Geschrieben am 15. März 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Ute Cohen: Satans Spielfeld

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Ein zwölfjähriges Mädchen und ein reicher Bauunternehmer. Das hört sich nach „Lolita“ revisited an. Aber Ute Cohens Psychothriller „Satans Spielfeld“ verlässt konventionelle Pfade und entwirft ein eigenes, sehr bedrückendes Universum. Thomas Wörtche ist beeindruckt.

Vielleicht tut man Ute Cohens Roman-Debut „Satans Spielfeld“ gar keinen Gefallen, wenn man ihn, was auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, als inverse Version von Vladimir Nabokovs „Lolita“ liest. Invers in dem Sinn, dass die Perspektive gedreht ist.

Bei Cohen spricht kein Humbert Humbert, sondern die auktorial/personale Erzählhaltung wird von Marie dominiert. Marie ist anfangs zwölf, lebt in der fränkischen Provinz der späten 1970er Jahre. Ihre Sexualität erwacht, sie probiert sich aus. Der Vater zweier Freundinnen, ein reicher Bauunternehmer und eine feste Größe in der Lokalpolitik (weil er Jobs zu vergeben hat), schlägt aus der backfischartigen Schwärmerei ganz konkret seinen sexuellen Profit. Er verführt Marie, er vergewaltigt sie, er schwängert sie, er zwingt sie zur Abtreibung, er prostituiert sie für Geschäftsfreunde, er erhebt totale Besitzansprüche. Ein ziemlich risikoloses Unternehmen für ihn. Er ist unantastbar. Die Provinz und ihre Schweigemechanismen schützen ihn, Maries eigene Eltern und die Familie des Unternehmers schauen weg, der „Zeitgeist“ mit Hamilton-Filmen und schrägen Ideen, was Sex mit Minderjährigen angeht, ist für Marie wenig hilfreich, die katholische Kirche erst recht nicht. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die realen Machtverhältnisse sind glasklar und zum Himmel schreiend ungerecht.

Provinz

Ein erster Vorzug von „Satans Spielfeld“ ist Cohens Schilderung und Sektion dieses Provinzgefühls (und weil ich selbst zu ungefähr dieser Zeit in dieser Gegend gelebt habe, darf ich das unterstreichen) – sie trifft die Dialektik aus idyllischer Natur, aus anscheinender Problemferne, aus optimistischen Anteilen auf der einen Seite und geistiger Enge, Duckmäusertum, verstocktem Konservativismus, Autoritätsgläubigkeit und wirtschaftlicher Abhängigkeit auf der anderen Seite auf den Punkt genau.

Cohens Franken ist keine von dumpfen Dorf-Monstern karikaturhaft besiedelte Hölle (nein, das ist kein deutscher Country-Noir), sondern eine Hölle mit blauem Himmel und einem die-Welt-hier-ist-noch-in-Ordnung-Feeling, an deren Rändern man schon die „geistig-moralische Wende“ von 1982 aufziehen ahnt. Die Befreiung von „gesellschaftlichen Konventionen“, besonders was die sexuelle Emanzipation betrifft, kommt allmählich auch auf der country-side an und entwickelt die fatale Dynamik, die ein richtiger Ansatz hin zu falschen Konsequenzen nehmen kann. Diese genaue und gelungene Kontextualisierung ist deswegen so wichtig, weil sich das Thema damit nicht anthropologisch als Konstante weg camouflieren lässt.

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Die üblichen Diskurse

Das gleiche gilt dann auch für eine Ästhetisierung. Natürlich kennt Ute Cohen alle relevanten Diskurse von Nabokov über Balthus bis zu den trivialen, im Roman ausführlich zitierten Hamilton-Filmen, die immer mal wieder für Skandale sorgten, und sie kennt auch die subversiven Gegendiskurse, Georges Bataille zum Beispiel, den Cohen deutlich einflicht (in einer Szene, in der es um Augen geht, hier allerdings im Schulunterricht).

Und natürlich sind das alles männliche Diskurse, die reale Geschlechterverhältnisse reflektieren, die sozial und nicht anthropologisch begründet sind. Cohens dezidiert weibliche Perspektive zielt deswegen nur sehr vermittelt auf die ästhetischen Ausfaltungen des Themas, sondern schreibt sie erst einmal fest, insistiert bis zum Ende darauf. Der Roman kann ihrer Gültigkeit nicht entkommen. Und weil diese weibliche Perspektive den Roman generiert, kann er auch keine reine „Opfer-Perspektive“ sein. Weil „Satans Spielfeld“ differenziert und nuanciert gemacht ist, soll und kann der Selbstbehauptungswille seiner Hauptfigur nicht unter den Tisch fallen. Auch wenn alle Handlungsoptionen von Marie letztendlich illusionär und fatal sind – sie versucht, sich mit ihren Mitteln, mit ihrer schmerzhaft und schlimm erweckten Sexualität, an ihrem Verderber zu rächen, ihn zu demütigen oder ihn zu einem minimalen „Verhandlungsfrieden“ zu bewegen -, so ist sie zumindest ein Opfer, das sein Opferdasein ab einem bestimmten Punkt des Leids nicht willenlos hinzunehmen gedenkt.

Das ist der riskante, aber völlig plausible Dreh des Romans. Denn Marie ist keine Funktion in einem schematischen Spiel von Aktion und Reaktion in einem schachspielartigen Psychoduell zweier gleichrangiger Akteure (also das, was das übliche Spiel zwischen deviantem Täter und rationalen Gegenspieler in tausenden von einschlägigen Narrativen ausmacht, auch wenn der rationale Gegenspieler sich dort oft versucht, dem Devianten anzuverwandeln, um ihn zur Strecke zu bringen. Ein Prinzip übrigens, das Derek Raymond in „I was Dora Suarez“ endgültig gebrochen und diesen Typ von Soziopathen-Thriller im Grunde für immer erledigt hat).

Wer ist Marie?

Ute Cohens Marie ist genau das, was sie ist: Eine junge Frau, die so handelt wie sie angesichts der Umstände handeln kann, auch wenn ihre Handeln, strikt diskursiv betrachtet, problematisch ist. Aber Menschen und ihre Handlungen gehen nicht in Diskursen auf, auch das ist eine Erkenntnis die der Roman subkutan vermittelt.

Cohen lässt uns in Maries Kopf und Herz blicken, lässt uns an ihren Gedanken, an ihren Visionen, Illusionen, an ihren irrationalen und dann wieder glasklaren rationalen Dispositionen teilhaben, deren katastrophalen Konsequenzen zumindest zu ahnen sind. Bei so viel Desorientierung allerdings bleibt das übliche argumentative Schlupfloch (selbst schuld, das kleine Biest, warum spielt sie auch mit Satan?) verschlossen, Satans Spielfeld ist nicht von Marie aufgesetzt worden.

Poetische Kraft

Cohens eigenwillige Prosa entwickelt einen beträchtlichen Sog, ein paar stilistische Manierismen in Richtung „hohe Literatur“ hätte ein rettendes Lektorat ruhig tilgen können, das Buch hat sie nicht nötig. Seine diskursferne, starke poetische Kraft entwickelt dieser Psychothriller (im guten, alten Wortsinn) aus der Verzahnung von vielen mächtigen Bildern, Assoziationen, seiner omnipräsenten, radikalen Körperlichkeit und seiner gnadenlosen Beobachtungsgabe, die vor keiner Schmerzgrenze zurückzuckt. Der Roman hält sich als Text „thesenfrei“, ob er deshalb ideologisch aneckt, wird man sehen.

Thomas Wörtche

Ute Cohen: Satans Spielfeld. Roman. Wien: Septime 2017, 214 Seiten, € 21,90

Links: Ute Cohen auf CULTurMAG, auf kult.ch und hier geht’s zum Buch.

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