Geschrieben am 15. November 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Filmkolumne Max Annas: On Dangerous Ground (12)

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– Max Annas über „Man Without a Star“ von King Vidor.

Ein Film über den jungen Kapitalismus. Mit einem ähnlichen Grundthema wie André de Toths Western „Day of the Outlaw“, über den ich im letzten Monat an dieser Stelle geschrieben habe. Es geht wieder, expliziter allerdings, um die range wars, ebenfalls angesiedelt im noch nicht zu den USA gehörenden Wyoming. Die Kernfrage des Films ist: Wem soll Land gehören, und wie lässt sich dieses Eigentumsrecht durchsetzen?

Zu diesem Zeitpunkt – „Man Without a Star“ spielt, ohne dass der Film das explizit benennt, in den 1880ern – ist die eine Frage längst beantwortet: Den Native Americans gehört der Grund nicht mehr. Also geht es darum, welche der Weißen Settler den Boden kriegen. Und da kommt ins Bild, was den Plot des Films treibt: der Stacheldraht. Wie langweilig man einen so interessanten Film kaputtbeschreiben kann, steht auf der zu Amazon gehörenden Website International Movie Database (imdb) zu lesen: „A drifter working as foreman for an iron-fist female rancher must chose sides between his attractive employer and the other neighboring settlers who are mistreated by her.“ Ja, schon, möchte ich sagen, darum geht’s irgendwie, und dann halt auch gar nicht.

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Die Storyline geht ungefähr so: Dempsey Rae, gespielt von Kirk Douglas, ist jemand, der nicht viel mehr arbeitet als nötig und auf einer Farm nahe einem Weiler mit einem unfreundlichen Sheriff einen Job als „hand“ annimmt. Drifter meint übersetzt so etwas wie Herumtreiber und wird der selbstbewussten Haltung der Figur ganz sicher nicht gerecht, wirkt eher wie eine Wertung aus der Zeit, in der der Film entstanden ist, 1955, als ein lustiger Begriff wie Vollbeschäftigung erfunden worden ist und jemand, der sich einem solchen Arbeitsregime nicht unterordnen wollte, asozialisiert werden musste.

Rae jedenfalls entdeckt, dass die Farm nicht nur einer Frau gehört, was allgemein für Erstaunen sorgt, sondern dass die, superknallharte Person, die sie ist, das Land um die Farm herum mit einer gigantischen Viehherde von 30.000 Rindern schnell und wirksam auszubeuten gedenkt. „Two, maybe three years, and the grass will be gone,“ sagt Rae zu Reed Bowman (Jeanne Crain), als die ihm, er ist mittlerweile zur „top hand“ aufgestiegen, ihre Pläne vorstellt. „So will I,“ entgegnet sie. Ein früher Beitrag zur (deutschen) Heuschreckendebatte. Die kleineren Farmer, mit etwa 1000 Tieren auch nicht ganz arm, errichten nun um das Gebiet, das sie für sich reklamieren, den Stacheldraht. Und jetzt kommt Dynamik in die Konflikte.

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Kirk Douglas´ Charakter Dempsey Rae ist der Mann ohne Stern, er folgt einem anderen Muster, gegenwärtig ist er auf der Flucht vor dem neumodischen Draht, von Texas kommend Richtung Norden. Der Film stellt ihn als jemanden dar, der die Freiheit hat, zu arbeiten, wenn er es will, und an die Orte zu gehen, die er für sich aussucht. Die Abneigung gegen den Stacheldraht ist ihm in den Körper eingeschrieben, die Narben ziehen sich quer über seine Brust. Frankie Laines Titelsong (Musik Arnold Hughes, Lyrics Frederick Herbert) entpolitisiert das Thema zwar…

There’s just no sense to build and fence
Not if you like to wander
Each hill I see is callin‘ me
Go yonder, yonder, yonder

… aber wir sind eben im Produkionsjahr 1955, das ist die hohe Zeit des McCarthyismus. Hier steht der Draht lediglich der Freiheit des „drifter“ im Weg, yonder zu gehen, immer weiter, so wie es ihm einfällt. Aber in den Dialogen tritt die Bedeutung des Drahtes deutlicher hervor, hier gab es etwas mehr Freiheit, mit ernsthaften Inhalten zu arbeiten als im Titelsong, der lediglich die Freiheit des Westens betonen wollte, und ihren Verlust. Rae erklärt seinem Sidekick Jeff (William Campbell), was Stacheldraht in Texas angerichtet hat. „There was all open range. And then they brought in the wire. And when the wire comes in there´s fighting and killing.“

Und kurz bevor Rae sich auf den nächsten Zug setzt, um dem sich zuspitzenden Konflikt zwischen Bowman, für die er nicht mehr arbeitet, und den kleineren Farmern zu entkommen, der Showdown ist nicht weit, nimmt ihm die gute Seele des Kaffs (Claire Trevor als Idonee) sein persönliches Dilemma auseinander. „You´re taking the next train out. That´s the story of your life, Demps. I guess there´s nothing a man like you can do except keep on running. But no matter where you go, you´re running into that same fence. And it always has wire on it.“

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Die politische Geschichte des Stacheldrahts

Der französische Philosoph Olivier Razac hat 2003 in seinem Buch „Politische Geschichte des Stacheldrahts“ drei wesentliche Einsatzgebiete des Drahts identifiziert. Das erste sind die Vereinigten Staaten jener Zeit, als Stacheldraht noch eine frische Sache war. In der deutschsprachigen Wikipedia findet sich folgender launige Satz: „Die Entwicklung des Stacheldrahts erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es in den Vereinigten Staaten auf Grund veränderter ökonomischer Bedingungen für Rinderzüchter wichtig wurde, gutes Weideland zu schützen.“ Der Satz ist gar nicht so lächerlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn tatsächlich waren es ja jene veränderten ökonomischen Bedingungen, die auf den Genozid an der schon anwesenden Bevölkerung Nordamerikas folgten. Der geraubte Boden musste jetzt unter anderem geschützt werden vor denen, die ihn vorher genutzt hatten.

Der Film findet Bilder für den Schmerz, den ein Mensch erfährt nach einem Sturz in den Draht. Einer der „hands“ der Farmerin reitet auf der Suche nach einem Rind in den schwer sichtbaren Zaun hinein. Den zivilisatorischen Bruch, den der Drahtzaun mit den Stacheln bedeutete, reißt der Film so immerhin an, den Wechsel von einer Praxis der Abgrenzung zu einer der Gewalt. Und die Angst, die mit dem Schmerz kommt oder mit seiner Erwartung. Und damit den Unterschied zur Mauer etwa, die weithin zu sehen ist.

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Native Americans kommen nicht vor in „Man Without a Star“, so viel Subversion passte nicht ins Jahr 1955, und trotzdem lässt sich deren Schmerz mit dem heutigen Blick leicht mitlesen. Hier sind es nur die range wars, die Kämpfe der Weißen gegeneinander, die die Bedeutung des Drahts aufladen. Aber auch das ist sehenswert. Die Konfliktlinie verläuft entlang der unterschiedlichen Ideen von open range, was meinte, dass in einem Gebiet, das erfolgreich von Native Americans gesäubert war, Weiße Farmer sich das Gebiet nehmen und es benutzen konnten. Das Land war offen, im Prinzip. Nur galt das eben lediglich so lange, bis jemand kam, den anderen mit Waffengewalt oder schierer Herdengröße die Luft abzudrehen. Reed Bowman ist in dem Spiel diejenige, die den Konsens aufkündigt. Ihre Freiheit besteht darin, die anderen zu verdrängen. Die der anderen darin, sich zu wehren – mit dem Stacheldraht.

Es ist einfach, in dem Film das Plädoyer für einen geregelten Kapitalismus zu sehen, der die Agierenden zu Fairness und Augenmaß zwingt. Auch Rae wird sich in der Auseinandersetzung am Bau von Zäunen beteiligen, um Bowman von ihrer Expansionsstrategie abzubringen. Damit wird er seine Freiheit verraten, für einen fairen Kapitalismus. Am Ende, wenn die Heuschrecke besiegt ist, bieten ihm die guten Kapitalisten eine Herde und Land zur Bewirtschaftung an. Aber Rae lehnt das ab. Stacheldraht ist Kapitalismus. Und darauf hat er keine Lust. Er reitet weiter.

Razac fokussiert drei unterschiedliche und doch ineinander greifende Praxen des Einsatzes von Stacheldraht. Der Ausschluss von Land, wie oben beschrieben, der Kriegseinsatz im 1. Weltkrieg – obwohl schon vorher ähnlich eingesetzt, schließlich der Ausschluss durch Einschluss im deutschen Konzentrationslager. Wir würden heute mindestens ein weiteres Bild ergänzen, das sich auf alle drei vorher erwähnten bezieht. Wer die Zäune in den europäischen Kolonien Ceuta und Melilla sieht, begegnet dem Ausschluss der natives genau so wie Bildern des Krieges und den in den Zäunen verendenden Individuen.

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So weit kann der Film nicht gehen, obwohl die Sequenz, in der sich Rae das Hemd vom Leib reißt, um dem jungen Sidekick seine vernarbte Brust zu zeigen, offen ist für viele Interpretationen. Der Film hat tatsächlich eine Menge Schwächen, auf anderem Terrain. Wenn das tragende Thema, das sehr konzentriert bearbeitet ist, aus dem Blick gerät, macht „Man Without a Star“ oft einen Schwenk ins Komödiantische. Der erzieherische Aspekt zwischen Rae und Jeff steht da im Vordergrund, auch andere Szenen wirken ein wenig verstaubt. Auf der anderen Seite hat Kirk Douglas aber eine Vielzahl von Szenen, in denen er sein Minenspiel extrem strapaziert. Faszinierend hieran ist, dass das fast immer gut geht, nie peinlich wird. Ganz groß ist eine Szene, in der er einem Saloonkampf mit ungewissem Ausgang entkommt.  Idonee wirft ihm gerade noch rechtzeitig ein Banjo zu, das er spielt und bei Spiel und Gesang durch den Saloon turnt. Dabei gibt er eine leichtfüßige Performance, die in ihrer Geschmeidigkeit eine beinah transgressive Qualität hat. Wir reden immerhin von einem Cowboy.

Tiefpunkt ist der Showdown, in dem der erste Handlanger Bowmans als Bösewicht, Richard Boone wie immer sehr souverän, niedergestreckt wird. Schießerei und Prügelei sind genrekonform aufbereitet, der Stacheldraht wird noch einmal angemessen gewürdigt, aber Bowman selbst wird vergessen. Sie ist klammheimlich aus dem Plot radiert worden. Keine Erwähnung mehr wert sind die 30.000 Rinder. Hat sie sich aus dem Staub gemacht? Schreibt sie ein Buch? Wir wissen es nicht.

mx-dvd-sueddeutsche-_sy445_„Man Without a Star“ ist entstanden in der Mitte der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als Hollywood ähnlich vorhersehbar war wie heute. Erst später hat sich Kirk Douglas deutlicher positioniert, mit Leuten von der Blacklist zusammengearbeitet, Projekte möglich gemacht, die quer zum Mainstream lagen. Er hat das normalerweise nicht groß kommentiert. Aber wenn wir genau hinsehen, entdecken wir auch in seinen früheren Rollen viel von einer Art Misstrauen gegen Macht und ihre Willkür. Ganz so wie in diesem feinen Film. Kirk Douglas wird im nächsten Monat 100 Jahre alt.

Max Annas

Man Without a Star; Regie: King Vidor; Drehbuch: Borden Chase, D.D. Beauchamp; USA 1955; 89min; Kamera: Russell Metty; Musik: Hans J. Salter, Herman Stein; DarstellerInnen: Kirk Douglas, Jeanne Crain, William Campbell, Claire Trevor.
Die deutsche Fassung „Mit stahlharter Faust“ ist innerhalb der Western-Edition der „Süddeutschen Zeitung“, aber auch in anderen Versionen als DVD auf dem Markt.

 

Bisher in der Filmkolumne von Max Annas erschienen:
Nr. 11: Day of the Outlaw, von André De Toth
Nr. 10:Frozen River“ von Courtney Hunt.
Nr. 9: Claire Denis – „J´ai pas sommeil“ (Ich kann nicht schlafen). Hier bei CrimeMag.
Nr. 8: Ida Lupino – „Outrage
Nr. 7: Fritz Lang – „Fury
Nr. 6: Claude Chabrol – „Nada“ und die Bücher von Jean-Patrick Manchette im Kino
Nr. 5: David Miller – „Executive Action
Nr. 4: Anthony Mann – „Devil´s Doorway
Nr. 3: „Acı“ von Yilmaz Güney
Nr. 2: Deprisa, deprisa“ von Carlos Saura
Nr. 1.: Pietro Germi – „La città si difende

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