Geschrieben am 8. Januar 2011 von für Crimemag, Diez Negritos

Fortsetzungsroman: Diez Negritos – Ein ekelhafter Leichnam (7)

Der Roman: Ein ekelhafter Leichnam (Un cadáver asqueroso)

– 2009 begannen die Diez Negritos einen Online-Krimi zu verfassen. In ironischer Anlehnung an die surrealistische Methode des cadavre exquis („köstlicher Leichnahm“) betiteln sie ihren Gemeinschaftsroman mit „Ein ekelhafter Leichnam“ („Un cadáver asqueroso“); und tatsächlich präsentiert uns im ersten Kapitel ein Gerichtsmediziner einen unerklärlich ekelhaften Leichnam in einer Stadt, die Merkmale von allen möglichen hat und keine einzige ist …

Nach der Maxime von Paco Ignacio Taibo II, derzufolge die Anarchie die einzige natürliche Ordnung ist, folgt der Roman keinem vorgefertigten Plan und daher dürfen wir sicher mit der einen oder anderen Überraschung rechnen.

Die Autoren: Diez Negritos

Zehn spanischsprachige (Krimi-)Autoren haben sich im März 2009 unter der Koordination des französischen Literaturwissenschaftlers, Kritikers und Autors Sébastien Rutés zusammengeschlossen, um ein gemeinsames Blog zu verfassen: Paco Ignacio Taibo II, Antonio Lozano, Carlos Salem, Eduardo Monteverde, Juan Hernández Luna, Lorenzo Lunar, Rebeca Mugra, Sébastien Rutés, Jorge Belarmino Fernández und Juan Ramón Biedma. Im Sommer 2009 stießen die Spanierin Cristina Fallarás, der Italiener Bruno Arpaia und der Mexikaner Jorge Moch dazu, sodass aus den zehn kleinen Negerlein dreizehn wurden. Leider schrumpfte die Zahl im Juli 2010 durch den unerwarteten Tod von Juan Hernández Luna jedoch wieder auf zwölf.

Mit der Bezeichnung „Diez Negritos“ („Zehn kleine Negerlein“) spielen die Autoren nicht nur auf das Kinderlied, sondern auch auf den Roman „Ten Little Niggers“ von Agatha Christie an. Des Weiteren sind mit „Negritos“ natürlich die Verfasser von novelas negras (Kriminalromanen) gemeint. Das Gemeinschaftsblog ist in erster Linie ein Ort der Diskussion über Kriminalliteratur aber auch über viele angrenzende Themen und wird von dem französischen Verlag L’Atinoir unterstützt. Laufend publizieren die Autoren dort Essays, Erzählungen, Gedichte, Fotos, Zeichnungen, Gemälde, Kommentare, autobiografische Notizen …

Zu den Teilen 1 2, 3, 4, 5 und 6

VII

Verdammt clever

Paco Ignacio Taibo II

Übersetzt von Doris Wieser

„Sie und ich, wir mögen uns nicht besonders, wir können uns nicht riechen und haben auch keinen Respekt vor dem anderen. Es ist sogar noch schlimmer, wir gehen einander am Arsch vorbei“, sagte Mayor Toledo zu Caronte García und schaute ihn dabei mit einer gewissen Wertschätzung an.

„Besser kann man es nicht ausdrücken“, antwortete Caronte und nahm das Glas Cagüey-Rum on the rocks von der einen Hand in die andere, weil die Finger der rechten Hand nicht mehr dieselben waren wie noch vor ein paar Stunden.

„Aber Sie und ich, wir sind verdammt clever.“

„Und deswegen wissen wir …“

„… dass die Arschgeigen von der Bundespolizei, die die ganze Zeit Drogenhändler und Terrorristen unterm Kopfkissen des Präsidenten vermuten, nicht wissen, dass der Schlüssel …“

„… diese bekackten verschwundenen Leichen sind …“ Caronte vervollständigte den Satz im vollen Bewusstsein, dass, wenn aus Liebe Hass entspringen kann, der umgekehrte Fall genauso zutraf.

„… und die Ersatzleichen, die jetzt nicht mal mehr das sind …“

„… weil ihre Überreste inmitten der Explosion zu Brei wurden, um den sich keiner schert, an dem keinem was liegt, den keiner vermisst und den niemand in der Pfeife rauchen will …“

„Außer diese öffentlichen Dienstleister, die ganz und gar nicht blöd sind, sondern verdammt clever und deswegen da überleben, wo sie überleben, nämlich in diesem Land von Undankbaren, Arschkriechern, Zynikern und Lügnern …“

„Leuten wie wir, nur dass wir Profis sind.“

„Dreckige Schweine und feige Schwänze, aber sie haben Respekt vor der Arbeit.“

„Genau“, schloss Caronte den zweistimmigen Monolog und kippte schnell sein Glas hinunter, bis er dieses goldene Glitzern sah, das Betrunkene am Boden der Gläser wahrnehmen und das auf sie wie das Zeichen eines Zauberstabs wirkt, das vorhersagt, dass noch viele Drinks folgen werden.

Sie schwiegen einen Moment, erschöpft von so viel Weisheit und weil sie einander ziemlich auf den Sack gingen; Männer mit einer starken Neigung zum Joyce’schen inneren Monolog.

„Womit fangen wir an?“, fragte Caronte und bestellte beim Kellner einen Happen zu essen. „Noletti ist nicht mehr da und der ekelhafte Leichnam auch nicht. Die Ersatzleichen wurden höchstwahrscheinlich durch die Bomben zerfetzt und fielen dann den Flammen zum Opfer. Demnach zu urteilen, was ich gesehen habe, bevor sie mich zum Spazierengehen schickten, blieb nicht viel übrig. Wir haben ihnen auch keine Fingerabdrücke abgenommen …“

„Ich habe etwas Besseres als Fingerabdrücke“, sagte Toledo während er aus den Taschen des riesengroßen senfgelben Sakkos, das ihm viel zu weit war, ein paar Hände zog, die von den Armen ihrer Besitzer unsauber abgetrennt worden waren.

Der Kellner, der gerade mit einem reich gefüllten Glas Cagüey-Rum on the rocks wiederkam, legte den Rückwärtsgang ein und lenkte dann seinen schnellen Schritt um zu einer Gruppe Mapuche-Indianer ein paar Tische weiter hinten, um ihnen ihr Bier zu servieren.

„Wo haben Sie die her?“

„Aus dem Haufen aus Leichenstücken. Ich glaube, es sind die richtigen.“

„Verflucht nochmal“, sagte Caronte mit einem Lächeln im Gesicht. „Jetzt werden wir mit den zwei Scheißhänden in der ganzen Stadt herumlaufen. Und das wo wir doch gesagt haben, dass wir intelligent sind.“

„Gefällt Ihnen die Idee nicht?“

„Doch, sehr sogar.“

Paco Ignacio Taibo II, geboren 1949 in Gijón (Spanien), lebt seit seiner Kindheit in Mexiko und studierte dort Literatur, Soziologie und Geschichte. Er ist Journalist, Schriftsteller und seit über 20 Jahren Leiter des Literaturfestivals Semana Negra de Gijón. Nach seinen zahlreichen Kriminalromanen der 1970er und 1980er Jahren schrieb er vor allem Werke über die Arbeiterbewegung in Mexiko sowie Biografien historischer Personen wie Che Guevara und Pancho Villa. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise, z. B. den Premio Grijalbo (1982) für „Héroes convocados“, den Premio Café Gijón (1986) por „De Paso“, den Premio Nacional de Historia INAH (1986) für „Bolsheviquis. Historia narrativa de los orígenes del comunismo en México 1919-1925“, drei Mal den Premio Internacional Dashiell Hammett por „La vida misma“ (1987), „Cuatro manos“ (1991) y „La bicicleta de Leonardo“ (1994); den Premio Latinoamericano de Novela Policíaca y Espionaje für „Cuatro manos“ und den Premio Bancarella (1998) für „Ernesto Guevara, también conocido como el Che“.

Doris Wieser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Göttingen und promoviert über den zeitgenössischen lateinamerikanischen Kriminalroman. (Homepage und Mail)