Geschrieben am 1. März 2021 von für Crimemag, CrimeMag März 2021

Hartl on Highsmith (6): Hat er oder hat er nicht?

Über „Das Zittern des Fälschers“

„Das Zittern des Fälschers“ von Patricia Highsmith wird oft in eine Reihe mit „Venedig kann sehr kalt sein“ und „Der Geschichtenerzähler“ gestellt. Sie sind nacheinander von 1965 bis 1969 erschienen, spielen alle nicht in den USA und auch inhaltlich gibt es Parallelen: Howard Ingham ist wie die Hauptfigur des „Geschichtenerzählers“ ein Schriftsteller und könnte einen Mord begangen haben.

(c) Diogenes

Zu Beginn des „Zittern des Fälschers“ hat Ingham die Arbeit an seinem Roman unterbrochen, um für ein Drehbuch in Tunesien zu recherchieren. Nach einigen Tagen in Tunis reist er nach Hammamet und zieht in eine Hotelanlage. Der Regisseur des Films, für den er das Drehbuch schreibt, will nachkommen und so wartet Ingham auf eine Nachricht von ihm oder seiner Freundin Ina. Dann versucht eines Nachts jemand in seinen Bungalow einzubrechen. Kurz entschlossen greift Ingham zu seiner Schreibmaschine und wirft sie dem Einbrecher an den Kopf. Dieser taumelt zurück auf die Veranda und bevor Ingham etwas tun kann, hört er, „das Klatschen barfüßiger Schritte auf der Terrasse, ein Grunzen, ein zischendes Geräusch, als würde etwas weggeschleift. Der verdammte Araber natürlich. Sie – wer immer sie waren – schleiften ihn davon.“ Anschließend hört Ingham Geräusche eines Wischmops und ist überzeugt, dass er vermutlich den alten Mann Abdullah getötet hat, der ihn zuvor bereits einmal bestohlen hat, und die „Hotelboys“ seinen Körper und alle Spuren beseitigt haben. Aber auf Nachfragen am nächsten Morgen geben die Hotelangestellten vor, von keinem Vorfall zu wissen. Dagegen hat aber ein weiterer Bewohner der Anlage, Francis J. Adams, den Lärm mitbekommen und glaubt seither, dass Ingham darin verwickelt ist.

Aus diesem Zwischenfall aber entwickelt sich nun keines der üblichen Highsmith-Spiele zwischen zwei Männern, vielmehr sind in „Das Zittern des Fälschers“ allenfalls noch rudimentäre Krimi-Muster vorhanden. Vielmehr geht es um die Frage, wie ein Mensch seine moralischen Werte entwickelt: „Im Grunde geht es darum, ob ein Mensch seine Persönlichkeit und seine Werte aus sich selbst heraus erschafft oder ob er und diese Werte das Produkt der Gesellschaft sind, in der er lebt.“

Gesellschaft und Moral

Francis J. Adams ist überzeugt von der Überlegenheit des american way of life ist, er steht für die Dominanz von „Werte und Lebensstil“ und wird deshalb von Ingham bald nur noch WULST genannt wird (im Original OWL für „Our Way of Life“). Seiner Meinung nach sind diese Werte unverbrüchlich in Amerikaner eingeschrieben, es gibt keinen anderen Weg, zu einem glücklichen und zufriedenen Leben. Deshalb ist er überzeugt, Ingham müsse die Wahrheit sagen, um Frieden zu finden und bedrängt Ingham regelrecht.

Cover der Neuausgabe von Virago Modern Classics

Ingham aber zieht es eher zu dem dänischen Maler Anders Jensen, der homosexuell ist. Ingham fühlt sich von ihm angezogen, vor allem glaubt er, könnte ihm vertrauen. Deshalb erzählt er ihm von den Ereignissen und wird von Jensen beruhigt, dass seiner Meinung nach das Leben Abdullahs ohnehin nicht viel wert gewesen. Außerdem herrschten in Tunesien nun einmal andere Moralvorstellungen, deshalb solle er sich keine Gedanken darüber machen.

Wie der Roman, an dem Ingham inzwischen weiterarbeitet, erzählt auch Highsmiths Roman – die vorübergehend beide denselben Titel tragen – von einem Mann, der „ins Wanken geraten“ ist. Ist es in Inghams Roman ein Betrüger, der Geld unterschlägt, sich der Amoralität seines Handelns aber nicht bewusst ist, verweigert sich Ingham dem Gedanken, sein Handeln könnte unmoralisch sein. Über seine Romanfigur denkt er „Ihm fehlte jedes moralische Bewusstsein, daß er ein Verbrechen beging, und doch war ihm völlig klar, daß die Gesellschaft und das Gesetz – aus Gründen, die zu verstehen er sich nicht einmal ansatzweise bemühte – sein Tun nicht guthießen.“ Für Ingham ist nun anders: Offenbar nehmen Gesellschaft und Gesetz in Tunesien keinerlei Anstoß daran, dass der alte Mann verschwunden ist. In den USA wäre etwas geschehen, dessen ist sich Ingham sicher. „Es hätte ein kurzes Gerichtsverfahren gegeben, einen Freispruch von der Anklage auf Totschlag vielleicht, aber bestimmt nicht einfach gar nichts, wie hier. In Amerika hätte er nicht damit rechnen können, daß ein paar hilfreiche Menschen den Leichnam beseitigten und kein Wort darüber verloren.“ Wenn Gesellschaft und Gesetz aber ausfallen, bleibt nur noch die eigene Moral.

Wankelmut

Der dauernde Aufenthalt in Tunesien aber hat genau diese eigene Moral ins Wanken gebracht. Gegenüber seiner Freundin Ina, die schließlich nachgekommen ist, sagt Ingham: „Na ja, wenn man fünf- oder sechsmal übers Ohr gehauen worden ist, könnte man doch den Impuls verspüren, auch mal jemanden übers Ohr zu hauen, meinst du nicht? Wenn alle betrügen, zieht einer, der nicht betrügt und keine krummen kleinen Geschäfte macht, den kürzeren.“ Die USA sind klar verbunden mit der Vorstellung von Recht und Ordnung, in Tunesien indes wird die Bigotterie betont, die Korruption. Ingham ist fasziniert von diesem „Fremden“ in Tunesien, das sich zweifellos auf ihn auswirkt. Jedoch fällt schon sehr auf, wie kolonialistisch-rassistisch die Figuren dieses Romans auf Tunesien und die Menschen blicken. Tunesier werden mit Tieren verglichen, ihre Amoralität wird betont, sie werden als faul angesehen. Während Adams von der Überlegenheit der Amerikaner so überzeugt ist, dass er sich wenig für die Tunesier interessiert, ist der Däne Jensen von seiner eigenen Überlegenheit überzeugt, fügt sich aber viel besser in das alltägliche Leben ein. Er hat Zimmer in einem Wohnviertel und lebt nicht mehr im Hotel, ist aber überzeugt, dass das Leben seines Hundes mehr wert sei als das des verschwundenen alten Tunesiers.

Cover der Erstausgabe

Ingham fühlt sich nun stärker zu Jensen hingezogen, vielleicht auch, weil seine Haltung es ihm einfacher macht, mit der Tat zu leben. Am Ende des Roman erwartet ihn dann nicht ein Niedergang, sondern ein unverhofftes Happy End, das aus dem Nichts entsteht – aber noch einmal deutlich macht, wie wenig Highsmith von kompetenten Frauen hält. Es ist nicht Ina, die für das glückliche Ende zuständig ist, sondern Inghams Ex-Frau Lotte, an der er immer noch hängt. Sie ist zwar  eine „Langweilerin“ und „Nervensäge“ „außerhalb des Bettes“, „ungebildet und verwöhnt und hat sich eigentlich für nichts interessiert außer Tennis, das sie aber, vielleicht aus Trägheit, bald aufgegeben hatte“. Aber Ingham hat sie nun einmal „vergöttert“. Aber vielleicht es in diesem Sinne doch auch ein Happy End für Ina, dass sie einen besseren Mann finden wird als Ingham.

Seit Graham Greene in seinem inflationär zitierten Vorwort zum „Schneckenforscher“ gesagt hat, dass „Das Zittern des Fälschers“ seines Erachtens Highsmiths bester Roman sei, wird diese Einschätzung gerne kolportiert. Ich würde ihr widersprechen.

Patricia Highsmith: Das Zittern des Fälschers. Aus dem Amerikanischen von Dirk von Gunsteren. Diogenes, Zürich 2002. 400 Seiten. 21,90 Euro. 

Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5 der Highsmith-Reihe von Sonja Hartl.

Tags : , ,