Roman stellt diese Frage explizit. Die Antwort liegt bei denen, die ihn lesen.

Ute Cohen: Satans Spielfeld. Septime Verlag, Wien 2021. Taschenbuchausgabe, 212 Seiten, 12,90 Euro.

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