Geschrieben am 15. Oktober 2016 von für Crimemag

Filmkolumne: Max Annas: On Dangerous Ground (11)

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Film, Verbrechen und ungleiche Mittel

Heute: „Day of the Outlaw“ von André De Toth. Von Max Annas.

Man comes to town ist eine der klassischen Eröffnungen des Western, freilich auch anderer Genres. Im Western aber sind die Konturen von Setting und Personal so klar ausgeleuchtet, die Grenzen zwischen Gruppe und Individuum gewöhnlich so klar erkennbar, dazu ist die Wiedererkennbarkeit des Sujets so erinnerbar, dass die Eröffnung beinah wie dem Western immanent erscheint, und eben nur dem Western. Der Mann reitet in die Stadt ein, in der er schon gewesen ist oder in der Leute leben, die er kennt. Eine alte Feindschaft, ein lange erkaltete Zuneigung, ein deutlich ausgeprägtes Gerechtigkeitsbewusstsein oder ein lokaler Konflikt, der den Mann zu schnellem Handeln bringt – alles Klassiker aus der Erzählkiste des Western. Gregory Peck als „The Gunfighter“ reitet 1950 in ein verschlafenes Städtchen ein, um einer alten Liebe eine Mitteilung zu überbringen und tut ansonsten… Nichts. Er sitzt in einem Saloon herum und zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich. Henry Kings Film ist eine faszinierende Studie darüber, wie ein Außenstehender die Gruppe zur Selbstzerstörung bringt, ohne selbst besonders aktiv zu sein.

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Andre De Toths „Day of the Outlaw“ spielt mit dem Motiv, um es zur Implosion zu bringen. Zwei Männer kommen in eine Stadt unter dem Schnee geritten. Der erste Dialog schon, noch außerhalb der town, die den Namen kaum verdient, es sind mehr ein paar hingeworfene Baracken, erklärt die Auseinandersetzung, die folgen wird. Es geht um Draht, also um den Konflikt zwischen Farmern und Viehwirtschaft. Das Interesse der einen ist der Schutz des beackerten Landes, die anderen wollen ihr Vieh durch die Gegend treiben.

Robert Ryan, der so oft den Schurken spielte, weil er keine Lust auf die vermeintlich positiven Rollen hatte, gibt den unerbittlichen Rancher Blaise Starrett, der gleich mehrere Kämpfe in Bitters im Wyoming Territory auszufechten hat. Er hat vor, den Farmer Crane (Alan Marshall) umzulegen, um zu verhindern, dass der die Zäune aufstellt. Außerdem hat er ein Auge geworfen auf des Farmers Gattin (Tina Louise), mit der er einst liiert war. Die Sprache zwischen den Antagonisten wird rau, und die Waffen sind so geladen wie gezückt, als Barrett seinen Adlatus Dan (Neremiah Persoff) auffordert: „Roll the bottle!“ Sobald die Flasche das Ende der Theke erreicht hat, kann geschossen werden.

 

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Dan rollt die leere Flasche, und natürlich ist die Theke lang genug für einen Zwischenschnitt, um die Dramatik, die im Saloon liegt, noch etwas zuzuspitzen. Die Flasche also rollt, die vier Männer bereiten sich auf einen Shoot-Out vor, Ryan auf der einen, drei Farmer auf der anderen Seite, ihre Körper spannen sich noch einmal. Dann rollt die Flasche weiter, sie verliert an Tempo, und ganz kurz, bevor sie beinah widerwillig über die Klippe der hölzernen Theke geht, wird die Tür zum Saloon aufgestoßen. Mit Captain Bruhn und seiner Bande von Halsabscheidern kommt eine neue Gruppe in den Saloon und to town, die die alten Konfrontationslinien in einem kurzen Augenblick verwischt. Eine Sekunde vor dem Beginn der einen tödlichen Auseinandersetzung beginnt so ein Konflikt, der nicht weniger gefährlich ist für die Leute in der town. Burl Ives gibt den Captain Bruhn als umsichtigen, aber entschlossenen Ex-Militär, dessen Interesse es ist, seinen Haufen samt den 40.000 gestohlenen Dollars vor dem sie verfolgenden Armeetrupp in Sicherheit zu bringen. Er ist angeschossen, braucht medizinische Hilfe. Seine Stärke verblasst so in manchen Situationen und führt seine Männer immer wieder dazu, seine Autorität auszuloten.

So weit weg von Deadwood nicht

Das also ist die neue Situation: Bitters ist eine Karikatur von town, noch nicht ganz Deadwood im Sinne Pete Dexters, die angebotenen Dienste sind noch karger, weil hier – so weit weg von Deadwood ist das imaginierte Bitters gar nicht – viel weniger Leute leben. So gibt es einen Veterinär, aber keinen Menschendoktor, weil das Vieh wichtig ist und der Mensch nur frisst. Laden, Frisör, Hotel mit Saloon. Ende. Der Schnee lässt die Straße, an die die Häusern gebaut wurden, wie eine Jauchegrube aussehen. Eine gefrorene Jauchegrube. Wyoming ist noch nicht Teil der USA, das Gesetz wird also von denen gemacht, die es können. Männern, die mit der Waffe umgehen. Wer schneller schießt, ist nicht so schnell tot. Die größere Gruppe gewinnt gegen die kleinere. Deshalb gehört Bitters nun Captain Bruhn.

 

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André De Toth (1913-2002) hat zuerst in Ungarn, dann in Hollywood vornehmlich Genrefilme gedreht. Western eben, aber auch sehr solide Noirs wie „Pitfall“ (1947) oder „Crime Wave“ (1952). Oft zeigte er, dass er kein großes Budget brauchte, um einen Film zu machen. Und „Day of the Outlaw“ hat sicher kein großes Geld gekostet. Die Rede ist von 400.000 Dollars, außerdem soll De Toth am Set erratisches Verhalten an den Tag gelegt haben, und Ryan scheint mit einer Lungenentzündung flachgelegen zu haben. Trotzdem ist unter widrigen Umständen ein ganz bemerkenswert guter und interessanter Film herausgekommen. Die Story ist originell. Die Winterlandschaft beeindruckend in langen Schwenks mit Bedeutung aufgeladen, Russell Harlan deckt mit seinen Bildern die Enge in der Weite des Schnees mitleidlos auf. Das Vorläufige im Gefüge der town Bitters spiegelt sich in zwei Figuren wieder, Ryans Starrett verändert seine Rolle im sozialen Gemenge mehrere Male, vom Aggressor über den Moderator zwischen Dorfgemeinschaft und Banditen bis zum Retter des Weilers. Komplementär dazu Gene: Der jüngste der outlaws schwankt zwischen Loyalität zur eigenen Gruppe und dem Erkennen, dass das Leben der anderen Gemeinschaft mindestens ebenso lebenswert ist. Beide, Starrett und Gene, stehen für die vorstaatliche Ordnung, in der Rollen und ihre Positionen ausgelegt werden können. Gene wird am Ende die Seiten wechseln. In einer Gesellschaft, die zentral organisiert wird über den Einsatz von Polizei und Justiz, wäre er womöglich am nächsten Galgen geendet. Und Starrett hat sich mit seinem Einsatz für die Leute im Städtchen von seiner Rolle als Bösewicht und Bedrohung emanzipiert. Einmal auf diesem Pfad kann er nicht mehr zurück.

Aber das ist längst nicht alles. So stark „Day of the Outlaw“ ist, wenn sich die verschiedenen Gruppen im Saloon redend und argumentierend gegenüberstehen, zuerst Farmer und Rancher, dann townspeople und outlaws, der Film hat einige spektakuläre Höhepunkte, in denen auf das Wort ganz oder weitgehend verzichtet wird.

 

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Ernine (Venetia Stevenson), die Tochter des Händlers, die ein wenig Zutrauen zu Gene gefasst hatte, beobachtet jenen durch das Fenster des Ladens, als die Banditen ihre Pferde satteln, um unter der Führung von Starrett einen Ausweg nach Cheyenne zu suchen. Gene bemerkt das und überquert, sich mit Blicken absichernd, die Straße, bleibt aber in deren Mitte stehen. Ernine wiederum beobachtet Genes Bewegung, greift in ein Glas mit Süßwaren und dreht sich ab, nur um sich sofort wieder Gene zuzuwenden, der auf die Ladentür zuläuft. Am Ende eines kurzen Dialogs sagt Ernine: „You mustn´t go with them.“ Dann verrät sie, dass es keinen Weg durch die Berge gibt, anders als es Starrett behauptet hatte. Gene läuft, beobachtet von Ernine und Starrett, der auf die Straße getreten ist, zu Captain Bruhn, es gibt einen kurzen Dialog. Ernine sieht, wie zuerst Starrett, dann Gene, schließlich Bruhn zum Stall gehen. Zu Ernine gesellen sich, ebenfalls beobachtend, noch Vater und der kleine Bruder. Dann gibt es den Schnitt zum Stall. So beginnt die verbale Auseinandersetzung zwischen Bruhn und Starrett. Ohnehin sind die Diskussionen und Begegnungen zwischen Ryan und Ives dauernde Höhepunkte des Films. Sie versuchen, einander zu trauen, obwohl ihre Interessen sehr unterschiedlich sind, aber sie wissen auch, dass der jeweils andere ihnen beistehen muss. Starrett dem Captain dabei, die Banditen und ihre Beute sicher aus der Stadt hinaus zu bringen. Der Captain Starrett dabei, dass die Leute aus Bitters nach schon zwei Toten nicht alle umgelegt werden. „Keep your people in check,“ sagt Bruhn zu Starrett, nachdem ihm eine Kugel aus dem Körper geholt worden ist. „I`ll control my men.“

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Männer und Frauen – sehr seltsam

Die beeindruckendste und bizarrste Szene ist eine siebenminütige, well… Tanzszene kommt mir nicht ganz leicht in die Tasten, weil eben nicht getanzt wird. Tanzen ist eine Sache, zu der in der traditionellen Vorstellung ein Mann und ein Frau gehören. Und auch wenn sich im Saloon Männer und Frauen paarweise bewegen, so werden die Frauen doch mehr gezerrt, geschleift und geworfen, unter den Augen des geschwächten Captain. Bruhn hatte dem Drängen seiner Männer nachgegeben. Beim Nein zum Drink war er geblieben, aber mit den Frauen sollte doch was gehen. Eine samstagabendliche Tanzveranstaltung also. Vier Frauen hatten sich in Bitters gefunden, beim Tanz balgen sich nun sechs Männer um sie. Bis auf Gene und Denver, den native american, versuchen alle, die körperliche Grenze zwischen Tanz und sexuellem Übergriff in irgendeiner Form aufzuheben. Der brutale Ringelrein ist ein Verdrängungswettbewerb auf dem Parkett, die tanzenden Zwangseinheiten rumpeln gegen- und ringen miteinander auf dem Holzboden des Saloons zum gleichbleibenden Stakkato des Pianisten, der keine Variation kennt. Einer der outlaws sagt zu Mrs. Crane: „If I was drunk I´d really show you how to dance.“ Die totale Stagnation steckt in diesem musikalischen Loop, die auch der Captain nicht aufheben kann, als er einen der sexuellen Übergriffe beim Tanz beendet und Mrs. Crane aus den Armen eines Unterlings befreit. Er versteht es selbstverständlich, kultiviert zu tanzen. Zwischen dem Chef und seinen Leuten besteht ein Klassenunterschied. Aber selbst Bruhn schafft es nicht, die Spannung zwischen ihm und seinen eigenen Leuten aufzuheben, geschweige denn jene zwischen den outlaws und den Frauen von Bitters. Erst der vom Krankenlager kommende Starrett, er war auf Geheiß von Bruhn vermöbelt worden, vermag die Schleife, in der sich alle im Saloon befinden, zu unterbrechen, als er den Raum betritt und „Stop!“ ruft.

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Ja, das ist ein Western. Und ja, es ist Hollywood, wenn auch B, oder gar irgendwo zwischen B und C angesiedelt, vom Materialeinsatz her betrachtet. Aber ein Film, der so am Rande der Aufmerksamkeit produziert werden musste, konnte, der hatte auch immer ein Randpotential, das größere Projekte nicht hatten und nicht haben konnten. „Day of the Outlaw“ ist nur ein Jahr nach Andrzej Wajdas „Popiól i diament“ erschienen. Und auch, wenn ich den Vergleich nicht zu weit treiben möchte mit diesem epochalen Werk, De Toths Film hat in diesen Szenen falscher Geselligkeit und erzwungener Gemeinschaft eine Dichte und Intensität, die Wajdas Meisterwerk nicht um so viel nachsteht. Und sicherlich gibt es ein Dutzend Western, die aus ästhetischen oder politischen Gründen über „Day of the Outlaw“ anzusiedeln sind, aber mir geht beim Zählen jetzt schon die Puste aus.

Day of the Outlaw; Regie: André De Toth; Drehbuch: Philip Yordan; USA 1959; 92min; Kamera: Russell Harlan; Musik: Alexander Courage; DarstellerInnen: Robert Ryan, Burl Ives, Tina Louise, Venetia Stevenson.

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Bisher erschienen:
Nr. 10: „Frozen River“ von Courtney Hunt.
Nr. 9: Claire Denis – „J´ai pas sommeil“ (Ich kann nicht schlafen). Hier bei CrimeMag.
Nr. 8: Ida Lupino – „Outrage
Nr. 7: Fritz Lang – „Fury
Nr. 6: Claude Chabrol – „Nada“ und die Bücher von Jean-Patrick Manchette im Kino
Nr. 5: David Miller – „Executive Action
Nr. 4: Anthony Mann – „Devil´s Doorway
Nr. 3: „Acı“ von Yilmaz Güney
Nr. 2: Deprisa, deprisa“ von Carlos Saura
Nr. 1.: Pietro Germi – „La città si difende

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