Geschrieben am 1. Mai 2021 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2021

Hartl on Highsmith (7): Die Frauen – Elsie

Über Highsmiths vorletzten Roman „Elsies Lebenslust“

Bei Patricia Highsmith sind es überwiegend die Männer, die handeln und wahrnehmen, während die Frauen wahrgenommen und oftmals zu Objekten des Hasses werden. Die (Ex-)Ehefrauen in „Der Stümper“, „Tiefe Wasser“ und „Der Schrei der Eule“ sind kalte, grausame Karikaturen ohne Innenleben; die gutherzigen Freundinnen in „Der süße Wahn“ und „Der Schrei der Eule“ eher passive, naive Figuren. Und in „Elsies Lebenslust“ wird die Titelfigur gleich für zwei Männer zu einer Obsession.

Schon im ersten Kapitel wird Elsies Anziehungskraft deutlich. Der Roman beginnt mit einer Beschreibung, wie sie auf den Straßen in New York – genauer: Greenwich Village – unterwegs ist. Sie geht in Geschäfte, wechselt die Straßenseite, ist jung, fröhlich und „umsegelt wie ein Schmetterling“ dahinschlendernde Gruppen. Unbeschwert ist sie unterwegs, doch dann: „Ein Stück voraus, hinter dicken Frauen und Jungen in Bluejeans, entdeckte sie einen Mann mit einem leicht schwankenden Gang und einem Hund, den er an der Leine führte. Die junge Frau blieb abrupt stehen und wechselte bei der nächsten Gelegenheit die Straßenseite.“

Es gibt also einen Mann, den Elsie nicht treffen will – erste leise Anzeichen von Spannung entstehen hier. Zunächst aber rückt dieser Mann den Mittelpunkt des Geschehens: Bei ihm handelt es sich um Ralph Linderman, der seinen Hund God (!) ausführt und sich über den Dreck auf den Straßen ärgert. Er ist überzeugt, dass New York eine „größtenteils (…) heruntergekommene Stadt“ ist und wünscht sich, er wäre woanders hingezogen. Vor einem halben Jahr hat er Elsie in einem Coffeeshop in der West Fourth Street kennengelernt und ist seither besorgt, dass sie in schlechte Gesellschaft kommt. In seinen Augen ist sie zu naiv, zu freundlich, zu vertrauensselig – und es ist seine Aufgabe, sie vor dem Schmutz zu beschützen. Damit ist eine Stalking-Situation etabliert. Dann jedoch verschiebt sich der Fokus abermals: Linderman findet eine Brieftasche auf der Straße. Obwohl 263 Dollar in der Brieftasche sind, macht er den Mann ausfindig, dem sie gehört, damit er sie zurückgeben kann. Verloren hat sie John Sutherland, der sich erstaunt zeigt, dass das Geld noch da ist. „Es ist selbstverständlich, etwas Gefundenes dem Besitzer zurückzugeben, sofern man ihn herausfinden kann. Meinen Sie nicht auch? Jedenfalls, wenn wir in einer anständigen Welt leben würden“, erwidert Linderman darauf.

Zwei Männer auf der Straße
Cover der Virago-Ausgabe

Mit der Begegnung dieser zwei Männer ist Highsmith wieder ganz bei ihrem üblichen Konstruktionsprinzip, denn natürlich bleibt diese Begegnung nicht folgenlos. Wie in ihren vorherigen Romanen sind auch diese Männer grundverschieden. Linderman ist Wachmann, seit langem geschieden, lebt alleine mit seinem Hund, arbeitet oft nachts und hält eisern an seinen moralischen Prinzipien fest. Jack Sutherland ist Illustrator, verheiratet mit der mondänen Natalia, sie haben eine gemeinsame Tochter, stammen aus wohlhabenden Familien, leben in einem schicken Apartment in Greenwich Village und sind in ihren Zirkeln von Künstlerfreund*innen unterwegs. Ihr Leben ist nicht das, was Linderman als moralisch ansehen würde – aber auch in Sutherland stecken noch spießbürgerliche Reflexe, die unter anderem bei der Entdeckung zeigen, dass eine Freundin seiner Frau lesbisch ist.

Die Rückgabe der gefundenen Brieftasche ist nun Auslöser der Bekanntschaft dieser zwei Männer – jedoch geraten sie schon bald wieder aneinander. Und zwar durch Elsie. Als Jack eines Abends eine Party in seiner Wohnung verlässt, begegnet er ihr in dem Café, in dem sie neuerdings arbeitet.

„Sie schien für beinahe jeden ein freundliches Wort zu haben. Jack war wie gebannt von ihrer Energie. Er bemerkte, daß die Kunden darauf reagierten und ihr Lächeln erwiderten. Hinter der langen Theke arbeiteten noch andere Frauen, die aber weit weniger attraktiv waren als diese kleine Blondine, die nicht älter aussah als sechzehn.“

In diesem Café beobachtet Jack auch, dass sie von Linderman angesprochen wird. „Jack drehte sich zur Wand, um nicht etwa erkannt und in ein Gespräch verwickelt zu werden. Er wußte ja, daß der Typ eine Nervensäge war. Offenbar ging er der Blonden ebenfalls auf die Nerven. “ Als Linderman gegangen ist, spricht er Elsie an, zeichnet sie und schon bald entwickelt sich eine Freundschaft zwischen ihnen, die von Linderman nicht unbemerkt bleibt. Sutherland erhält einen ersten Brief, in dem Linderman ihm sagt, er solle sich nicht mehr Elsie treffen. Jack ignoriert das Schreiben, wenngleich er sich bedroht fühlt. Doch dann bittet Elsie ihn, einmal mit Linderman zu reden. Sie fühlt sich belästigt, traut sich aber nicht zur Polizei zu gehen.

Cover der UK-Erstausgabe
Projektionsfläche

In diesem Gespräch erkennt Jack, dass Linderman auf „seine verdrehte, mystische Art“ in Elsie verliebt sei. Tatsächlich ist Elsie längst für beide Männer zu einer Projektionsfigur geworden. Der impotente Ralph will sie beschützen, indem er ihre Reinlichkeit – ihre Unschuld – beschützt. „Elsie hat diese Macht einfach dadurch, daß sie hübsch, ja, sogar schön ist. Und unsere Gesellschaft macht es noch schlimmer, indem sie die Frauen nötigt, Makeup zu benutzen und Kleidung zu tragen, die die Blicke auf sich zieht … Hohe Absätze. Je hübscher und hilfloser, desto begehrenswerter“. Er ist (fälschlicherweise) überzeugt, dass Elsie eine sexuelle Beziehung mit Jack Sutherland hat und dessen Frau es toleriert. Deshalb will Linderman sie vor den Sutherlands und ihrem unmoralischen Lebensstil retten. Aber auch Jack will Einfluss auf ihr Leben nehmen, er will es verbessern, will sie rausholen aus den beengten Verhältnissen, in denen sie lebt. Es ist ihre Neugier, ihre Aufgeschlossenheit, die ihn zu ihr hinzieht, aber auch ihr Aussehen und ihr Charme. Dabei sind beide Männer einander in ihren Idealisierungen ähnlicher als sie glauben wollen – in beiden Projektionen von Elsie bleibt kaum Platz für den Mensch, der sie tatsächlich ist. Hier entfaltet der englische Originaltitel „Found in the streets“ auch eine Doppelbödigkeit. Offensichtlich bezieht er sich auf die Brieftasche, die Linderman findet. Jedoch wurde auch Elsie gewissermaßen von diesen beiden Männern „auf der Straße gefunden“ und zu der Person stilisiert, die sie sich vorstellen. Allerdings ist Jack Sutherlands Vorgehen insgesamt passiver. Linderman es ist, der Elsie stalkt – und ist Sutherland derjenige, der sie beobachtet und das genießt.

Patricia Highsmith © Archiv Diogenes Verlag

Elsie aber bleibt unwirklich in diesem Roman. Sie wird begehrt von ihren Mitbewohner*innen, (Ex-)Freundinnen und Jacks Ehefrau, tritt aber immer nur vermittelt in Erscheinung. Sicherlich bekommt sieRaum in diesem Roman, ihre Sexualität zu erforschen – und ist damit aktiver als bspw. Peggy Garrett in „Venedig kann sehr kalt sein“, die sich zwei Wochen vor Einsetzen der Handlung umgebracht hat. Aber Elsie tritt immer vermittelt durch die zumeist sehnsüchtige Perspektive einer anderen Figur in Erscheinung. Und letztlich kann eine Frau so viel Bewunderung nicht überleben. Die Ermordung Elsies kommt spät in diesem Roman, überraschend – und in ihm steckt auch eine Bestrafung von Elsies „Lebenslust“, ihren konstanten Verstößen gegen die konventionellen Erwartungen von Weiblichkeit. Auch das ist ein Charakteristikum für Highsmiths Romane: die Männerfiguren finden meistens einen Weg weiterzuleben, es gibt eine Möglichkeit für sie. Für Frauen aber nicht.

Patricia Highsmith: Elsies Lebenslust (Found in the street, 1986). Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Diogenes, Zürich 2006. 480 Seiten. 11,90 Euro.

Hier geht es zu Teil 1Teil 2Teil 3Teil 4 , Teil 5 und Teil 6 der Highsmith-Reihe von Sonja Hartl.

Tags : , , ,