Geschrieben am 15. Januar 2017 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Filmkolumne Max Annas: On Dangerous Ground (13)

odg gd nachts_strassen_korFilm, Verbrechen und andere Mittel

Max Annas über „Nachts auf den Straßen“ von Rudolf Jugert.

„Wir waren zusammen im Osten,“ sagt der Bruder von Inge, der gar nicht deren Bruder ist, zum Fernfahrer, der sich schon wundern wird über das innige Verhältnis der Geschwister zueinander. Das „Wir“, auf das er sich bezieht, sind er und sein Kollege, der Sohn der Wohnungsinhaberin, bei der er mit Inge lebt – Singlehaushalte waren damals noch nicht erfunden. Jetzt sind sie beide „in der Vergnügungsindustrie tätig“ wie er weiter sagt. Zusammen schimpfen sie über die Broadway Bar, in der sie zum Tanz aufspielen – „mehr Bar als Broadway“, sagt der Kollege. „Ich meine, Sie sind Musiker,“ wirft der Fernfahrer ein. „Wenn Sie es so nennen wollen,“ erwidert der Bruder. Dabei wird in der Bar eigentlich ein recht gepflegter Spät-Swing geboten, wie wir dann noch erleben werden, die Band ist kaum zu sehen im Film, dafür der Bruder am Klavier um so häufiger, auch wie er beim Spiel mitgeht und inniger Teil der Musik ist. Doch das nur am Rande. Denn das Narrativ wird ja weitergetrieben in der Szene, in der der Bruder dem Fernfahrer vom Osten erzählt hat. „Man muss heutzutage sehen, wo man bleibt. Hab ja weiter nichts gelernt.“ Der Fernfahrer fragt mit etwas zu betroffenem Gesicht: „Sie waren Soldat?“ Er tut das ganz so, als sei es eine Sensation, im Jahr 1952 in der Generation der 30-40-jährigen ehemalige Krieger zu finden, was etwas kurios wirkt. „Flieger“, antwortet der Bruder daraufhin. „Ich habe leider ein kleines Andenken an die große Zeit. „Schulterschuss.“

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Das ist eine interessante Grundierung für die Geschichte um Verbrechen und Vergehen, die eigentlich so geht. Der Fernfahrer Heinrich Schlüter (Hans Albers) bekämpft seine innere Unruhe nach der Hochzeit seiner Tochter damit, dass er am selben Tag wieder über Land fährt. Zwei Dinge kommen ihm in die Quere. Da ist zum einen der Umschlag voller Geld, der auf der Straße liegt, neben dem Cabrio, das zu schnell gefahren (worden) ist und sich überschlagen hat. Das Geld, so erfährt er bald, ist nicht sauber, hat einem, jetzt toten, Verbrecher gehört, also steckt er es ein – nennen wir das mal ein Vergehen. Er träumt von Dingen, von denen Leute damals träumten. Den Hänger abbezahlen – bessere Arbeit und mehr Geld verdienen. Ein Pelz für die Gattin – Zeichen für sozialen Aufstieg. Goldene Uhr für die Tochter – dem neuen Ehemann, dem Schwächling, zeigen, wo der Bartel den Most holt. Zum anderen ist da Inge (Hildegard Knef), die sehr, sehr symbolstark neben dem Umleitungsschild an der Autobahn steht und darauf wartet, von Stuttgart nach Frankfurt mitgenommen zu werden. Es ist dies die Inge mit Kurt, dem Bruder (Marius Goring), der kein Bruder, sondern ihr Liebhaber ist. Dass sie dem Fernfahrer von der falschen familiären Verbindung erzählt, ist ein Zeichen für die dunklen Pläne, die sie gemeinsam haben, sie, Inge, aber vor allem der Bruder und dessen Freund. Sie sind Verbrecher, diese beiden, und sie haben sich ihr Schicksal nicht ausgesucht, denn sie haben ja nichts gelernt. Das sagt der Film. Der Krieg also, er ist böse. Mindestens in den eigenen Reihen hat er ordentliche Verheerungen ausgelöst.

Nachts auf den Straßen“ ist durchaus Genrekino. Es geht um den Aufrechten und die Umleitung, die er nimmt. Zwei Verführungen zur gleichen Zeit zu widerstehen, Kohle und Weib, dazu hat er nicht die Kraft. So kommt er in Berührung mit der Welt des Verbrechens, und weil er Schuld auf sich geladen hat, das Vergehen, der Umschlag voller Geld, hängt er mit drin, ist Teil der Pläne, die andere ausgeheckt haben. Aus eigener Kraft wird er es nicht schaffen, aus diesem Sumpf wieder herauszukommen.

„Marijana“ ist auch dabei

Die Zerstörungen des Krieges werden am Rande gezeigt, sie sind präsent und unübersehbar in den Ruinen, zu besichtigen gleich im ersten Bild, als der Fernfahrer aus seinem Laster steigt. Aber die wirklichen Zerstörungen hat der Krieg in den Köpfen der Leute hinterlassen. Der Bezug zwischen Krieg und Verbrechen ist deutlich genug und führt die Zerstörungen fort in die bundesrepublikanische Gesellschaft, die der Geschichte also nicht entkommen kann. Die Zerstörungen werden freilich auch fortgeführt. Zur Schmerzlinderung, der Schulterschuss, aber beileibe nicht nur zu diesem Zwecke, raucht Kurt ein Kraut, das etwas unbeholfen Marijana genannt wird. Schon der erste Zug dieses Wundermittels macht ihn wunderlich, der Körper will schräg stehen, die ganze Kippe führt zu Bewusstseinsverlust und Totalausfall. Inge erzählt Fernfahrer Schlüter, dass sie zwischen Stuttgart und Frankfurt pendelt, um gestopfte Pullover von der Mutter zum Bruder zu bringen. Tatsächlich hat sie die heiße Ware im Gepäck, dieses bewusstseinstötende Marijana. Statt das Zeug zur Recherche selbst zu rauchen, haben sich die Drehbuchautoren Fritz Rotter und Helmut Käutner ganz offensichtlich zu sehr auf den legendären Film „Reefer Madness“ von 1936 verlassen, in dem die Wirkungen des Krauts ein kleines bisschen übertrieben dargestellt werden.

Andere Zerstörungen werden ausgeblendet. Natürlich ist es schlimm, dass junge Männer im Nachkriegsdeutschland Black Music spielen oder gar dazu tanzen müssen, aber das erstaunte Gesicht, das Hans Albers macht, als er Kurt fragt, ob er Soldat gewesen ist, gibt parallel eine andere, alternative Richtung vor. Eine der Tafeln zwischen dem Vorspann und der Einführung von Schlüter und seinem Lastwagen geht so:

„Nachts auf den Straßen,
in Autohöfen und Tankstellen
dienen Tausende von Männern
jahraus, jahrein dem Aufbau ihres Landes,
der Wiederherstellung von Handel u. Verkehr.“

Es gab ihn, diesen Krieg …

Darin steckt ein unfreiwilliger Hinweis auf das, was tausende deutsche Männer, und vielleicht ein paar mehr, noch einige Jahre zuvor getan hatten. Sie hatten ja nicht nur Handel und Verkehr „ihres Landes“ in Schutt und Asche gelegt. Mit dem beinahe Erstaunen der Albers´schen Figur geht der Film genau den Schritt zurück, den er durch die Worte aus dem Mund der beiden jüngeren Männer in die richtige Richtung gemacht hatte. Was kann der gutmütige Schlüter mit seinem mitunter etwas wehleidigen Älteremännergrinsen im Krieg schon angerichtet haben? Der Schlüter, der sich von einem Batzen Geld und den Finten einer schönen Frau so sehr irritieren lässt? Na… Siehste. 28 Jahre fahre er jetzt schon den Laster, sagt er, „Kriegsjahre nicht doppelt gerechnet“.

Ein loser Spruch, nicht mehr, aber immerhin kommt am Rande heraus, dass er von diesem Krieg doch schon mal gehört hatte. Vielleicht ist es genau das, was möglich war, wenn im Nachkriegskino fürs große Publikum – Albers!, Knef! – eben dieser Krieg zum Thema werden sollte, von ganz, ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. „Nachts auf den Straßen“ ist 1951 gedreht worden, und möglicherweise war diese Art, den 2. Weltkrieg als längst nicht abgeschlossenes Thema zu benutzen, eben das, was eine teure Produktion sich leisten wollte. Es gab ihn, diesen Krieg, es gab Soldaten, es war schlimm, die Wunden sind noch nicht verheilt. Und immerhin funktioniert dieser Hinweis nicht nur bezogen auf die Folgen im Inneren. Kurt redet schließlich vom Osten. Was immer die Deutschen dort getan haben mögen.

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Dieser mühevoll konstruierten Haltung zur deutschen Geschichte entspricht das Drama, das häufig mehr behauptet als fühlbar werden lässt. Trotz des Titels, der einen soliden Truckerfilm erwarten lässt, spielen der Kraftwagen und die Straße nur Nebenrollen. Zwei weitere Tafeln, integriert in den Vorspann, wollen dem Publikum eigentlich das Gegenteil weissmachen: „In weiteren wichtigen Rollen: DER FERNLASTZUG …und DIE AUTOBAHN“, aber hier sind wir eben beim Behaupteten. Die Straße ist ein paar Mal zu sehen als Unterlage für den Lastzug, Wege und Distanzen werden dabei nicht spürbar, vielmehr wissen wir einfach, dass Straße, LKW und Waren irgendwie zusammengehören. München und Stuttgart und Frankfurt werden erwähnt, aber schon bei den Ladungen, die Schlüter transportiert, geht dem Drehbuch die Fantasie aus, sie werden einfach nicht benannt. Und das Physische des Trucks ist schon gar nicht formuliert im Bild. So ein Lastwagen mit Anhänger ist ja ein mächtiges Stück Technik, das sich prima inszenieren lässt. Aber da kommt gar nichts. Der Laster ist nicht mehr als ein Stauraum, gerade noch ein Platz, an dem Schlüter lebt, der doch so gern allein ist.

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odg Le-Salaire-De-La-Peurodg 697256b51cd6278f4a5ca0b652e6e48eDabei gibt es sie ja, die Filme aus der Zeit, die das schaffen, die die Dynamik des Western zum Beispiel in der Lage sind zu übertragen auf ihre LKW-Filme. Jules Dassins „Thieves Highway“, 1949 in San Francisco gedreht, ein Noir um Trucker und Gesetzesbruch, in dem sich die Männer auch mal im wortwörtlichen Sinn die Hände schmutzig machen, ist so einer. Und natürlich Henri-Georges Clouzots „Le salaire de la peur“ (Der Lohn der Angst) vier Jahre später, in einer imaginären südamerikanischen Ecke angesiedelt, wo die Trucks neben jenen, die sie fahren, selbst zu Charakteren werden. In dieser Logik der Enttäuschung ist der US-Verleihtitel „The Mistress“ gleich der bessere, weil er nichts vorgibt, was er nicht einzuhalten bereit ist.

Bleiben wir dabei, „Nachts auf den Straßen“ als Genrekino zu lesen, ist es ein ordentlicher Versuch. Spannender aber sind vielleicht die sozialen Anordnungen unter den Figuren. Inge hat gleich zwei nicht-eheliche Liebesbeziehungen und kommt trotzdem lebend aus dem Drama heraus. Sie muss also nicht dafür bezahlen, dass sie den gängigen Vorstellungen entgegen gelebt hat. Das ist viel wert, das öffnet den Film fürs heute. Am Ende siegt zwar das Gängige, das Normale, das Übersichtliche, aber nicht um jeden Preis. Der Preis ist trotzdem hoch. Anna Schlüter, gespielt von Lucie Mannheim, weiß um die „mistress“ ihres Gatten – wer hätte ihm schon den grässlichen Schlips für 14 Mark kaufen sollen? In der letzten Szene beharrt sie aber darauf, dass nicht geredet wird, über was nicht geredet werden darf. Das Leben ist schließlich keine Autobahn, sondern eine Einbahnstraße.

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odg Nachtsaufdenstrassen Belgienodg nachts Italien 2odg Nachts auf den Strassen-Poster-web2Nachts auf den Straßen; BRD 1952; Regie: Rudolf Jugert; Drehbuch: Fritz Rotter, Helmut Käutner; Kamera: Václav Vích; Musik: Werner Eisbrenner; DarstellerInnen: Hans Albers, Hildegard Knef, Lucie Mannheim, Marius Goring; 112min.

 

 

 

Bisher in der Filmkolumne von Max Annas erschienen:
Nr. 12: „Man without a Star“ von King Vidor (Kirk Douglas zum 100.)
Nr. 11: Day of the Outlaw, von André De Toth
Nr. 10: „Frozen Rivervon Courtney Hunt.
Nr. 9: Claire Denis – „J´ai pas sommeil“ (Ich kann nicht schlafen). Hier bei CrimeMag.
Nr. 8: Ida Lupino – „Outrage
Nr. 7: Fritz Lang – „Fury
Nr. 6: Claude Chabrol – „Nada“ und die Bücher von Jean-Patrick Manchette im Kino
Nr. 5: David Miller – „Executive Action
Nr. 4: Anthony Mann – „Devil´s Doorway
Nr. 3: „Acı“ von Yilmaz Güney
Nr. 2: Deprisa, deprisa“ von Carlos Saura
Nr. 1.: Pietro Germi – „La città si difende

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